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Hessisches Finanzgericht  Beschluss v. - 4 Ko 414/22, 4 Ko 415/22, 4 Ko 417/22, 4 Ko 420/22, 4 Ko 421/22

Gesetze: GKG § 29; GKG § 31; GKG § 66; BGB § 54; BGB § 721; HGB § 126; AUEV Art. 49; AUEV Art. 63

Zur Kostenhaftung des Gesellschafter-Directors einer im Inland ansässig bzw. ansässig gewesenen britischen Limited nach dem Brexit

Leitsatz

  1. Wird ein Zweitschuldner in einer an ihn adressierten Gerichtskostenrechnung zu Unrecht als Erstschuldner bezeichnet, ist die Rechnung nicht rechtswidrig, wenn im Übrigen die Voraussetzungen für die Kostenhaftung des Adressaten der Rechnung (z.B. gemäß §§ 29 Nr. 3, 31 Abs. 2 GKG) vorliegen.

  2. Die Handelndenhaftung gemäß § 54 Satz 2 BGB a.F./ § 54 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. ist ein Fall der Kostenhaftung gemäß § 29 Nr. 3 GKG (entgegen Bundeverwaltungsgericht, Beschluss vom 1 KSt 2/99).

  3. Für das Gesellschaftsstatut gilt die für EU-Gesellschaften durch den Vorrang der Niederlassungsfreiheit überlagerte Sitztheorie im Verhältnis zu Drittstaaten grundsätzlich fort. Dies gilt jedenfalls nach dem Brexit auch für nach britischem Recht gegründete Kapitalgesellschaften, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland haben bzw. hatten.

  4. Der Niederlassungsfreiheit stünde entgegen, die Sitztheorie und ihre Folgen rückwirkend allein auf Grund vor dem Brexit verwirklichter Sachverhalte – insbesondere auf britische Kapitalgesellschaften mit (damaligem) Verwaltungssitz in Deutschland und auf deren Geschäftsführer und Gesellschafter – anzuwenden. Bei einer britischen Kapitalgesellschaft schließt daher die Niederlassungsfreiheit die Anwendung eine nach deutschem Gesellschaftsrecht vor dem Brexit (hier durch Klageerhebung) verwirklichten Handelndenhaftung gemäß § 54 Satz 2 BGB a.F. aus.

  5. Bei einer britischen Kapitalgesellschaft schließt die Niederlassungsfreiheit die Anwendung eine nach deutschem Gesellschaftsrecht vor dem Brexit verwirklichten Gesellschafteraußenhaftung jedenfalls dann aus, wenn die Kapitalgesellschaft vor dem ihren Verwaltungssitz in Deutschland aufgegeben hatte. Behält eine britische Kapitalgesellschaf ihren deutschen Verwaltungssitz nach dem bei, liegt ein Formwechsel in eine Gesellschaftsrechtsform vor, die keine konstitutive Eintragung in ein Handels- oder Vereinsregister voraussetzt:

    1. Die Rechtsform einer deutschen Kapitalgesellschaft scheidet wegen des Eintragungserfordernisses aus.

    2. Die britische Kapitalgesellschaft mit mehreren Gesellschaftern und tatsächlichem Fremdgeschäftsführer, die nur ihr Vermögen verwaltet, um Pensionszusagen an die Gesellschafter zu erfüllen, kann ein nichtwirtschaftlicher Verein ohne Rechtspersönlichkeit sein, für dessen Schulden die Gesellschafter bereits nach deutschem Gesellschaftsrecht nicht im Außenverhältnis unmittelbar haften.

    3. Sofern hingegen die britische Kapitalgesellschaft mit fortbestehendem deutschen Verwaltungssitz auf Grund ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit und ihrer inneren Verfassung entweder als wirtschaftlicher Verein ohne Rechtspersönlichkeit oder als Personengesellschaft anzusehen ist, würden die Gesellschafter nach deutschem Gesellschaftsrecht grundsätzlich auch für die vor dem Brexit entstandene Schulden der britischen Kapitalgesellschaft im Außenverhältnis haften. Zur Frage, ob diese vom Einfluss auf den Verwaltungssitz grundsätzlich unabhängige Außenhaftung des Gesellschafters in der Konstellation des Brexit mit der Niederlassungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar ist, käme im Hinblick auf die Erwartung einer Beschränkung der Außenhaftung eine Vorlage an den EuGH in Betracht.

  6. Hat die britische Kapitalgesellschaft hingegen vor dem Brexit ihren Verwaltungssitz von Deutschland in die Niederlande verlegt, ist auf Grund der in den Niederlanden geltenden Gründungstheorie weiterhin die Beschränkung der Außenhaftung auf das Vermögen der Kapitalgesellschaft nach britischem Gesellschaftsrecht zu beachten, so dass durch den Brexit keine Außenhaftung der Gesellschafter entsteht.

  7. Die Feststellungslast für das Fortbestehen eines inländischen Verwaltungssitzes einer vor dem Brexit zugezogenen britischen Kapitalgesellschaft als Voraussetzung für die (etwaige) Außenhaftung des Gesellschafters trägt der (hier Kosten-) Gläubiger.

Fundstelle(n):
AAAAJ-81548

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