Auslegung einer bestandskräftigen Baugenehmigung und Bestimmtheitsgrundsatz
Gesetze: § 137 Abs 1 VwGO, § 37 Abs 1 VwVfG
Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 1 A 418/20 Urteilvorgehend VG Dresden Az: 4 K 851/18
Gründe
1Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.
21. Mit der Divergenzrüge dringt die Beschwerde nicht durch.
3Gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Dies setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes ( 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4). In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, einen tragenden, abstrakten Rechtssatz dieser Entscheidung zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Für eine Abweichung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genügt nicht der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt (stRspr, vgl. 4 BN 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 11 m. w. N.). Gemessen daran legt die Beschwerde eine Divergenz nicht dar.
4Sie zitiert wörtlich Passagen aus Entscheidungen von Obergerichten zum Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG, die ihrerseits auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verweisen. Soweit die Zitate Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts enthalten, stellt die Beschwerde ihnen schon keine tragenden abstrakten Rechtssätze aus dem angegriffenen Urteil gegenüber.
5Dem 10 B 16.21 - juris Rn. 4 entnimmt die Beschwerde den Rechtssatz, dass ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt ist, wenn der Adressat erkennen kann, was von ihm gefordert wird, und wenn der Bescheid zudem eine geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein kann. Nach dieser Rechtsprechung dürften keine Unklarheiten oder Zweifel verbleiben. Demgegenüber lasse das Oberverwaltungsgericht genügen, dass der Inhalt "noch hinreichend klar" sei, was Zweifel impliziere. Damit wird ein abweichender abstrakter Rechtssatz der Vorinstanz nicht aufgezeigt. Ob die Genehmigung hinreichend bestimmt ist, hat das Oberverwaltungsgericht hinsichtlich der genehmigten Nutzung des Antennenmastes als solcher (d. h. für den Mobilfunk) und der konkreten Antennentechnik erörtert. Es kann dahinstehen, ob die allein auf die genehmigte Nutzung bezogene Feststellung unter Rn. 54 "noch hinreichend klar" überhaupt Rechtssatzqualität hat oder - wie die Formulierung "noch hinreichend deutlich" unter derselben Randnummer - lediglich als Synonym für das Tatbestandsmerkmal "hinreichend bestimmt" verwendet wird. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist jedenfalls sprachlich und inhaltlich fernliegend, dass das Oberverwaltungsgericht dem Tatbestandsmerkmal "hinreichend bestimmt" im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG durch das vorangestellte "noch" einen anderen, auch Zweifel erfassenden Inhalt geben wollte. Auch eine "noch hinreichend klare" Regelung ist klar. Die Voranstellung des "noch" ist überflüssig, aber unschädlich. Für die hier in Rede stehende Mobilfunknutzung als solche hat das Oberverwaltungsgericht die hinreichende Bestimmtheit auf den der Baugenehmigung beigefügten Widerrufsvorbehalt und die Bezugnahme auf den Bauantrag gestützt (UA Rn. 54).
6Abgesehen davon hat das Oberverwaltungsgericht seiner Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal "hinreichend bestimmt" die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssätze (BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 240.96 - juris Rn. 3 und vom - 4 B 21.14 - BRS 82 Nr. 167 Rn. 9) zugrunde gelegt (UA Rn. 57). Es hat zudem verlangt, dass "die Baugenehmigung für sich oder zusammen mit den mit einem Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale des zur Genehmigung gestellten Vorhabens bestimmt sein muss" (a. a. O.). Damit werden ausdrücklich auch Drittbetroffene in den Blick genommen. Vor diesem Hintergrund ist eine Abweichung von dem 7 C 43.90 - (BVerwGE 88, 286 <292 f.>), wonach es gerade im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren rechtsstaatlich geboten ist, bei der Auslegung von Genehmigungsbescheiden entscheidend auch auf den Empfängerhorizont potenziell Drittbetroffener abzustellen, selbst dann nicht dargetan, wenn man diesen Rechtssatz auf das baurechtliche Genehmigungsverfahren übertrüge. Der Sache nach macht die Beschwerde - vor allem mit ihren Ausführungen zur Antennen-/Anlagentechnik und ihrer Kritik an der von der Vorinstanz angenommenen Reichweite der Tatbestands- bzw. Legalisierungswirkung der Baugenehmigung aus dem Jahr 1995 - nur eine fehlerhafte Tatsachenwürdigung und Rechtsanwendung geltend. Das reicht zur Begründung einer Divergenz nicht aus.
7Ungeachtet dessen legt sie auch nicht dar, dass die angegriffene Entscheidung auf der geltend gemachten Abweichung von Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots (§ 37 Abs. 1 VwVfG) beruht. Das Oberverwaltungsgericht hat die hinreichende Bestimmtheit der Genehmigung nur in Frage gestellt, soweit mangels konkreter Angaben im Bauantrag zur "avisierten Antennentechnik" eine substantielle Beurteilung schädlicher Umwelteinwirkungen auf das klägerische Nachbargrundstück nicht möglich war (UA Rn. 54 und 58). Abschließend verhalten hat es sich dazu nicht. Vielmehr hat es - gestützt auf ein 6 C 26.19 - (BVerwGE 171, 156 Rn. 50) tragend angenommen, dass eine Nichtigkeit der Genehmigung wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nur dann in Betracht komme, wenn die Regelungen Widersprüche, gedankliche Brüche oder andere Ungereimtheiten enthielten, so dass ein verständiger Adressat nach keiner möglichen Betrachtungsweise erschließen könne, was von ihm verlangt werde (UA Rn. 58 f.). Ein derart gravierendes Bestimmtheitsdefizit hat es verneint (UA Rn. 60). Insoweit macht die Beschwerde keine Zulassungsgründe geltend.
82. Die Grundsatzrüge rechtfertigt ebenso wenig die Zulassung der Revision.
9Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4 und vom - 4 BN 3.20 - juris Rn. 3). Das leistet die Beschwerde nicht.
10Sie will rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob
bei der Auslegung einer Baugenehmigung als Verwaltungsakt mit Drittwirkung vornehmlich oder zugleich entscheidend auf den Empfängerhorizont potentiell Drittbetroffener abzustellen ist,
dasselbe Maß an Klarheit anzulegen ist wie beim Adressaten oder gar ein strengeres, vor allem, wenn Bauunterlagen oder andere Begleitpapiere zum Bescheid dem Dritten nicht zugänglich waren,
Besonderheiten im Sinne strengerer Anforderungen an Bestimmtheit bzw. Auslegung gelten
- gegenüber einem Kläger, dem weder selbst noch dessen Rechtsvorgänger der Bescheid förmlich bekanntgegeben wurde
- bei einer Nutzungsänderung bzw. sonstigen technischen Umrüstung eines Baukörpers (hier mit hochfrequente elektromagnetische Felder emittierenden Antennen statt zuvor Fernmeldetechnik) und
Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten, die in der Perspektive von Dritten bleiben, zu Lasten der Behörde gehen und wann hier Tatbestandswirkung und Legalisierungsfunktion des Bescheides entfallen.
11Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Die Beschwerde legt schon ihre Entscheidungserheblichkeit nicht dar. Wie o. a. hat die Vorinstanz tragend darauf abgestellt, dass die Genehmigung nicht an einem zu ihrer Nichtigkeit - und damit einem Entfallen der Tatbestandswirkung - führenden Bestimmtheitsmangel leidet. Überdies wird auch die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit nicht dargetan. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich insoweit darin, der Würdigung der Vorinstanz eine eigene entgegenzusetzen.
12Ungeachtet dessen sind die Fragen, soweit sie sich auf einen verallgemeinerungsfähigen Kern zurückführen lassen, bereits geklärt bzw. lassen sich ohne Revisionsverfahren beantworten.
13Das Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG verlangt, dass der Adressat in die Lage versetzt wird, zu erkennen, was von ihm gefordert wird; zudem muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (stRspr, vgl. 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261 <283>, vom - 9 C 13.11 - BVerwGE 145, 87 Rn. 11 und vom - 8 C 14.16 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 305 Rn. 12 jeweils m. w. N.), im Baurecht also auch nach irrevisiblem Landesrecht (vgl. 4 B 240.96 - juris Rn. 3).
14In bundesrechtlicher Hinsicht verlangt das allgemeine Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) für die hinreichende Bestimmtheit einer Baugenehmigung, dass sie Inhalt, Reichweite und Umfang der getroffenen Regelung eindeutig erkennen lässt, damit der Bauherr die Bandbreite der für ihn zulässigen Nutzungen und Drittbetroffene das Maß der für sie aus der Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit zweifelsfrei feststellen können. Eine solche dem Bestimmtheitsgebot genügende Regelung muss der Baugenehmigung selbst, gegebenenfalls durch Auslegung, entnommen werden können, wobei die mit einem Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen bei der Ermittlung des objektiven Erklärungsinhalts der Baugenehmigung heranzuziehen sind (vgl. 4 C 8.11 - NVwZ 2013, 372 Rn. 13 <insoweit nicht veröffentlicht in BVerwGE 145, 145>; Beschlüsse vom - 4 B 240.96 - juris Rn. 3 und vom - 4 B 21.14 - BRS 82 Nr. 167 Rn. 9; - juris Rn. 57). Ist der Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes - auch durch Auslegung - nicht eindeutig feststellbar, ist er wegen eines Verstoßes gegen § 37 Abs. 1 VwVfG rechtswidrig. Ob er in solch einem Fall auch nichtig ist (und seine Tatbestandswirkung entfällt), bestimmt sich nach § 44 VwVfG (vgl. 8 C 14.16 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 305 Rn. 12 und Beschluss vom - 9 B 29.18 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 233 Rn. 10). Weitergehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Den Fragen 2 und 3 liegt im Übrigen, soweit sie eine unterbliebene förmliche Bekanntgabe der Genehmigung und die Nichtzugänglichkeit von Bauunterlagen unterstellen, teilweise ein Sachverhalt zugrunde, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat.
15Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:230724B4B20.23.0
Fundstelle(n):
TAAAJ-81439