Nichtannahmebeschluss: Wegen Subsidiarität unzulässige Verfassungsbeschwerden betr Fremdpersonalverbot in der Fleischwirtschaft (§§ 6a, 6b, 7 GSA Fleisch <RIS: SAFleischWiG>)
Gesetze: § 6a SAFleischWiG vom , § 6b SAFleischWiG vom , § 7 Abs 1 SAFleischWiG vom , § 7 Abs 2 Nr 3 SAFleischWiG vom , § 7 Abs 2 Nr 4 SAFleischWiG vom , § 7 Abs 2 Nr 5 SAFleischWiG vom , § 7 Abs 2 Nr 6 SAFleischWiG vom , § 7 Abs 3 SAFleischWiG, Art 12 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, Art 14 Abs 2 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG
Gründe
1Die Beschwerdeführenden rügen mit ihren Verfassungsbeschwerden die Verletzung ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), ihrer Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) durch das Fremdpersonalverbot im Kernbereich der Fleischwirtschaft aufgrund des Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz („Arbeitsschutzkontrollgesetz“ im Folgenden: ASKG). In dem Verfahren 1 BvR 2639/21 wird zudem ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) gerügt.
I.
21. Am wurde das ASKG vom veröffentlicht. Es ergänzt in elf Artikeln vorhandene Gesetze speziell um Regelungen für die Fleischindustrie, wie etwa das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (im Folgenden: GSA Fleisch), das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), die Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV), das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) und das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung („Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz“, im Folgenden: SchwarzArbG). Ein zentraler Baustein ist das sektorale Fremdpersonalverbot im Kerngeschäft der Fleischindustrie, also in der Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung (§ 6a Abs. 2 GSA Fleisch). Es wurde durch Art. 11 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 5, Art. 3 und Art. 3a ASKG in zeitlich gestufter Form eingeführt. Ab dem sollte dieses Kerngeschäft nicht mehr durch Werkvertragsunternehmen, ab dem bis nur begrenzt und ab dem auch nicht mehr im Wege der Arbeitnehmerüberlassung, also durch Leiharbeit, vorgenommen werden dürfen. Daneben steht § 6b GSA Fleisch mit Befugnissen der Zollverwaltung zur Überprüfung der Vorgaben des § 6a GSA Fleisch. Bußgeldvorschriften enthält § 7 GSA Fleisch, der sich in Abs. 1 und Abs. 2 Nummern 3 bis 6 unmittelbar und in Abs. 3 mittelbar auf § 6a GSA Fleisch bezieht. Art. 8 und Art. 9 ASKG ändern das SchwarzArbG. Art. 11 ASKG regelt das Inkrafttreten. Das GSA Fleisch gilt nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GSA Fleisch für Betriebe der Fleischwirtschaft im Sinne von § 6 Abs. 9 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG). Darunter sind Betriebe und selbstständige Betriebsabteilungen, in denen überwiegend geschlachtet oder Fleisch verarbeitet wird oder die ihre Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen überwiegend in Betrieben der Fleischwirtschaft einsetzen, zu verstehen. Gemäß § 2 Abs. 2 GSA Fleisch gelten die Regelungen in §§ 6 bis 6b GSA Fleisch aber nicht für Handwerksbetriebe mit bis zu 49 Beschäftigten.
3Gegenstand der Verfassungsbeschwerden sind §§ 6a, 6b GSA Fleisch in der Fassung des Art. 2 Nr. 5 ASKG, § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nummern 3 bis 6, Abs. 3 GSA Fleisch in der Fassung des Art. 2 Nr. 6 ASKG, Art. 3, Art. 3a, Art. 8, Art. 9 und Art. 11 ASKG.
42. Die Beschwerdeführenden sind Werkvertrags- und Leiharbeitsunternehmen sowie deren Geschäftsführer beziehungsweise Liquidator.
5a) Der Beschwerdeführer zu 1. des Verfahrens 1 BvR 2638/21 gründete mehrere Unternehmen, darunter im Jahr (…) die Beschwerdeführerin zu 2. des Verfahrens 1 BvR 2638/21. Die Beschwerdeführerin zu 2. des Verfahrens 1 BvR 2638/21 ist ein Werkvertragsunternehmen mit ca. 40 Beschäftigten, das im Bereich der Fleischverarbeitung bei der Produktion und Verpackung von Würsten lediglich für einen Kunden tätig wird. Die Beschwerdeführerin zu 3. des Verfahrens 1 BvR 2638/21 ist ein Leiharbeitsunternehmen. Sie beschäftigt regelmäßig 45 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sie ausschließlich an Kunden im Bereich der Fleischwirtschaft überlässt.
6b) Die Beschwerdeführerin zu 1. des Verfahrens 1 BvR 2639/21 ist Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin der Beschwerdeführerin zu 2. des Verfahrens 1 BvR 2639/21, deren Geschäftsanteile ihr im Jahr (…) von ihrem Vater im Wege der vorweggenommenen Erbfolge schenkungsweise übertragen wurden. Die Beschwerdeführerin zu 2. des Verfahrens 1 BvR 2639/21 erbringt auf der Grundlage von Werkverträgen Dienstleistungen für die Nahrungsmittelindustrie, insbesondere in der Fleischindustrie durch Schlachten, Zerlegen, Wurstabfüllung und Verpackung. Sie verfügt über 350 bis 400 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, von denen zehn als Vorarbeiter und zehn in der Verwaltung tätig sind. 300 bis 350 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer setzt sie in der Fleischindustrie ein, 30 bis 35 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Käseindustrie.
7c) Der Beschwerdeführer zu 1. des Verfahrens 1 BvR 2640/21 gründete mehrere Unternehmen, zu denen seit (…) auch die Beschwerdeführerin zu 2. des Verfahrens 1 BvR 2640/21 zählt. Die Beschwerdeführerin zu 2. des Verfahrens 1 BvR 2640/21 führt auf der Grundlage von Werkverträgen Arbeiten in der Fleischindustrie durch. Dazu zählt die Zerlegung, aber auch Tätigkeiten in der Produktion und Logistik bei Unternehmen der Wurstherstellung. Die Beschwerdeführerin zu 2. des Verfahrens 1 BvR 2640/21 beschäftigt im Bereich der Wurstherstellung in Zeiten, in denen verstärkt auf Fleischprodukte zurückgegriffen wird, 400 bis 450 Mitarbeitende. Außerhalb der Saison sind 120 bis 180 Mitarbeitende für sie in diesem Bereich tätig. Im Bereich der Zerlegung sind durchgehend 150 Personen beschäftigt.
8d) Das Fremdpersonalverbot im Kernbereich der Fleischwirtschaft habe zum Wegfall des (Haupt-)Geschäftsfelds der Beschwerdeführenden geführt. Sie hätten erhebliche Umsatzeinbußen erlitten und auch keine Möglichkeit mehr, wirtschaftlich tätig zu werden. Ihre Belegschaften hätten sich stark verringert. Eine Änderung der Tätigkeitsfelder sei nur schwer möglich, ein neuer Markt nur schwer zu erschließen. Insoweit seien die nach Inkrafttreten des Fremdpersonalverbots im Kernbereich der Fleischwirtschaft bestehenden Möglichkeiten, etwa der Einsatz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betrieben des Fleischerhandwerks, keine realistische Option.
93. Die Beschwerdeführenden rügen, dass das Fremdpersonalverbot im Kernbereich der Fleischwirtschaft und die dieses flankierenden (Bußgeld-)Tatbestände sie in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), ihrer Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzen. Die Beschwerdeführerin zu 1. des Verfahrens 1 BvR 2639/21 sieht durch das in § 6a Abs. 2 GSA Fleisch verankerte Fremdpersonalverbot zudem das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.
10a) Die Verfassungsbeschwerden seien zulässig. Insbesondere sei der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt. Die Beschwerdeführenden könnten nicht darauf verwiesen werden, zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Es sei ihnen nicht zumutbar, erst durch Verstöße gegen das GSA Fleisch Ordnungswidrigkeiten zu begehen und sodann gegen diese den Rechtsweg zu beschreiten. Im Übrigen sei nach einigen Entscheidungen der zuständigen Finanzgerichte für die Feststellung, dass der Betrieb kein Betrieb der Fleischwirtschaft im Sinne des Gesetzes sei, umfangreicher Vortrag zum Einsatzbetrieb, den dortigen Abteilungen und den jeweils in den einzelnen Abteilungen erbrachten Arbeitszeiten erforderlich. Eine derartige Konkretisierung sei den Beschwerdeführenden mangels Einblicks in die und Kenntnis von der Ausgestaltung der auftraggebenden Unternehmen nicht möglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei die Feststellungsklage in diesem Fall mangels Bestehens eines Feststellungsinteresses unzulässig, weil sie nur auf eine rechtsgutachterliche Stellungnahme hinausliefe.
11b) Die Verfassungsbeschwerden seien auch begründet.
12aa) Das Fremdpersonalverbot greife in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ein. Durch das Gesetz würden im Kernbereich der Fleischwirtschaft ausdrücklich Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung untersagt. Damit werde den Beschwerdeführenden verboten wie bisher tätig zu werden. Der Eingriff in den Schutzbereich sei nicht zu rechtfertigen. § 6a Abs. 2 GSA Fleisch, der für die Beschwerdeführenden wie eine objektive Berufswahlvoraussetzung wirke, sei weder geeignet, erforderlich noch verhältnismäßig im engeren Sinne. Der Gesetzgeber habe unzutreffende Sachverhalte zum Anlass genommen, in die Grundrechte der Beschwerdeführenden einzugreifen und dadurch seinen Einschätzungs- und Prognosespielraum überschritten. Dieses Defizit schlage bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs entscheidend durch.
13bb) Außerdem sei Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 GG verletzt. Das Geschäftsmodell der beschwerdeführenden juristischen Personen werde vollständig abgeschafft oder (zunächst) so eingeschränkt, dass sie nicht mehr wirtschaftlich agieren könnten. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung müsse besonders berücksichtigt werden, dass in den vorliegenden Verfahren mittelständische Unternehmen betroffen und weder eine angemessene Übergangsfrist noch Regelungen zur Übertragung geschützter Rechtspositionen auf andere Unternehmen oder zu einem staatlichen finanziellen Ausgleich geschaffen worden seien.
14cc) Die Beschwerdeführenden rügen weiterhin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber habe festgestellte Missstände in Nordrhein-Westfalen zum Anlass genommen, Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung im Kernbereich der Fleischwirtschaft zu untersagen. Entsprechende Verstöße in anderen Bundesländern habe er nicht dargelegt. Daher sei er dazu gehalten gewesen, zunächst mit allen Mitteln gegen die Verursacher der Problematik vorzugehen. Dies habe er unterlassen. Diese Verletzung des Verursacherprinzips führe zur Ungleichbehandlung wesentlich gleich gelagerter Sachverhalte und damit zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
15dd) Die Beschwerdeführerin zu 1. des Verfahrens 1 BvR 2639/21 sieht sich durch das ASKG, insbesondere durch das in § 6a Abs. 2 GSA Fleisch verankerte Fremdpersonalverbot, in dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Rückwirkungsverbot verletzt. Denn ihr drohe eine Nachzahlung der Schenkungsteuer, wenn die Finanzverwaltung den Verlust der Mitarbeitenden bei der Beschwerdeführerin zu 2. des Verfahrens 1 BvR 2639/21 als Veräußerung oder Entnahme wesentlicher Betriebsgrundlagen ansehe.
II.
16Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig sind.
171. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) ist nicht gewahrt. Die Beschwerdeführenden hätten vor Erhebung der Verfassungsbeschwerden auf sonstige Weise versuchen müssen, zunächst vor den Fachgerichten Rechtsschutz zu erlangen.
18a) Auch vor der Erhebung von Rechtssatzverfassungsbeschwerden sind nach dem Grundsatz der Subsidiarität grundsätzlich alle Mittel zu ergreifen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können. Dies gilt auch dann, wenn zweifelhaft ist, ob ein entsprechender Rechtsbehelf statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (vgl. BVerfGE 162, 1 <54 Rn. 100> – Bayerisches Verfassungsschutzgesetz). Entscheidend ist, ob die fachgerichtliche Klärung erforderlich ist, um zu vermeiden, dass das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidungen auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage trifft (vgl. BVerfGE 123, 148 <173>); das Bundesverfassungsgericht soll auch keine Aussagen über den Inhalt einer einfachgesetzlichen Regelung treffen müssen, solange sich hierzu noch keine gefestigte Rechtsprechung der Fachgerichte entwickelt hat (vgl. BVerfGE 86, 15 <27>; 114, 258 <280>).
19Wenn sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz wendet, kann daher auch die Erhebung einer Feststellungs- oder Unterlassungsklage zu den zuvor zu ergreifenden Rechtsbehelfen gehören. Das ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn die Vorschriften abschließend gefasst sind und die fachgerichtliche Prüfung günstigstenfalls dazu führen kann, dass das angegriffene Gesetz gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. Erst recht müssen die Fachgerichte vorher angerufen werden, wenn die angegriffenen Vorschriften auslegungsbedürftige und -fähige Rechtsbegriffe enthalten, von deren Auslegung und Anwendung es maßgeblich abhängt, inwieweit Beschwerdeführende durch die angegriffenen Vorschriften tatsächlich und rechtlich beschwert sind (vgl. BVerfGE 158, 170 <199 f. Rn. 70> – IT-Sicherheitslücken; 159, 223 <273 f. Rn. 101> – Bundesnotbremse I (Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen)).
20Die Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte besteht nur ausnahmsweise nicht, wenn die angegriffene Regelung zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 43, 291 <387>; 60, 360 <372>), wenn es offensichtlich sinn- und aussichtslos und daher unzumutbar wäre, die Fachgerichte anzurufen, oder wenn ein Sachverhalt allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die das Bundesverfassungsgericht letztlich zu beantworten hat, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären (vgl. BVerfGE 123, 148 <172 f.>). Es ist außerdem unzumutbar, vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm verstoßen zu müssen, um dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend machen zu können (vgl. BVerfGE 81, 70 <82 f.>; 97, 157 <165>; 138, 261 <271 f. Rn. 23>), doch ist dem Grundsatz der Subsidiarität nicht genügt, wenn die Möglichkeit besteht, fachgerichtlichen Rechtsschutz außerhalb eines Straf- oder Bußgeldverfahrens zu erlangen (vgl. BVerfGE 145, 20 <54 Rn. 85>).
21b) Die Beschwerdeführenden haben die Fachgerichte bislang nicht angerufen. Dies steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden entgegen.
22aa) Zwar ist den Beschwerdeführenden zuzugestehen, dass es ihnen vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde nicht zumutbar ist, gegen die bußgeldbewehrte Rechtsnorm des § 6a Abs. 2 GSA Fleisch zu verstoßen, um dann im Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend machen zu können. Allerdings dürfte in den Verfahren die Möglichkeit bestanden haben, fachgerichtlichen Rechtsschutz außerhalb eines Bußgeldverfahrens zu erlangen. Den Beschwerdeführenden war es vor Erhebung ihrer Verfassungsbeschwerden grundsätzlich möglich, vor den Fachgerichten die Feststellung zu erlangen, ob das angegriffene Fremdpersonalverbot im Kernbereich der Fleischwirtschaft auf sie und die von ihnen benannten Tätigkeiten und Vertragsgestaltungen überhaupt Anwendung findet. Anhaltspunkte dafür, dass das Fremdpersonalverbot im Kernbereich der Fleischwirtschaft unzweifelhaft auf die Beschwerdeführenden Anwendung findet und sie sich daher ohne vorhergehende Prüfung der Einhaltung der Vorgaben des § 6a Abs. 2 GSA Fleisch durch die Behörden der Zollverwaltung (§ 6b Abs. 1 GSA Fleisch in der Fassung des Art. 2 Nr. 5 und des Art. 3a Nr. 2 ASKG; § 6b Abs. 1 Satz 1 GSA Fleisch in der Fassung des Art. 3 Nr. 2 ASKG) dem Risiko eines Bußgelds ausgesetzt sehen (vgl. zur sog. „Damoklesschwert-Rechtsprechung“ -, juris, Rn. 8 ff.; zur Rechtsnatur einer Prüfungsverfügung nach § 6b Abs. 1 Satz 1 GSA Fleisch vgl. -, juris, Rn. 42), sind nicht ersichtlich. Mag sich noch unmittelbar erschließen, was unter den Begriffen des „Schlachtens“ und „Zerlegens“ im Sinne des § 6a Abs. 2 GSA Fleisch zu verstehen ist, ist offensichtlich auslegungsbedürftig, was in den „Bereich der Fleischverarbeitung“ nach § 6a Abs. 2 GSA Fleisch fällt, und ob die von den Beschwerdeführenden benannten Bereiche, in denen sie weiterhin Fremdpersonal einsetzen wollen, davon erfasst sind (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvQ 165/20, 1 BvQ 166/20 und 1 BvQ 167/20 -, Rn. 19; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2888/20, 1 BvR 1152/21, 1 BvR 1153/21, 1 BvR 1154/21, 1 BvR 1155/21, 1 BvR 1156/21 -, Rn. 22). Die bisherigen finanzgerichtlichen Entscheidungen (vgl. etwa im Eilverfahren -, juris; -, juris; -, juris, Rn. 79 ff.; in der Hauptsache -, juris) zeigen, dass der Klärungsprozess eingesetzt hat (so auch Linsenmaier, NZA 2021, S. 1315 <1316>), aber noch nicht abgeschlossen ist. Eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich auch diesbezüglich noch nicht gebildet. Konkret ist in den Verfahren unklar, ob die bei den Kunden ausgeübten Tätigkeiten als „Fleischverarbeitung“ zu qualifizieren sind. Insoweit bedarf es für die Anwendbarkeit des § 6a Abs. 2 GSA Fleisch einer detaillierten Betrachtung der Beschäftigungsstrukturen und Arbeitszeitanteile der in den Einsatzbetrieben erbrachten Tätigkeiten. Zudem wäre zu klären, ob die Tätigkeiten überwiegend ausgeführt werden und ob es für das sogenannte „Überwiegensprinzip“ auf das Vorliegen eines Mischbetriebs ankommt. Dies spricht dafür, dass es in den vorliegenden Verfahren nicht um lediglich spezifisch verfassungsrechtliche Fragen geht, für deren Beantwortung es allein auf die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlicher Maßstäbe ankäme (vgl. BVerfGE 114, 258 <280>; 123, 148 <173>; 138, 261 <272 Rn. 23>). Vielmehr sind vorrangig tatsächliche und einfachrechtliche Aspekte maßgeblich, hinsichtlich derer zunächst eine fachgerichtliche Klärung erforderlich ist. Nur so kann gewährleistet werden, dass eine (nachfolgende) Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf einer gesicherten Tatsachen- und Rechtsgrundlage ergeht.
23bb) Es ist weder dargelegt noch erkennbar, dass eine vorherige Anrufung der Fachgerichte zur Klärung der Anwendbarkeit der angegriffenen Vorschriften unzumutbar wäre.
24(1) Der Zumutbarkeit der vorrangigen Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes steht insbesondere nicht entgegen, dass eine von den Beschwerdeführenden zu erhebende vorbeugende negative Feststellungsklage mangels Bestehens eines Feststellungsinteresses von vorneherein unzulässig wäre. Zweifel daran, ob ein entsprechender Rechtsbehelf statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann, entbinden nicht von den Subsidiaritätsanforderungen (vgl. BVerfGE 162, 1 <54 Rn. 100>). Im Übrigen ist ein Feststellungsantrag, der die Frage der Anwendbarkeit des § 6a GSA Fleisch umfasst, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs grundsätzlich statthaft und kann jedenfalls ein (auch im einstweiligen Rechtsschutz) feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 41 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) darstellen, wenn im entscheidungserheblichen Zeitpunkt eine Prüfung durch das Hauptzollamt durchgeführt wird (vgl. -, juris, Rn. 25 ff.; Beschluss vom - VII B 85/21 -, juris, Rn. 33 ff.; Beschlüsse vom - VII B 183/21 und VII B 184/21 -, juris, Rn. 27 ff.). Hierzu verhalten sich die Beschwerdeführenden nicht. Mögen die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs bei der Erhebung der Verfassungsbeschwerde am noch nicht vorgelegen haben, wäre den Beschwerdeführenden jedenfalls im Nachgang ergänzender Vortrag dazu möglich gewesen, aus welchen Gründen eine vorbeugende negative Feststellungsklage – etwa mangels durchgeführter Prüfung durch das Hauptzollamt – offensichtlich aussichtslos gewesen wäre (vgl. zur Verpflichtung der Beschwerdeführenden, eine Verfassungsbeschwerde bei entscheidungserheblicher Veränderung der Sach- und Rechtslage aktuell zu halten und die Beschwerdebegründung gegebenenfalls auch nachträglich zu ergänzen, BVerfGE 158, 170 <194 Rn. 57>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1691/22 -, Rn. 12). Das gilt insbesondere, weil die Option der vorrangigen Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes für die Beschwerdeführenden nach ihrem eigenen Vorbringen bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde naheliegend war.
25(2) Die beschwerdeführenden Werkvertrags- und Leiharbeitsunternehmen können gegen die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes auch nicht mit Erfolg einwenden, ihnen sei die Substantiierung einer solchen negativen Feststellungsklage nicht möglich, weil sie nicht über detaillierte Kenntnisse der Betriebe ihrer Kunden verfügten (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvQ 165/20, 1 BvQ 166/20 und 1 BvQ 167/20 -, Rn. 20). Zum einen könnten sie in Bezug auf den Anteil eigener Arbeitskräfte der Kunden in den Bereichen, in denen auch überlassene Beschäftigte eingesetzt wurden, Schätzungen vornehmen. Zum anderen erscheint es nicht ausgeschlossen, bei den Einsatzbetrieben anzufragen, um Darlegungen substantiieren zu können. Zwar ist im Bereich der Leiharbeit das Rechtsverhältnis zwischen Verleiher und Entleiher nur rudimentär in § 12 Abs. 1 AÜG geregelt, wozu Informationspflichten des Verleihers gehören. Doch ergeben sich Nebenpflichten aus § 241 Abs. 2 BGB (vgl. Roloff, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 24. Aufl. 2024, § 12 AÜG Rn. 7). Dazu gehören Unterstützungs- und Mitwirkungspflichten, wonach die Parteien eines Schuldverhältnisses unter Berücksichtigung eventueller Vereinbarungen und des Grundsatzes von Treu und Glauben aus § 242 BGB alles tun müssen, um die Durchführung des Schuldverhältnisses zu ermöglichen ( -, juris, Rn. 19). Unter bestimmten Umständen können sich dabei auch Auskunftspflichten ergeben (Olzen, in: Staudinger BGB, § 241 Rn. 168 (Neubearbeitung 2024)). Weshalb es ihnen vor diesem Hintergrund nicht möglich ist, näher zu den Einsatzbetrieben und den dort erbrachten Tätigkeiten vorzutragen, erklären die Beschwerdeführenden nicht, sondern ziehen sich an dieser Stelle auf die bloße Behauptung zurück, keinen Einblick in andere Abteilungen, die dort erbrachten Arbeiten und die genauen Produktionsvorgänge zu haben.
26(3) Die Beschwerdeführenden haben auch keine sonstigen Gründe dargelegt, aus denen es ihnen unzumutbar wäre, zunächst vorbeugend eine erforderlichenfalls mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz verbundene Feststellungsklage zu erheben, um die Verbindlichkeit des angegriffenen Verbots nebst den dieses flankierenden Regelungen für sie klären zu lassen (vgl. BVerfGE 145, 20 <54 f. Rn. 86>).
272. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
28Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20240930.1bvr263821
Fundstelle(n):
JAAAJ-81156