Instanzenzug: LG Neuruppin Az: 12 KLs 2/24 jug
Gründe
1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.
21. Nach den Feststellungen des Landgerichts entwendete der Beschuldigte am Waren im Wert von 56,52 Euro aus einem Drogeriemarkt. Als ihn ein Kunde, der ihn beobachtet hatte, nach dem Verlassen des Drogeriemarkts auf den Diebstahl ansprach, trat ihm der Beschuldigte gegen den Oberkörper und bedrohte ihn mit einem Messer, um sich im Besitz der entwendeten Gegenstände zu erhalten. Kurze Zeit später bedrohte der Beschuldigte auch Polizeibeamte mit dem Messer, um sich seiner Festnahme zu entziehen. Am schlug er dem Zeugen B. ohne nachvollziehbaren Grund mit einer Bierflasche auf den Kopf, wodurch die Flasche zerbrach. Mit dem abgebrochenen scharfkantigen Flaschenhals stach er ihm anschließend in den Hals, wobei er lebensbedrohliche Verletzungen für möglich hielt und zumindest billigend in Kauf nahm.
3Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leide und in allen Fällen aufgrund einer krankheitsbedingten Kontrollstörung nicht in der Lage gewesen sei, sein Verhalten entsprechend seiner erhalten gebliebenen Unrechtseinsicht zu steuern (§ 20 StGB).
42. Die Unterbringungsentscheidung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich sind vielmehr konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat; Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage des Beschuldigten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können. Das Tatgericht hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. nur Senat, Beschluss vom – 6 StR 360/23 –, juris, Rn. 6 f.; , Rn. 11 f.; Rn. 7; Cirener in: LK, 13. Aufl., StGB, § 63, Rn. 52 ff.).
Diese Anforderungen erfüllen die Urteilsgründe nicht vollständig.
Das Landgericht ist dem Sachverständigen folgend davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund einer zu den Tatzeitpunkten vorliegenden paranoiden Schizophrenie im Sinne des § 20 StGB vollständig aufgehoben war.
Der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung des Beschuldigten und den Taten ist den Ausführungen indes nicht hinreichend zu entnehmen. Dem Beschuldigten soll jeweils der ‚Zugriff auf normale und rationale Kontroll- und Hemmmechanismen‘ gefehlt haben beziehungsweise er soll nicht in der Lage gewesen sein, sein Handeln ‚an äußeren Regeln und Normen zu orientieren‘ (UA S. 19). Aus diesen Darlegungen wird (…) nicht deutlich, ob und inwieweit bei dem Beschuldigten zu den Tatzeitpunkten tatsächlich krankheitsbedingte Störungen vorhanden waren und wie sich diese konkret auf seine Tatmotivation und seine Handlungsmöglichkeiten ausgewirkt haben. Die von dem Beschuldigten begangenen Taten sind im Grundsatz Delikte der allgemeinen Kriminalität. Die angenommenen fehlenden ‚Kontroll- und Hemmmechanismen‘ sind nicht durch Anknüpfungstatsachen belegt.“
5Dem schließt sich der Senat an.
63. Die Sache bedarf daher – naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung.
Bartel Feilcke Tiemann
Fritsche Arnoldi
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:131124B6STR497.24.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-80656