Leitsatz
1. Ein von einem Rechtsanwalt mit einfacher Signatur versehener und über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichter Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist erfüllt auch dann die nach § 130 d Satz 1 ZPO erforderliche elektronische Form, wenn er beim unzuständigen Ausgangsgericht eingegangen ist. Für die fristwahrende Wirkung kommt es hingegen darauf an, wann das Dokument beim zuständigen Gericht eingegangen ist.
2. Die postalische Weiterleitung eines beim unzuständigen Gericht ordnungsgemäß in elektronischer Form eingereichten Fristverlängerungsantrags führt nicht zur Formunwirksamkeit des Antrags.
Gesetze: § 130a Abs 3 ZPO, § 130a Abs 4 ZPO, § 130a Abs 5 S 1 ZPO, § 130d S 1 ZPO, § 233 ZPO, § 298a Abs 1a ZPO, § 113 Abs 1 FamFG, § 117 Abs 5 FamFG
Instanzenzug: Az: 17 UF 96/23vorgehend Az: 22 F 2069/20
Gründe
A.
1Die Antragstellerin wendet sich in einem Scheidungsverbundverfahren gegen die Ablehnung eines Wiedereinsetzungsgesuchs und die Verwerfung ihrer Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist.
2Die Beteiligten schlossen im Mai 2007 in Deutschland nach dem Ritus der griechisch-orthodoxen Kirche die Ehe. Die Antragstellerin hat beantragt, die Ehe zu scheiden, und Folgesachen anhängig gemacht. Das Amtsgericht hat auf den Zwischenfeststellungsantrag des Antragsgegners die Nichtigkeit der Ehe festgestellt und die Anträge der Antragstellerin auf Scheidung der Ehe und auf Zahlung nachehelichen Unterhalts zurückgewiesen. Gegen den ihr am zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin fristgerecht Beschwerde eingelegt. Mit einem am beim Amtsgericht eingegangenen und an dieses adressierten Schriftsatz vom selben Tag hat sie die Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat beantragt. Das Amtsgericht hat den über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichten Fristverlängerungsantrag ausgedruckt und postalisch an das Oberlandesgericht weitergeleitet, wo er am eingegangen ist.
3Das die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass eine Verlängerung der am abgelaufenen Begründungsfrist nicht in Betracht komme, da der Antrag erst nach Fristablauf beim hierfür zuständigen Oberlandesgericht eingegangen sei, und daher beabsichtigt sei, die Beschwerde mangels fristgerechter Begründung zu verwerfen. Mit Schriftsatz vom hat die Antragstellerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist beantragt und mit weiterem Schriftsatz vom ihre Beschwerde begründet.
4Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
B.
5Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
I.
6Die gemäß §§ 121 Nr. 1 und 3, 113 Abs. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der gemäß § 574 Abs. 2 ZPO erforderliche Zulassungsgrund gegeben, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO). Der Umfang der aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) folgenden nachwirkenden Fürsorgepflicht des unzuständigen Gerichts zur Weiterleitung von Schriftsätzen im ordentlichen Geschäftsgang ist für den Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt.
II.
7Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht die beantragte Wiedereinsetzung versagt und die Beschwerde der Antragstellerin als unzulässig verworfen.
81. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der mit Ablauf des endenden und mangels fristgerechten Eingangs des Fristverlängerungsantrags beim Beschwerdegericht nicht mehr verlängerbaren Beschwerdebegründungsfrist könne nicht gewährt werden, weil der Antragstellerin ein Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten zuzurechnen sei. Diese habe den anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der Erstellung und Übermittlung fristwahrender Schriftsätze nicht genügt, weil der Fristverlängerungsantrag an das hierfür unzuständige Amtsgericht gerichtet gewesen sei und ihr die fehlerhafte Adressierung bei sorgfältiger Überprüfung des von ihrer Mitarbeiterin gefertigten Antrags hätte auffallen müssen.
9Das Verschulden habe sich auch ausgewirkt, da sie nicht damit habe rechnen können, dass ihr Fristverlängerungsantrag bei Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang durch das Amtsgericht formgerecht beim zuständigen Beschwerdegericht eingegangen wäre. Zwar sei im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs beim Amtsgericht davon auszugehen, dass ein Eingang des Fristverlängerungsantrags noch am und damit vor Fristablauf möglich gewesen wäre. Jedoch hätte die postalische Weiterleitung des Schriftsatzes von Gericht zu Gericht keinen formwirksamen Eingang begründen können, da keine Einreichung als elektronisches Dokument beim zuständigen Gericht vorliege.
10Ob eine elektronische Weiterleitung des lediglich einfach elektronisch signierten Fristverlängerungsschriftsatzes von Gericht zu Gericht zu einem formgerechten Eingang geführt hätte, könne dahinstehen, da eine elektronische Weiterleitung nicht dem ordentlichen Geschäftsgang beim Amtsgericht entsprochen hätte. Denn das Amtsgericht habe die Akte mit Eingang des Antrags im Dezember 2020 als Papierakte angelegt und daher gemäß § 1 Satz 3 der Verordnung des Justizministeriums Baden-Württemberg zur elektronischen Aktenführung bei den Gerichten vom (eAktVO BW; GBl. 265) auch nach Einführung der elektronischen Akte beim Amtsgericht Stuttgart am (§ 1 Satz 1 eAktVO BW iVm Anlage zu § 1) zutreffend weiter als Papierakte geführt. Eine Weiterleitung des Schriftsatzes an das Beschwerdegericht in Papierform und damit per Post sei geboten gewesen.
11Im ordentlichen Geschäftsgang habe daher kein formgerechter Eingang des Fristverlängerungsantrags beim Beschwerdegericht mehr bewirkt werden können. Denn es sei beim Amtsgericht mit einer Aufgabe des ausgedruckten Antrags zur Post frühestens am (Freitag) und mit einem Eingang beim Beschwerdegericht frühestens am , dem letzten Tag der Frist, zu rechnen gewesen. Ein Hinweis des Beschwerdegerichts innerhalb der Frist auf die Nichtwahrung der elektronischen Form sei im ordentlichen Geschäftsgang demgegenüber ebenso wenig zu erwarten gewesen wie ein erneuter, nunmehr formgerechter Eingang des Fristverlängerungsantrags als elektronisches Dokument beim Beschwerdegericht.
122. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
13a) Das Beschwerdegericht hat die gemäß §§ 117 Abs. 1 Satz 3, 113 Abs. 1 FamFG iVm § 222 Abs. 2 ZPO am ablaufende Beschwerdebegründungsfrist zu Recht als versäumt angesehen, weil die Beschwerdebegründung nicht innerhalb der Frist bei ihm eingegangen ist und auch eine Verlängerung der Frist gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO mangels fristgerechten Eingangs des Fristverlängerungsantrags beim zuständigen Beschwerdegericht nicht in Betracht kam. Insbesondere ist die Frist nicht durch den über das beA eingereichten Fristverlängerungsantrag an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts gewahrt worden.
14Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein über das beA eingereichtes elektronisches Dokument erst dann gemäß § 130 a Abs. 5 Satz 1 ZPO wirksam beim zuständigen Gericht eingegangen, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden ist (vgl. BGH Beschlüsse vom - IV ZB 17/22 - FamRZ 2023, 298 Rn. 8; vom - VIII ZB 9/20 - NJW 2021, 2201 Rn. 18 und vom - X ZR 119/18 - MDR 2020, 1272 Rn. 8). Diese Voraussetzung ist mit der Übermittlung des Fristverlängerungsantrags an das EGVP des Amtsgerichts nicht erfüllt. Denn hierbei handelt es sich nicht um die für den Empfang eines Antrags auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bestimmte Einrichtung des für die Entscheidung über den Antrag zuständigen Beschwerdegerichts nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 130 a Abs. 5 Satz 1 ZPO.
15b) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts sind jedoch die Voraussetzungen von § 117 Abs. 5 FamFG iVm § 233 Satz 1 ZPO für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Beschwerdebegründung erfüllt. Zwar beruht die Versäumung der Frist auf einem Verschulden der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin. Dieses Verschulden hat sich jedoch auf die Versäumung der Frist nicht ausgewirkt.
16aa) Nach § 117 Abs. 5 FamFG iVm § 233 Satz 1 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten. Das Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten ist dem Beteiligten zuzurechnen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler des Büropersonals hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Verfahrensbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 31/23 - NJW-RR 2024, 197 Rn. 9 mwN).
17Ausgehend hiervon hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei ein der Antragstellerin zurechenbares Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten darin gesehen, dass diese den von ihrer Mitarbeiterin gefertigten Fristverlängerungsantrag vor Versendung nicht darauf überprüft hat, ob er an das zuständige Rechtsmittelgericht adressiert war. Dass die Verfahrensbevollmächtigte diesen anwaltlichen Sorgfaltspflichten nicht genügt hat (vgl. zu den Sorgfaltsanforderungen nur - MDR 2023, 932 Rn. 11 mwN), wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt.
18bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts wird die Kausalität des Anwaltsverschuldens für die Fristversäumung jedoch dadurch ausgeschlossen, dass bei im ordentlichen Geschäftsgang erfolgender postalischer Weiterleitung des am beim Amtsgericht als elektronisches Dokument iSd § 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 130 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 130 d Satz 1 ZPO per beA eingegangenen Fristverlängerungsantrags dieser am und damit noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingehen hätte müssen.
19(1) Geht ein fristgebundener Schriftsatz statt beim Rechtsmittelgericht bei dem erstinstanzlichen Gericht ein, ist dieses nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf der Beteiligte darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden des Beteiligten oder seines Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 203/15 - FamRZ 2016, 1762 Rn. 12 mwN; - MDR 2023, 932 Rn. 14 mwN).
20(2) Gemessen daran durfte die Antragstellerin darauf vertrauen, dass ihr Fristverlängerungsantrag bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingeht. Dahinstehen kann dabei, ob die Annahme des Beschwerdegerichts zutrifft, dass die Antragstellerin eine elektronische Weiterleitung ihres Fristverlängerungsantrags nicht erwarten durfte. Denn nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts wäre im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs zu erwarten gewesen, dass bei postalischer Weiterleitung des am beim Amtsgericht als elektronisches Dokument iSd § 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 130 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 130 d Satz 1 ZPO per beA eingegangenen Fristverlängerungsantrags dieser am und damit noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen wäre. Damit entfällt die Kausalität des anwaltlichen Verschuldens für die Fristversäumnis.
21(a) Ob die postalische Weiterleitung eines als elektronisches Dokument eingegangenen Schriftsatzes zu einem fristwahrenden Eingang des Fristverlängerungsantrags beim Beschwerdegericht führen kann, ist allerdings umstritten.
22Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass es - bezogen auf den maßgeblichen Zugang beim zuständigen Beschwerdegericht - im Falle einer postalischen Weiterleitung eines per beA beim unzuständigen Gericht eingegangenen Schriftsatzes an der Wahrung der elektronischen Form iSd §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO fehle (vgl. OLG Bamberg FamRZ 2022, 1382, 1384; - juris Rn. 24 zu § 55 d VwGO; so wohl auch jurisPK-ERV/Jansen 2. Aufl. § 233 ZPO Rn. 87; Anders/Gehle/Göertz ZPO 82. Aufl. § 519 Rn. 5; Musielak/Borth/Frank/Borth FamFG 7. Aufl. § 14 Rn. 2). Nach anderer Ansicht wird das Formerfordernis aus §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO auch durch die Einreichung eines mit einer einfachen Signatur versehenen Schriftsatzes per beA bei einem nicht zuständigen Gericht erfüllt (vgl. Bacher MDR 2022, 1441, 1443; so wohl auch Müller NVwZ 2022, 1150 f. bei elektronischer Weiterleitung).
23(b) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend.
24Zwar sind nach § 130 d Satz 1 ZPO (iVm § 113 Abs. 1 FamFG) vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die - wie hier - durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, seit dem als elektronisches Dokument zu übermitteln. Dies gilt auch für Anträge auf Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist (vgl. - NJW 2023, 2883 Rn. 15). Weder aus dem Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen in §§ 130 a, 130 d ZPO noch aus ihrem Zweck ergibt sich jedoch, dass ein mit einer einfachen Signatur versehener Schriftsatz, der per beA und damit auf einem dafür gesetzlich vorgesehenen Weg elektronisch an ein unzuständiges Gericht übermittelt wurde, nur dann der Form der §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO genügt, wenn er auch beim zuständigen Gericht in elektronischer Form eingeht (so aber OLG Bamberg FamRZ 2022, 1382, 1384; - juris Rn. 24 zu § 55 d VwGO). § 130 d Satz 1 ZPO spricht nur davon, dass die vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfassten Schriftsätze, Anträge und Erklärungen von den dort Genannten als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Die Bestimmung regelt daher im Rahmen ihres Anwendungsbereichs nur die aktive Nutzungspflicht der bereits mit der Einführung des § 130 a Abs. 1 ZPO durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom (BGBl I S. 3786) geschaffenen Möglichkeit, Dokumente rechtswirksam auf elektronischem Weg an die Gerichte zu übermitteln. Beide Vorschriften betreffen damit allein die Kommunikationsform für die Einreichung von den in ihnen näher bezeichneten Dokumenten bei den Gerichten. Zur Frage, bei welchem Gericht das elektronische Dokument einzureichen ist, verhalten sich die beiden Regelungen nicht. Durch die Einreichung eines Schriftsatzes, der - wie hier - mit einfacher Signatur versehen auf einem sicheren Übermittlungsweg beim unzuständigen Gericht eingegangen ist, ist die zwingend einzuhaltende Kommunikationsform zwischen den in § 130 d ZPO genannten Personen und den Gerichten gewahrt. Wird ein in dieser Form bei einem unzuständigen Gericht eingegangener Schriftsatz dann dort ausgedruckt und in Papierform an das zuständige Gericht weitergeleitet, etwa weil bei dem unzuständigen Gericht noch eine Papierakte geführt wird oder eine elektronische Übermittlung aus anderen Gründen nicht möglich ist, ändert dies nichts daran, dass der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung zur elektronischen Einreichung des Schriftsatzes nach § 130 d Satz 1 ZPO nachgekommen ist.
25Freilich kann ein beim unzuständigen Gericht eingegangener Schriftsatz keine fristwahrende Wirkung haben, weil hierfür der Eingang beim zuständigen Gericht erforderlich ist und es selbst bei Nutzung eines identischen Intermediärs durch die Gerichte eines Bundeslandes für den fristgerechten Eingang beim zuständigen Gericht darauf ankommt, wann das Dokument gerade auf dem für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das EGVP gespeichert worden ist (vgl. BGH Beschlüsse vom - IV ZB 17/22 - FamRZ 2023, 298 Rn. 8; vom - VIII ZB 9/20 - NJW 2021, 2201 Rn. 18 und vom - X ZR 119/18 - MDR 2020, 1272 Rn. 8). Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch ein an ein unzuständiges Gericht adressierter, mit einfacher Signatur versehener und auf einem sicheren Übermittlungsweg elektronisch übermittelter Schriftsatz in der erforderlichen Form der §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO bei Gericht eingereicht wurde, unabhängig davon, ob der Schriftsatz dann in Papierform oder elektronisch an das zuständige Gericht weitergeleitet wurde.
26Dieses Gesetzesverständnis entspricht dem Zweck der Regelungen in §§ 130 a, 130 d Satz 1 ZPO. Durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom (BGBl I S. 3786) wollte der Gesetzgeber auf die hinter den Erwartungen zurückgebliebene Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten reagieren. Ziel war, den elektronischen Rechtsverkehr auf prozessualem Gebiet zu verbessern, die Zugangshürden für die elektronische Kommunikation mit der Justiz zu senken und das Nutzervertrauen im Umgang mit dem neuen Kommunikationsweg zu stärken (vgl. BT-Drucks. 17/12634 S. 20). Diesem Gesetzeszweck würde es widersprechen, wenn durch die Verpflichtung zur aktiven Nutzung der elektronischen Kommunikation gegenüber dem bisherigen Recht der Zugang zu den Gerichten erschwert und die bis dahin bestehenden Verfahrensrechte der Beteiligten eingeschränkt würden.
27Auch aus der Gesetzesbegründung lässt sich nicht entnehmen, dass die nach §§ 130 d Satz 1, 130 a ZPO einzuhaltende Form nur dann gewahrt ist, wenn das Dokument in elektronischer Form beim zuständigen Gericht eingeht. Zwar wird dort ausgeführt, dass die Nichteinhaltung der nach § 130 d Satz 1 ZPO erforderlichen Form zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung führt (vgl. BTDrucks. 17/12634 S. 27). Dies bezieht sich jedoch ersichtlich nur auf die Fälle, in denen ein Rechtsanwalt oder eine Behörde von vornherein die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur Einreichung eines elektronischen Dokuments nach § 130 a Abs. 3 und 4 ZPO nicht genutzt hat.
28(c) Die formwirksame Einreichung des per beA an das (unzuständige) Amtsgericht übersandten Schriftsatzes wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Fristverlängerungsantrag von dort postalisch an das zuständige Beschwerdegericht weitergeleitet wird. Insoweit fehlt es zwar an einer elektronischen Übermittlung an das zuständige Gericht, so dass aus dessen Sicht die für die Einreichung bei ihm geltenden Übermittlungs- und Formvorschriften nicht erfüllt sind. Dass das Amtsgericht zur Weiterleitung des Schriftsatzes an das zuständige Beschwerdegericht einen Medienwechsel vornehmen muss, betrifft jedoch lediglich die Kommunikation zwischen den Gerichten. Dies gilt jedenfalls hinsichtlich solcher Verfahren, bei denen die Akten - wie hier (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 298 a Abs. 1a, Abs. 1 ZPO, § 1 Satz 3 eAktVO BW) - beim Amtsgericht noch als Papierakten (weiter) geführt werden. Die Nutzung des sicheren Kommunikationswegs wird bei einer Aktenführung in Papierform durch den Aktenausdruck gemäß § 298 Abs. 1 und 2 ZPO dokumentiert, wobei es ausreicht, dass der Übermittlungsweg und das Übermittlungsdatum auf dem Ausdruck vermerkt werden (BT-Drucks. 17/12634 S. 25; Zöller/Greger ZPO 35. Aufl. § 298 Rn. 3). Damit ist auch bei einer postalischen Übersendung des per beA beim unzuständigen Gericht eingegangenen Schriftsatzes gewährleistet, dass das zuständige Gericht die formgerechte Einreichung des elektronischen Dokuments überprüfen kann.
29(d) Schließlich ergibt sich nichts Anderes daraus, dass der postalisch übersandte Fristverlängerungsantrag beim Beschwerdegericht wieder in die elektronische Form gewandelt werden muss, wenn dort die Akten bereits elektronisch geführt werden.
30Zwar kann sich die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, nicht nur am Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss ( - NJW 2011, 2053 Rn. 12). Die Umwandlung des in Papierform eingegangenen Schriftsatzes in ein elektronisches Dokument führt jedoch zu keiner nennenswerten Belastung der Funktionsfähigkeit des Beschwerdegerichts. Auch bei Gerichten, die die Verfahrensakten nur noch elektronisch führen, können grundsätzlich weiterhin Schriftstücke in Papierform eingereicht werden, die dann in ein elektronisches Dokument umgewandelt werden müssen. So dürfen Personen, die nicht von dem persönlichen Anwendungsbereich des § 130 d ZPO erfasst werden, auch weiterhin mit den Gerichten schriftlich kommunizieren. Auch Urkunden, die vom Gericht nach § 142 ZPO, § 273 Abs. 2 Nr. 5 ZPO oder zu Beweiszwecken angefordert werden, können trotz der Pflicht zur elektronischen Einreichung in Papierform an das Gericht übermittelt werden (vgl. Zöller/Greger ZPO 35. Aufl. § 130 d Rn. 2). Deshalb müssen bei den Gerichten die entsprechenden technischen Einrichtungen zur Digitalisierung von Dokumenten weiterhin vorgehalten werden, so dass die Umwandlung des postalisch an das Beschwerdegericht weitergeleiteten Schriftsatzes in ein elektronisches Dokument keinen besonderen Arbeitsaufwand beim Beschwerdegericht zur Folge hat.
31cc) Die Antragstellerin durfte somit erwarten, dass der Fristverlängerungsantrag trotz der Einreichung beim unzuständigen Amtsgericht rechtzeitig beim Beschwerdegericht eingeht. Dieses hätte dem Antrag auch stattgeben müssen. Handelt es sich - wie hier - um einen ersten Fristverlängerungsantrag, der auf erhebliche Gründe gestützt ist, darf der Antragsteller auf die Bewilligung der Fristverlängerung vertrauen. Insoweit reicht der - vorliegend erfolgte - bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 565/16 - FamRZ 2018, 841 Rn. 19 mwN).
323. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Antragstellerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und das Verfahren ist an das Oberlandesgericht zur Entscheidung in der Sache zurückzuverweisen.
33Die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig steht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nicht entgegen, weil dem Beschluss des Beschwerdegerichts mit der Bewilligung der Wiedereinsetzung insoweit die Grundlage entzogen und er damit gegenstandslos geworden ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 94/20 - FamRZ 2021, 209 Rn. 20 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:231024BXIIZB411.23.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-79521