BGH Urteil v. - VIa ZR 69/23

Instanzenzug: Az: 24 U 2115/22vorgehend Az: 29 O 59/22

Tatbestand

1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2 Der Kläger erwarb am von der Beklagten ein von dieser hergestelltes gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz C 200d, das mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

3 Die Klage hatte vor dem Landgericht teilweise Erfolg. Dieses verurteilte die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 17.051,25 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, stellte den Verzug der Beklagten mit der Annahme des Fahrzeugs fest und verurteilte diese ferner zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.214,99 € nebst Zinsen. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg und führte zur Abweisung der Klage. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, soweit er sein Klagebegehren auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Weder hinsichtlich eines Thermofensters noch einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) oder im Zusammenhang mit dem SCR-System des Fahrzeugs des Klägers könne eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte festgestellt werden. Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 scheide aus, weil diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grund­sätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen. Dem steht grundsätzlich nicht entgegen, dass sich der Kläger im Berufungsverfahren darauf beschränkt hat, der Berufung der Beklagten entgegenzutreten, und von der Erhebung einer Anschlussberufung absah. Denn der Übergang vom Antrag auf "großen" Schadensersatz zum Antrag auf Ersatz des Differenzschadens unter Aufgabe des Zug-um-Zug-Vorbehalts setzt eine Anschlussberufung grundsätzlich nicht voraus (vgl. VIa ZR 1132/22, WM 2024, 1143 Rn. 12 ff.).

                                                    

                    Rensen                        Katzenstein

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:121124UVIAZR69.23.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-79416