BVerwG Beschluss v. - 2 WNB 2/24

Erfolglose Nichtzulassungsbeschwerde bei Disziplinarbuße wegen Impfverweigerung

Leitsatz

Die Verhängung einer wehrdisziplinarrechtlichen Geldbuße wird durch einen strafgerichtlichen Freispruch nur dann ausgeschlossen, wenn der angeschuldigte Sachverhalt identisch ist.

Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: N 8 BLc 1/22 und N 8 RL 1/23 Beschluss

Tatbestand

1Die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft eine Disziplinarbuße wegen Ungehorsams.

2Der frühere Soldat erhielt eine Geldbuße in Höhe von 2 500 €, weil er am den Termin für eine COVID-19-Impfung verstreichen ließ, obwohl ihm zuvor wiederholt befohlen worden war, sich im Sanitätsversorgungszentrum der Kaserne untersuchen und impfen zu lassen. Die Beschwerde dagegen blieb erfolglos.

3Das Truppendienstgericht wies die weitere Beschwerde mit Beschluss vom als unbegründet zurück. Der frühere Soldat habe durch den vorsätzlichen Ungehorsam ein Dienstvergehen begangen. Der Befehl habe nur dahingehend verstanden werden können, dass die Impfung - so wie in der Bundeswehr üblich - durch medizinisches Fachpersonal nach vorhergehender Untersuchung der Impftauglichkeit erfolgen solle. Der frühere Soldat habe gegenüber seinem Disziplinarvorgesetzten bereits im Vorfeld deutlich gemacht, dass er die COVID-19-Impfung grundsätzlich verweigere, unabhängig vom Impfstoff und von der Untersuchung. Daher habe er den Impftermin vorsätzlich verstreichen lassen, ohne es zu einer Untersuchung kommen zu lassen. Dadurch habe er seine Pflichten zum Gehorsam und zum innerdienstlichen Wohlverhalten verletzt. Etwas anderes Folge nicht daraus, dass der frühere Soldat vom Vorwurf der wiederholten Befehlsverweigerung am vom Amtsgericht freigesprochen worden sei. Der Freispruch stehe der vorliegenden Disziplinarbuße nicht entgegen, weil er einen anderen Sachverhalt betreffe. Angesichts von Art und Schwere des Dienstvergehens sei die Disziplinarbuße in Höhe von 2 500 € nicht unangemessen. Das Truppendienstgericht hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.

Gründe

4Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

51. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) liegt nicht vor oder ist nicht prozessordnungsgemäß dargelegt.

6a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WNB 5.11 - Rn. 2 und vom - 2 WNB 1.18 - juris Rn. 5, jeweils m. w. N.). In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 22b Abs. 2 Satz 2 WBO, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), das heißt näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung im beabsichtigten Rechtsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahren zu erwarten ist (vgl. 2 WNB 3.12 - juris Rn. 12 m. w. N.). Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich auch ohne Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und rechtswissenschaftlichen Literatur ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. z. B. 1 WNB 1.14 - juris Rn. 4 m. w. N.).

7b) Die vom früheren Soldaten formulierte Frage,

"Ist § 16 Abs. 1 WDO im Falle der Befehlsverweigerung auch anwendbar, wenn im Strafverfahren nicht derselbe Befehl angeklagt war, sondern ein anderer, welcher aber die gleiche Handlung oder Unterlassung vom Soldaten verlangte, diese Handlung oder Unterlassung nur einmalig vorgenommen werden kann, wie die Grundimmunisierung gegen Covid-19 durch die Impfung, und ein Freispruch auch erfolgt wäre, wenn der verfahrensgegenständliche Befehl aus dem Disziplinarverfahren angeklagt worden wäre, den Befehl mithin der gleiche 'Fehler' anhaftet?"

8rechtfertigt die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht.

9Die Frage, ob § 16 Abs. 1 WDO anwendbar ist, war für das Truppendienstgericht nicht entscheidungserheblich und würde sich daher in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Nach § 16 Abs. 1 WDO kann ein Verhängungsverbot bestehen, wenn gegen den Soldaten wegen desselben Sachverhalts unanfechtbar eine Strafe oder Ordnungsmaßnahme verhängt worden oder eine Einstellung nach § 153a Abs. 1 Satz 5 oder Abs. 2 Satz 2 StPO erfolgt ist. Mangels einer solchen Sanktion oder Einstellung hat das Truppendienstgericht seine Entscheidung nicht auf das Verhängungsverbot aus § 16 Abs. 1 WDO erstreckt.

10Sofern die Frage auf eine Anwendbarkeit von § 16 Abs. 3 WDO zielt, bedarf es keines Rechtsbeschwerdeverfahrens, da sich die Antwort auf die Frage unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Aus dem systematischen Zusammenhang der Norm zu § 16 Abs. 1 WDO folgt, dass das disziplinarrechtliche Verhängungsverbot aufgrund eines strafgerichtlichen Freispruchs nur wegen "desselben Sachverhalts" in Betracht kommt. Daran anknüpfend gilt das Verhängungsverbot nach dem eindeutigen Wortlaut des § 16 Abs. 3 Satz 1 WDO nicht, "wenn der Sachverhalt ein Dienstvergehen enthält, ohne den Tatbestand einer Straftat oder einer Bußgeldvorschrift zu erfüllen." Es muss also der vom Freispruch erfasste Sachverhalt noch einmal disziplinarrechtlich auf nicht ordnungswidrige oder strafbare Vorwürfe - den sog. disziplinarrechtlichen Überhang - untersucht werden. Damit ist eindeutig dasselbe, d. h. identische oder mindestens teilidentische historische Geschehen gemeint. Dementsprechend ist die Vorschrift in Rechtsprechung und Schrifttum nie anders interpretiert worden (vgl. Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 16 Rn. 8 f., 28 ff.).

11c) Die des Weiteren aufgeworfenen Fragen,

"Fehlt eine Befehlsbefugnis des Disziplinarvorgesetzten, wenn er eine Impfung befiehlt, ohne die ZDv A-840/8 zu beachten, insbesondere Nr. 208, 801 f., 11.1 oder Nr. 214 ZDv A 840/8?"

sowie

"Ist ein Vorgesetzter nach der VorgesetztenV immer auch ein "Vorgesetzter" i. S. v. § 2 Satz 1 Nr. 2 WStG, wenn ihm für den konkreten Befehl eine Befehlsbefugnis fehlt?"

und

"Führt eine fehlende Befehlsbefugnis des Vorgesetzten im Rahmen einer konkreten Befehlserteilung zur Unverbindlichkeit des betreffenden Befehls?"

sind nicht entscheidungserheblich und würden sich im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stellen. Denn es gibt den vom früheren Soldaten angenommenen Widerspruch zwischen dem Befehl des unmittelbaren Disziplinarvorgesetzten und den Befehlen ranghöherer Stellen nicht.

12Das Truppendienstgericht hat die streitgegenständlichen Befehle des unmittelbaren Disziplinarvorgesetzten dahingehend ausgelegt, dass darin nicht die Impfung selbst angeordnet wurde, sondern die Duldung nach vorheriger Untersuchung durch medizinisches Fachpersonal und nach Feststellung der Impftauglichkeit. Für die behauptete Nichtbeachtung der in der ZDv A-840/8 niedergelegten Verfahrensvorschriften fehlt es damit schon an einer tatsächlichen Grundlage. Im Übrigen handelt es sich bei der Zentralen Dienstvorschrift auch nicht - wie der frühere Soldat annimmt - um einen Befehl, weil die Zentrale Dienstvorschrift weder vom Bundesminister der Verteidigung noch von dessen Vertreter im Amt gezeichnet worden ist, sondern lediglich von einem Abteilungsleiter (vgl. 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 Rn. 86). Auch der 1. Wehrdienstsenat ist im Beschluss vom (1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 31) nur von einem allgemeinen Verwaltungserlass, nicht von einem Befehl ausgegangen. Ein inhaltlicher Widerspruch eines Befehls des unmittelbaren Dienstvorgesetzten zu Allgemeinen Dienstvorschriften würde wegen des Verstoßes gegen § 10 Abs. 3 SG auch nur zur Rechtswidrigkeit, nicht zur Unverbindlichkeit des Befehls führen (vgl. § 11 SG, § 22 Abs. 1 WStG; 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <310 ff.>). Darum sind die zweite und dritte Frage ebenfalls nicht entscheidungserheblich, weil sich an die fehlende Befehlsbefugnis anknüpfende Rechtsfragen nicht stellen.

132. Die erhobenen Divergenzrügen (§ 22a Abs. 2 Nr. 2 WBO) sind nicht prozessordnungsgemäß dargelegt. Die gemäß § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO erforderliche Bezeichnung des Zulassungsgrunds der Divergenz setzt voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, den angefochtenen Beschluss tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in einer genau bezeichneten Entscheidung eines Wehrdienstgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WNB 2.17 - NZWehrr 2017, 217 <217 f.> m. w. N. und vom - 1 WNB 5.18 - juris Rn. 3).

14a) Soweit der Beschwerdeführer eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung vom Urteil des Senats vom (2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302) vorträgt, wird bereits kein abstrakter Rechtssatz bezeichnet, dem die Vorinstanz mit ihrem Beschluss widersprochen haben soll. Das gleiche gilt für den Fall, dass der Beschwerdeführer seine Divergenzrüge auf den Beschluss des Senats vom (1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138) bezogen wissen möchte.

15In beiden Fällen benennt die Nichtzulassungsbeschwerde weder ausdrücklich noch der Sache nach einen entsprechenden Rechtssatz. Die Ausführungen beziehen sich vielmehr auf eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung der Vorinstanz. Nach Ansicht des Beschwerdeführers wäre nach Anwendung der in den Entscheidungen aufgestellten Rechtssätze die Vorinstanz zu einer erneuten Prüfung des dienstlichen Zwecks des Befehls, respektive der Rechtmäßigkeit der Duldungspflicht, angehalten gewesen. Die Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung im Einzelfall rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde (vgl. 1 WNB 2.16 - juris Rn. 9 m. w. N.).

16b) Das weitere Vorbringen zu § 2 und § 20 WStG bezeichnet bereits keine Entscheidung, von welcher der Beschluss des Truppendienstgerichts abweicht. Sollte der Beschwerdeführer das Vorbringen auf die grundsätzliche Bedeutung (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) stützen wollen, fehlt es an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage in beiden Fällen. Die Beschwerdegründe sind insofern nicht ordnungsgemäß dargelegt worden. Vielmehr greift der Beschwerdeführer den Beschluss des Truppendienstgerichts unmittelbar nach Art einer Berufungsbegründung an. Auf diese Weise wird jedoch ein gesetzlicher Zulassungsgrund nicht dargelegt ( 1 WNB 5.22 - juris Rn. 2 m. w. N.).

173. Verfahrensmängel im Sinne von § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO liegen gleichfalls nicht vor oder sind nicht ausreichend dargelegt.

18a) Eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 16 Abs. 3 WDO liegt - wie bereits ausgeführt - schon deswegen nicht vor, weil die Norm nicht auf Freisprüche zu anderen, tatsächlich oder vermeintlich gleichen Sachverhalten anwendbar ist.

19b) Der Einwand des Beschwerdeführers, ihm sei keine Akteneinsicht gewährt worden, trifft nicht zu. Das Truppendienstgericht hat seiner Prozessbevollmächtigten auf deren Antrag die Akten zur Einsicht übersandt, die sie ausweislich des Empfangsbekenntnisses auch erhielt.

20c) Auch die vom früheren Soldaten erhobenen Aufklärungsrügen greifen nicht durch. Gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 WBO hat das Truppendienstgericht von Amts wegen den Sachverhalt aufzuklären. Der Amtsermittlungsgrundsatz fordert insbesondere, dass das Truppendienstgericht bei der Ermittlung der nach seinem materiell-rechtlichen Standpunkt entscheidungserheblichen Tatsachen die erforderlichen Beweise erhebt. Ein Tatsachengericht verletzt seine Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung, wenn sich ihm auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltserforschung aufdrängen müsste ( 1 C 39.16 - BVerwGE 161, 1 Rn. 22 m. w. N.).

21Nach diesen Grundsätzen musste sich dem Truppendienstgericht nicht deswegen eine weitere Sachverhaltsaufklärung aufdrängen, weil es im Rahmen der Zumessungserwägungen bei der Disziplinarbuße für die Impfverweigerung auf eine abstrakte Gefährdung anderer nicht impftauglicher Kameraden abgestellt hat. Weil es nicht von einer konkreten Gefährdung einzelner Kameraden gesprochen hat, war es nicht verpflichtet, durch eine umfassende Beweisaufnahme den Impfstatus der konkreten Kameraden zu ermitteln. Eine dementsprechende Beweisaufnahme musste sich aus Sicht des Truppendienstgerichts folglich auch nicht aufdrängen.

22Auch mit Blick auf den "Fachlichen Hinweis zur COVID-19-Impfung" des Kommandos Sanitätsdienst vom drängte sich keine weitere Sachverhaltsaufklärung auf. Soweit danach die Erforderlichkeit einer Impfung nur im Falle eines Mehrwerts für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte besteht, schränkt dies die grundsätzliche Duldungspflicht aus Nr. 210 der ZDv A-840/8 nicht ein. Denn der militärische Mehrwert der COVID-19-Impfung ist vom Bundesministerium der Verteidigung im Rechtsstreit um den diesbezüglichen Verwaltungserlass dargelegt worden und konnte insbesondere in der Reduzierung schwerer Krankheitsverläufe gesehen werden (vgl. 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 127).

23Ebenso wenig musste das Truppendienstgericht die Impffähigkeit des Beschwerdeführers weiter ermitteln, weil Gegenstand der Disziplinarbuße gerade auch das befehlswidrige Ausbleiben des früheren Soldaten bei der Überprüfung der Impftauglichkeit war.

24Die Vorinstanz war auch nicht dazu angehalten, weitere Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf den dienstlichen Zweck der erteilten Befehle durchzuführen. Nach Auffassung der Vorinstanz lag ein dienstlicher Zweck bei der Befehlsgebung vor, weil § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG die Durchführung von Schutzimpfungen bei Soldaten zulässt. Nach der Rechtsauffassung der Vorinstanz dienten die Befehle der Umsetzung der seit dem im Grundsatz für alle aktiven Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr unmittelbar geltenden Duldungspflicht hinsichtlich der COVID-19-Schutzimpfung, die eine Erhöhung und Sicherstellung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bezweckte. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung dazu musste sich dem Truppendienstgericht auch deswegen nicht aufdrängen, weil der frühere Soldat im erstinstanzlichen Verfahren den dienstlichen Zweck der Maßnahme nicht in Abrede gestellt hat.

25d) Des Weiteren waren für das Truppendienstgericht auch keine allgemeinen Ermittlungen zur Rechtmäßigkeit des Verwaltungserlasses vom zur Einführung der COVID-19-Schutzimpfung (Nr. 1080 AR A1-840/8-4000 "Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil") veranlasst, weil dieser Erlass nach der zutreffenden Einschätzung des Truppendienstgerichts lediglich den Hintergrund, nicht den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bildete. Zwar besteht für den zugrunde liegenden Verwaltungserlass, der auf unbestimmte Dauer ergangen ist, eine allgemeine Pflicht zur fortdauernden Überwachung bis zu seiner Aufhebung (vgl. 2 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 31). Dies gilt jedoch nicht für die Frage, ob in der Verweigerung eines konkreten Befehls zur COVID-19-Impfung zu einem bestimmten Zeitpunkt eine als Dienstvergehen zu wertende Pflichtverletzung liegt. Denn insoweit kommt es grundsätzlich allein auf die Sach- und Rechtslage bei Erlass und der erwarteten Durchführung des Befehls an (vgl. 1 W-VR 20.23 - juris Rn. 11).

26Maßgeblich ist auch nicht die allgemeine Rechtmäßigkeit des Befehls, sondern dessen Rechtswirksamkeit. Denn ein Soldat ist auch zur Befolgung rechtswidriger, aber wirksamer Befehle verpflichtet. Ungehorsam liegt nach § 11 Abs. 1 und 2 SG nur dann nicht vor, wenn der Befehl die Menschenwürde verletzt, nicht zu dienstlichen Zwecken erfolgt oder gegen ein Strafgesetz verstößt. Dass ein Befehl mit Gefahren für die Gesundheit eines Soldaten verbunden ist, macht ihn nicht unverbindlich. Denn dies ist für militärische Einsätze ebenso typisch wie für die in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG vorgesehenen Schutzimpfungen und andere Infektionsschutzmaßnahmen, die statistisch betrachtet in Einzelfällen negative gesundheitliche Nebenwirkungen haben können. Ein mit Gesundheitsgefahren verbundener Befehl ist dementsprechend nur in besonderen Ausnahmefällen unverbindlich, wenn er eine so große Gefahr für Leib und Leben von Untergebenen herbeiführt, dass diese Gefahr in keinem Verhältnis zu dem dienstlichen Zweck des Befehls steht (vgl. BDH, Beschluss vom - 2 WB 2.58 - BDHE 4, 181 LS; 2 WD 14.17 - juris Rn. 48 und vom - 2 WD 7.21 - BVerwGE 175, 118 Rn. 50). Bei Befehlen zu Schutzimpfungen ist dies etwa anzunehmen, wenn sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des Soldaten im Sinne des § 17a Abs. 4 Satz 2 SG verbunden sind. Maßgeblich ist dabei jedoch nicht die subjektive Einschätzung des Soldaten, sondern die objektive (nach medizinisch-wissenschaftlichen Standards zu ermittelnde) Sachlage ( 2 WNB 8.20 - ZBR 2021, 129 Rn. 14 f.).

27Vor dem Hintergrund dieser für die Amtsermittlungspflicht maßgeblichen Rechtsauffassung des Tatsachengerichts mussten sich ihm keine weiteren Ermittlungen aufdrängen, zumal der frühere Soldat zu den ihm konkret drohenden Gesundheitsgefahren nichts vorgetragen hatte. Da ihm die Duldung der COVID-19-Impfung nach den tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts nur für den Fall der ärztlichen Feststellung der Impftauglichkeit befohlen worden war, konnte das Truppendienstgericht davon ausgehen, dass damit keine unverhältnismäßigen Gesundheitsgefahren verbunden waren. Es begegnet keinen Bedenken, dass sich das Truppendienstgericht bei dieser Einschätzung zusätzlich auf die Ergebnisse der wehrdienstgerichtlichen Überprüfung des Verwaltungserlasses zur Einführung der COVID-19-Impfung gestützt hat, die insbesondere für den hier in Rede stehenden Zeitraum im Winter 2021/2022 die allgemeine Zumutbarkeit dieser Infektionsschutzmaßnahme ergeben hat (vgl. 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 99 ff.).

28Soweit der frühere Soldat im Verfahren der Rechtsbeschwerde umfangreich zu der aus seiner Sicht bestehenden Gefährlichkeit und Unverhältnismäßigkeit der COVID-19-Impfung vorgetragen hat, ändert dies nichts. Zum einen wird nicht - wie von § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO gefordert - dargelegt, inwieweit die vorgelegten Unterlagen nach der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich gewesen wären und zu welchen weiteren Ermittlungen und möglichen Ermittlungsergebnissen sie geführt hätten (vgl. 2 WNB 6.20 - juris Rn. 2). Zum anderen sind sie nach Aktenlage dem Truppendienstgericht im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht vorgelegt worden, so dass sie schon deswegen keine Basis für dessen weitere Ermittlungen bilden konnten. Die Aufklärungsrüge ist jedoch kein Mittel, etwaige Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Beteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren (stRspr, vgl. 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <217 f.> und Beschluss vom - 2 B 6.20 - NVwZ-RR 2021, 469 Rn. 7 f.).

294. Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:181024B2WNB2.24.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 49
VAAAJ-79293