BGH Beschluss v. - 2 StR 205/24

Instanzenzug: LG Meiningen Az: 2 KLs 416 Js 2284/18 jug

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten und sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und für die Anrechnung der in der Schweiz erlittenen Auslieferungshaft einen Maßstab von 1:1 bestimmt. Darüber hinaus hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2Nach den Feststellungen arbeitete und wohnte der Angeklagte, dessen Ehe zerrüttet war, ab dem Jahr 2013 in der Schweiz. Seine Ehefrau lebte weiterhin mit den beiden gemeinsamen Kindern, der am geborenen Nebenklägerin und dem 2012 geborenen Sohn, in S.          , wo sie der Angeklagte an Wochenenden gelegentlich besuchte.

3An einem nicht näher konkretisierbaren Tag der Jahre 2013/2014 war der Angeklagte mit der Nebenklägerin alleine in dem Familienwohnhaus in S.            . Wahrscheinlich frustriert, dass es keine sexuellen Kontakte mehr zu seiner Ehefrau gab, entschloss er sich, den Geschlechtsverkehr mit seiner Tochter auszuüben. Er plazierte die vollkommen perplexe Geschädigte auf dem Sofa im Wohnzimmer und zog sie vollständig aus. Obwohl diese weinte und ihren Unwillen äußerte, vollzog er den ungeschützten Geschlechtsverkehr (Fall 1).

4Einige Zeit später bei einem erneuten Familienbesuch im Zeitraum 2013 bis 2015 – seine Ehefrau und sein kleiner Sohn schliefen bereits – saßen der Angeklagte und seine Tochter gemeinsam im Wohnzimmer und sahen fern. In dieser Situation führte der Angeklagte zunächst einen Finger in die Scheide der Geschädigten ein, bevor er sich mit ihr in das von ihm genutzte Schlafzimmer begab und dort den ungeschützten Geschlechtsverkehr durchführte (Fall 2).

5Weitere elf angeklagte Missbrauchsfälle, begangen bis spätestens 2015, darunter solche während eines gemeinsamen Familienurlaubs auf Mallorca und während eines Besuchs der Nebenklägerin in der Schweiz, hat das Landgericht gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

6Die Geschädigte vertraute sich zunächst niemandem an, weil der Angeklagte gedroht hatte, ihre Katzen zu töten und von ihr gefertigte Nacktfotos im Internet zu veröffentlichen, sollte sie jemandem von den Vorfällen erzählen. Im Januar 2018 – die Ehe des Angeklagten war mittlerweile geschieden und er neu liiert – verfasste die Geschädigte, die sich vernachlässigt fühlte, einen – einen Suizid nur vortäuschenden – Abschiedsbrief, um die Aufmerksamkeit ihrer Mutter zu erregen. Dieser warf sie Vernachlässigung vor und beschuldigte gleichzeitig den Angeklagten, sie im Alter von 13 Jahren vergewaltigt und sich dann einfach „verpisst“ zu haben, ohne Unterhalt zu zahlen.

II.

7Die Revision des Angeklagten ist begründet.

81. Die erhobene Formalrüge ist aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unzulässig gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

92. Die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils führt zu dessen Aufhebung. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ-RR 2023, 185, 186 mwN) – sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

10a) Der Angeklagte hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe vollumfänglich bestritten. Die Strafkammer hat die Überzeugung, der Angeklagte habe die ausgeurteilten Taten begangen, maßgeblich auf die Aussage der Nebenklägerin gestützt.

11Beruht die Überzeugung von der Schuld eines bestreitenden oder schweigenden Angeklagten entscheidend auf der Aussage eines Belastungszeugen („Aussage gegen Aussage“), bedarf es einer besonders sorgfältigen Würdigung (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 162/21, NStZ-RR 2022, 26, 27 mwN; vom – 4 StR 299/21, Rn. 8; vom – 6 StR 281/22, Rn. 6; st. Rspr.). Das gilt besonders dann, wenn dieser einzige Belastungszeuge seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält, diese erheblich erweitert oder sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt (vgl. , BGHSt 44, 153, 159 mwN; Beschlüsse vom – 1 StR 503/15, Rn. 3; vom – 4 StR 197/23, Rn. 7). Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen, ist eine Darstellung in den Urteilsgründen zu wählen, die erkennen lässt, dass alle Umstände, die die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten beeinflussen können, erkannt, in die Überlegungen einbezogen und in einer Gesamtschau gewürdigt worden sind (vgl. , NStZ-RR 2021, 24; Beschlüsse vom – 6 StR 281/22, Rn. 6; vom – 4 StR 400/22, Rn. 7).

12b) Diesem Vorgehen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht.

13aa) Soweit die Strafkammer ausführt, die Angaben der Nebenklägerin würden durch die Bekundungen ihrer Mutter gestützt, trifft dies nicht zu. Deren Wahrnehmungen betreffen ausschließlich Tatsachen, die für einen Tatnachweis ohne Bedeutung sind, denn der Angeklagte hat weder die Wohnsituation in S.               noch den gemeinsamen Familienurlaub auf Mallorca in Abrede gestellt.

14bb) Gravierende Erinnerungslücken der Nebenklägerin hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei begründet. Die mit einem IQ von 127 ausgestattete Nebenklägerin hat in früheren Vernehmungen bei der Polizei und dem Sachverständigen betreffend die zeitliche Einordnung der Geschehnisse, die Tatörtlichkeiten, die Ausführungsarten des Geschlechtsverkehrs und dazu, ob es außer dem beschriebenen mehrfachen Vaginalverkehr auch Oral- und Analverkehr gegeben habe, unterschiedliche, teils widersprüchliche Angaben gemacht. Ihre Bekundung in der Hauptverhandlung, sie habe in früheren Vernehmungen nicht die Wahrheit gesagt, weil sie damals noch jünger gewesen sei, kann dieses Aussageverhalten anders als vom Landgericht angenommen nicht hinreichend erklären.

15cc) Ebensowenig setzen sich die Urteilsgründe damit auseinander, wieso die Nebenklägerin, nachdem sie in Deutschland nach eigenen Angaben bereits mehrfach sexuell missbraucht worden war, anschließend den Angeklagten in die Schweiz begleitet hat, wo sie in dessen Wohnung erst recht mit sexuellen Übergriffen rechnen musste.

16dd) Schließlich ist die Beweiswürdigung lückenhaft, soweit das Landgericht Taten nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat.

17Beruhen mehrere Tatvorwürfe auf den belastenden Angaben eines Zeugen und stellt das Tatgericht das Verfahren wegen eines Teils dieser Vorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO ein, kann den Gründen für die Teileinstellung des Verfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bedeutung für die Beweiswürdigung zu den verbleibenden Vorwürfen, insbesondere hinsichtlich der Frage der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Belastungszeugen zukommen (BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 281/22, Rn. 7 und vom – 2 StR 285/23, NStZ 2024, 246 Rn. 15 ff.; BeckOK StPO/Eschelbach, § 261 Rn. 61). Ist dies nach der konkret gegebenen Beweissituation der Fall, ist der Tatrichter aus Gründen sachlichen Rechts gehalten, die Gründe für die Teileinstellung im Urteil mitzuteilen und sich mit deren Beweisbedeutung auseinanderzusetzen (, NStZ 2018, 618).

18In der fehlenden Mitteilung der ausgeschiedenen Tatvorwürfe und der Gründe für die teilweisen Verfahrenseinstellungen liegt ein Erörterungsmangel.

19Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit war insoweit von Belang, welche Angaben die Nebenklägerin zu den weiteren gleichgelagerten elf Tatvorwürfen der Anklage gemacht hat und wieso es insoweit zu den Verfahrenseinstellungen gekommen ist. Lediglich zu einem Vorfall während eines Familienurlaubs auf Mallorca im Jahr 2014 teilt die Strafkammer die darauf bezogenen Angaben der Nebenklägerin mit und führt aus, im Ergebnis aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt zu sein, dass während dieses Urlaubs ein sexueller Übergriff stattgefunden habe. Warum das Landgericht diesen Anklagevorwurf gleichwohl nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat, erschließt sich nicht.

20Kommt es aber bei 11 von 13 angeklagten Tatvorwürfen, die insoweit allein auf die Bekundungen der einzigen Belastungszeugin zurückgehen, zu teilweisen Verfahrenseinstellungen und nur in zwei Fällen zu einer Verurteilung, ist eine Beweisbedeutung für die maßgeblich entscheidende Frage der Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin und der Glaubhaftigkeit ihrer den Angeklagten belastenden Angaben nicht auszuschließen. Die Urteilsgründe legen nahe, dass die Teileinstellungen auf Widersprüche in den Aussagen der Nebenklägerin zurückgehen.

21c) Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu einem abweichenden Ergebnis gekommen wäre. Die Verurteilung ist daher insgesamt mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO). Hiervon erfasst ist auch die Adhäsionsentscheidung.

223. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird – sollte er sich von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen – zu prüfen haben, ob hinsichtlich des tateinheitlich ausgeurteilten § 173 Abs. 1 StGB – Beischlaf zwischen Verwandten – Verjährung eingetreten ist.

Menges                         Appl                         Meyberg

                   Grube                       Lutz

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:180624B2STR205.24.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-79275