Instanzenzug: LG Aachen Az: 65 KLs 7/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen „wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und sexueller Nötigung in einem Fall sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 34 Fällen, jeweils tateinheitlich mit Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und Beischlaf zwischen Verwandten, und zudem in 14 Fällen in weiterer Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
2Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge und Verfahrensbeanstandungen gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.
I.
3Nach den Feststellungen der Strafkammer beging der Angeklagte zwischen Anfang Januar 2005 und dem insgesamt 35 Taten zum Nachteil seiner damals 12 bzw. 13 Jahre alten leiblichen Tochter, der Nebenklägerin. Die Übergriffe fanden stets während der Abwesenheit der inzwischen geschiedenen Ehefrau des Angeklagten und Mutter der Nebenklägerin statt. Die Nebenklägerin ließ den Angeklagten in sämtlichen Fällen aus Angst vor Schlägen oder sonstigen körperlichen Misshandlungen, die sie im Falle von Gegenwehr befürchten musste und die der Angeklagte auch regelmäßig als Mittel der Bestrafung einsetzte, gewähren.
4Im Einzelnen hat die Strafkammer folgende Taten festgestellt:
5a) Im Januar 2005 forderte der Angeklagte die Nebenklägerin auf, sich zu ihm auf das Sofa zu legen. Als sie dieser Aufforderung nachkam, streichelte der Angeklagte die bekleidete Brust und Scheide der Nebenklägerin. Zudem führte er ihre Hand an sein bekleidetes Genital (Fall II.1 der Urteilsgründe).
6b) In der Folgezeit forderte der Angeklagte die Nebenklägerin in elf Fällen auf, sich zumindest „untenrum“ zu entkleiden und zu ihm in das Ehebett zu legen. Er küsste die Nebenklägerin und manipulierte an ihrer entkleideten Scheide, wobei er auch mit seinen Fingern in diese eindrang. Zudem berührte er die Scheide der Nebenklägerin mit seinem Penis und drang, ohne ein Verhütungsmittel zu nutzen, mit der Spitze in diese ein (Fälle II.2 bis II.12 der Urteilsgründe).
7c) Im weiteren Verlauf vollzog der Angeklagte einmal wöchentlich mit der Nebenklägerin den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss, wobei er jeweils sein Glied vor der Ejakulation aus ihrer Scheide herauszog. Darüber hinaus forderte er sie auf, den Oralverkehr an ihm durchzuführen (Fälle II.13 bis II.21 der Urteilsgründe).
8d) Ab Ende Mai 2005 spielte der Angeklagte zusätzlich Pornofilme ab, welche die Nebenklägerin mit ihm ansehen musste. Auf Aufforderung des Angeklagten hatte sie im Anschluss die aus den Filmen ersichtlichen Sexualstellungen mit ihm einzunehmen (Fälle II.22 bis II.35 der Urteilsgründe).
II.
91. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unzulässig.
10Für eine Wiedereinsetzung nach § 44 Satz 1 StPO ist kein Raum, da die Revisionsbegründung formgerecht binnen der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereicht wurde. Diese Art der Übersendung wahrt die Anforderungen des § 32d Satz 2 iVm § 32a Abs. 3 [jetzt:] Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 89/22, BGHR StPO § 32a Abs. 3 Signatur 1 Rn. 8; vom – 3 StR 144/23, Rn. 3, und vom – 1 StR 238/24, Rn. 3). Der Antrag ist damit auf eine unmögliche Rechtsfolge gerichtet (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 511/18, BGHR StPO § 341 Frist 2, und vom – 3 StR 342/23, Rn. 2, jew. mwN).
112. Den Verfahrensrügen bleibt der Erfolg versagt.
12a) Die Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrages hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
13b) Soweit die Revision beanstandet, dem Angeklagten sei entgegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) EMRK in Verbindung mit § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 187 Abs. 2 Satz 1 und 3 GVG keine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift übermittelt worden, ist die Rüge jedenfalls unbegründet. Aufgrund der unwidersprochen gebliebenen Gegenerklärungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage, die konkrete Ausführungen zu den bestehenden Deutschkenntnissen des Angeklagten enthalten, ist belegt, dass dieser die deutsche Sprache in hinreichendem Maße beherrscht. Eine schriftliche Übersetzung der Anklageschrift war demnach entbehrlich.
143. Die auf seine Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils führt zu einer Änderung des Schuldspruchs. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
15a) Die tateinheitliche Verurteilung wegen Beischlafs zwischen Verwandten gemäß § 173 Abs. 1 StGB in den Fällen II.2 bis II.35 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil insoweit Verfolgungsverjährung eingetreten ist.
16Gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB verjähren Taten des Beischlafs zwischen Verwandten nach fünf Jahren. Die Ruhensvorschrift des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB findet auf diesen Tatbestand keine Anwendung, so dass die Taten mangels Unterbrechungshandlungen im Sinne des § 78c StGB bereits im Jahr 2010 verjährt sind. Auch bei Tateinheit unterliegt jede Gesetzesverletzung einer eigenen Verjährung (, Rn. 3).
17b) In den Fällen II.22 bis II.35 der Urteilsgründe hat der Schuldspruch wegen tateinheitlicher Verwirklichung des § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB in der Fassung vom (künftig a.F.) keinen Bestand. Der Tatbestand des Einwirkens auf Kinder mit pornographischen Schriften stellte Vorbereitungshandlungen selbständig unter Strafe und sah dafür einen geringeren Strafrahmen als § 176 Abs. 1 StGB a.F. vor; er ist deshalb subsidiär und nicht in den Schuldspruch aufzunehmen (vgl. , BGHR StGB § 176 Abs. 5 Konkurrenzen 1; Beschluss vom – 2 StR 489/18, BGHR StGB § 176 Abs. 4 Nr. 3 Konkurrenzen 1, Rn. 2).
184. Der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilungen lässt den Strafausspruch insgesamt unberührt.
19Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer bei Berücksichtigung der Verfolgungsverjährung in den Fällen II.2 bis II.35 der Urteilsgründe geringere Einzelstrafen verhängt hätte. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass das Tatgericht im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten auch die tateinheitliche Verwirklichung des Beischlafs zwischen Verwandten berücksichtigt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es zulässig, verjährte Taten strafschärfend zu berücksichtigen (vgl. , Rn. 14; Beschluss vom – 2 StR 430/21, Rn. 6 jew. mwN). Gleiches gilt für die in den Fällen II.22 bis II.35 der Urteilsgründe angenommene tateinheitliche Verwirklichung des § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB a.F., da Schuldumfang und Unrechtsgehalt dieser Taten von der Änderung des Schuldspruchs unberührt bleiben (vgl. , Rn. 29; Beschluss vom – 2 StR 489/18, Rn. 2, BGHR StGB § 176 Abs. 4 Nr. 3 Konkurrenzen, jew. mwN).
205. Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).
Menges Meyberg Schmidt
Zimmermann Herold
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110924B2STR119.24.0
Fundstelle(n):
TAAAJ-79272