Instanzenzug: Az: VIa ZR 55/21 Beschlussvorgehend Az: 22 U 43/20vorgehend LG Krefeld Az: 2 O 576/18
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Er erwarb im August 2013 von einem Dritten einen neuen Audi Q3 2.0 TDI, der mit einem von der Volkswagen AG entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. Die Volkswagen AG setzte in dem Motor eine Steuerungssoftware ein, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte befand und bewirkte in diesem Fall eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate. Dadurch wurden die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxidemissionen auf dem Prüfstand - anders als im normalen Fahrbetrieb - eingehalten.
3Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an den Kläger 43.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem zu zahlen abzüglich einer Nutzungsentschädigung, die sich mit der Formel "43.000 € x (Kilometerstand bei Rückgabe des Fahrzeugs - 0 km) 250.000 km" berechnet, Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs. Weiterhin hat es die Beklagte zur Zahlung von Deliktszinsen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die landgerichtliche Verurteilung abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag im tenorierten Umfang weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat Erfolg.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass ein verfassungsmäßig berufender Vertreter der Beklagten die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt habe. Eine Haftung der Beklagten komme nur in Betracht, wenn nicht nur der Herstellerin des Motors, sondern auch der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeugs der Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens gemacht werden könne. Mit Blick darauf habe der Kläger weder dargetan, dass auch bei der Beklagten eine auf eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts und der Fahrzeugerwerber gerichtete Strategieentscheidung getroffen worden sei, noch, dass die für die Beklagte handelnden Personen gewusst hätten, dass die Motoren mit einer auf Täuschung abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet gewesen seien. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der letztgenannten Normen liege.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat.
9In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsgericht angenommen, dass eine Haftung der Beklagten hier nicht in Betracht kommt, weil es an ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten dafür fehlt, dass nicht nur die Konzernmutter als Herstellerin des Motors, sondern auch die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs sittenwidrig vorsätzlich gehandelt hat. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, setzt jedenfalls voraus, dass das Klagevorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (, NJW 2022, 321 Rn. 27; Urteil vom - III ZR 211/20, WM 2023, 134 Rn. 12 ff., 17; Urteil vom - VII ZR 623/21, WM 2023, 140 Rn. 20 ff.; Beschluss vom - VII ZR 266/20, juris Rn. 25, jeweils mwN). Derartige Anhaltspunkte ergeben sich aus dem nach § 559 Abs. 1 ZPO der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegenden Verfahrensstoff nicht. Die darauf bezogenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung insoweit wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).
11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
13die erforderlichen (vgl. auch VIa ZR 26/21, NJW-RR 2024, 293 Rn. 14)
14Sollte das Berufungsgericht einen deliktischen Anspruch bejahen, wird es - anders als das Landgericht - in eine Entscheidungsformel nicht eine Berechnungsformel aufnehmen, sondern erlangte Vorteile beziffern und gegebenenfalls in Abzug bringen. Ein Zahlungstitel ist nur dann bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er den Anspruch des Gläubigers ausweist und Inhalt und Umfang der Leistungspflicht bezeichnet (vgl. im Einzelnen VIa ZR 1062/22, WM 2024, 277 Rn. 13 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:061124UVIAZR55.21.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-78976