BGH Beschluss v. - XIII ZB 23/22

Organisatorischer Spielraum der Ausländerbehörde bei Abschiebungshaft

Leitsatz

Zum organisatorischen Spielraum der Ausländerbehörde bei Abschiebungshaft (hier: Rückführung mit Charterflug anstelle des ursprünglich geplanten früheren Linienflugs).

Gesetze: Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 104 GG, Art 5 Abs 4 MRK, Art 6 Abs 1 MRK, Art 28 Abs 3 EUV 604/2013, § 62 Abs 3 S 3 AufenthG vom

Instanzenzug: Az: 329 T 27/21vorgehend Az: 219j XIV 128/21

Gründe

1I.    Der Betroffene, ein malischer Staatsangehöriger, reiste 2004 in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid vom lehnte die beteiligte Behörde seinen Antrag auf Verlängerung der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis ab, setzte ihm eine Frist zur Ausreise und drohte ihm die Abschiebung an. Rechtsmittel des Betroffenen blieben ohne Erfolg.

2Nachdem der Betroffene mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten war und sich aggressiv gegenüber Mitarbeitern der beteiligten Behörde verhalten hatte, war zunächst beabsichtigt, ihn unter Sicherheitsbegleitung mit einem Linienflug am abzuschieben. Diesen Flug stornierte die beteiligte Behörde am . Der Betroffene sollte nunmehr am mit einem Charterflug zurückgeführt werden.

3Auf Antrag der beteiligten Behörde vom hat das Amtsgericht mit Beschluss vom selben Tag Abschiebungshaft bis zum angeordnet. Die dagegen gerichtete, nach Abschiebung des Betroffenen noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

4II.    Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

51.    Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

6Der Haftantrag sei zulässig; aus der in Bezug genommenen Ausländerakte ergebe sich, dass die Abschiebung mit einem Kleinstcharter nach Mali am geplant sei. Weitere Ausführungen zur Dauer der erforderlichen Haft seien nicht erforderlich. Es bestehe Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3b Nr. 4 AufenthG, weil der Betroffene wegen Betäubungsmitteldelikten bereits zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Die beteiligte Behörde habe nicht gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen. Die Entscheidung für den mit Blick auf die Durchführung der Maßnahme sichereren Charterflug sei nicht zu beanstanden. Nach Inhaftierung des Betroffenen hätte die beteiligte Behörde nicht erneut in Erwägung ziehen müssen, den Betroffenen mit einem Linienflug abzuschieben.

72.    Das hält rechtlicher Überprüfung stand.

8a)    Der Haftantrag war zulässig.

9aa)    Ein zulässiger Haftantrag ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 116/19, Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; Rn. 7 mwN; vom - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7).

10bb)    Diesen Maßstäben wird der Haftantrag gerecht. Die beteiligte Behörde hat im Haftantrag ausgeführt, der Betroffene solle am in den Räumen der Ausländerbehörde vorläufig in Gewahrsam genommen werden und dem Amtsgericht zur Anhörung für die beantragte Sicherungshaft vorgeführt werden. Ein Nationalpass liege der Ausländerbehörde vor, zudem sei ein Flug, wie sich aus Blatt 785 der Ausländerakte ergebe, bereits bestätigt.

11Damit war ohne weiteres erkennbar, dass bereits ein Termin zur Ingewahrsamnahme des Betroffenen am geplant war, der Betroffene mittels eines Kleinstcharters am abgeschoben, zur Sicherung der Abschiebung bis zum in Haft genommen werden sollte und die beteiligte Behörde diese Dauer für erforderlich hielt. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, bedurfte es angesichts des bereits feststehenden Fluges keiner weiteren Angaben zur Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer. Ob die beteiligte Behörde die Ingewahrsamnahme des Betroffenen wegen der Stornierung der ursprünglich am geplanten Rückführung unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots hätte verschieben müssen, ist eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit der Haftanordnung.

12b)    Das Beschwerdegericht hat das Beschleunigungsgebot hinreichend beachtet.

13aa)    Das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG sowie Art. 5 Abs. 4, Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 247/10, juris Rn. 6; vom - XIII ZB 9/19, juris Rn. 11) und zusätzlich in Art. 28 Abs. 3 Dublin-III-VO geregelte Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen ist schon während des Laufs der - hier maßgeblichen - Dreimonatsfrist des § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG in der bis zum geltenden Fassung zu beachten (, juris Rn. 9). Es schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 68/21, juris Rn. 11; vom - XIII ZA 1/24, juris Rn. 15), verlangt aber, dass sie die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und alle notwendigen Anstrengungen unternimmt, damit der Vollzug der Haft auf einen möglichst kurzen Zeitraum beschränkt werden kann. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 205/09, juris Rn. 16; vom - XIII ZB 32/22, juris Rn. 9; vom - XIII ZB 36/21, juris Rn. 9).

14bb)    Nach diesen Maßstäben ist die Würdigung des Beschwerdegerichts, die beteiligte Behörde habe das Beschleunigungsgebot nicht verletzt, nicht zu beanstanden.

15(1)    Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, die beteiligte Behörde hätte nach der Ingewahrsamnahme des Betroffenen am nicht erneut eine (frühere) Abschiebung mittels Linienflug in Betracht ziehen müssen. Sie durfte vielmehr den sichereren Weg eines Kleinstcharters wählen. Mit diesem Charterflug sollte ein anderer Ausländer abgeschoben werden, dessen Abschiebung nach Mali mit einem Linienflug deswegen gescheitert war, weil der Pilot die Beförderung verweigert hatte. Da auf diese Weise zusätzliche Kapazitäten für Rückführungen nach Mali zur Verfügung standen, buchte die beteiligte Behörde den Betroffenen auf diesen Charterflug um. Weil der Betroffene als hochgradig aggressiv galt und aus diesem Grund eine Sicherheitsbegleitung mit fünf Beamten vorgesehen war, musste die beteiligte Behörde - wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat - nicht riskieren, dass die Abschiebung bei Buchung eines früheren Linienfluges aufgrund des aggressiven Verhaltens des Betroffenen scheitern könnte.

16(2)    Die beteiligte Behörde war auch nicht gehalten, den Termin zur Vorsprache des Betroffenen zu verschieben, um auf diese Weise den Haftzeitraum bis zur geplanten Abschiebung zu verkürzen. Zwar hatte die Behörde schon am und somit noch vor der angesetzten Ingewahrsamnahme entschieden, den für den gebuchten Flug zu stornieren. Sie hatte jedoch dem Betroffenen die Ladung zur Vorsprache - und geplanten Ingewahrsamnahme - am anlässlich einer Vorsprache bereits am ausgehändigt. Dabei war auch die dem Betroffenen erteilte Duldung bis zum verlängert worden. Da die organisatorischen Voraussetzungen für die Ingewahrsamnahme somit bereits weitgehend in die Wege geleitet waren, durfte die beteiligte Behörde den ihr für eine erfolgreiche Abschiebung zustehenden organisatorischen Spielraum ausnutzen und war nicht gezwungen, die Duldung des Betroffenen am nochmals (kurzfristig) zu verlängern und einen weiteren Termin zur Vorsprache und Ingewahrsamnahme anzuberaumen, was das Risiko eines Scheiterns der Abschiebung erhöht hätte. Vor diesem Hintergrund stellt sich die gegenüber der ursprünglichen Planung um elf Tage längere Haft auch unter Beachtung des Beschleunigungsgebots nicht als unverhältnismäßig dar, zumal die Abschiebung letztlich bereits am erfolgt ist.

173.    Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Kirchhoff                         Roloff                          Tolkmitt

                   Holzinger                  Kochendörfer

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:170924BXIIIZB23.22.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-78634