BAG Beschluss v. - 1 ABR 25/23

Eingruppierung - Unterrichtung des Betriebsrats

Leitsatz

Sieht ein betriebliches Entgeltschema Entgeltgruppen und -stufen vor, hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat im Rahmen eines Zustimmungsersuchens zur Eingruppierung regelmäßig von sich aus auch die vorgesehene Entgeltstufe mitzuteilen. Andernfalls ist der Betriebsrat nicht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß unterrichtet mit der Folge, dass die Frist für die Zustimmungsverweigerung nicht anläuft.

Gesetze: § 99 Abs 1 S 1 BetrVG, § 101 S 1 BetrVG, § 99 Abs 3 S 1 BetrVG, § 99 Abs 2 BetrVG

Instanzenzug: Az: 3 BV 28/21 Beschlussvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 5 TaBV 6/22 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über eine Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Durchführung von Zustimmungsersetzungsverfahren.

2Die Arbeitgeberin unterhält verschiedene - durch einen Zuordnungstarifvertrag nach § 3 BetrVG gebildete - Betriebe des Schienennahverkehrs. Sie ist Mitglied des Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbands der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e. V. (AGV MOVE). Antragsteller ist der für den Wahlbetrieb R.7.2. Leipzig gebildete Betriebsrat.

3Der AGV MOVE hat sowohl mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) als auch mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) für die Arbeitgeberin geltende Tarifverträge abgeschlossen, die Tätigkeits- oder Entgeltgruppenverzeichnisse für die vom Geltungsbereich erfassten Arbeitnehmer enthalten. Mit beiden Gewerkschaften vereinbarte der AGV MOVE in der Vergangenheit einen Verzicht auf die Anwendung von § 4a TVG. Der insoweit mit der GDL abgeschlossene Tarifvertrag endete am ohne Nachwirkung.

4Die Arbeitgeberin teilte dem Betriebsrat mit Schreiben vom mit, sie werde künftig für Arbeitnehmer mit bestimmten Tätigkeiten im Betrieb nur noch die von der GDL abgeschlossenen Tarifverträge anwenden, weil diese dort die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder habe.

5Mit Schreiben vom bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur Einstellung der Arbeitnehmer Z und S als Lokomotivführer und zu ihrer Eingruppierung in die Entgeltgruppe LF 5 des von der GDL mit dem AGV MOVE abgeschlossenen Bundes-Rahmentarifvertrags für das Zugpersonal der Schienenbahnen des Personen- und Güterverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland (BuRa-ZugTV). Den Zustimmungsersuchen war jeweils eine Anlage beigefügt, aus der sich ua. ergab, dass beide Arbeitnehmer bisher als Lokomotivführer bei anderen Eisenbahnunternehmen tätig gewesen waren.

6Der Betriebsrat erteilte mit Schreiben vom die Zustimmung zu den Einstellungen, verweigerte sie jedoch in Bezug auf die vorgesehenen Eingruppierungen.

7Er hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin habe ihn nicht ordnungsgemäß über die Mehrheitsverhältnisse und damit über den nach § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag unterrichtet. Jedenfalls habe er die Zustimmung zu den vorgesehenen Eingruppierungen wirksam verweigert.

8Der Betriebsrat hat zuletzt sinngemäß beantragt,

9Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

10Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats - soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Belang - zurückgewiesen. Der Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats - zunächst mit einer fehlerhaften Belehrung über die Rechtsmittelbegründungsfrist - am und - in berichtigter Fassung - erneut am zugestellt worden. Mit seiner am und ein weiteres Mal am eingelegten Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter.

11B. Die - trotz mehrfacher Einlegung als einheitliches Rechtsmittel anzusehende - Rechtsbeschwerde (vgl. nur  - Rn. 15 mwN) ist begründet.

12I. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen die antragsabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts war zulässig. Die Rüge der Arbeitgeberin, der Betriebsrat habe keine ordnungsgemäßen Beschlüsse hinsichtlich der Einlegung der Beschwerde gefasst, war rechtlich unerheblich. Die Arbeitgeberin hat die Wirksamkeit der Beschlüsse zur Einleitung des Beschlussverfahrens und zur Beauftragung seines Verfahrensbevollmächtigten nicht in Abrede gestellt. Die damit - unstreitig - erteilte Vollmacht berechtigte den Verfahrensbevollmächtigten auch zur Einlegung der Beschwerde. Nach den auch im Beschlussverfahren geltenden Vorschriften des § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 81 ZPO ermächtigt eine einmal erteilte Prozessvollmacht im Außenverhältnis - in den zeitlichen Grenzen des § 87 ZPO - zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen einschließlich der Einlegung von Rechtsmitteln ( - Rn. 21 mwN).

13II. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zu Unrecht zurückgewiesen.

141. Die Anträge sind nach gebotener Auslegung zulässig.

15a) Der Arbeitgeberin soll aufgegeben werden, wegen der Eingruppierung der beiden namentlich benannten Arbeitnehmer nach Maßgabe des BuRa-ZugTV Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen. Bei den zugrunde liegenden Zustimmungsersuchen handelt es sich - wie sich aus der Antragsbegründung ergibt - um die Schreiben der Arbeitgeberin vom .

16b) Mit diesem Antragsinhalt sind die Anträge hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Arbeitgeberin kann erkennen, welche Handlungen von ihr verlangt werden.

172. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts sind die Anträge begründet.

18a) Nach § 101 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat für den Fall, dass der Arbeitgeber eine personelle Maßnahme iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ohne seine Zustimmung durchführt, beim Arbeitsgericht beantragen, diesem aufzugeben, die personelle Maßnahme aufzuheben. Die Norm soll die Einhaltung des Beteiligungsrechts aus § 99 Abs. 1 BetrVG sichern. Danach muss der Arbeitgeber den Betriebsrat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern ua. vor jeder Ein- und Umgruppierung unterrichten und seine Zustimmung zu der geplanten Maßnahme einholen. Personelle Einzelmaßnahmen iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG können daher nur nach Zustimmung des Betriebsrats oder ihrer rechtskräftigen Ersetzung in einem Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG vorgenommen werden (vgl.  - Rn. 16 mwN; - 1 ABR 66/13 - Rn. 19 mwN, BAGE 151, 212). Fehlt es an einer - ggf. gerichtlich ersetzten - Zustimmung, gewährt § 101 BetrVG dem Betriebsrat einen Anspruch auf Beseitigung des durch die einseitige Handlung des Arbeitgebers herbeigeführten betriebsverfassungswidrigen Zustands.

19b) Bei Ein- und Umgruppierungen ist eine „Aufhebung“ im wörtlichen Sinn von § 101 BetrVG allerdings nicht möglich. Bei diesen personellen Maßnahmen handelt es sich nicht um konstitutive Akte des Arbeitgebers, sondern lediglich um einen mit der Kundgabe einer Rechtsansicht verbundenen Akt der Rechtsanwendung. Im Fall einer Ein- und Umgruppierung hat der Betriebsrat daher aus § 101 Satz 1 BetrVG einen Anspruch, dem Arbeitgeber die Einleitung eines Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG oder - nach dessen Abschluss - die Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG aufzugeben. Nur mit einem solchen Normverständnis kann der Zweck des § 101 BetrVG erreicht werden, einen dem Beteiligungsrecht des Betriebsrats entsprechenden Zustand herzustellen und damit die Einhaltung dieses Rechts zu sichern (vgl.  - Rn. 16 mwN; - 1 ABR 66/13 - Rn. 20 mwN, BAGE 151, 212).

20c) Im Ausgangsfall kann der Betriebsrat von der Arbeitgeberin die Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens verlangen.

21aa) Die verfahrensgegenständlichen personellen Einzelmaßnahmen unterliegen als Eingruppierung nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Mitbeurteilung des Betriebsrats. Im Unternehmen der Arbeitgeberin sind unstreitig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt.

22bb) Die Zustimmung des Betriebsrats gilt mangels ordnungsgemäßer Unterrichtung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt. Da es für die beabsichtigten Eingruppierungen an der erforderlichen Mitteilung über die vorgesehene Entgeltstufe fehlt, war die Unterrichtung der Arbeitgeberin unzureichend. Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob sie den Betriebsrat auch über die Umstände hätte informieren müssen, die nach § 4a TVG für die Bestimmung der Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb maßgebend sind, kommt es daher nicht an.

23(1) Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die beabsichtigte personelle Einzelmaßnahme unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen ausreichend zu informieren. Der Betriebsrat muss auf der Grundlage der mitgeteilten Tatsachen in die Lage versetzt werden zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe gegeben ist ( - Rn. 24; - 7 ABR 34/20 - Rn. 26 mwN). Ist der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß unterrichtet, läuft die Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht. Sie wird grundsätzlich auch dann nicht in Gang gesetzt, wenn der Betriebsrat es unterlässt, den Arbeitgeber auf die offenkundige Unvollständigkeit der Unterrichtung hinzuweisen. Das gilt selbst dann, wenn der Betriebsrat zu dem Zustimmungsersuchen in der Sache Stellung nimmt und seine Zustimmung mit Bezug auf Gründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG verweigert ( - zu B II 2 d bb der Gründe, BAGE 113, 109). Durfte der Arbeitgeber allerdings davon ausgehen, den Betriebsrat vollständig unterrichtet zu haben, kann es Sache des Betriebsrats sein, innerhalb der Frist um Vervollständigung der Auskünfte zu bitten ( - Rn. 25 mwN; - 7 ABR 34/20 - Rn. 26 mwN).

24(2) Bei einer beabsichtigten Eingruppierung hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über alle Faktoren zu unterrichten, die im Zusammenhang mit der Einreihung des Arbeitnehmers in die betriebliche Vergütungsordnung zu einem unterschiedlichen Entgelt führen können. Das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG erstreckt sich dabei nicht nur auf die Einordnung in eine bestimmte Entgeltgruppe, sondern kann - je nach Ausgestaltung der maßgebenden Vergütungsordnung (vgl.  - Rn. 40) - auch die Zuordnung zu von Beschäftigungszeiten abhängigen Stufen erfassen. Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat deshalb auch darüber zu informieren. Da das Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG ein einheitliches Verfahren ist, das die Ein- oder Umgruppierung in allen ihren Teilen erfasst, kann er das Verfahren nicht auf einzelne Teile der zustimmungspflichtigen Maßnahme beschränken (vgl.  - Rn. 12 mwN, BAGE 177, 323; - 4 ABR 1/20 - Rn. 11 mwN).

25(3) Danach genügte die Unterrichtung nicht den Anforderungen des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Zwar hat die Arbeitgeberin dem Betriebsrat - wie erforderlich - die Namen der betroffenen Arbeitnehmer, ihre vorgesehene Tätigkeit im Betrieb sowie die beabsichtigte Entgeltgruppe mitgeteilt. Auch konnte der Betriebsrat - vor dem Hintergrund des Schreibens der Arbeitgeberin vom  - erkennen, dass die Einreihung in den von der GDL abgeschlossenen BuRa-ZugTV erfolgen sollte. Es fehlte aber an der notwendigen Angabe der jeweils vorgesehenen Entgeltstufe.

26(a) Die - für Lokomotivführer geltende - Anlage 2a zum BuRa-ZugTV sieht in der Entgeltgruppe LF 5 sieben Stufen vor, die sich nach § 5 Abs. 4 BuRa-ZugTV in sämtlichen seit dem geltenden Fassungen an der Berufserfahrung in Jahren orientieren. Nach § 5 Abs. 5 Halbs. 2 BuRa-ZugTV ist die Berufserfahrung dabei auch dann zu berücksichtigen, wenn sie außerhalb des tariflichen Geltungsbereichs erworben wurde. Der Arbeitgeberin stand danach bei der Frage, ob vorhandene Berufserfahrung im Rahmen der Einstufung anzurechnen ist, kein Ermessen zu. Daher hätte sie den Betriebsrat von sich aus - ohne entsprechende Nachfrage - über die von ihr bei den Arbeitnehmern jeweils in Aussicht genommene Entgeltstufe in Kenntnis setzen müssen. Da beide Arbeitnehmer bereits zuvor als Lokomotivführer tätig gewesen waren und auch bei der Arbeitgeberin entsprechend eingesetzt werden sollten, war eine nur auf den Aspekt der Entgeltgruppe gerichtete Unterrichtung ersichtlich unzureichend.

27(b) Angesichts der tariflichen Vorgaben und der dem Betriebsrat mitgeteilten - einschlägigen - Vorbeschäftigungen der Arbeitnehmer konnte und musste der Betriebsrat das Ersuchen der Arbeitgeberin auch nicht dahingehend verstehen, dass sie stillschweigend die Zustimmung zur Einreihung in die „Eingangsstufe“ - die Stufe 1 - erbitten wollte.

28(c) Die Mitteilung der Entgeltstufen war zudem nicht - ausnahmsweise - entbehrlich, weil der Betriebsrat sich diese aus den vorhandenen Informationen ohne Weiteres selbst hätte erschließen können. Dies scheidet schon deshalb aus, weil die Arbeitgeberin den Betriebsrat nicht über die Dauer der bisherigen Berufserfahrung der Arbeitnehmer informiert hat.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:160724.B.1ABR25.23.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 48
OAAAJ-78617