BGH Urteil v. - VII ZR 240/23

Leitsatz

Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, sind dem Zustellungsbetreiber nicht zuzurechnen (Anschluss an Rn. 6, NJW 2023, 2945). Zu solchen Verzögerungen gehören auch Versäumnisse, die bei der Ausführung der Zustellung von dem Zustellorgan verursacht worden sind.

Gesetze: § 167 ZPO, § 204 Abs 1 Nr 1 BGB

Instanzenzug: Az: 21 U 47/22 Urteilvorgehend Az: 101 O 53/19

Tatbestand

1Die Klägerin verlangt mit der Klage restlichen Werklohn.

2Die Beklagte beauftragte am die Klägerin mit Malerarbeiten am Bauvorhaben C.                          in B.       . Die Parteien vereinbarten die Geltung der VOB/B sowie die Abrechnung nach Einheitspreisen.

3Nachdem die Klägerin in der Zeit von Januar bis Juni 2014 die Malerarbeiten teilweise erbracht hatte, wurde der Vertrag ohne schriftliche Kündigung vorzeitig beendet.

4Am legte die Klägerin eine erste Schlussrechnung über 83.872,86 €, mit der sie lediglich erbrachte Leistungen abrechnete.

5Im Januar 2016 verlegte die Beklagte ihren Geschäftssitz. Die neue Anschrift ist seit dem im Handelsregister eingetragen und ihrem Internetauftritt zu entnehmen.

6Am legte die Klägerin eine weitere Schlussrechnung über 197.946,46 €, mit der sie darüber hinaus auch nicht erbrachte Leistungen abrechnete. Ob die Klägerin diese an die frühere Anschrift der Beklagten gerichtete Rechnung als unzustellbar zurückerhalten hat, ist zwischen den Parteien im Streit.

7Die Klägerin hat mit der Klage eine Vergütung in Höhe von 197.946,46 € nebst Zinsen verlangt.

8Die am beim Landgericht eingegangene Klage weist als Zustelladresse die frühere Anschrift der Beklagten aus. Das Gericht hat mit Kostenrechnung vom den Vorschuss für die Gerichtskosten angefordert. Der von der Klägerin am angewiesene Vorschuss ist am Folgetag bei Gericht eingegangen. Die Klage ist am von dem Zusteller an der früheren Anschrift der Beklagten in den Briefkasten eines Dritten eingelegt worden. Dieser hat mit einem am bei Gericht eingegangen Schreiben die Klage mit dem Vermerk zurückgesandt, eine Firma mit dem Namen der Beklagten sei dort nicht ansässig. Das Landgericht hat am anhand des Handelsregisterauszugs die aktuelle Anschrift der Beklagten ermittelt und die Zustellung der Klage verfügt. Die Klage ist der Beklagten am zugestellt worden.

9Das Landgericht hat der Klage in Höhe eines Betrags von 11.237,97 € nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen; die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.

Gründe

10Die Revision der Klägerin ist begründetund führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

11Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

12Die Werklohnforderung der Klägerin aus der Schlussrechnung vom sei nach Maßgabe der dreijährigen Regelfrist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) verjährt. Der Restwerklohnanspruch, der beiden Schlussrechnungen zugrunde liege, sei vor Ablauf des Jahres 2015 entstanden und fällig geworden. Die Klägerin habe die erste Schlussrechnung am gelegt, so dass die vereinbarte Zahlungsfrist von sechs Wochen im November 2015 abgelaufen sei. Da die Abnahme des Werks vor Erteilung der Schlussrechnung erfolgt sei, sei die Verjährung mit Ablauf des eingetreten.

13Dies gelte auch für die weitergehenden Ansprüche, welche die Klägerin mit der zweiten Schlussrechnung vom abgerechnet habe. Mit der Abnahme und Vorlage einer prüffähigen Rechnung werde die gesamte Werklohnforderung fällig und verjähre einheitlich.

14Die Zustellung der Klage am wirke nicht auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit am zurück. Gemäß § 167 ZPO trete die Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bereits mit Eingang der Klage bei Gericht ein, wenn die Zustellung demnächst erfolge. Nach ständiger Rechtsprechung werde eine der Partei zuzurechnende Zustellungsverzögerung von bis zu 14 Tagen regelmäßig hingenommen. Eine Zustellung "demnächst" nach Eingang des Antrags oder der Erklärung bedeute eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan habe. Die Zustellung sei dagegen nicht mehr "demnächst" erfolgt, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliege, oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges - auch leicht fahrlässiges Verhalten - zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen habe. Bei der Bemessung einer Verzögerung sei auf die Zeitspanne abzustellen, um die sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers verzögere.

15Die der Klägerin zuzurechnenden Verzögerungen überschritten die Grenze von 14 Tagen. Die Einzahlung des Vorschusses sei unter Berücksichtigung des behaupteten Zugangs der Gerichtskostenrechnung am fristgerecht am erfolgt. Sofern die Anforderung des Vorschusses bereits zu einem früheren Zeitpunkt zugegangen wäre, hätte die Klägerin den Vorschuss bis zum einzahlen müssen. Unter Berücksichtigung eines Bankarbeitstags für die Überweisung wäre in diesem Fall nur eine geringfügige Verzögerung von zwei bis sechs Tagen entstanden.

16Eine nicht nur geringfügige Verzögerung der Zustellung beruhe allerdings darauf, dass die Klägerin in der Klageschrift eine unzutreffende Anschrift der Beklagten angegeben habe. Vorwerfbar seien Verzögerungen, die auf Mängeln der Klageschrift beruhten, wie die Angabe einer falschen Anschrift des Beklagten, soweit nicht der Kläger auf deren Richtigkeit habe vertrauen dürfen.

17Die Klägerin könne sich nicht damit entlasten, dass der Zusteller die Klageschrift fehlerhaft in den Briefkasten des Dritten eingelegt habe, statt sie als unzustellbar an das Landgericht zurückzusenden. Denn sie habe die fehlerhafte Zustellung aufgrund der Angabe einer falschen Anschrift veranlasst. Die Regelung des § 167 ZPO solle nur vor solchen Nachteilen schützen, die gänzlich außerhalb der Einflusssphäre des Zustellungsbetreibers lägen. Beruhe die Zustellungsverzögerung auf der fehlerhaften Angabe der Zustellanschrift durch den Zustellungsbetreiber, berechne sie sich ab dem Zeitpunkt des gescheiterten Zustellungsversuchs. Die der Klägerin zuzurechnende Zustellungsverzögerung betrage danach zwei Wochen und sechs Tage und könne damit nicht mehr als geringfügig erachtet werden.

18Selbst wenn der Klägerin das Verschulden des Zustellers nicht zuzurechnen wäre, bliebe es dabei, dass die der Klägerin zuzurechnende Zustellungsverzögerung deutlich mehr als 14 Tage betrage. Für eine Reduzierung der der Klägerin anzulastenden Verzögerung auf 14 Tage müsse feststehen, dass der Falscheinwurf des Zustellers am eine Teilverzögerung von lediglich sechs Tagen verursacht habe. Dies könne nur angenommen werden, wenn der Zusteller die Klageschrift nicht in den falschen Briefkasten eingelegt, sondern als unzustellbar an das Landgericht zurückgesandt hätte und dieser Rückbrief das Gericht so zeitig erreicht hätte, dass am die erneute Zustellung hätte verfügt werden können.

19Zu einer solchen Feststellung sehe sich das Berufungsgericht nicht in der Lage. Es gebe keine etablierten Erfahrungswerte, nach wie vielen Tagen ein unzustellbares Schriftstück wieder bei Gericht eintreffe.

II.

20Die Revision ist insgesamt statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Sie ist uneingeschränkt zugelassen. Die vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist damit gegenstandslos.

III.

21Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

22Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht wegen Verjährung des Restwerklohnanspruchs abgewiesen werden. Die Zustellung der am beim Landgericht eingegangenen Klageschrift am ist noch demnächst im Sinne von § 167 ZPO erfolgt.

231. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass nach § 199 Abs. 1 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) nicht nur für die mit der Schlussrechnung vom abgerechneten Leistungen, sondern auch für die mit der Schlussrechnung vom geltend gemachten Forderungen für nicht erbrachte Leistungen einheitlich mit dem Schluss des Jahres 2015 begonnen hat. Denn bei einem VOB/B-Vertrag werden die gesamte Werklohnforderung und alle vergütungsgleichen Ansprüche einheitlich fällig, wenn die Werkleistung abgenommen worden ist und eine prüffähige Schlussrechnung vorliegt. Dies gilt auch für irrtümlich vergessene unselbständige Rechnungsforderungen oder für Teilforderungen, auch wenn sie nicht mit der Schlussrechnung abgerechnet worden sind (vgl. Kniffka in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 4. Teil Rn. 674 m.w.N.). Entgegen der Ansicht der Revision folgt aus dem Urteil des Senats vom (VII ZR 83/05) nichts Anderes. Auch wenn der Anteil für die nicht erbrachten Leistungen Entschädigungscharakter hat, ist er Teil des einheitlichen Vergütungsanspruchs ( Rn. 18 f., BauR 2008, 506 = NZBau 2008, 247).

242. Zu Recht ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Verjährungsfrist für die Klageforderung am geendet hätte. Soweit die Revision unter Hinweis auf den Schriftwechsel der Parteien betreffend die Schlussrechnung der Klägerin vom einwendet, zum Zeitpunkt der Klagezustellung sei der Lauf der Verjährungsfrist gemäß § 203 BGB durch Verhandlungen der Parteien gehemmt gewesen, weil die Beklagte sich auf die Vergütungsforderung inhaltlich eingelassen habe, trifft das nicht zu.

25a) Schweben zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände, ist die Verjährung gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert (§ 203 Satz 1 BGB). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Begriff "Verhandlungen" weit auszulegen. Der Gläubiger muss dafür lediglich klarstellen, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will. Anschließend genügt jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Das ist bei einem Schriftwechsel über die Richtigkeit einer Rechnung typischerweise der Fall ( Rn. 23 m.w.N., BauR 2022, 1683 = NZBau 2022, 589). Indes stellt die bloße Prüfung einer Schlussrechnung durch den Besteller noch keine Aufnahme von Verhandlungen dar. Auch die Übersendung einer geprüften Schlussrechnung und die darin liegende Mitteilung, die geforderte Summe nicht zahlen zu wollen, bedeutet ohne Weiteres noch keine Aufnahme von Verhandlungen (vgl. Kniffka in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., 4. Teil Rn. 682).

26b) Nach diesem Maßstab gestattete die Prüfung der Schlussrechnung vom durch die Beklagte und die Ablehnung der Vergütungsforderung der Klägerin unter anderem wegen fehlender Nachweise der ausgeführten Massen und fehlender prüfbarer Anlagen mit Schreiben vom allein nicht die Annahme, die Beklagte lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein, zumal sie zugleich mitgeteilt hatte, sie leiste unter Hinweis auf die damit verbundene Ausschlusswirkung eine Schlusszahlung nur in Höhe von 315,54 €. Der Umstand, dass die Klägerin dieser Erklärung mit Schreiben vom widersprochen und ihren Widerspruch mit weiterem Schreiben vom begründet hat, rechtfertigt keine andere Betrachtung.

273. Rechtsfehlerhaft ist indes die Annahme des Berufungsgerichts, die mit dem ablaufende Verjährungsfrist sei nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch Erhebung der Klage rechtzeitig gehemmt worden. Denn die Zustellung der Klage an die Beklagte am wirkte gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung am zurück.

28a) Gemäß § 167 ZPO tritt die verjährungshemmende Wirkung der Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) mit Eingang der Klage bei Gericht ein, wenn ihre Zustellung demnächst erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Zustellung einer Klage jedenfalls dann noch demnächst erfolgt, wenn die durch den Kläger zu vertretende Verzögerung der Zustellung den Zeitraum von 14 Tagen nicht überschreitet. Bei der Berechnung der Zeitdauer der Verzögerung ist auf die Zeitspanne abzustellen, um die sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert ( Rn. 38, juris; Urteil vom - V ZR 34/18 Rn. 7, NJW-RR 2019, 976; Urteil vom - VII ZR 185/07 Rn. 8 m.w.N., BauR 2011, 885 = NZBau 2011, 485). Dabei wird der auf vermeidbare Verzögerungen im Geschäftsablauf des Gerichts oder der Post zurückzuführende Zeitraum nicht angerechnet (vgl. Rn. 8, BauR 2011, 885 = NZBau 2011, 485; 1Z RR 235/01, BayObLGZ 2002, 160, juris Rn. 25). Solche Verzögerungen im Zustellungsverfahren sind der klagenden Partei auch dann nicht zuzurechnen, wenn der fehlerhaften Sachbehandlung des Gerichts eine der Partei zuzurechnende Verzögerung vorausgegangen ist (vgl. Rn. 6, NJW 2023, 2945).

29b) Nach diesen Maßstäben überschreitet die der Klägerin infolge einer etwaigen Nachlässigkeit zuzurechnende Zustellungsverzögerung den hinnehmbaren Rahmen von bis zu 14 Tagen nicht.

30aa) Nach dem in der Revisionsinstanz zugrunde zu legenden Sachverhalt ist eine der Klägerin zuzurechnende erhebliche Verzögerung der Klagezustellung nicht dadurch eingetreten, dass die Klägerin den Gerichtskostenvorschuss am angewiesen hat und dieser am bei Gericht eingegangen ist. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, wann der Klägerin die Kostenrechnung vom , mit der der Gerichtskostenvorschuss angefordert worden ist, tatsächlich zugegangen ist. In der Revisionsinstanz ist zugunsten der Klägerin daher ihre Behauptung als richtig zu unterstellen, dass ihr die Gerichtskostenrechnung - wie sich auch aus dem Datum des Eingangsstempels der von ihr als Anlage K 11 vorgelegten Kopie der Kostenrechnung vom ergibt - erst am zugegangen ist. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass in diesem Fall durch die Anweisung des Kostenvorschusses am und dessen Eingang am Folgetag keine der Klägerin zurechenbare Verzögerung eingetreten ist, die die Zustellung der Klage als nicht mehr demnächst im Sinne des § 167 ZPO erscheinen lässt, wird von der Revision als ihr günstig hingenommen und lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

31bb) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, dass die Verzögerung von 20 Tagen, die den Zeitraum vom gescheiterten Zustellungsversuch am bis zur erfolgreichen Zustellung am betrifft, der Klägerin in vollem Umfang zuzurechnen sei.

32(1) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Verzögerung, die dadurch entstanden ist, dass der Zusteller die Klage in den Briefkasten eines Dritten eingelegt hat, anstatt sie an das Gericht zurückzusenden, nicht der Klägerin zuzurechnen, weil es sich um eine Verzögerung im Geschäftsablauf des Gerichts handelt. Zu solchen Verzögerungen gehören auch Versäumnisse, die bei der Ausführung der Zustellung von dem Zustellorgan verursacht worden sind. Denn die von der Geschäftsstelle des Gerichts veranlasste Beauftragung des Zustellorgans mit der Ausführung der Zustellung (§ 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO) gehört zum Geschäftsbetrieb des Gerichts (vgl. MünchKommZPO/Häublein/Müller, 6. Aufl., § 167 Rn. 17), das die Klage von Amts wegen zuzustellen hat (§ 253 Abs. 1, § 271 Abs. 1, § 166 Abs. 2 ZPO). Bei ordnungsgemäßer Zustellung hätte das Zustellorgan die Klage mit einem Vermerk über den Grund der Unzustellbarkeit unverzüglich an das Gericht zurückleiten müssen.

33(2) Es kann offenbleiben, ob der Klägerin zum Vorwurf gemacht werden kann, vor Angabe der Anschrift der Beklagten in der Klageschrift (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) nicht geprüft zu haben, ob die ihr bekannte ladungsfähige Anschrift noch aktuell ist. Denn infolge der Angabe der falschen Anschrift der Beklagten ist die Zustellung der Klage allenfalls in der Zeit vom bis zum und damit für einen Zeitraum von lediglich zwölf Tagen verzögert worden.

34(a) Die der Klägerin wegen der Angabe einer falschen Zustellanschrift zuzurechnende Verzögerung ist nach dem hypothetischen Verlauf der Zustellung ab dem Zeitpunkt der fehlgeschlagenen Erstzustellung zu ermitteln. Dabei ist darauf abzustellen, wie die Zustellung ohne die dem Gericht zuzurechnende Verzögerung verlaufen wäre (vgl. Rn. 7 f., NJW 2023, 2945; Urteil vom - IVb ZR 92/87, FamRZ 1988, 1154, juris Rn. 19 ff.;  1Z RR 235/01, BayObLGZ 2002, 160, juris Rn. 25).

35Soweit das Berufungsgericht sich nicht imstande gesehen hat, zu beurteilen, welche Bearbeitungszeit tatsächlich für die Rückleitung der Klage an das Landgericht angefallen wäre und demnach der Zeitraum der dem Gericht zuzurechnenden Verzögerung nicht feststehe, kommt es darauf nicht an. Für die Ermittlung des hypothetischen Verlaufs der Zustellung ist auf die unerlässlichen Gerichts- und Postlaufzeiten abzustellen, die für den Zeitraum vom ersten Zustellungsversuch bis zum Zeitpunkt der erfolgten Zustellung angefallen wären (vgl. IVb ZR 92/87, FamRZ 1988, 1154, juris Rn. 21; 1Z RR 235/01, BayObLGZ 2002, 160, juris Rn. 25).

36(b) Ausgehend hiervon beträgt die auf der Angabe der falschen Zustellanschrift der Beklagten beruhende Verzögerung weniger als 14 Tage. Die Zustellung der Klage ist daher noch demnächst im Sinne des § 167 ZPO erfolgt. Denn der Zusteller hätte bei ordnungsgemäßem Vorgehen die zuzustellende Klageschrift mit dem Vermerk "Unzustellbar" unverzüglich zurückgesandt, so dass sie spätestens am übernächsten Tag, Freitag, den , dem Landgericht wieder vorgelegen hätte. Die erneute Zustellung wäre am Montag, den , veranlasst worden. Unter Zugrundelegung der tatsächlich - zwischen der Veranlassung der Zustellung am und der Zustellung am  - angefallenen Postlaufzeit von 7 Tagen wäre die Klage der Beklagten spätestens am , also 12 Tage nach dem gescheiterten Zustellungsversuch am , zugestellt worden.

III.

37Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Pamp                       Graßnack                       Borris

             Brenneisen                   Hannamann

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:101024UVIIZR240.23.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 48
HAAAJ-78508