BAG Urteil v. - 6 AZR 191/23

Zeitwertkonto - Guthaben - Arbeitsverhältnis - Beendigung

Gesetze: § 1 TVG, § 97 Abs 1 ZPO, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO

Instanzenzug: Az: 10 Ca 338/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 7 Sa 604/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über den Zeitpunkt der Auszahlung des Wertguthabens aus dem Zeitwertkonto des Klägers.

2Der 1966 geborene Kläger war bei der Beklagten von 1982 bis einschließlich März 2021 zunächst als Auszubildender, später als Angestellter beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis galten kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit die Regelungen der Tarifverträge der Deutschen Post AG, ua. der Tarifvertrag Nr. 160 „Zeitwertkonto“ (TV ZWK) vom idF des Tarifvertrags Nr. 228 vom . Danach richtet die Beklagte für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer, die - wie der Kläger - unter den Geltungsbereich des Manteltarifvertrags der Deutschen Post AG (MTV-DP AG) fallen und die übrigen Voraussetzungen des TV ZWK erfüllen, ein Zeitwertkonto ein. § 6 TV ZWK enthält folgende Bestimmungen:

3Das Zeitwertkonto des Klägers weist ein Guthaben iHv. 14.376,76 Euro brutto auf.

4Der Kläger bezog zuletzt aufgrund des Bescheids der Deutschen Rentenversicherung vom rückwirkend ab März 2020 eine volle Erwerbsminderungsrente auf Zeit. Mit Schreiben vom teilte ihm die Beklagte daraufhin mit, dass die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 MTV-DP AG, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Zugang des Rentenbescheids zum Bezug einer Alters-, Erwerbsminderungs- oder Unfallrente jeweils als Vollrente mit Ablauf des Vormonats des ersten Rentenzahlmonats vorsieht, erfüllt seien. Das Arbeitsverhältnis ende daher zum .

5Mit seiner Klage vom hat sich der Kläger zunächst gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses gewandt und in der Folge klageerweiternd hilfsweise die „Zurückstellung“ der Auszahlung seines Guthabens auf dem Zeitwertkonto bis zum unbefristeten vollen Rentenbezug geltend gemacht. Nachdem er erstinstanzlich unterlegen war, seine Bestandsschutzklage im weiteren Verlauf des Rechtsstreits aber nicht weiterverfolgt hat, hat er hinsichtlich seiner zuletzt noch geltend gemachten Forderung auf „Zurückstellung“ der Auszahlung des Wertguthabens die Auffassung vertreten, nach § 6 Abs. 2 TV ZWK könne dieses nur im Fall des endgültigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis in Geld ausgezahlt werden. Ein solcher liege bei einer befristet bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht vor. Insoweit sei der Wortlaut der Tarifnorm bezogen auf das Merkmal „Erwerbsminderung“ teleologisch auf die Gewährung einer unbefristeten Erwerbsminderungsrente zu reduzieren, da andernfalls sein Wertguthaben mit 40 % auf die Rente angerechnet würde. Eine Übertragung auf die Deutsche Rentenversicherung Bund sei aufgrund des zu geringen Betrags in seinem Fall nicht möglich.

6Der Kläger hat zuletzt beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, § 6 Abs. 2 TV ZWK regele unmissverständlich, dass die Auszahlung des Wertguthabens unabhängig von der Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwingend zu erfolgen habe, sofern eine Freistellung bzw. Übertragung nicht möglich sei.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Gegen das Urteil hat der Kläger zunächst vollumfänglich Berufung eingelegt, diese jedoch zurückgenommen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Bestandsschutzantrags gerichtet hat. Damit steht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zum beendet ist. Die weitergehende Berufung hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren betreffend die „Zurückstellung“ der Auszahlung des Wertguthabens weiter.

Gründe

9Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den zuletzt noch anhängigen Klageantrag auf „Zurückstellung“ der Auszahlung des Wertguthabens im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

10I. Der Klageantrag ist in der gebotenen Auslegung zulässig (zu den Auslegungsgrundsätzen vgl. zB  - Rn. 15 mwN; - 9 AZR 337/21 - Rn. 24, BAGE 178, 75; - 6 AZR 221/11 - Rn. 29 mwN).

111. Der Sache nach begehrt der Kläger mit der „Zurückstellung“ des Guthabens auf seinem Zeitwertkonto, dass die Beklagte verurteilt wird, die Auszahlung des angesparten Betrags bis zum Eintritt eines der im Antrag im Einzelnen bezeichneten Ereignisse zu unterlassen.

122. Mit diesem Verständnis ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (vgl. zu den Anforderungen  - Rn. 14, BAGE 169, 267).

13Er lässt ausreichend eindeutig erkennen, was der Kläger von der Beklagten verlangt. Der Antrag bezeichnet zum einen die zu unterlassende Handlung, nämlich die derzeitige Auszahlung des Wertguthabens in Geld. Zum anderen konkretisiert er die einzelnen Anlässe, zu denen die Beklagte die Auszahlung an den Kläger zukünftig vornehmen soll.

14II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte das Wertguthaben gegenwärtig nicht an ihn auszahlt, obwohl das Arbeitsverhältnis aufgrund rechtskräftiger Feststellung des Arbeitsgerichts mit Ablauf des beendet ist. Das ergibt die Auslegung von § 6 Abs. 2 TV ZWK (zu den für die Auslegung von Tarifverträgen nach st. Rspr. anzuwendenden allgemeinen Auslegungsgrundsätzen vgl. zB  - Rn. 13 mwN; - 10 AZR 332/20 - Rn. 42).

151. Für das Arbeitsverhältnis galt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit ua. der TV ZWK.

162. Nach § 6 Abs. 2 TV ZWK hat die Auszahlung des Wertguthabens an den Arbeitnehmer unabhängig von der Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unverzüglich nach seinem Ausscheiden zu erfolgen, sofern das Guthaben - wie im Fall des Klägers - weder durch bezahlte Freistellung abgegolten noch auf einen anderen Arbeitgeber bzw. die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragen werden kann. Andere Sachverhaltskonstellationen, die den Arbeitgeber verpflichten würden, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugunsten des Arbeitnehmers von einer sofortigen Abwicklung des Zeitwertkontos abzusehen, sieht die Tarifnorm nicht vor.

17a) Das folgt bereits aus dem unmissverständlichen Wortlaut der Tarifnorm.

18aa) Dieser erfasst mit der Wendung „bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses insbes. auf Grund von“ generalisierend sämtliche Beendigungsmöglichkeiten. Die Verwendung des Wortes „insbesondere“ („insbes.“) belegt, dass die nachfolgende Aufzählung lediglich beispielhaft gemeint ist (vgl. hierzu zB  - Rn. 23 mwN) und nicht nur die aufgeführten Anlässe, sondern auch die - wie beim Kläger - gerichtlich rechtskräftig festgestellte Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine solche Beendigung im Sinne der Regelung ist.

19bb) Des Weiteren sieht die Tarifnorm bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eindeutig nur drei Optionen vor, das Zeitwertkonto abzuwickeln, ohne das Guthaben an den Arbeitnehmer selbst auszuzahlen, nämlich die bezahlte Freistellung und die Übertragung des Guthabens auf einen anderen Arbeitgeber bzw. die Deutsche Rentenversicherung Bund. Anders als bei der die Beendigungsart betreffenden Regelung haben die Tarifvertragsparteien hier keine Formulierung verwendet, die auf eine lediglich beispielhafte und damit nicht abgeschlossene Aufzählung hinweist. Damit haben sie klargestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Abwicklung des Zeitwertkontos ohne Auszahlung in Geld abschließend gemeint sind und in allen anderen Fällen das Guthaben nach Ausscheiden des Arbeitnehmers an diesen auszukehren ist.

20b) Dieses bereits im Wortlaut angelegte Verständnis wird durch den Sinn und Zweck der Tarifnorm bestätigt (zur Ermittlung des tariflichen Normenzwecks durch die Gerichte vgl.  - Rn. 24 mwN, BAGE 154, 118). Der Regelung liegt - wie schon die Wendung „unverzüglich“ zeigt - der Gedanke zugrunde, dass in den Fällen, in denen das Wertguthaben nicht mehr für eine bezahlte Freistellung oder eine der vorgesehenen Übertragungen verwendet werden kann, eine zügige Abwicklung erfolgen soll, um für die Arbeitsvertragsparteien - auch vor dem Hintergrund der Insolvenzsicherungspflichten der Beklagten nach § 8 TV ZWK - schnell Sicherheit über das rechtliche Schicksal des Zeitwertkontos zu schaffen. Zugleich wird dem Arbeitnehmer dadurch auch außerhalb einer existenzbedrohenden Notlage iSv. § 7 TV ZWK, der eine Vereinbarung über eine Auszahlung im laufenden Arbeitsverhältnis zulässt, eine anderweitige Verwendung des Geldes ermöglicht, was bei Fortbestand des Zeitwertkontos über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus im Tarifvertrag nicht vorgesehen ist. Mit diesem Sinn und Zweck wäre die Annahme, die Auszahlung des Guthabens sei auf gegebenenfalls Jahre nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis zu verschieben, nicht vereinbar.

213. Der Senat hatte wegen der im Verlauf des Berufungsverfahrens rechtskräftig festgestellten Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum nicht mehr über die zwischen den Parteien streitige Frage zu entscheiden, ob die in § 6 Abs. 2 TV ZWK beispielhaft aufgeführte Erwerbsminderung das Arbeitsverhältnis auch dann wirksam aufzulösen vermag, wenn eine ihretwegen gezahlte volle Erwerbsminderungsrente lediglich auf Zeit gewährt wird.

22III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:010824.U.6AZR191.23.0

Fundstelle(n):
BB 2024 S. 2739 Nr. 47
UAAAJ-78479