BEG IV verkürzt Aufbewahrungspflichten
Selbstanzeigen und Prüfungsmaßnahmen sind tangiert
Praktiker aus Unternehmen, Handwerk oder Forschung kritisieren zu Recht, dass Bürokratie in Deutschland zu einem erheblichen negativen ökonomischen und strategischen Faktor geworden ist, der im schlechtesten Falle wirtschaftliche, handwerkliche oder z. B. wissenschaftliche Projekte zumindest behindert. Bürokratievorgaben wie bspw. Berichts-, Aufzeichnungs- oder Aufbewahrungspflichten müssen weiterhin konsequent überdacht und abgebaut werden. Das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) war ein notwendiger Anfang. Aufbewahrungspflichten verursachen logistische Kosten; ihre Reduktion wird die Unternehmen ökonomisch entlasten sowie die Ökologie schützen. Zwar werden Unterlagen zunehmend und bald weit überwiegend als elektronische Dokumente vorgehalten; Speicherplatz verursacht aber ebenfalls Kosten und verbraucht zudem Strom.
Die im BEG IV geplanten Änderungen in den § 147 Abs. 3 AO, § 14b Abs. 1 Satz 1 UStG, § 257 Abs. 4 HGB sind nunmehr vom Gesetzgeber beschlossen, die maßgeblichen Aufbewahrungspflichten werden auf acht Jahre verkürzt. Dadurch ergeben sich für die Selbstanzeige rechtliche und tatsächliche Folgefragen. Als erste Rechtsfrage ist zu nennen, ob es im Steuerstrafrecht rechtsdogmatisch zulässig ist, Selbstanzeigeerklärungen für Jahre zu verlangen, in denen keine Obliegenheit zur Aufbewahrung von Unterlagen besteht. Dieses Problem gab es virulent bereits wegen der Ausdehnung des § 376 Abs. 1 AO auf 15 Jahre, nunmehr wird es jedoch häufiger auftreten, wenn Unterlagen bereits legal nach acht Jahren vernichtet wurden. Kann in einer Selbstanzeige eine vollständige (steuerliche) Nacherklärung für Jahre verlangt werden, in denen ausdrücklich eine Vernichtung von Unterlagen erlaubt war? Diese Rechtsfrage muss m. E. zeitnah weiter untersucht werden. Eine zweite tatsachliche Fragestellung ist, wie die Jahre 9 und 10 innerhalb der Selbstanzeige erklärt werden, wenn nicht mehr anhand von zuvor vernichteten Unterlagen die richtigen steuerlichen Tatsachen nachvollzogen werden können. Dann sollte für diese Jahre bei der Selbstanzeige unbedingt ein Sicherheitspuffer – also eine Überschätzung – einbezogen werden, um die Selbstanzeige nicht vollständig unwirksam zu machen. Als Grundlage eines Sicherheitszuschlags könnte eine Mittelung der Vorjahre, eine lineare oder progressive Steigerung bzw. ein vorhandener, nachgewiesener Maximalwert als Ausgangswert genutzt werden; anschließend wird hierauf ein Sicherheitspuffer von z. B.10 % hinzugerechnet. M. E. werden die Selbstanzeigen hierdurch risikobehafteter, was im Beratungsgespräch gegenüber dem Mandanten kommuniziert werden muss.
Der Gesetzgeber wollte rechtlich mit § 376 Abs. 1 AO n. F. längere Ermittlungsmöglichkeiten eröffnen. Faktisch hat er diese Zeitspannen jetzt wohl unbedacht deutlich durch diese neuen Aufbewahrungspflichten verkürzt. Die Außenprüfungen und die Steuerfahndung müssen zukünftig zeitnäher, konsequenter und zügiger arbeiten. Die Steuerverwaltung muss sich auf eine frühzeitigere Beweis- und Tatsachenarmut einstellen.
Henning Wenzel
Fundstelle(n):
NWB 2024 Seite 3161
ZAAAJ-78447