Überwiegend erfolgreiche Entschädigungsklage wegen ungerechtfertigter Überlänge eines Disziplinarbeschwerdeverfahrens nach § 42 Nr. 4 WDO
Leitsatz
1. Ein Abweichen von dem bei einer überlangen Verfahrensdauer vorgesehenen pauschalen Entschädigungssatz ist nicht allein deshalb nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG geboten, weil der Gesamtbetrag die im Ausgangsverfahren streitgegenständliche Disziplinarbuße übersteigt.
2. Der Entschädigungsanspruch wegen überlanger Dauer eines Wehrdisziplinarbeschwerdeverfahrens wird erst mit dessen rechtskräftigem Abschluss fällig.
Tatbestand
1Das Verfahren betrifft eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Wehrdisziplinarbeschwerdeverfahrens.
21. Gegen den Kläger wurde am eine Disziplinarbuße von 2 500 € verhängt, weil er im Einsatz als Kommandant eine ungewollte Schussabgabe mit Personenschaden an Bord eines Tenders weder gemeldet noch den Kontingentführer davon in Kenntnis gesetzt habe. Er habe außerdem versucht, den Leitenden Sanitätsoffizier zu veranlassen, auf der San-Sofort-Meldung die ungewollte Schussabgabe nicht zu erwähnen und die Verletzung als "unverfänglich" zu beschreiben. Seine Beschwerde wurde vom Befehlshaber des Einsatzführungskommandos zurückgewiesen.
32. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erhob für diesen am beim Truppendienstgericht eine weitere Beschwerde, kündigte deren Begründung an und beantragte dafür Akteneinsicht. Diese wurde ihm am gewährt. Auf Nachfrage des Truppendienstgerichts vom , ob die Begründung noch erfolge, begründete er die Beschwerde am und ergänzte sie am .
4Auf eine Sachstandsanfrage des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom teilte das Truppendienstgericht mit, dass infolge einer Vakanz, des Wechsels des Kammervorsitzenden und der vorrangigen Bearbeitung älterer Verfahren eine Terminierung nicht absehbar sei. Auf eine weitere Sachstandsanfrage vom erklärte es, dass wegen der vertretungsweisen Wahrnehmung eines zusätzlichen Kammervorsitzes und der zahlreichen gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht absehbar sei, wann eine Befassung mit der Sache erfolgen werde.
5Mit Schriftsatz vom rügte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Dauer des Verfahrens und forderte eine unverzügliche Fortsetzung. Am antwortete der Kammervorsitzende, es bleibe nur der Hinweis auf die bekannte Belastungssituation, die sich noch verschärfen dürfte. Abhängig von der vorrangigen Bearbeitung älterer bzw. ebenso dringlicher Verfahren und der Covid-19-Pandemielage sei beabsichtigt, die Kammer im ersten Halbjahr 2022 mit der Sache zu befassen. Am und erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Berufung auf §§ 198 ff. GVG Verzögerungsrügen.
63. Am legte er beim Bundesverwaltungsgericht eine Entschädigungsklage ein. Diese wurde der Beklagten am zugestellt.
74. Mit Beschluss vom hob das Truppendienstgericht die Disziplinarbuße und den Beschwerdebescheid aus formellen Gründen auf, ordnete an, dass der Betrag zu erstatten sei, und ließ die Rechtsbeschwerde zu.
85. Die vom Bundesministerium der Verteidigung am eingelegte Rechtsbeschwerde wies der Senat mit Beschluss vom (2 WRB 3.23) zurück.
96. In dem nach zwischenzeitlicher förmlicher Aussetzung fortgeführten Entschädigungsklageverfahren macht der Kläger geltend, das am anhängig gewordene und am rechtskräftig beendete Ausgangsverfahren habe 66 Monate und 15 Tage gedauert. Dabei sei das fast 61-monatige weitere Beschwerdeverfahren vor dem Truppendienstgericht um knapp 52 Monate überlang gewesen. Denn ein Truppendienstgericht müsse ein Disziplinarbeschwerdeverfahren binnen 9 Monaten erledigen. Es sei einfacher gelagert als ein gerichtliches Disziplinarverfahren. Auch entfalle der Aufwand für eine Hauptverhandlung. Sollte der Senat gleichwohl eine 12-monatige Bearbeitungsdauer für angemessen halten, betrage die ungerechtfertigte Überlänge 49 Monate. Davon sei der Zeitraum bis zur Begründung der weiteren Beschwerde nicht abzuziehen. Denn es gebe keine Begründungspflicht und der Eingangszeitpunkt der Begründung habe keinen Einfluss auf die Verfahrensdauer gehabt, weil die weitere Beschwerde auch danach nicht zeitnah erledigt worden sei. Für jeden Monat ungerechtfertigter Überlänge stehe ihm die gesetzliche Pauschalentschädigung von monatlich 100 € zu.
10Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5 200 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4 900 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
11Die Beklagte beantragt,
die Klage teilweise abzuweisen.
12Sie hat dem Grunde nach eine überlange Verfahrensdauer von 43 Monaten anerkannt und die Höhe der diesbezüglichen Entschädigung in das Ermessen des Senats gestellt. Disziplinarbeschwerdeverfahren seien binnen 12 Monaten zu erledigen. Sie seien nicht üblicherweise einfacher gelagert als gerichtliche Disziplinarverfahren. Für die Unterscheidung sei die Schwere des Dienstvergehens maßgeblich, nicht Art und Umfang der Beweismittel und deren Würdigung. Vielmehr seien in gerichtlichen Disziplinarverfahren tatsächliche Feststellungen in sachgleichen Strafurteilen nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindend oder könnten tatsächliche Feststellungen in sachgleichen Strafbefehlen nach § 84 Abs. 2 WDO zugrunde gelegt werden. Auch ergingen oft Disziplinargerichtsbescheide. Disziplinarbeschwerdeverfahren erforderten zwar regelmäßig keine mündliche Verhandlung, aber eine Beratung mit den ehrenamtlichen Richtern. Bei der Berechnung der Verfahrensüberlänge sei der Zeitraum bis zur Beschwerdebegründung im April 2019 außer Acht zu lassen. Dementsprechend liege eine 43-monatige ungerechtfertigte Überlänge vom bis Ende Oktober 2023 vor. Da es auf die Dauer des Gesamtverfahrens ankomme, sei allerdings eine Kompensation durch das kurze Rechtsbeschwerdeverfahren zu erwägen. Der Pauschalsatz sei zu reduzieren. Denn die Belastung durch die Disziplinarbuße sei geringer als durch eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme. Auch sei in Disziplinarbeschwerdeverfahren die Unsicherheit über den Verfahrensausgang wegen des Verschlechterungsverbots nach § 42 Nr. 6 WDO begrenzt. Die Disziplinarbuße habe zudem unter der Hälfte des Bruttoverdienstes des Klägers gelegen und kein Beförderungshemmnis bewirkt. So seien dem Kläger im Jahr 2020 zwei A15-Verwendungen angeboten worden.
137. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten des truppendienstgerichtlichen Verfahrens Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.
Gründe
14Die Entschädigungsklage, über die gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, hat überwiegend Erfolg.
151. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Entschädigungsklagen bei überlangen Disziplinarprozessen nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO erstreckt sich auf vor den Truppendienstgerichten geführte Disziplinarbeschwerdeverfahren gemäß § 42 Nr. 4 WDO.
16Zwar zählt § 91 WDO nach seiner systematischen Stellung im Dritten Abschnitt ("Das gerichtliche Disziplinarverfahren") des Zweiten Teils der Wehrdisziplinarordnung zum gerichtlichen Disziplinarverfahren. Dieses beginnt mit dem im selben Abschnitt in § 92 WDO geregelten Vorermittlungsverfahren der Wehrdisziplinaranwaltschaft. Demgegenüber sind einfache Disziplinarmaßnahmen und die diesbezügliche Beschwerde im Zweiten Abschnitt ("Die Disziplinarbefugnis der Disziplinarvorgesetzten und ihre Ausübung") des Zweiten Teils geregelt.
17Der Wortlaut des § 91 Satz 3 Halbs. 1 WDO ist jedoch offen für ein Verständnis, dass auch bei einer überlangen Dauer von gerichtlichen Verfahren über einfache Disziplinarmaßnahmen eine Entschädigungsklage beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht werden kann. Denn der Normtext des Satzes 3 nimmt im Unterschied zu Satz 1 der Bestimmung nicht allein auf das Verfahren bei der Verhängung gerichtlicher Disziplinarmaßnahmen Bezug.
18Diese weitere Auslegung ist auch aufgrund der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, ihres verfassungsrechtlichen Zwecks und der Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention geboten. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG fordert u. a. die Gewährung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. - BVerfGE 55, 349 <369>). Art. 6 Abs. 1 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten dazu, ihr Gerichtswesen so einzurichten, dass die Rechtssachen in angemessener Frist entschieden werden können (vgl. EGMR, Urteil vom - Nr. 33379/96, Klein/Deutschland - HUDOC § 42). Art. 13 EMRK verlangt, dass die Konventionsstaaten einen innerstaatlichen Rechtsbehelf vorsehen, damit über eine "vertretbare Rüge" einer Konventionsverletzung der Sache nach entschieden und geeigneter Rechtsschutz gewährt wird (EGMR, Urteil vom - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - HUDOC § 50). Da das deutsche Recht einen solchen Rechtsbehelf in der Vergangenheit nicht vorsah, verpflichtete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik Deutschland, im Einklang mit den Grundsätzen der Konvention einen wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelf oder eine Kombination solcher Rechtsbehelfe einzuführen, mit denen eine angemessene und hinreichende Wiedergutmachung für überlange Verfahren gewährleistet werden kann (EGMR, Urteil vom - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - § 73).
19Dem wurde mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom (BGBl. I S. 2302) Rechnung getragen, mit dem u. a. § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO eingeführt wurde. Mit dem Gesetz sollte die genannte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts zur überlangen Verfahrensdauer und ihren Folgen umgesetzt und die aufgezeigte Rechtsschutzlücke geschlossen werden (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 1; siehe auch BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom - 2 BvE 2/09 u. a. - NVwZ 2013, 1479 <1479 f.>). Der eingeführte Entschädigungsanspruch sollte sich nach dem Willen des Gesetzgebers auf alle Gerichtsverfahren erstrecken (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 2). Dementsprechend wurden gerichtsbarkeitsübergreifend in den einzelnen Verfahrensordnungen Verweisnormen auf die §§ 198 ff. GVG eingeführt, ohne dass sich aus den Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Gesetzgeber Disziplinarbeschwerdeverfahren nach § 42 Nr. 4 WDO von der Möglichkeit einer Entschädigungsklage ausnehmen wollte.
20Eine entsprechende weite Auslegung ist daher nach Sinn und Zweck des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO geboten. Denn eine anderweitige Möglichkeit, eine Entschädigung im Sinne der §§ 198 ff. GVG einklagen zu können, besteht für überlange Disziplinarbeschwerdeverfahren nach § 42 Nr. 4 WDO nicht, da § 23a Abs. 2 WBO ausdrücklich nur für gerichtliche Antragsverfahren und Verfahren nach den §§ 22a, 22b WBO, nicht aber für Disziplinarbeschwerden nach § 42 Nr. 4 WDO gilt. Auch verweist § 42 Nr. 4 WDO nur für das gerichtliche Verfahren der weiteren Beschwerde, nicht für die Entschädigungsklage auf die Wehrbeschwerdeordnung. Soweit der Senat in der Vergangenheit § 23a Abs. 2 WBO in Disziplinarbeschwerdeverfahren angewandt hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 WNB 2.10 - juris Rn. 5 und vom - 2 WRB 2.12 - juris Rn. 15), hält er daran nicht länger fest.
212. Die Entschädigungsklage ist zulässig.
22a) Sie ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (vgl. 2 WA 1.17 D - NJW 2019, 320 Rn. 15).
23b) Die Wartefrist gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist gewahrt. Die Entschädigungsklage wurde mit der Zustellung an die Beklagte am rechtshängig (§ 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 90 Satz 2 VwGO). Dies war mehr als 6 Monate nach der ersten wirksamen Verzögerungsrüge.
24Diese ist bereits im Schriftsatz vom zu sehen. Denn für die Frage, ob eine Erklärung eine Verzögerungsrüge darstellt, ist nicht der innere Wille des erklärenden Beteiligten maßgebend, sondern der erklärte Wille, wie ihn das Ausgangsgericht bei objektiver Würdigung unter Berücksichtigung aller erkennbarer Umstände des Einzelfalls zu verstehen hat. Dabei sind an den Inhalt einer Verzögerungsrüge keine hohen Anforderungen zu stellen. Der Betroffene muss lediglich zum Ausdruck bringen, dass er mit der Verfahrensdauer nicht einverstanden ist. Er muss nicht begründen, aus welchen Umständen sich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer ergibt und welche Alternativen zur Verfahrensgestaltung in Betracht kommen (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 21). Eine ausdrückliche Bezeichnung als "Verzögerungsrüge" ist nicht erforderlich (vgl. - juris Rn. 31). Diesen Anforderungen wird bereits der Schriftsatz vom gerecht, mit dem die Verfahrensdauer gerügt und eine unverzügliche Fortsetzung des Verfahrens verlangt wurde.
25Diese Verzögerungsrüge war auch wirksam. Eine Verzögerungsrüge kann gemäß § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht binnen angemessener Zeit abgeschlossen wird. "Anlass zur Besorgnis" im Sinne des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG besteht, wenn ein Verfahrensbeteiligter erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Ausgangsverfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt, sich folglich die konkrete Möglichkeit einer Verzögerung abzeichnet ( 2 WA 1.17 D - NJW 2019, 320 Rn. 21 f. m. w. N.; - NJW 2021, 859 LS 2). Danach bestand am ein berechtigter Anlass zur Besorgnis im Sinne des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG. Denn das weitere Beschwerdeverfahren beim Truppendienstgericht dauerte zu diesem Zeitpunkt mehr als 3 Jahre an, ohne dass es nennenswert gefördert worden war. Zwei Sachstandsanfragen vom und vom waren unergiebig gewesen. Damit lagen Umstände vor, die bei einem vernünftigen Verfahrensbeteiligten die Besorgnis entstehen lassen durften, dass das Verfahren nicht binnen angemessener Zeit entschieden werden würde.
26Unerheblich für die Einhaltung der Wartefrist gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist, dass der Kläger am und am weitere Verzögerungsrügen erhoben hat und die Entschädigungsklage weniger als 6 Monate nach der letzten Verzögerungsrüge rechtshängig wurde. Denn im Fall wiederholter Verzögerungsrügen ist für die Wahrung der Wartefrist der Zeitraum zwischen der ersten wirksamen Verzögerungsrüge und der Erhebung der Entschädigungsklage maßgebend (vgl. - juris Rn. 20 und - juris Rn. 69 f.). Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Frist soll dem Gericht des Ausgangsverfahrens hinreichend Zeit geben, auf die Verzögerungsrüge zu reagieren und das Verfahren so zu fördern, dass es in angemessener Zeit beendet werden kann (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 22). Dieser Zweck wird bereits durch ein Abwarten der durch die erste Verzögerungsrüge ausgelösten Wartefrist erfüllt.
27c) Die Klagefrist gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ist ebenfalls eingehalten, weil die Entschädigungsklage nicht später als 6 Monate nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses des Truppendienstgerichts erhoben worden ist. Unschädlich ist, dass dies vor Beendigung des Ausgangsverfahrens geschah (ebenso B 10 ÜG 1/23 R - juris Rn. 18; - juris Rn. 20; - NJW 2014, 939 Rn. 29). Dies folgt insbesondere aus § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG, wonach das Entschädigungsgericht das Entschädigungsklageverfahren aussetzen kann, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 GVG abhängt, noch andauert (siehe zudem BT-Drs. 17/3802 S. 22).
28d) Der Kläger ist schließlich auch rechtsschutzbedürftig. Er hat keine ausreichende Wiedergutmachung auf andere Weise im Sinne der § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 2 Satz 3, § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG erhalten. Denn die Dauer des Disziplinarverfahrens wurde nicht schon bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme berücksichtigt (vgl. 2 WA 2.17 D - BVerwGE 159, 366 LS 2). Vielmehr wurde die Disziplinarbuße aufgehoben ohne dass die Verfahrensdauer Berücksichtigung finden konnte. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt ferner nicht deshalb, weil der Kläger - was in Betracht zu ziehen ist (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 22) - sein Entschädigungsbegehren vor der Klageerhebung nicht zunächst gegenüber der Beklagten als haftender Rechtsträgerin (vgl. 2 WA 1.17 D - NJW 2019, 320 Rn. 20) geltend gemacht hat (vgl. - NVwZ 2018, 909 Rn. 17 m. w. N.).
293. Die Klage ist überwiegend begründet.
30a) Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung wegen einer unangemessenen Dauer des Disziplinarbeschwerdeverfahrens vor dem Truppendienstgericht in Höhe von 4 100 €.
31aa) Die Begrenzung der Entschädigungsklage auf eine von mehreren Instanzen ist nach der Dispositionsmaxime zulässig, auch wenn der materiell-rechtliche Bezugsrahmen gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG das Gerichtsverfahren von der Einleitung - hier von der Erhebung der weiteren Beschwerde am - bis zum rechtskräftigen Abschluss - hier dem die Rechtsbeschwerde zurückweisenden Senatsbeschluss vom - bleibt (vgl. 5 C 1.13 D - NVwZ 2014, 1523 LS 1 und Rn. 11 ff.).
32bb) Nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG kann jeder Verfahrensbeteiligte, der infolge einer unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet, eine angemessene Entschädigung beanspruchen. Das Ausgangsverfahren weist nach den Kriterien des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG eine ungerechtfertigte Überlänge von 41 Monaten auf.
33Ob die Verfahrensdauer unangemessen ist, bemisst sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens, dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter, sowie unter Berücksichtigung der Prozessförderung des Gerichts, ohne dass feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungs- bzw. Anhaltswerte zugrunde zu legen wären (vgl. 2 WA 1.17 D - NJW 2019, 320 Rn. 26 m. w. N.). Da der Bezugsrahmen für die Beurteilung der Angemessenheit die Gesamtverfahrensdauer ist, bewirken Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer. Vielmehr ist im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu prüfen, ob Verzögerungen in einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (vgl. 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 44; - NJW 2014, 220 Rn. 30).
34(1) Das Ausgangsverfahren wies eine durchschnittliche Schwierigkeit auf. In tatsächlicher Hinsicht war es unterdurchschnittlich schwer. Denn die Vorwürfe waren überschaubar und unstreitig. Demgegenüber war es in rechtlicher Hinsicht leicht überdurchschnittlich schwer. Denn der Fall warf zwei ungeklärte Rechtsfragen auf, die geklärt werden mussten (vgl. 2 WRB 3.23 - juris Rn. 16 ff.).
35(2) Auch die Bedeutung der Sache für den Kläger lag im mittleren Bereich. Denn das Verfahren war nicht mit einem Förderungshemmnis verbunden und die Disziplinarbuße war mit 2 500 € für den nach der Besoldungsgruppe A14 besoldeten Kläger zwar nicht existenzbedrohend, aber auch nicht unerheblich.
36(3) Unter Berücksichtigung allein dieser Umstände hätte das Truppendienstgericht das Verfahren im regulären Geschäftslauf an sich binnen eines Jahres, d. h. bis zum , erledigen müssen. Dass es dies nicht getan hat, lag ausweislich seiner Antworten auf die Sachstandsanfragen vom und vom und auf die Verzögerungsrüge vom sowie nach einem Schreiben der Vorsitzenden der Truppendienstkammer an den Gerichtspräsidenten vom an einer infolge einer längeren Vakanz und der diesbezüglichen Vertretungstätigkeit eingetretenen Überlastungssituation. Verzögerungszeiten, die der hohen Belastung der Truppendienstgerichtskammern durch Doppelbelastungen infolge der vertretungsweisen zusätzlichen Übernahme unbesetzter Stellen und damit strukturellen Mängeln geschuldet sind, sind dem Staat zuzurechnen und rechtfertigen es nicht, einen Soldaten länger als nötig den Belastungen eines Disziplinarbeschwerdeverfahrens auszusetzen (vgl. 2 WA 2.17 D - BVerwGE 159, 366 Rn. 14).
37(4) Allerdings ist dem Truppendienstgericht eine um 4 Monate längere Bearbeitungszeit, d. h. bis zum , zuzubilligen, weil sich der Kläger mit der angekündigten Begründung seiner weiteren Beschwerde übermäßig viel Zeit gelassen hat. Er hatte für die Begründung um Akteneinsicht gebeten, die ihm am gewährt wurde. An sich wäre zu erwarten gewesen, dass er daraufhin die Beschwerde binnen 6 Wochen, d. h. bis zum abschließend begründet. Tatsächlich hat er die Begründung erst am vorgelegt und am ergänzt. Diese rund 4-monatige Verzögerung ist dem Kläger anzulasten. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Truppendienstgericht bei einer früheren Beschwerdebegründung das Verfahren entsprechend eher zum Abschluss gebracht hätte.
38(5) Die verbleibende rund 45-monatige Überlänge des truppendienstgerichtlichen Verfahrens vom bis zum wird im Umfang von 4 Monaten dadurch kompensiert, dass das bei der Gesamtverfahrensdauer zu berücksichtigende Rechtsbeschwerdeverfahren unterdurchschnittlich lang gedauert hat. Bei isolierter Betrachtung wäre aus den genannten Gründen eine Entscheidung über die Rechtsbeschwerde an sich ebenfalls binnen 12 Monaten angemessen gewesen. Allerdings haben die Gerichte stets die Gesamtdauer des Verfahrens in den Blick zu nehmen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. - juris Rn. 12 m. w. N.). Daher kann eine mehrjährige ungerechtfertigte Verfahrensüberlänge in der ersten Instanz des Ausgangsverfahrens es rechtfertigen, die dem Obergericht normalerweise zuzubilligende Bearbeitungsdauer zu kürzen (vgl. B 10 ÜG 7/14 R - juris LS 1). Ausgehend davon war es angesichts der sehr langen erstinstanzlichen Verfahrensdauer geboten, das Rechtsbeschwerdeverfahren statt in 12 in 9 Monaten zu erledigen. Tatsächlich wurde es binnen knapp 5 Monaten abgeschlossen, also 4 Monate schneller als zu erwarten.
39cc) Für die ungerechtfertigte Verfahrensüberlänge von 41 Monaten kann der Kläger von der Beklagten eine Entschädigung von 4 100 € beanspruchen.
40(1) Denn er hat durch die überlange Verfahrensdauer einen immateriellen Nachteil im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG erlitten. Nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem immateriellen Nachteil geführt hat ( - NJW 2017, 2478 Rn. 21). Davon kann hier ungeachtet des fehlenden Beförderungshemmnisses während des Verfahrens mit Blick auf die durch die erhebliche Dauer des Ausgangsverfahrens, die Art des Vorwurfs und den nicht unerheblichen Betrag der Disziplinarbuße ausgelösten psychischen Belastungen nicht ausgegangen werden.
41(2) Eine Entschädigung entfällt, soweit nach den Umständen des Einzelfalles eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine anderweitige Wiedergutmachung ist insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, möglich. Ob eine solche Feststellung genügt, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles (vgl. 5 C 27.12 D - juris Rn. 48 m. w. N.).
42Hier ergibt eine Einzelabwägung, dass schon wegen des Ausmaßes von 41 Monaten und des Hintergrundes der Unangemessenheit der Verfahrensdauer (struktureller Mangel) eine bloße Feststellung der unangemessenen Dauer nicht genügt, um das jahrelange Warten des Klägers auf eine endgültige Entscheidung wieder gut zu machen (vgl. B 10 ÜG 7/14 R - juris Rn. 45).
43(3) Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sind die durch die unangemessene Verfahrensdauer erlittenen immateriellen Nachteile in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Mit dieser Pauschalierung sollen Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung, die eine zusätzliche und unnötige Belastung für die Gerichte bedeuten würden, vermieden und zugleich eine zügige Erledigung der Entschädigungsansprüche im Interesse der Betroffenen ermöglicht werden, wobei hinsichtlich der Berechnungszeiträume unter einem Jahr eine zeitanteilige Berechnung erfolgt (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 20). Danach steht dem Kläger eine Entschädigung von 4 100 € (41 Monate x 100 €) zu.
44Zwar kann das Gericht nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Pauschalbetrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Im Hinblick auf den eine Verfahrensvereinfachung anstrebenden Gesetzeszweck ist das Entschädigungsgericht aber nur in Ausnahmefällen gehalten, aus Billigkeitserwägungen von dem normierten Pauschalsatz abzuweichen (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 20). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Er folgt nicht schon daraus, dass der Entschädigungsbetrag von 4 100 € die Höhe der im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Disziplinarbuße von 2 500 € deutlich übersteigt. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG bietet keine Grundlage für eine grundsätzliche Kappung der Entschädigung auf den Betrag des Streitwerts der Hauptsache. Eine Begrenzung dieser Art ist im Gesetz nicht angelegt. Auch die abstrakte Gefahr eines Missbrauchs rechtfertigt danach keinen Rechtssatz, der den Entschädigungsbetrag bei geringen Streitwerten im Grundsatz auf das mit dem Ausgangsverfahren verfolgte finanzielle Interesse begrenzt. Mehr als ausnahmsweise Korrekturen in atypischen Sonderfällen lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen (vgl. B 10 ÜG 11/13 R - juris Rn. 37 ff.).
45b) Der Kläger hat gegen die Beklagte ferner einen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem .
46Nach dem entsprechend anwendbaren § 291 Satz 1 BGB hat der Schuldner eine Geldschuld vom Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen; wird die Schuld erst später fällig, ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen.
47Der Entschädigungsanspruch wurde erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Rechtsbeschwerdeverfahrens am fällig. Erst dann stand fest, ob und in welchem Umfang ein Entschädigungsanspruch in Geld besteht und ob eine Wiedergutmachung auf andere Weise im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG im Rahmen der Maßnahmebemessung erfolgte. Denn im Wehrdisziplinarverfahren ist wie im Strafprozess eine verfahrensinterne Kompensation durch Reduzierung der Disziplinarmaßnahme möglich ( 2 WA 2.17 D - BVerwGE 159, 366 Rn. 22 ff.). Daher ist im Fall der Erhebung einer Entschädigungsklage vor Abschluss eines gerichtlichen Straf- bzw. Wehrdisziplinarverfahrens das Entschädigungsklageverfahren - wie durch den Senatsbeschluss vom (2 WA 5.23) geschehen - nach § 201 Abs. 3 Satz 2 GVG auszusetzen, solange das Ausgangsverfahren nicht abgeschlossen ist (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 25).
48Der Lauf des Zinsanspruchs beginnt entsprechend § 187 Abs. 1 BGB an dem auf die Fälligkeit folgenden Tag. Analog § 291 Satz 2 i. V. m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB beträgt der Zinssatz für das Jahr 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
494. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie entspricht dem Obsiegens- bzw. Unterliegensanteil des Klägers bezogen auf einen Streitwert von 5 200 €. Ein sofortiges Teilanerkenntnis der Beklagten im Sinne des § 156 VwGO liegt nicht vor, weil die Beklagte keinen bestimmten Geldbetrag, sondern nur dem Grunde nach eine überlange Verfahrensdauer anerkannt und die Höhe der Entschädigungssumme in das Ermessen des Senats gestellt hat. Eine Billigkeitsentscheidung nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 201 Abs. 4 GVG ist nicht zu treffen, da zwar ein Entschädigungsanspruch nicht in der geltend gemachten Höhe besteht, jedoch eine Feststellung nach § 198 Abs. 4 GVG nicht ausgesprochen worden ist ( - NVwZ 2018, 909 Rn. 42; - NJW 2014, 220 Rn. 50).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:280824U2WA1.24.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-78205