BVerfG Urteil v. - 2 BvR 1134/24

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der Rechtsschutzgarantie bei Verwerfung einer Rechtsbeschwerde als unzulässig trotz ins Auge springender Grundrechtsverletzung in der Erstinstanz - hier: erfolgreiche Verfassungsbeschwerde bzgl der Versagung von Rechtsschutz gegen eine Verlegung des inhaftierten Beschwerdeführers von einer sozialtherapeutischen Anstalt in eine Justizvollzugsanstalt unter Verletzung von Verfahrensrechten - Gegenstandswertfestsetzung

Gesetze: § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 118 Abs 2 S 2 StVollzG, § 116 StVollzG, § 118 Abs 1 StVollzG

Instanzenzug: Az: III-1 Vollz 99/24 Beschlussvorgehend LG Bochum Az: V StVK 47/24 Vollz Beschluss

Gründe

1 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anordnung seiner Verlegung aus einer Sozialtherapeutischen Anstalt in eine Justizvollzugsanstalt.

2 1. Er verbüßt eine sechsjährige Freiheitsstrafe. Als Endstrafenzeitpunkt ist der notiert. Nachdem er zunächst in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen inhaftiert war, befand er sich seit dem in einer Sozialtherapeutischen Anstalt. Dort absolvierte er seit dem eine Ausbildung zum Betriebselektroniker.

3 2. Mit mündlicher Verfügung vom teilte die Sozialtherapeutische Anstalt dem Beschwerdeführer in der Vollzugsplankonferenz mit, dass seine Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen zum beabsichtigt sei, woraufhin er sich mit einem Eilantrag und einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom an das Landgericht Bochum wandte. Er begehrte die Aussetzung des Vollzugs der Verlegungsentscheidung im Zuge des einstweiligen Rechtsschutzes sowie in der Hauptsache deren Aufhebung.

4 3. Das Landgericht forderte die Sozialtherapeutische Anstalt zur Stellungnahme bis zum um 12:00 Uhr auf. Nachdem keine Stellungnahme eingegangen war, setzte das den Vollzug der Verlegungsentscheidung bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache aus.

5 4. Die Sozialtherapeutische Anstalt teilte dem Landgericht in der Folge mit, dass die Aufforderung zur Stellungnahme im Eilverfahren dort erst am gegen 14:00 Uhr eingegangen sei und legte sodann in ihrer Stellungnahme im Hauptsacheverfahren vom die Gründe für die Verlegungsentscheidung im Einzelnen dar.

6 5. Das Landgericht übermittelte dem Beschwerdeführer diese Stellungnahme mit Schreiben vom und gab Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme binnen fünf Tagen nach Zugang des Aufforderungsschreibens, das ihm am selben Tag per Fax zuging.

7 6. In einer Stellungnahme vom , die am um 00:18 Uhr beim Landgericht per Fax einging, machte der Beschwerdeführer geltend, die Stellungnahmefrist sei zu kurz, um der im Hauptsacheverfahren erforderlichen Sachaufklärung gerecht zu werden. Er führte im Einzelnen aus, dass er entgegen der Darstellung der Sozialtherapeutischen Anstalt sehr wohl therapiewillig und -fähig sei und dass der mit der Verlegung verbundene Ausbildungsabbruch ihn in seinem Resozialisierungsrecht verletze. Bei der Verlegungsentscheidung sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass er vornehmlich von einer Einzeltherapeutin betreut worden und der zweite wichtige Behandlungsansatz eine Therapiegruppe gewesen sei. Weder die Einzeltherapeutin noch der Leiter der Therapiegruppe hätten eine Stellungnahme abgegeben. Anders als in ihrer Stellungnahme vom , die dem Schriftsatz der Sozialtherapeutischen Anstalt vom beigelegt worden sei, sei die Abteilungspsychologin in ihrem Fachbeitrag vom für die Vollzugsplankonferenz noch zusammenfassend auf die Einschätzungen der beiden genannten Personen eingegangen. Der Leiter der Therapiegruppe werde dort dahingehend zitiert, dass beim Beschwerdeführer relevante Veränderungsprozesse nur langfristig zu erwarten seien. Im Rahmen der Gruppenbehandlung könne nur kleinschrittig gearbeitet werden. Die Psychologin habe berichtet, sie erlebe ihn als verunsichert und mutlos, was dringend einer weiteren therapeutischen Bearbeitung bedürfe. Er habe bereits begonnen, sich mit Aspekten seiner Täterpersönlichkeit auseinanderzusetzen. Diese Äußerungen habe die Sozialtherapeutische Anstalt dem Landgericht vorenthalten.

8 7. Mit Beschluss vom wies das Landgericht Bochum den Antrag auf gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache zurück, ohne auf die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom einzugehen.

9 8. In einem am unterzeichneten Vermerk, der dem Beschwerdeführer übermittelt wurde, hielt die Strafvollstreckungskammer fest, dass ihr die Stellungnahme vom erst am heutigen Tage vorgelegt worden sei und daher bei Erlass des Beschlusses vom nicht habe berücksichtigt werden können. Der zuständige Richter habe sich vor Erlass des Beschlusses auf der Geschäftsstelle erkundigt, ob eine Stellungnahme eingegangen sei, was verneint worden sei. Die fünftägige Frist sei zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen und kein Fristverlängerungsantrag gestellt worden.

10 9. Gegen den Beschluss vom wandte sich der Beschwerdeführer mit einer Rechtsbeschwerde und einem Eilrechtsschutzantrag vom an das Oberlandesgericht Hamm. Er schilderte kurz den Verfahrensgang und legte insbesondere dar, dass das Landgericht seinen Schriftsatz vom unberücksichtigt gelassen habe. Zum Inhalt des Schriftsatzes gab er an, ausgeführt zu haben, dass es sich − unter Protest gegen die kurze Stellungnahmefrist und unter nachdrücklichem Hinweis auf die Sachaufklärungspflicht des Gerichts − nur um eine vorläufige Stellungnahme handele. Unabhängig von weiteren Verstößen gegen höchstrichterliche Rechtsprechung, zu der er noch weiter vortragen werde, sei die Entscheidung schon aufgrund des Anhörungsverstoßes (Art. 103 Abs. 1 GG) offensichtlich rechtswidrig.

11 10. Auf eine Hinweisverfügung des in der mitgeteilt wurde, dass entgegen der Ankündigung im Schreiben vom kein weiterer Schriftsatz eingegangen sei, trug der Beschwerdeführer in zwei Schreiben vom 14. und ergänzend zu den von ihm behaupteten Rechtsverstößen vor.

12 11. Mit Beschluss vom verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als unzulässig.

13 Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rüge, sei die Rechtsbeschwerde nicht der Formvorschrift des § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG entsprechend erhoben. Eine Verfahrensrüge sei nur dann in zulässiger Form erhoben, wenn die den Mangel enthaltenden Tatsachen mit Bestimmtheit und so genau und vollständig angegeben würden, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Beschwerdebegründung ohne Rückgriff auf die Akten oder sonstige Unterlagen prüfen könne, ob ein Verfahrensfehler vorliege. Im Falle der Gehörsrüge sei neben der Darstellung der Tatsache, zu der das Landgericht kein rechtliches Gehör gewährt haben solle, auch die Darlegung erforderlich, ob und inwieweit das missachtete Vorbringen entscheidungserheblich gewesen sei. Daran fehle es hier. Der Beschwerdeführer trage vor, dass das Landgericht die der Rechtsbeschwerdeschrift als Anlage beigefügte Stellungnahme vom bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt habe. Es fehle jedoch ein Vorbringen zum Inhalt dieser Stellungnahme. Dieses Vorbringen könne nicht durch die Bezugnahme auf die Anlage ersetzt werden. Eine Bezugnahme auf beigefügte Schriftstücke bedeute eine Umgehung der Formvorschrift des § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, wenn erst durch die Kenntnisnahme vom Inhalt der Anlagen die erforderliche geschlossene Sachverhaltsdarstellung erreicht werde.

14 12. Der Beschwerdeführer erhob am eine Anhörungsrüge, die vom als unzulässig verworfen wurde.

15 1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden ist, macht der Beschwerdeführer Verletzungen seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Recht auf Resozialisierung), Art. 19 Abs. 4 GG (Rechtsschutzgarantie) und Art. 103 Abs. 1 GG (Recht auf rechtliches Gehör) geltend.

16 Der Beschluss des Oberlandesgerichts verletze seinen Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG. Das Gericht habe die Überprüfung der Entscheidung des Landgerichts nicht mit einem bloßen Hinweis auf formale Zulässigkeitserfordernisse versagen dürfen. Dies betreffe insbesondere die Verfahrensrüge mit Blick auf die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Mit der Rechtsbeschwerde sei ausführlich dargelegt worden, dass das Landgericht die Stellungnahme vom nicht berücksichtigt habe. Anders als in Fallgestaltungen, in denen es der detaillierten Darlegung des Verfahrensverstoßes und seiner Kausalität für die angefochtene Entscheidung bedürfe, weil andernfalls eine Beachtung grundsätzlicher Verfahrensprinzipien durch das Landgericht nicht in Zweifel stehe, stelle sich die Situation in Fällen wie dem vorliegenden dar, in denen der Verstoß klar zutage trete, indem sein Vorbringen vollständig und ausdrücklich unberücksichtigt bleibe (mit Verweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1111/13 -, Rn. 51). Aus der in Bezug genommenen verfassungsgerichtlichen Entscheidung folge, dass das Oberlandesgericht die gerichtliche Überprüfung nicht rein formalistisch unter Hinweis darauf habe zurückweisen dürfen, dass der Vortrag nicht noch einmal im Einzelnen wiederholt worden sei, weil der Verstoß − wie hier − schon unabhängig von diesem konkreten Inhalt gegeben sei. Ohne weitere Darlegung von Details sei aus der Rechtsbeschwerdeschrift eindeutig erkennbar gewesen, dass das Landgericht den Vortrag der Sozialtherapeutischen Anstalt seiner Entscheidung ungeprüft zugrunde gelegt habe, was es nach verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht dürfe. Es sei auch erkennbar gewesen, dass der Beschwerdeführer das Tatsachenvorbringen der Sozialtherapeutischen Anstalt jedenfalls in irgendeiner Hinsicht bestritten habe, denn er habe darauf hingewiesen, dass das Landgericht seine Sachaufklärungspflicht verletzt habe.

17 2. Das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen hat von der Abgabe einer Stellungnahme abgesehen.

18 3. Die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

19 Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Nach Maßgabe dieser Entscheidungen ist die Verfassungsbeschwerde teilweise zulässig (1.) und insoweit in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) offensichtlich begründet (2.).

20 1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf Resozialisierung geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, denn sie genügt insoweit nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Substantiierungsanforderungen. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

21 2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, offensichtlich begründet.

22 a) Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt den Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

23 aa) Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 <220>; 21, 191 <194>; 42, 364 <367 f.>; 46, 315 <319>; 96, 205 <216>; 105, 279 <311>; stRspr). Ein vom Bundesverfassungsgericht festzustellender Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen wurde (vgl. BVerfGE 22, 267 <274>; 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <144 ff.>; stRspr). Art. 103 Abs. 1 GG verlangt, dass alle eingereichten Schriftsätze zur Kenntnis genommen werden, soweit das Vorbringen nicht ausnahmsweise aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts außer Betracht bleiben kann (vgl. BVerfGE 63, 80 <85>; BverfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom  - 1 BvR 544/86 -, juris, Rn. 14). Ob die Ursache für die Nichtberücksichtigung eines ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsatzes in einem Versehen der Geschäftsstelle oder in anderen Umständen liegt, ist dabei unerheblich. Das Gericht ist insgesamt dafür verantwortlich, dass das Gebot des rechtlichen Gehörs eingehalten wird (vgl. BVerfGE 40, 101 <105>; 46, 185 <187 f.>; 48, 394 <395 f.>; 50, 381 <385>; 53, 219 <222 f.>; BverfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom  - 1 BvR 544/86 -, juris, Rn. 13). Auf ein Verschulden kommt es insoweit nicht an (vgl. BVerfGE 34, 344 <347>; 46, 185 <188>; 50, 381 <385>; 53, 219 <223>; 60, 120 <123>; 62, 347 <352>; 67, 199 <202>; stRspr). Zu einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidung führt ein Gehörsverstoß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließlich nur, wenn diese auf dem Verstoß beruht (vgl. BVerfGE 7, 239 <241>; 13, 132 <145>; 52, 131 <152 f.>; 89, 381 <392 f.>; stRspr).

24 bb) Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht, da der Schriftsatz des Beschwerdeführers vom nicht berücksichtigt wurde, obwohl er bei Gericht eingegangen war, bevor die angegriffene Entscheidung vom getroffen wurde.

25 Dabei ist es unerheblich, dass der Schriftsatz vom erst wenige Minuten nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Stellungnahmefrist einging, die am Montag, dem , um 24:00 Uhr endete, denn das Strafvollzugsgesetz enthält insoweit keine Präklusionsvorschriften. Das Gericht war nach den oben genannten Maßstäben im vorliegenden Fall daher verpflichtet, das Vorbringen des Beschwerdeführers zu beachten (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom  - 1 BvR 544/86 -, juris, Rn. 13 f.).

26 cc) Der Gehörsverstoß wurde auch nicht durch den Beschluss des Oberlandesgerichts über die Rechtsbeschwerde geheilt. Grundsätzlich ist eine Heilung zwar möglich, wenn das rechtliche Gehör im Rechtsmittelzug gewährt wird und das Rechtsmittelgericht in der Lage ist, das Vorbringen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 5, 22 <24>). Vorliegend hat das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde jedoch als unzulässig verworfen, ohne in der Sache erneut zu entscheiden und das Vorbringen des Beschwerdeführers dabei zu berücksichtigen.

27 dd) Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts beruht auch auf dem Gehörsverstoß, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn es dessen Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hätte (vgl. BVerfGE 62, 392 <396>; 89, 381 <392 f.>). Insbesondere liegt es angesichts der vom Beschwerdeführer angeführten Stellungnahmen seiner Einzeltherapeutin und des Leiters der Therapiegruppe, die in die Verlegungsentscheidung nicht einbezogen wurden und nach dem Vortrag des Beschwerdeführers die negative Prognose der Sozialtherapeutischen Anstalt nicht teilten, nahe, dass das Landgericht den Sachverhalt hätte weiter aufklären müssen.

28 b) Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

29 aa) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Die Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz sicherzustellen (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>). Dazu gehört, dass die Rechtsmittelgerichte ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Rechtssuchenden „leerlaufen“ lassen dürfen. Der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; stRspr). Formerfordernisse dürfen nicht weitergehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt (vgl. BVerfGE 88, 118 <125>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 987/11 -, Rn. 33).

30 bb) Mit der Annahme, die Rechtsbeschwerde sei nicht der Formvorschrift des § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG entsprechend erhoben, weil der Beschwerdeführer zum Inhalt des vom Landgericht nicht berücksichtigten Schriftsatzes vom auf diesen verwiesen und zur Entscheidungserheblichkeit dieses Vortrags für die Entscheidung des Landgerichts in der Rechtsbeschwerdeschrift nichts vorgetragen habe, hat das Oberlandesgericht die Anforderungen an die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde überspannt. Die Rechtsbeschwerde war aufgrund des besonders schweren Verfahrensfehlers der Versagung rechtlichen Gehörs durch das Landgericht, der nach der fachgerichtlichen ständigen Rechtsprechung neben den in § 116 Abs. 1 StVollzG genannten Gründen einen weiteren Zulässigkeitsgrund darstellt (vgl. Vollz -, juris, Rn. 9 mit Verweis u.a. auf  -, juris, Rn. 8; -, juris, Rn. 12;  III-1 Vollz [Ws] 236/17 -, juris, Rn. 5; Euler, in: BeckOK Strafvollzugsrecht Bund, § 116 StVollzG Rn. 6 ), zuzulassen, ohne dass der Beschwerdeführer hätte weiter darlegen müssen, was er bei Gewährung des rechtlichen Gehörs inhaltlich vorgetragen hätte und inwieweit dieser Vortrag entscheidungserheblich gewesen wäre.

31 Zwar dürfte die Beschwerdeschrift die vom Oberlandesgericht dargestellten einfachgesetzlichen Voraussetzungen des § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nicht erfüllen. Allerdings gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Verwerfung einer Rechtsbeschwerde als unzulässig trotz einer ins Auge springenden Grundrechtsverletzung das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1111/13 -, Rn. 46).

32 So liegt es hier. Das vollständige Übergehen des Vortrags des Beschwerdeführers stellt einen derart offensichtlichen und schwerwiegenden Mangel dar, dass er dem Oberlandesgericht trotz des äußerst knappen Vortrags in der Rechtsbeschwerdeschrift ins Auge hätte springen müssen. Aus der Rechtsbeschwerde ergibt sich, dass dem Landgericht bei seiner Entscheidung lediglich die Stellungnahme der Sozialtherapeutischen Anstalt vorlag, in der detaillierte Ausführungen zur Verlegungsentscheidung gemacht wurden. Da es fernliegend ist, dass der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom , dessen Nichtbeachtung er rügt, diesen Ausführungen nicht entgegengetreten ist, erscheint es hier mit Blick auf die Wertungen des Art. 19 Abs. 4 GG überzogen, vom Beschwerdeführer zu verlangen, im Einzelnen darzulegen, welche Argumente die Entscheidung des Landgerichts inwiefern hätten beeinflussen können. Es liegt auf der Hand, dass das Landgericht bei Beachtung des Vortrags des Beschwerdeführers jedenfalls nicht − wie geschehen − im Hinblick auf die Begründung der Verlegungsentscheidung allein auf den Vortrag der Sozialtherapeutischen Anstalt hätte abstellen können.

33 c) Vor dem Hintergrund des festgestellten Verfassungsverstoßes kann offenbleiben, ob die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer auch in weiteren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzen.

34 d) Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 7,99 <109>; stRspr).

35 1. Gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG sind die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht Bochum zurückzuverweisen.

36 2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

37 3. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20241016.2bvr113424

Fundstelle(n):
BAAAJ-78027