Datenschutz - Schadenersatz - Überwachung durch Detektei
Leitsatz
Lässt ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit durch eine Detektei überwachen und dokumentiert diese dabei den sichtbaren Gesundheitszustand des Arbeitnehmers, handelt es sich um die Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung.
Gesetze: Art 9 Abs 1 EUV 2016/679, Art 4 Nr 15 EUV 2016/679, Art 9 Abs 2 Buchst b EUV 2016/679, § 26 Abs 3 BDSG 2018, § 22 Abs 2 BDSG 2018, Art 82 Abs 1 EUV 2016/679
Instanzenzug: ArbG Krefeld Az: 4 Ca 566/22 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 12 Sa 18/23 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten noch über einen Anspruch des Klägers auf immateriellen Schadenersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen dessen von der Beklagten veranlassten Überwachung durch Privatdetektive.
2Der Kläger war seit dem zunächst bei Rechtsvorgängerinnen der Beklagten und dann bei dieser in verschiedenen Positionen im Vertrieb beschäftigt. Er war im Außendienst tätig und arbeitete im Übrigen in seinem Wohnhaus in B (Homeoffice). Im Jahr 2017 wollte eine Rechtsvorgängerin der Beklagten das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung beenden, die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte jedoch Erfolg. Die Beklagte bot dem Kläger dann eine Stelle als Account Manager für die Region Süd an und lud ihn zu einem Gespräch am ein. Dieses Gespräch sagte der Kläger unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am ab. Im Oktober 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen mit Wirkung zum . Das Arbeitsgericht B stellte rechtskräftig fest, dass auch diese Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.
3Daraufhin erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom eine Änderungskündigung zum . Dem Kläger wurde in diesem Rahmen angeboten, das Arbeitsverhältnis ab dem auf der Position des Account Managers für die Region Süd fortzusetzen. Als Arbeitsort war das Competence Center Süd in O (Baden-Württemberg) vorgesehen. Die Beklagte bot eine finanzielle Unterstützung für den erforderlichen Umzug an.
4Mit Schreiben vom nahm der Kläger das Änderungsangebot unter Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an. Seine Änderungsschutzklage blieb erfolglos. Die Beklagte forderte den Kläger auf, die Tätigkeit als Account Manager ab dem in O aufzunehmen. Mit E-Mail vom entschuldigte sich der Kläger aus gesundheitlichen Gründen und stornierte ein kurz zuvor gebuchtes Hotelzimmer.
5Die tatsächliche Arbeitsaufnahme erfolgte am . In der Folgezeit kam es zu Differenzen zwischen den Parteien darüber, ob die dem Kläger übertragenen Aufgaben vertragsgemäß waren. Am fand eine ergebnislose Auseinandersetzung des Klägers mit der Geschäftsführung der Beklagten hinsichtlich der Frage, welche Tätigkeiten er in den vorherigen Wochen verrichtet habe, statt. Mit Schriftsatz vom klagte der Kläger gegen die Beklagte vor dem Arbeitsgericht M auf vertragsgemäße Beschäftigung. Er werde mit minderwertigen, nicht dem Änderungsangebot entsprechenden Aufgaben und Zuständigkeiten beschäftigt.
6Mit E-Mail vom teilte der privat krankenversicherte Kläger dem Geschäftsführer der Beklagten um 14:30 Uhr seine Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer „außerhalb der Arbeitszeit“ an diesem Tag erlittenen Verletzung mit. Die entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom selben Tag erstreckt sich auf die Zeit bis zum . Sie wurde von einer Fachärztin eines medizinischen Versorgungszentrums in B ausgestellt. Mit E-Mail vom übersandte der Kläger eine Folgebescheinigung vom , die weiterhin Arbeitsunfähigkeit bis zum attestiert.
7Die Beklagte ließ den Kläger wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom bis zum durch eine Detektei zumindest stichprobenartig überwachen. Im Zuge der Observation wurde auch die Hausarztpraxis des Klägers und das Wohnhaus seiner ehemaligen Lebensgefährtin aufgesucht. Letzteres wird im Bericht der Detektei vom jedoch nicht erwähnt. Im Übrigen gibt der Bericht auszugsweise folgende Beobachtungen im öffentlichen Raum und auf dem Grundstück des Wohnhauses des Klägers wider:
8Am hörte die Beklagte den Kläger zum Vorwurf der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom bis zum an. Der Kläger gab an, am bis zum Feierabend in O gewesen zu sein. Danach sei er nach B gefahren. Die Verletzung habe er sich am vor 08:00 Uhr in B zugezogen. Die beobachteten Tätigkeiten hätten den Genesungsprozess nicht behindert.
9Mit Schriftsatz vom , der der Beklagten am zugestellt wurde, hat der Kläger die Zahlung eines „Schmerzensgeldes“ iHv. mindestens 25.000,00 Euro geltend gemacht.
10Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn unter Verstoß gegen die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung im besagten Zeitraum durch Detektive überwachen lassen. Es habe kein hinreichender Anlass für ein solches Vorgehen bestanden. Die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien ordnungsgemäß erstellt worden, nachdem er am Morgen des 4. Febbruar 2022 auf der Treppe zu seinem Wohnhaus gestolpert sei und sich dabei verletzt habe. Bei Klärungsbedarf hätte man ihn anhören können. Die Überwachung stelle einen schwerwiegenden Eingriff in seine Privatsphäre dar, weil die Detektive ihn nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im Eingangsbereich seines Hauses und auf seiner Terrasse beobachtet hätten. Dies wecke bei ihm die Sorge vor weiteren Beeinträchtigungen seiner Privatsphäre. Zudem hätten die Detektive ohne Bezug zur Arbeitsunfähigkeit seine ehemalige Lebensgefährtin und die nicht beteiligte Hausarztpraxis in ihre Observation einbezogen. Er habe daher einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens iHv. mindestens 25.000,00 Euro. Die Beklagte habe eine Kündigung vorbereiten wollen. Der geforderte Schadenersatz belaufe sich nur auf ungefähr ein Zehntel der angestrebten Personalkosteneinsparung.
11Soweit für das Revisionsverfahren von Interesse hat der Kläger beantragt,
12Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Die Ermittlungen seien zulässig gewesen. Sie habe ein berechtigtes Interesse an der Observation des Klägers gehabt, weil objektive Tatsachen den Verdacht begründet hätten, dass er die Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom bis zum vorgetäuscht habe. Anlass für den Verdacht sei die am in B ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Ihr Beweiswert sei erschüttert. Der Kläger habe sich nach den seit dem geltenden vertraglichen Regelungen sowohl am Donnerstag, den , als auch am Freitag, den , in O und nicht in B aufhalten müssen. Hiervon sei man ausgegangen. Bei einer Verletzung am Freitag in O wäre die Rückfahrt nach B zu einer ärztlichen Untersuchung mit einer Länge von über 600 km unmöglich gewesen. Ein milderes Mittel zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit habe nicht bestanden. Der Medizinische Dienst der gesetzlichen Krankenkasse habe nicht eingeschaltet werden können, weil der Kläger privat versichert sei. Die Verdachtsmomente würden zudem dadurch verstärkt, dass der Kläger sich bereits früher in Arbeitsunfähigkeit geflüchtet habe. Die Überwachungsmaßnahmen hätten sich auf die Beobachtung des Klägers im öffentlichen bzw. frei einsehbaren Raum und auf vier Tage in der Woche beschränkt. Schließlich habe der Detektivbericht ergeben, dass der Kläger nicht arbeitsunfähig gewesen sei.
13Es fehle zudem am Nachweis eines Schadens des Klägers. Jedenfalls sei die Höhe des geltend gemachten Anspruchs von mindestens 25.000,00 Euro unangemessen hoch.
14Das Arbeitsgericht hat die Klage bezogen auf den Schmerzensgeldantrag abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht gestützt auf Art. 82 Abs. 1 DSGVO die Beklagte zur Zahlung einer „Entschädigung“ iHv. 1.500,00 Euro nebst Zinsen seit dem verurteilt. Die weitergehende Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen und die Revision für beide Parteien zugelassen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO als „Entschädigung“ weitere 23.500,00 Euro nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe seit dem . Die Beklagte erstrebt mit ihrer Anschlussrevision die vollständige Zurückweisung der Berufung des Klägers.
Gründe
15Die Revision und die Anschlussrevision sind zulässig, aber unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht zur Zahlung von immateriellem Schadenersatz iHv. 1.500,00 Euro nebst Prozesszinsen verurteilt.
16I. Revision und Anschlussrevision sind zulässig. Die Revision des Klägers ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO hinreichend begründet (zu den Anforderungen vgl. - Rn. 12). Der Kläger wendet sich nur gegen die Höhe des ausgeurteilten Schadenersatzes. Die Revision spricht mit fallbezogener Begründung einem Betrag von 1.500,00 Euro die „abschreckende Wirkung“ ab und rügt die unterlassene Würdigung der - angeblich - bezweckten Einsparung von Personalkosten durch die Beklagte. Dies ist eine ausreichende Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung. Auch die Anschlussrevision der Beklagten begegnet keinen prozessualen Bedenken.
17II. Die Revision des Klägers und die Anschlussrevision der Beklagten sind jedoch unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger zu Recht immateriellen Schadenersatz iHv. 1.500,00 Euro zzgl. Prozesszinsen ab dem auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO zugesprochen.
181. Der nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO vorausgesetzte Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung liegt vor. Die Beklagte hat als Verantwortliche im Rahmen der Observation ohne Einwilligung des Klägers dessen Gesundheitsdaten verarbeitet. Dies war nicht erforderlich iSv. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO iVm. § 26 Abs. 3 BDSG.
19a) Nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO ist ua. die Verarbeitung von Gesundheitsdaten grundsätzlich verboten. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO lässt dieses Verbot - soweit hier von Interesse - entfallen, falls die Verarbeitung erforderlich ist, damit der Verantwortliche die ihm „aus dem Arbeitsrecht … erwachsenden Rechte“ ausüben kann, soweit dies nach Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten, das geeignete Garantien für die Grundrechte und die Interessen der betroffenen Person vorsieht, zulässig ist.
20b) Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG ist abweichend von Art. 9 Abs. 1 DSGVO die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten iSd. Art. 9 Abs. 1 DSGVO für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses zulässig, wenn sie zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten ua. aus dem Arbeitsrecht erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt. Entsprechend § 22 Abs. 2 BDSG sind hierfür angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Interessen der betroffenen Person vorzusehen (§ 26 Abs. 3 Satz 3 BDSG). Die entsprechende Geltungsanordnung von § 22 Abs. 2 BDSG stellt den Schutz der Grundrechte und die Wahrung der Interessen der Betroffenen sicher. Danach sind bei der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Interessen der betroffenen Person vorzusehen (vgl. hierzu - Rn. 82 ff.; - 1 ABR 51/17 - Rn. 28, BAGE 166, 269).
21c) Mit diesen Regelungen hat der deutsche Gesetzgeber in zulässiger Weise von der Öffnungsklausel in Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO Gebrauch gemacht. Durch das Kriterium der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung nach § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG ist sichergestellt, dass ein an sich legitimes Ziel nicht zum Anlass genommen wird, überschießend personenbezogene Daten iSv. Art. 9 Abs. 1 DSGVO zu verarbeiten. Bei einer auf Beschäftigtendaten bezogenen datenverarbeitenden Maßnahme des Arbeitgebers bedingt dies ausweislich der Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drs. 18/11325 S. 97) eine Abwägung widerstreitender Grundrechtspositionen im Weg praktischer Konkordanz und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die Interessen der betroffenen Person werden ergänzend durch § 26 Abs. 3 Satz 3 iVm. § 22 Abs. 2 BDSG geschützt (vgl. - Rn. 49 ff.; - 5 AZR 28/22 - Rn. 58 f., BAGE 178, 150).
22d) Vorliegend handelt es sich wegen der Dokumentation des sichtbaren Gesundheitszustands des Klägers, insbesondere seines Gangs, zum Teil um Gesundheitsdaten iSv. Art. 9 Abs. 1 iVm. Art. 4 Nr. 15 DSGVO. Demzufolge ist die Zulässigkeit der Datenverarbeitung insgesamt nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO iVm. § 26 Abs. 3, § 22 Abs. 2 BDSG zu beurteilen (vgl. [Meta Platforms u.a. (Conditions générales d´utilisation d´un réseau social)] - Rn. 89). Zudem sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) die Grundsätze für die rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO und Art. 5 Abs. 1 DSGVO zu wahren (zum kumulativen Prüfungsmaßstab: - [Krankenversicherung Nordrhein] Rn. 76 ff. mwN; - Rn. 65 ff., BSGE 131, 169). Auch Art. 32 Abs. 1 DSGVO, der entsprechend Art. 5 Abs. 1 Buchst. f DSGVO die Sicherheitsanforderungen an die Datenverarbeitung regelt, findet Anwendung (vgl. - [Krankenversicherung Nordrhein] Rn. 68).
23e) Hegt der Arbeitgeber Zweifel am Vorliegen einer ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und möchte er den Arbeitnehmer deshalb durch Detektive oder andere Personen beobachten lassen, kann die daraus folgende Verarbeitung von Gesundheitsdaten nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO iVm. § 26 Abs. 3, § 22 Abs. 2 BDSG nur zulässig sein, wenn der Beweiswert einer vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist und eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse nach § 275 Abs. 1a Satz 3 SGB V nicht möglich ist oder objektiv keine Klärung erwarten lässt. Anderenfalls ist die Ermittlung als Datenverarbeitung nicht erforderlich iSv. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO iVm. § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG.
24aa) In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war schon vor dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung und des Bundesdatenschutzgesetzes in der seit dem geltenden Fassung anerkannt, dass bei einem Verdacht des Vortäuschens einer Arbeitsunfähigkeit trotz einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine Observation des Arbeitnehmers durch Detektive wegen des damit verbundenen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form des informationellen Selbstbestimmungsrechts (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) nur in Betracht kommt, falls begründete Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestehen. Anderenfalls besteht kein aufklärungsbedürftiger Verdacht, der eine Datenerhebung durch Observation rechtfertigen könnte (vgl. zu § 32 Abs. 1 BDSG aF: - Rn. 40, BAGE 159, 278; - 8 AZR 1007/13 - Rn. 25 ff.). Aber selbst wenn solche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen, hat der Arbeitgeber ggf. mittels einer Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der gesetzlichen Krankenkasse nach § 275 Abs. 1a Satz 3 SGB V als milderes Mittel einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des betroffenen Arbeitnehmers zu vermeiden (vgl. - Rn. 41, aaO; zur Erstattungsfähigkeit von Ermittlungskosten vgl. - Rn. 26; vgl. hierzu auch - Rn. 30, BAGE 175, 25).
25bb) An diesen Grundsätzen ist auch weiterhin festzuhalten. § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG verlangt in der seit dem geltenden Fassung ebenso wie Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO in jeder Fallkonstellation die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung im dargestellten Sinne. Der deutsche Gesetzgeber hat diesbezüglich an die vor dem geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen und die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung angeknüpft (vgl. - Rn. 61 mit Verweis auf BT-Drs. 18/11325 S. 97). Demnach bleibt eine Überwachung des Arbeitnehmers weiterhin unzulässig, falls der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht durch begründete Zweifel erschüttert ist oder, falls eine solche Erschütterung vorliegt, das mildere Mittel der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse zur Verfügung steht.
26f) Demnach war die vorliegend in Rede stehende Observation durch eine Detektei zur Ausübung von Rechten aus dem Arbeitsrecht nicht erforderlich iSv. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO iVm. § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG und stellt damit einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung iSv. Art. 82 Abs. 1 DSGVO dar (vgl. ErwGr. 146 Satz 5 DSGVO). Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, wonach der Beweiswert der beiden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum vom bis zum nicht erschüttert sei, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
27aa) Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt ( - Rn. 12). Der Arbeitgeber ist bei seinem Vorbringen nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt. Bei der näheren Bestimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen ( - Rn. 13 f., BAGE 175, 358). Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls (vgl. zu Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach Kündigung: - Rn. 18; - 5 AZR 149/21 - Rn. 19, aaO).
28bb) Grundsätzlich ist die entsprechende Würdigung der Beweise nach § 286 ZPO dem Tatrichter vorbehalten. Revisionsrechtlich ist nur zu prüfen, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt ist, ob sie rechtlich möglich ist und ob das Berufungsgericht alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt hat ( - Rn. 12 ff. mwN).
29cc) Die Beurteilung des Beweiswerts der beiden für den Zeitraum vom bis zum ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch das Landesarbeitsgericht weist keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Das Landesarbeitsgericht hat sowohl die konfliktbeladenen Gesamtumstände als auch die Geschehnisse am 3. und einschließlich der Frage des Aufenthaltsorts des Klägers vollumfänglich und widerspruchsfrei gewürdigt. Dabei hat es in seine Überlegungen einbezogen, dass der Kläger am und am bereits Termine mit Verantwortlichen der Beklagten aus gesundheitlichen Gründen abgesagt hatte und dies wiederum als längere Zeit zurückliegende Einzelfälle gewertet. Es hat auch die „Kontroverse“ zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer der Beklagten am berücksichtigt und diese der grundsätzlich bestehenden Streitigkeit über die vom Kläger vertragsgemäß zu erbringenden Arbeitsleistungen zugeordnet. Diese Würdigung ist von dem Beurteilungsspielraum der Berufungsinstanz umfasst. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts erweist sich - entgegen der Auffassung der Anschlussrevision - auch nicht als unvollständig, weil das Landesarbeitsgericht die Klage vom wegen der Frage der vertragsgemäßen Beschäftigung des Klägers nicht gesondert erwähnt hat. Das Landesarbeitsgericht hat den schon länger bestehenden Konflikt bzgl. der vertragsgemäß zu erbringenden Arbeitsleistungen des Klägers bei seiner Entscheidung gewürdigt. Die Klage auf vertragsgemäße Beschäftigung ist aus dieser Perspektive letztlich nur eine weitere Eskalation des bestehenden Grundkonflikts.
30g) Es kann daher offenbleiben, ob die Überwachung des Klägers die Aufdeckung einer Straftat iSv. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG bezweckt hat, ob diese Norm den unionsrechtlichen Anforderungen des Art. 88 DSGVO genügt (vgl. zu § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG: - Rn. 62 ff. unter Bezug auf - [Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer] Rn. 65) und wie ihr Verhältnis zu § 26 Abs. 3 BDSG ausgestaltet ist. Die Überwachung war aus den genannten Gründen auch nicht erforderlich iSv. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG.
312. Der Kläger hat - wovon das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgegangen ist - durch die rechtswidrige Observation einen immateriellen Schaden iSv. Art. 82 Abs. 1 DSGVO erlitten.
32a) Die Anschlussrevision weist zutreffend darauf hin, dass das Vorliegen eines „Schadens“ eine der drei Voraussetzungen für den in Art. 82 Abs. 1 DSGVO vorgesehenen Schadenersatzanspruch darstellt, ebenso wie das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung und eines Kausalzusammenhangs zwischen dem erlittenen Schaden und dem Verstoß, wobei diese drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen (vgl. - [MediaMarktSaturn] Rn. 58; - C-340/21 - [Natsionalna agentsia za prihodite] Rn. 77; - C-300/21 - [Österreichische Post] Rn. 32). Der Schadenersatzanspruch hat, insbesondere im Fall eines immateriellen Schadens, eine Ausgleichsfunktion. Die auf Art. 82 Abs. 1 DSGVO gestützte Entschädigung in Geld soll es ermöglichen, den konkret aufgrund des Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung erlittenen Schaden vollständig auszugleichen, und erfüllt keine Abschreckungs- oder Straffunktion (vgl. - [MediaMarktSaturn] Rn. 50; - C-667/21 - [Krankenversicherung Nordrhein] Rn. 87).
33b) Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast hat der Gerichtshof der Europäischen Union klargestellt, dass die Person, die auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 DSGVO den Ersatz eines immateriellen Schadens verlangt, nicht nur den Verstoß gegen Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung nachweisen muss, sondern auch, dass ihr durch diesen Verstoß ein solcher Schaden entstanden ist (vgl. - [juris] Rn. 35; - C-687/21 - [MediaMarktSaturn] Rn. 60 f.). Der - selbst kurzzeitige - Verlust der Kontrolle über personenbezogene Daten kann einen „immateriellen Schaden“ iSv. Art. 82 Abs. 1 DSGVO darstellen, der einen Schadenersatzanspruch begründet, sofern die betroffene Person den Nachweis erbringt, dass sie tatsächlich einen solchen Schaden - so geringfügig er auch sein mag - erlitten hat ( - [juris] Rn. 42; - C-687/21 - [MediaMarktSaturn] Rn. 66). Dabei können negative Gefühle („Befürchtung“) einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens begründen. Das bloße Berufen auf eine bestimmte Gefühlslage reicht aber nicht aus. Das Gericht hat vielmehr zu prüfen, ob das Gefühl unter Berücksichtigung der konkreten Umstände „als begründet angesehen werden kann“ ( - [Natsionalna agentsia za prihodite] Rn. 85). Dies setzt zwingend die Anwendung eines objektiven Maßstabs voraus ( - Rn. 15).
34c) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, der Schaden liege hier entsprechend dem Vortrag des Klägers in dem durch die Überwachung erlittenen Kontrollverlust und insbesondere im Verlust der Sicherheit vor Beobachtung im privaten Umfeld. Dieser Vortrag ist nicht unsubstantiiert, sondern steht in Bezug zu einer mehrtägigen Überwachung, die eine heimliche Beobachtung und Einschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers umfasste und ihn auch im Außenbereich seines Wohnhauses betraf. In einer solchen Konstellation sind der Verlust von Kontrolle und die daraus folgende Befürchtung weiterer Überwachung selbsterklärend und bedürfen keiner weiteren näheren Darlegung (vgl. Ehmann/Selmayr/Nemitz 3. Aufl. DS-GVO Art. 82 Rn. 17; Spittka GRUR-Prax 2019, 475, 476; Kühling/Buchner/Bergt 4. Aufl. DS-GVO Art. 82 Rn. 18c; zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht - Rn. 29).
353. Die Höhe des nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu zahlenden Schadenersatzes ist durch das Landesarbeitsgericht ebenfalls frei von revisiblen Rechtsfehlern bestimmt worden.
36a) Bei der Bemessung der Höhe des nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO geschuldeten Schadenersatzes haben die nationalen Gerichte in Ermangelung einer Bestimmung in der Datenschutz-Grundverordnung die innerstaatlichen Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über den Umfang der finanziellen Entschädigung anzuwenden, sofern die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden. Art. 82 Abs. 1 DSGVO verlangt dabei nicht, dass die Schwere des Verschuldens des Verantwortlichen bzw. des Auftragsverarbeiters berücksichtigt wird. Die Ausgleichsfunktion des in Art. 82 Abs. 1 DSGVO verankerten Schadenersatzanspruchs schließt es sogar aus, dass eine etwaige Vorsätzlichkeit des Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung bei der Bemessung des Schadenersatzes berücksichtigt wird. Der Betrag ist jedoch so festzulegen, dass er den konkret aufgrund des Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung erlittenen Schaden in vollem Umfang ausgleicht (vgl. , C-189/22 - [Scalable Capital] Rn. 27 ff. mwN).
37b) Bei der nach diesen Maßgaben vorzunehmenden Bemessung der Höhe eines Schadenersatzes steht den Tatsachengerichten nach § 287 Abs. 1 ZPO ein weiter Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen sie die Besonderheiten jedes einzelnen Falls zu berücksichtigen haben. Die Festsetzung unterliegt nur der eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. - Rn. 16; - 2 AZR 363/21 - Rn. 16).
38c) Der ausgeurteilte Betrag von insgesamt 1.500,00 Euro ist auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, die das Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung nicht kennen konnte, im Ergebnis angemessen. Die fehlerhafte Annahme einer Abschreckungsfunktion des Schadenersatzanspruchs, von der auch die Revision ausgeht, wirkt sich im Ergebnis nicht aus. Das Landesarbeitsgericht hat nachvollziehbar auf die Beobachtung und das Fotografieren des Klägers in seiner privaten Umgebung, auf die zeitliche Dimension und auf die Erhebung von Gesundheitsdaten abgestellt. Zu Gunsten der Beklagten hat es gewürdigt, dass diese den Detektivbericht nicht an Dritte gegeben und der Kläger weitere psychische Belastungen nicht dargelegt habe. Soweit die Revision auf die Höhe des Entgelts des Klägers und die angebliche Absicht der Beklagten zur Einsparung von Personalkosten abstellt, gilt auch in der hier vorliegenden Konstellation der Grundsatz, dass der immaterielle Schaden nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO keinen erkennbaren Bezug zur Höhe eines dem Gläubiger zustehenden Arbeitsentgelts hat (vgl. - Rn. 26). Auch das Vorbringen der Anschlussrevision zeigt keine revisiblen Rechtsfehler auf. Demnach habe das Landesarbeitsgericht nicht berücksichtigt, dass die Überwachung nur stichprobenartig erfolgt sei und keine „Videos oder ähnliche eingriffsintensivere Aufnahmen erstellt wurden“. Das Landesarbeitsgericht hat sich allerdings mit der Intensität der Ermittlungen in zeitlicher und technischer Hinsicht befasst. Die Anschlussrevision nimmt insoweit lediglich eine andere Wertung vor. Sie zeigt damit aber keinen revisiblen Rechtsfehler des Berufungsgerichts auf.
394. Die ausgeurteilte Verzinsung mit Prozesszinsen (§ 291 BGB) seit dem hat die Revision nicht gerügt, sondern sich im Revisionsverfahren zu eigen gemacht.
40III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:250724.U.8AZR225.23.0
Fundstelle(n):
BB 2024 S. 2675 Nr. 46
NJW 2024 S. 10 Nr. 47
FAAAJ-77995