Instanzenzug: OLG Dresden Az: 8 U 1533/23vorgehend Az: 9 O 2655/22
Gründe
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8 Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Senats ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger nicht in seinem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz, welches den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom - III ZB 18/22, NJW-RR 2023, 350 Rn. 3 und 6; vom - III ZB 9/23, ZEV 2024, 181 Rn. 7 und vom - III ZB 68/23, zur Veröffentlichung bestimmt, jew. mwN). Entgegen der Auffassung der Beschwerde liegt auch keine Divergenz zur Rechtsprechung mehrerer Senate des Bundesgerichtshofs vor. Anlass zur Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) bietet der Fall ebenfalls nicht, nachdem die maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt sind.
9 1. Zutreffend und von der Beschwerde unbeanstandet ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger die Berufung nicht innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet und in dieser Frist auch keinen Fristverlängerungsantrag im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO angebracht hat.
10 2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Es hat dabei keine überzogenen Anforderungen an die Pflichten des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit der Prüfung und Überwachung der Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung gestellt. Die Annahme eines Verschuldens seiner Prozessbevollmächtigten, das sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
11 a) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Zwar darf die Berechnung und Notierung einfacher Fristen grundsätzlich dem gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Büropersonal des Rechtsanwalts überlassen werden (vgl. Senat, Urteil vom - III ZR 47/14, NJW 2014, 3452 Rn. 8; Beschlüsse vom - III ZR 202/13, NJOZ 2014, 953 Rn. 4 und vom - III ZR 282/18, BeckRS 2019, 25232 Rn. 9). Dies enthebt einen Rechtsanwalt indessen nicht von einer eigenen Prüfungspflicht bei der Bearbeitung der Angelegenheit. Er bleibt verpflichtet zu prüfen, ob das Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden ist, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird (vgl. Senat, Urteil vom aaO; Beschlüsse vom - III ZB 95/16, NJOZ 2018, 609 Rn. 7; vom aaO; vom - III ZB 68/23 zur Veröffentlichung bestimmt; BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 76/11, NJW-RR 2012, 1206 Rn. 7 f; vom - XII ZB 116/13, NJW-RR 2014, 698 Rn. 7; vom - XII ZB 431/13, NJW-RR 2014, 697 Rn. 8; vom - XI ZB 12/13, NJW-RR 2014, 572 Rn. 7; vom - VI ZB 46/14, NJW-RR 2015, 441 Rn. 8; vom - XII ZB 458/19, NJW-RR 2020, 939 Rn. 13; vom - VI ZB 25/19, NJOZ 2021, 690 Rn. 8 und vom - XII ZB 533/22, FamRZ 2023, 1381 Rn. 10). Die sorgfältige Vorbereitung der Prozesshandlung schließt nämlich stets auch die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit ein (vgl. Senat, Urteil vom aaO Rn. 11 und Beschluss vom - III ZB 68/23 aaO; aaO Rn. 9mwN), die der rechtskundige Anwalt selbst vornehmen muss. Folgerichtig gehört es zu seinen nicht auf sein Büropersonal übertragbaren eigenen Aufgaben, Art und Umfang des gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegenden Rechtsmittels zu bestimmen, alle gesetzlichen Anforderungen an dessen Zulässigkeit in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass es innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. , NZM 2016, 767 Rn. 6).
12 Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht zu Recht ein Versäumnis der Prozessbevollmächtigten des Klägers angenommen. Bei Einlegung der Berufung am war die Rechtsanwältin verpflichtet, den Fristablauf für die Berufungsbegründung zu überprüfen. Dabei oblag ihr nicht nur die Prüfung, ob überhaupt eine Frist notiert, sondern auch, ob diese zutreffend berechnet worden war. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ergibt sich die Annahme einer solchen Pflicht nicht nur aus einer neueren Senatsentscheidung (Beschluss vom aaO), sondern sie entspricht seit langem der gefestigten Rechtsprechung sowohl des Senats als auch anderer Senate des Bundesgerichtshofs, insbesondere des VI. Zivilsenats, dessen Rechtsprechung von der Beschwerde - zu Unrecht (vgl. nachfolgend zu b) - zur Begründung einer Divergenz herangezogen wird (Senat, Urteil vom aaO Rn. 8, 11; Beschlüsse vom - III ZB 18/75, NJW 1976, 627, 628; vom aaO Rn. 5 29. Juni 2017, aaO Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom - IV ZB 41/03, NJW-RR 2004, 1150; vom - VI ZB 76/11 aaO Rn. 7; vom aaO Rn. 8; vom - VI ZB 37/14, NJW-RR 2015, 1468 Rn. 7 und vom aaO).
13 Die zweitinstanzliche Klägervertreterin hat, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass sie die Berufungsbegründungsfrist bei der Berufungseinlegung überprüft hat. Hätte sie eine entsprechende Prüfung mit der gebotenen Sorgfalt vorgenommen, wäre ihr der fehlerhafte Fristeneintrag aufgefallen. Dieses Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten muss sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
14 Ob die Prozessbevollmächtigte des Klägers auch dadurch schuldhaft ihre Pflichten verletzt hat, dass sie nach Ablauf der auf den eingetragenen Vorfrist erneut keine eigenverantwortliche Prüfung des Fristablaufs vorgenommen hat, kann dahinstehen. Das Berufungsgericht hat diesbezüglich keine Feststellungen getroffen. Dieser bedurfte es allerdings auch nicht, da die Berufungsbegründungsfrist jedenfalls infolge der unterbliebenen Prüfung bei Einlegung der Berufung nicht unverschuldet versäumt worden ist.
15 b) Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts weist auch keine Divergenz zu den von der Beschwerde genannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs auf. Denn er betrifft andere anwaltliche Pflichten als die, die in den von der Beschwerde angeführten Entscheidungen in Rede standen. Letztere befassen sich mit organisatorischen Maßnahmen, die ein Rechtsanwalt zu treffen hat, um sicherzustellen, dass Rechtsmittelfristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 58/09, NJW 2010, 1080 Rn. 6; vom - XII ZB 552/20, NJW-RR 2021, 998 Rn. 15; vom - I ZB 76/21, NJOZ 2022, 1465 Rn. 24 und vom - XII ZB 31/23, NJW-RR 2024, 197 Rn. 12, 17). Danach ist ein Rechtsanwalt bei Wahrung bestimmter organisatorischer Vorkehrungen nicht verpflichtet, anlasslos zu überprüfen, ob eine Frist zutreffend ermittelt und eingetragen wurde. Diese organisatorischen Maßnahmen zur routinemäßigen Fristenberechnung und -kontrolle sind indessen von der Pflicht des Rechtsanwalts zur eigenen Fristenkontrolle im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache zu unterscheiden (siehe hierzu vorstehend 2 a; ausdrücklich zur vorgenannten Differenzierung vgl. Senat, Urteil vom aaO Rn. 11 und Beschluss vom aaO; aaO). Hiervon kann sich ein Rechtsanwalt, wie dargelegt, nicht entlasten.
16 Ob vorliegend (auch) ein Verstoß gegen die nach ständiger Rechtsprechung einzuhaltenden organisatorischen Vorkehrungen - insbesondere die Pflicht zur unmissverständlichen Weisung der sofortigen Ausführung einer Fristeintragung (vgl. aaO, Rn. 17 mwN) - für die Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist kausal geworden ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn die Berufungsbegründungsfrist ist, wie ausgeführt, bereits infolge des vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellten anwaltlichen Pflichtverstoßes im Zusammenhang mit der Einlegung der Berufung nicht unverschuldet versäumt worden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250724BIIIZB103.23.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-77769