Instanzenzug: Az: 10 U 82/23vorgehend Az: 8 O 119/22
Gründe
I.
1 Am verurteilte das Landgericht die Beklagte unter anderem zur Herausgabe einer von ihr verwalteten und vermieteten Ferienwohnung des Klägers und stellte fest, dass die Vertragsbeziehung zwischen den Parteien beendet sei. Gegen dieses ihr am zugestellte Urteil legte die Beklagte mit am beim Kammergericht eingegangenem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt F. vom Berufung ein und beantragte zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Dieser und ein am eingegangener weiterer Schriftsatz vom selben Tag sowie die beigefügten eidesstattlichen Versicherungen der Kanzleimitarbeiterinnen A. und K. enthalten zunächst folgendes Wiedereinsetzungsvorbringen:
2 Nach Erhalt des Urteils habe die Beklagte am Frau A. mitgeteilt, keine Berufung einlegen zu wollen, worauf diese am selben Tag - entgegen der für die Kanzlei geltenden "Arbeitsanweisung elektronische Posteingangsverarbeitung - Version: " unter Abschnitt II, vierter Spiegelstrich und einem bei deren Besprechung im November 2022 ausdrücklich erteilten Verbot - die Berufungsfrist im elektronischen und im "händischen" Kalender gestrichen habe. Am habe die Beklagte Frau K. mitgeteilt, dass doch Berufung eingelegt werden solle. Daraufhin habe diese den Entwurf einer Berufungsschrift gefertigt und ohne Hinweis auf dessen Eilbedürftigkeit am Donnerstag, dem , in den mit 60 bis 70 Dokumenten erheblich überfüllten elektronischen Postkorb von Rechtsanwalt F. eingestellt, wobei sie weder diesen oder andere kanzleiangehörige Rechtsanwälte informiert noch geprüft habe, wann die Berufungsfrist ablaufe.
3 Zum weiteren Ablauf des Geschehens ist in der eidesstattlichen Versicherung von Frau K. vom ausgeführt: "Aufgrund der erheblichen Mehrbelastung durch die Abwesenheit von Frau A. ist es so, dass der Postkorb dort immer erst am Wochenende abgearbeitet wird. Nur die dem Rechtsanwalt vorliegenden Fristen, die entsprechend in den Kalendern ersichtlich sind, werden ggfs. vorab abgearbeitet, dies aber nicht anhand des Postkorbes, sondern der Fristenkalender. Die Fristeigenschaft ist aber ebenso nicht im Postkorb erkennbar, sondern wird von den Rechtsanwälten über die händischen und elektronischen Kalender abgeglichen. Für den Rechtsanwalt war daher nicht erkennbar, dass eine Frist ablief, eine Kennzeichnung war insoweit nicht erfolgt, genauso ein nachträglicher Fristen(-wieder)eintrag."
4 Nach Hinweis darauf, dass Frau K. am eine Anweisung hätte einholen müssen, da sie nach dem Inhalt ihrer eidesstattlichen Versicherung gewusst habe, dass der Entwurf der Berufungsschrift eilbedürftig gewesen sei und ohne Information der Rechtsanwälte im elektronischen Postkorb "untergehen" würde, hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom den Antrag der Beklagten auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen.
5 Es hat angenommen, dass die Beklagte nicht ohne ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen sei. Insoweit spiele die Fristlöschung in den Kalendern durch Frau A. keine Rolle. Entscheidend sei, dass der Prozessbevollmächtigte es schuldhaft unterlassen habe, seine Mitarbeiter anzuweisen, wie mit einem Mandantenauftrag zur Einlegung eines Rechtsmittels umzugehen sei. Die zur Akte gereichte "Arbeitsanweisung elektronische Posteingangsverarbeitung - Version: " hätte die Anweisung enthalten müssen, was zu geschehen habe, wenn ein Mandant, der zunächst nicht gegen eine Entscheidung habe vorgehen wollen, diesen Entschluss überdenke und später doch den Auftrag zur Rechtsmitteleinlegung erteile. Denn die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift gehöre zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem Büropersonal nicht übertragen dürfe, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen. Die Mitarbeiter hätten daher angewiesen werden müssen, unverzüglich einen Rechtsanwalt zu informieren - was Frau K. trotz erkannter Eilbedürftigkeit des Mandantenauftrags unterlassen habe. Offenkundig habe sie nicht gewusst, dass sie ohne konkrete Einzelanweisung nicht befugt gewesen sei, eigenständig eine Rechtsmittelschrift zu fertigen. Da sie die Berufungsschrift am Tag des Fristablaufs in das elektronische Postfach eingestellt habe, hätte Rechtsanwalt F. im Übrigen bei noch am selben Tag vorgenommener Sichtung seiner Posteingänge die Eilbedürftigkeit des Entwurfs erkennen und rechtzeitig Berufung einlegen können. Tatsächlich habe er aber wohl den Posteingang weder am noch am darauffolgenden Wochenende, sondern erst am übernächsten Wochenende zur Kenntnis genommen, da die Berufungsschrift vom (Sonntag) datiere.
6 Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
7 Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO ohne Rücksicht auf den Beschwerdewert statthafte (vgl. zB Senat, Beschluss vom - III ZB 28/19, NJW-RR 2020, 189 Rn. 4) sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch zur Rechtsfortbildung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erforderlich. Insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss die Beklagte nicht in ihrem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz, welches den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom - III ZB 9/23, juris Rn. 7 und vom - III ZB 18/22, NJW-RR 2023, 350 Rn. 3 und 6 jew. mwN).
81. Die Beklagte hat die am abgelaufene Monatsfrist des § 517 ZPO zur Einlegung der Berufung versäumt, da ihre Berufungsschrift erst am eingegangen ist.
92. Das Wiedereinsetzungsgesuch der Beklagten hat das Berufungsgericht zu Recht zurückgewiesen. Denn die Versäumung der Berufungsfrist beruht nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen auf einem der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten.
10 a) Zwar darf ein Rechtsanwalt die routinemäßige Berechnung und Kontrolle der im Rahmen seines Kanzleibetriebs üblicherweise zu beachtenden Fristen zuverlässigen und sorgfältig überwachten Bürokräften überlassen und dabei auch darauf vertrauen, dass ihm die Sachen zur Vornahme fristgebundener Prozesshandlungen rechtzeitig vorgelegt werden. Von dieser routinemäßigen Fristenüberwachung ist aber die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache zu unterscheiden. Nur von ersterer kann sich der Rechtsanwalt entlasten. Er bleibt dagegen verpflichtet, den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird. Wird der Prozessbevollmächtigte - wie hier - durch Vorlage einer Ausarbeitung für eine fristgebundene Prozesshandlung auf die Bearbeitungsbedürftigkeit der Sache hingewiesen, wird damit seine eigene Verantwortlichkeit für den weiteren Verlauf der Dinge in gleicher Weise begründet wie durch Vorlage der Akte. Er ist dann auf die Sache hingewiesen und muss im Rahmen seiner Vorbereitung der Prozesshandlung die Einhaltung der für diese vorgeschriebenen Frist selbständig anhand der Akte nochmals kontrollieren - und zwar selbst dann, wenn er schon zuvor überprüft hat, dass diese Frist vom Büropersonal richtig im Fristenkalender eingetragen worden ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom - III ZB 18/75, NJW 1976, 627, 628 und vom - III ZB 18/73, BeckRS 1973, 30381342; , NJW-RR 2004, 1150). Dies beruht darauf, dass die sorgfältige Vorbereitung der Prozesshandlung stets auch die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit einschließt (vgl. aaO), die der rechtskundige Anwalt selbst vornehmen muss. Folgerichtig gehört es zu seinen nicht auf sein Büropersonal übertragbaren eigenen Aufgaben, Art und Umfang des gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegenden Rechtsmittels zu bestimmen, alle gesetzlichen Anforderungen an dessen Zulässigkeit in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass es innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. , NZM 2016, 767 Rn. 6).
11 b) Dieser nicht auf sein Büropersonal abwälzbaren Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung des Ablaufs der Berufungsfrist im Rahmen seiner Vorbereitung der Berufungseinlegung nach Vorlage der Sache ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht nachgekommen. Denn er hätte den von Frau K. rechtzeitig am Tag des Fristablaufs, dem , in seinen elektronischen Postkorb eingestellten Entwurf der Berufungsschrift noch am selben Tage - notfalls nach kurzer Durchsicht sämtlicher dort befindlichen Dokumente - einsehen und anhand der Akte prüfen müssen, wann die Berufungsfrist ablaufen würde, was er ersichtlich unterlassen hat. Hätte er dies getan, hätte er den drohenden Fristablauf erkennen und den Entwurf der Berufungsschrift nach inhaltlicher Prüfung und Unterzeichnung rechtzeitig an das Berufungsgericht übermitteln können. Die nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen in der Kanzlei geübte Praxis, einzelne im Postkorb befindliche Dokumente anhand der Eintragungen im Fristenkalender als eilbedürftig zu identifizieren und so für eine beschleunigte Bearbeitung "vorzusortieren", genügte dabei nach den vorstehenden Ausführungen gerade nicht.
12 c) Es entlastet den Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht, dass der Entwurf der Berufungsschrift erst kurz vor Fristablauf in den mit insgesamt 60 bis 70 Dokumenten erheblich überfüllten elektronischen Postkorb eingestellt worden war, dessen Inhalt von ihm "immer erst am Wochenende" abgearbeitet wurde oder werden konnte. Falls Rechtsanwalt F. und auch seine Mitarbeiterin Frau K. sich tatsächlich - wie behauptet - infolge eines längeren krankheitsbedingten Ausfalls von Frau A. in einer Überlastungssituation befanden, hätte er organisatorisch durch entsprechende Arbeitsanweisungen dafür sorgen müssen, dass ihm fristgebundene Sachen nicht erst kurz vor Fristablauf, sondern mit zeitlichem Vorlauf so früh wie möglich - hier also bereits am - zur Bearbeitung vorgelegt worden wären. Stattdessen ließ die Organisation des Kanzleibetriebs des Rechtsanwalts es erkennbar zu, dass das Büropersonal einen von einem Mandanten (doch noch) erteilten Auftrag zur Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels weder dem sachbearbeitenden noch einem anderen kanzleiangehörigen Rechtsanwalt sofort zur Kenntnis brachte, sondern bis zum letzten Tag der Rechtsmittelfrist selbständig, ohne anwaltliches Wissen und Kontrolle und damit gleichsam "unter dem Radar" bearbeitete. Wäre organisatorisch wenigstens sichergestellt gewesen, dass Rechtsanwalt F. von dem am erteilten Auftrag der Beklagten zur Berufungseinlegung überhaupt (zeitnah) erfahren hätte, hätte er dessen Abarbeitung durch Frau K. überwachen und den bevorstehenden Fristablauf ebenfalls noch rechtzeitig eigenverantwortlich prüfen und erkennen können. Dass derartige Vorkehrungen - etwa in Gestalt einer generellen Anweisung an das Büropersonal, den sachbearbeitenden Rechtsanwalt sofort über einen erteilten Mandantenauftrag zur Einlegung eines Rechtsmittels zu informieren - getroffen worden seien, ergibt sich aus dem Wiedereinsetzungsvorbringen indes nicht.
13 d) Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde kann der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu seiner Entlastung auch nicht darauf verweisen, dass Frau A. nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen die Berufungsfrist im elektronischen und im "händischen" Kalender entgegen einem ausdrücklichen Verbot eigenmächtig gelöscht habe. Denn die Löschung der Berufungsfrist ist jedenfalls nicht (mit-)ursächlich für deren Versäumung gewesen. So hätte Rechtsanwalt F. , wie dargelegt, nach der Entwurfsvorlage in Vorbereitung der Einlegung der Berufung die Einhaltung der dafür vorgeschriebenen Frist unverzüglich eigenverantwortlich anhand der Akte und nicht anhand des Fristenkalenders, auf dessen Eintragungen es insoweit nicht ankam, kontrollieren müssen. Die Löschung der Berufungsfrist in den Kalendern hat auch keinen Einfluss darauf gehabt, dass Frau K. den von ihr gefertigten Entwurf der Berufungsschrift erst am und nicht bereits einige Tage früher in den elektronischen Postkorb eingestellt hat, da sie nach ihrer eidesstattlichen Versicherung vom die Frist "weder im elektronischen System noch im händischen Kalender abgeglichen oder sonst irgendwie kontrolliert" hat.
Herrmann Reiter Arend
Böttcher Herr
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250424BIIIZB68.23.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-77766