NWB Nr. 44 vom Seite 3033

Elterngerechtes Steuerrecht?

Dr. Lukas Hilbert | Diplom-Kaufmann, M.I.Tax, Bonn | Herausgeber des Steuer-Stichwort-Kommentars Hilbert/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer | www.lhilbert.de

BFH zur Entlastung Alleinerziehender im paritätischen Wechselmodell

Außerhalb von Fachdiensten auch in der allgemeinen Presse aufgegriffen zu werden, gelingt keineswegs jeder vom BFH veröffentlichten Entscheidung. Beim Urteil III R 1/22 v.  indes war dies so, wohl, weil der Fall die Lebenswirklichkeit zahlreicher Bundesbürger berührt. Gestritten wurde um die steuerliche Entlastung bei getrennten Eltern, die das sog. paritätische Wechselmodell praktizieren. Der gegen das Finanzamt klagende Vater begehrte den Abzug des einfachen Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG, von in § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG geregelten Kinderbetreuungskosten und eines Entlastungsbetrags für Alleinerziehende gem. § 24b EStG. Letztlich wurde all dies abgelehnt. Herausgegriffen sei hier der Entlastungbetrag. Ihn können – nach aktueller Regelung bei einem Kind in Höhe von 4.260 € im Kalenderjahr – alleinstehende Steuerpflichtige von der Summe der Einkünfte abziehen, wenn zu ihrem Haushalt ein Kind gehört, für das ihnen ein Kinderfreibetrag oder Kindergeld zusteht. Die Haushaltszugehörigkeit wird nach der Meldung in der Wohnung bestimmt. Im Streitfall indes war der Sohn bei Mutter und Vater gemeldet; er wechselte wochenweise zwischen beiden Haushalten. Naheliegend wäre bei einer solchen Konstellation, den Entlastungsbetrag aufzuteilen, was aber – so die Crux – im Gesetz schlicht nicht vorgesehen ist. Der BFH verwies deshalb darauf, dass für die Entscheidung, wem der Betrag zusteht, analog § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG grundsätzlich vorrangig den Berechtigten die Bestimmung zu überlassen ist. Treffen sie keine Vereinbarung, steht der Betrag demjenigen zu, an den das Kindergeld gezahlt wird (vgl. § 24b Abs. 1 Satz 3 EStG) – im Urteilsfall war dies die Mutter.

Im gegebenen Regelungsrahmen ist die Gerichtsentscheidung nicht nur nachvollziehbar, sondern zudem wenig überraschend – sie entspricht der bisherigen Linie der Rechtsprechung. Bei der verfassungsrechtlichen Einordnung verweist der BFH auf Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse. So richtig das Urteil damit auch sein mag, so falsch fühlt sich das Ergebnis für zahlreiche heutige Elternschaftsmodelle an. Der Gesetzgeber sieht bei Alleinerziehenden „regelmäßig höhere Kosten für die eigene Lebens- und Haushaltsführung“ (BT-Drucks. 15/3339 S. 11) und versucht, mit dem Entlastungsbetrag einen gewissen Ausgleich zu schaffen (vgl. BStBl 2022 I S. 1634 unter I). Selbst wenn diskutiert werden kann, ob der progressionsabhängig wirkende § 24b EStG dafür ein zielsicheres Instrument ist, bleibt das Anliegen etwa durch die hohe Armutsgefährdung der fraglichen Personengruppe mehr als gerechtfertigt (vgl. Hilbert/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Entlastungsbetrag für Alleinerziehende Rz. 3 m. w. N.). Leicht erkennbar trifft die Mehrbelastung im paritätischen Wechselmodell – z. B. aufgrund der jeweils einzelnen Haushaltsführung – beide Elternteile in ganz ähnlicher Weise.

In einer umfassenden Familienrechtsreform plant die Politik derzeit eine Anpassung an heutige Lebensverhältnisse. Das Steuerrecht sollte dem folgen, beispielsweise, indem steuerliche Entlastungen bei getrennten Eltern zwischen ihnen nach den Betreuungs- und Sorgeanteilen aufgeteilt werden (können). Kluge Regelungen dürften hier auch helfen, „Streitigkeiten ums Geld“ zu verhindern oder zumindest zu mildern.

Lukas Hilbert

Fundstelle(n):
NWB 2024 Seite 3033
BAAAJ-77713