Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: S 9 BLa 17/21 und S 9 RL 2/23
Gründe
1 Die fristgemäß eingelegte und begründete Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Der Beschwerdesache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht zu (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO).
2 Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WNB 5.11 - Rn. 2 und vom - 2 WNB 1.18 - juris Rn. 5, jeweils m. w. N.). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - ggf. erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern mit dieser Klärung im angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren zu rechnen ist und hiervon eine Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus zu erwarten steht ( 8 B 16.16 - ZIP 2017, 463 Rn. 16).
3 1. Danach fehlt den vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen Nr. 1, 2 und 4,
ob Rechtsbehelfe nach §§ 42, 114, 126 Abs. 5 oder § 128 WDO auch gegen die Art der Durchführung einer Vernehmung eines Soldaten nach § 32 Abs. 4 Satz 1 WDO statthaft sind,
ob für die Beschwerde (§ 1 WBO) gegen die Art und Weise der Durchführung einer Vernehmung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 WDO ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, und
ob ein Befehl, zu einer Vernehmung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 WDO zu erscheinen, als solcher erkennbar sein muss,
schon deswegen die grundsätzliche Bedeutung, weil sie sich im vorliegenden Fall nicht stellen. Eine Auslegung der Rechtsfragen zur Vernehmungsvorschrift des § 32 Abs. 4 WDO ist nicht möglich, weil keine Vernehmung im einfachen Disziplinarverfahren stattgefunden hat. Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft Vorermittlungen für ein gerichtliches Disziplinarverfahren durchgeführt. Im Rahmen dieser Vorermittlungen (§ 92 WDO) hat der Disziplinarvorgesetzte als Gehilfe der Wehrdisziplinaranwaltschaft den Soldaten vernommen. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft darf sich bei Vorermittlungen zum gerichtlichen Disziplinarverfahren grundsätzlich der Unterstützung des Disziplinarvorgesetzten bedienen (vgl. 2 WDB 1.98 - BVerwGE 113, 259 <262>). Demzufolge richtet sich die Rechtmäßigkeit einer Ladung zur Beschuldigtenvernehmung nach der im gerichtlichen Disziplinarverfahren geltenden Gestellungsvorschrift des § 89 WDO. Auf § 32 Abs. 4 WDO kommt es nicht an.
4 2. Vor diesem Hintergrund fehlt auch der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage Nr. 3,
ob die Täuschung über den wahren Inhalt eines Befehls eine Verletzung der Fürsorgepflicht nach § 10 Abs. 3 SG darstellt und nach § 1 WBO beschwerdefähig ist,
die grundsätzliche Bedeutung. Denn es ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des § 89 WDO und der hierzu ergangenen Rechtsprechung, dass einem Soldaten auf dienstrechtlicher Grundlage die Wahrnehmung eines Termins zur Vernehmung als Beschuldigter im wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren befohlen werden kann (sog. Gestellungsbefehl; vgl. dazu 2 WDB 2.17 - NZWehrr 2017, 262). Ferner ist in § 89 Satz 2 WDO eindeutig geregelt, dass mit der Bekanntgabe des Termins zur Vernehmung die Ladung auszuhändigen ist. Demzufolge ist die Täuschung über den wahren Inhalt eines Gestellungsbefehls nicht zulässig. Der zu einer Vernehmung befohlene Soldat darf weder bei den Vorermittlungen der Wehrdisziplinaranwaltschaft noch im gerichtlichen Disziplinarverfahren vor dem Truppendienstgericht über den Vernehmungszweck des Termins im Ungewissen gelassen werden. Ein Vorgesetzter, der bei einem Gestellungsbefehl die gesetzliche Vorschrift zur Übergabe der Ladung missachtet, verletzt damit diese spezielle Informationspflicht. Da das Recht des Soldaten, über den Zweck der Vernehmung durch Übergabe der Ladung aufgeklärt zu werden, nicht im Soldatengesetz, sondern in § 89 Satz 2 WDO geregelt ist, zählt diese Informationspflicht nicht zu den nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO rügefähigen Vorgesetztenpflichten.
5 3. Schließlich hat auch die vom Beschwerdeführer unter Nr. 5 gestellte Frage,
ob ein Befehl, der seinem äußeren Erscheinungsbild nach truppendienstlichen Charakter hat, auch dann mit der Beschwerde nach §§ 1 ff. WBO angefochten werden kann, wenn er ein getarnter Befehl zur Durchführung einer Maßnahme nach der Wehrdisziplinarordnung ist,
keine grundsätzliche Bedeutung. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass für eine Beschwerde nach der Wehrbeschwerdeordnung gegen im Rahmen eines Verfahrens nach der Wehrdisziplinarordnung ergangene Entscheidungen regelmäßig ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil diese ausschließlich nach Maßgabe der in der Wehrdisziplinarordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe angefochten werden können. Stellt die Wehrdisziplinarordnung keine entsprechenden Rechtsbehelfe bereit, ist es nicht statthaft, sich einen solchen über die Wehrbeschwerdeordnung zu verschaffen ( 1 WB 34.06 - NZWehrr 2007, 164 <165>).
6 Davon ausgehend ist das Truppendienstgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ladung und Vernehmung des Beschuldigten im Rahmen eines wehrdisziplinargerichtlichen Vorermittlungsverfahrens in der Wehrdisziplinarordnung abschließend geregelt ist. Es hat ebenfalls im Ergebnis zutreffend angenommen, dass ein isolierter Rechtsbehelf gegen die dienstrechtliche Gestellung eines Soldaten nach § 89 WDO im Disziplinarrecht nicht vorgesehen ist. Zwar lässt § 42 Nr. 3 WDO die Beschwerde nicht nur gegen einfache Disziplinarmaßnahmen, sondern auch gegen sonstige Maßnahmen und Entscheidungen des Disziplinarvorgesetzten zu. Damit sind allerdings nur Maßnahmen und Entscheidungen aus dem Ersten und Zweiten Abschnitt der Wehrdisziplinarordnung gemeint (vgl. Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 42 Rn. 7), die - wie etwa das Absehen von einer Disziplinarmaßnahme - im Zusammenhang mit den disziplinarrechtlichen Befugnissen des Disziplinarvorgesetzten stehen (vgl. 2 WDB 2.11 - NZWehrr 2011, 212 <213>). Das Recht und die Pflicht eines Vorgesetzten, einen Soldaten mittels eines Gestellungsbefehls zum Erscheinen bei einem Vernehmungstermin der Wehrdisziplinaranwaltschaft oder eines Wehrdienstgerichts zu verpflichten, gehört jedoch nicht zu den Sonderbefugnissen des Disziplinarvorgesetzten. Ein Gestellungsbefehl kann auch von sonstigen Vorgesetzten erteilt werden. Auch ist der Gestellungsbefehl nicht im Ersten oder Zweiten Abschnitt der Wehrdisziplinarordnung geregelt.
7 Demzufolge ist im gerichtlichen Disziplinarverfahren eine isolierte Anfechtung eines rechtswidrigen Gestellungsbefehls nicht vorgesehen. Vielmehr kann die Rechtswidrigkeit eines Gestellungsbefehls nur im Kontext des nachfolgenden gerichtlichen Disziplinarverfahrens oder im Kontext eines Schadenersatzprozesses geltend gemacht werden. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren ist zu prüfen, ob die bewusste Missachtung der Informationspflicht des § 89 Satz 2 WDO zur Unverwertbarkeit einer in der Vernehmung gewonnenen Erkenntnis führt. Das Gleiche gilt, wenn mit der Gestellung zu einer Vernehmung das Recht des Soldaten auf Teilnahme bei einer Durchsuchung (§ 20 Abs. 4 Satz 2 WDO, § 106 StPO) bewusst vereitelt worden ist. In diesem Fall kann die Rechtmäßigkeit der disziplinarrechtlichen Durchsuchungshandlung mit einer Beschwerde nach § 42 Nr. 3 WDO geltend gemacht werden. Außerdem ist im gerichtlichen Disziplinarverfahren zu prüfen, ob der Rechtsverstoß zur Unverwertbarkeit der bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel führt.
8 Keiner grundsätzlichen Klärung bedarf schließlich die Frage, ob es für die Eröffnung der Beschwerde nach § 1 WBO und des Rechtswegs nach § 17 Abs. 1 WBO auf das äußere Erscheinungsbild oder den "getarnten Inhalt" eines Befehls ankommt. Denn es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass in diesem Fall auf die wahre Rechtsnatur der dienstlichen Maßnahme abzustellen ist ( 1 WB 23.11 - juris Rn. 25 m. w. N.). Im vorliegenden Fall diente der dienstliche Befehl jedoch eindeutig dem Zweck, den Soldaten der Vernehmung zuzuführen. Dass der Soldat in rechtswidriger Weise entgegen § 89 Satz 2 WDO bewusst über diesen Zweck getäuscht worden ist, ändert daran nichts.
9 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:160124B1WNB3.23.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-77687