Tarifliche Altersfreizeit - Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter
Gesetze: § 4 Abs 1 S 1 TzBfG, § 4 Abs 1 S 2 TzBfG, § 1 TVG, Art 9 Abs 3 GG, § 134 BGB, Anh EGRL 81/97
Instanzenzug: ArbG Weiden Az: 1 Ca 117/17 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg Az: 5 Sa 174/19 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet war, der Klägerin bezahlte tarifliche Altersfreizeit zu gewähren.
2Die am geborene Klägerin war seit dem bis zum bei der Beklagten als Produktionshelferin in Teilzeit mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/-innen in der feinkeramischen Industrie der Bundesrepublik Deutschland vom (MTV) Anwendung, in dem es auszugsweise heißt:
3Nach Vollendung des 58. Lebensjahres verlangte die Klägerin von der Beklagten mit Schreiben vom tarifliche Altersfreizeit von einer Stunde wöchentlich. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom , der Klägerin am Folgetag zugegangen, ab. Die daraufhin von der Klägerin erhobene Klage vom ist der Beklagten am zugestellt worden.
4Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe trotz ihrer Teilzeittätigkeit ein Anspruch auf Altersfreizeit zu. § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV verletze das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG und sei deshalb unwirksam. Sie könne im Wege einer „Anpassung nach oben“ die Gewährung tariflicher Altersfreizeit im Umfang von einer Stunde je Woche verlangen.
5Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und die Auffassung vertreten, die Differenzierung zwischen Vollzeit- und Teilzeitkräften in § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV sei sachlich gerechtfertigt. Art. 9 Abs. 3 GG räume den Tarifvertragsparteien das Recht ein, den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen und im Rahmen dieser Zweckbestimmung die zu regelnden Sachverhalte umfassend selbst zu ermitteln und zu bewerten. Die Altersfreizeit trage dem erhöhten Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer Rechnung und diene deren Entlastung. Die Festlegung des Schwellenwerts von 38 Wochenarbeitsstunden in § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV sei von der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien umfasst. Sie beruhe auf der Annahme, dass die Belastung älterer Arbeitnehmer, deren regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bereits auf weniger als 38 Stunden herabgesetzt sei, in einem Umfang reduziert sei, der den Ausschluss von der Gewährung der Altersfreizeit rechtfertige.
7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils.
Gründe
8Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Klägerin zu Recht abgeändert und der Klage stattgegeben.
9A. Die Klage ist zulässig. Für die in der Revision noch begehrte vergangenheitsbezogene Feststellung, ob und in welchem Umfang die Beklagte im bestehenden Arbeitsverhältnis verpflichtet war, der Klägerin wöchentliche Altersfreizeit zu gewähren, besteht das erforderliche Feststellungsinteresse.
10I. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Die Feststellungsklage muss sich nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis als Ganzes beziehen, sondern kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf den Umfang einer Leistungspflicht oder - wie hier - auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen beschränken (zu der sog. Elementenfeststellungsklage - Rn. 44, BAGE 178, 201; - 10 AZR 673/15 - Rn. 17 mwN; zu der Feststellung eines Teilrechtsverhältnisses - Rn. 25; - 1 ABR 40/15 - Rn. 16 mwN).
11II. Für die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags ist nach § 256 Abs. 1 ZPO ein besonderes rechtliches Interesse daran erforderlich, dass das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Es handelt sich um eine auch noch im Revisionsverfahren zu prüfende echte Prozessvoraussetzung für das stattgebende Urteil. Das Feststellungsinteresse kann auch dann bestehen, wenn sich die begehrte Feststellung auf einen abgeschlossenen Zeitraum in der Vergangenheit bezieht. Der erforderliche Gegenwartsbezug kann dadurch hergestellt werden, dass der Kläger die Erfüllung konkreter Ansprüche aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum und damit einen gegenwärtigen rechtlichen Vorteil anstrebt. Ist das erstrebte Feststellungsurteil geeignet, den Konflikt der Parteien endgültig beizulegen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden, ist das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben ( - Rn. 40 mwN).
12III. Die Klägerin hat ein besonderes Interesse an der begehrten Feststellung, weil die Beklagte den von ihr behaupteten Anspruch auf tarifliche Altersfreizeit bestreitet (vgl. - Rn. 18 mwN; - 9 AZR 372/18 - Rn. 10; - 9 AZR 321/16 - Rn. 19). Dies gilt, obgleich sich der Feststellungsantrag auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezieht. Der erforderliche Gegenwartsbezug wird dadurch hergestellt, dass die Klägerin gegenwärtige rechtliche Vorteile (Abgeltungsansprüche) aus der nicht gewährten Altersfreizeit erstrebt. Es ist davon auszugehen, dass mit der Entscheidung über den Feststellungsantrag der Konflikt zwischen den Parteien geklärt ist. Sie ist daher geeignet, weitere gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen den Parteien auszuschließen; denn zwischen ihnen besteht allein Streit über die Frage, ob die Beklagte gemäß § 2a Ziff. 1 MTV iVm. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG verpflichtet war, der Klägerin tarifliche Altersfreizeit zu gewähren (vgl. - aaO).
13B. Die Klage ist begründet. Die Beklagte war verpflichtet, der Klägerin von September 2016 bis einschließlich Juli 2022 Altersfreizeit gemäß § 2a MTV im Umfang von einer Stunde je Woche zu gewähren.
14I. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin einen Anspruch auf Gewährung der tariflichen Altersfreizeit im begehrten Umfang aus § 2a Ziff. 1 MTV iVm. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG zugesprochen. Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer dürfe nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG nicht ohne sachlichen Grund wegen der Teilzeitarbeit schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Die Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit unter Fortzahlung des Entgelts nach Maßgabe von § 2a Ziff. 5 MTV führe bei den Begünstigten zu einer Erhöhung des Arbeitsentgelts pro Arbeitsstunde. Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer erhielten, obwohl sie das 58. Lebensjahr vollendet hätten, eine geringere Vergütung pro geleisteter Stunde, weil sich ihr Monatsentgelt nicht entsprechend erhöhe. Die in § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV vorgesehene Beschränkung des Anspruchs auf Vollzeitarbeitnehmer verstoße auch unter Berücksichtigung des den Tarifvertragsparteien zustehenden Gestaltungsspielraums gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG und sei deshalb nichtig. Die Klägerin habe einen Anspruch auf die Nachgewährung der Altersfreizeit in dem Umfang, der dem Anteil ihrer Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspreche.
15II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Kontrolle stand.
161. Ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung der tariflichen Altersfreizeit bestand nicht bereits unmittelbar nach § 2a Ziff. 1 MTV. Zwar hatte die Klägerin im September 2016 das 58. Lebensjahr vollendet und damit die vorgesehene Altersschwelle, deren Erreichen Voraussetzung für den Anspruch ist, erreicht (§ 2a Ziff. 1 Abs. 1 MTV). Als Teilzeitbeschäftigte ist sie jedoch nach § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV von der tariflichen Leistung explizit ausgeschlossen.
172. Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung der tariflichen Altersfreizeit folgt aus § 2a Ziff. 1 MTV iVm. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG.
18a) Ein in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer darf nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer in Vollzeit beschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG ist einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG konkretisiert das allgemeine Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG für den Bereich des Entgelts oder einer anderen teilbaren geldwerten Leistung. Eine Abweichung vom Pro-rata-temporis-Grundsatz zum Nachteil Teilzeitbeschäftigter ist damit unzulässig, wenn dafür kein sachlicher Grund besteht ( - Rn. 23; - 10 AZR 231/18 - Rn. 47 mwN, BAGE 165, 1). Das in § 4 Abs. 1 TzBfG geregelte Diskriminierungsverbot steht gemäß § 22 Abs. 1 TzBfG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien ( - Rn. 22 mwN; - 10 AZR 231/18 - aaO).
19b) § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV benachteiligt in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer wegen ihrer Teilzeittätigkeit gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten.
20aa) Teilzeitbeschäftigte werden wegen der Teilzeitarbeit ungleich behandelt, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft ( - Rn. 15; - 9 AZR 71/19 - Rn. 24 mwN; - 6 AZR 161/16 - Rn. 46, BAGE 158, 360; - 9 AZR 564/14 - Rn. 15).
21bb) Dieser Prüfungsmaßstab steht im Einklang mit dem Unionsrecht in der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG (Rahmenvereinbarung). Mit § 4 Abs. 1 TzBfG wurde § 4 Nr. 1 und Nr. 2 der Rahmenvereinbarung umgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union werden Teilzeitbeschäftigte gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern ungleich behandelt, wenn für Teilzeitbeschäftigte eine höhere individuelle Belastungsgrenze gezogen wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der für Entstehung eines Anspruchs bei Vollzeitkräften maßgebende Schwellenwert bei Teilzeitbeschäftigten nicht proportional zu ihrer Arbeitszeit vermindert (vgl. - [Voß] Rn. 36 f.; - C-285/02 - [Elsner-Lakeberg] Rn. 17). Im Rahmen der Prüfung einer Ungleichbehandlung stellt der Gerichtshof ua. darauf ab, ob es aufgrund der zu überprüfenden Regelung für die teilzeitbeschäftigten im Vergleich zu den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern zu nachteiligen Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung kommt (vgl. - [Lufthansa CityLine] Rn. 48).
22cc) Die Regelungen in § 2a Ziff. 1 Abs. 1 und 2 MTV enthalten eine Differenzierung, die an die Dauer der Arbeitszeit anknüpft. Danach sollen Arbeitnehmer nach Vollendung des 58. Lebensjahres nur dann Anspruch auf eine zweistündige Altersfreizeit je Woche haben, wenn ihre wöchentliche Arbeitszeit der regelmäßigen Arbeitszeit des § 2 Ziff. 1a MTV und damit einer Vollzeittätigkeit mit 38 Wochenstunden entspricht. § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV schließt Teilzeitbeschäftigte - ganz unabhängig vom Umfang der Teilzeit - von der Gewährung der bezahlten tariflichen Altersfreizeit vollständig aus. Dies hat zur Folge, dass teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer bei gleicher Arbeitsleistung schlechter vergütet werden als in Vollzeit tätige Arbeitnehmer. § 2a MTV begründet nicht nur in seiner Ziff. 1 Abs. 1 einen Freistellungsanspruch, sondern in Ziff. 5 auch einen Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts. Den teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern wird entgegen § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG eine teilbare geldwerte Leistung nicht in dem Umfang gewährt, der dem Anteil ihrer Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Die Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit nach § 2a Ziff. 1 Abs. 1 MTV unter Fortzahlung des Entgelts nach Maßgabe von § 2a Ziff. 5 MTV führt bei den Begünstigten zu einer Erhöhung des Arbeitsentgelts pro Arbeitsstunde. Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, denen nach § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV eine anteilige Ermäßigung der Arbeitszeit vorenthalten wird, obwohl sie das 58. Lebensjahr vollendet haben, erhalten eine im Vergleich geringere Vergütung pro geleisteter Stunde, weil ihr Monatsentgelt nicht entsprechend angehoben wird (vgl. - Rn. 27; - 9 AZR 372/18 - Rn. 21).
23c) Die Benachteiligung wegen der Teilzeittätigkeit ist nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt.
24aa) § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG regelt - entsprechend § 4 Nr. 1 Rahmenvereinbarung - kein absolutes Benachteiligungsverbot. § 4 Abs. 1 TzBfG verbietet eine Abweichung vom Pro-rata-temporis-Grundsatz zum Nachteil Teilzeitbeschäftigter, wenn dafür kein sachlicher Grund besteht ( - Rn. 50, BAGE 158, 360). Allein das unterschiedliche Arbeitspensum berechtigt nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften. Die Rechtfertigungsgründe müssen anderer Art sein ( - Rn. 21 mwN). Eine Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten kann sachlich gerechtfertigt sein, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt ( - Rn. 55 mwN, aaO). Die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung hat sich am Zweck der Leistung zu orientieren ( - Rn. 23; - 4 ABR 26/19 - Rn. 28, BAGE 169, 351).
25bb) Dies entspricht den Anforderungen, die der Gerichtshof der Europäischen Union an die Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten nach § 4 Nr. 1 Rahmenvereinbarung stellt. Danach kann die unterschiedliche Behandlung nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie in einer allgemeinen und abstrakten Norm vorgesehen ist. Das gilt auch dann, wenn die zu beurteilenden Vorschriften in Tarifverträgen enthalten sind ( - [Lufthansa CityLine] Rn. 57; - C-393/10 - [O‘Brien] Rn. 64). Das in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistete Recht auf Kollektivverhandlungen muss im Geltungsbereich des Unionsrechts im Einklang mit ihm ausgeübt werden ( - [Bedi] Rn. 69 ff.; (A) - Rn. 44, BAGE 173, 10; - 9 AZR 71/19 - Rn. 31 mwN). Der Begriff „sachliche Gründe“ iSv. § 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung verlangt, dass die festgestellte unterschiedliche Behandlung durch das Vorhandensein genau bezeichneter, konkreter Umstände gerechtfertigt ist, die die betreffende Beschäftigungsbedingung in ihrem speziellen Zusammenhang und auf der Grundlage objektiver und transparenter Kriterien kennzeichnen, um sichergehen zu können, dass die unterschiedliche Behandlung einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Solche Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung Teilzeitverträge geschlossen wurden, und ihren Wesensmerkmalen oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Ziels ergeben. Die Ungleichbehandlung muss einem echten Bedarf entsprechen und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich sein ( - [Lufthansa CityLine] Rn. 58; - C-393/10 - [O‘Brien] Rn. 64; - C-486/08 - [Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols] Rn. 44). Beruhen in anwendbaren Tarifverträgen vorgesehene Schwellenwerte weder auf objektiv ermittelten Werten oder wissenschaftlichen Erkenntnissen noch auf allgemeinen Erfahrungswerten, deutet dies darauf hin, dass es keine objektiven und transparenten Kriterien gibt, die es erlauben sicherzugehen, dass die unterschiedliche Behandlung einem echten Bedarf entspricht ( - [Lufthansa CityLine] Rn. 61). Es ist Sache des nationalen Gerichts zu beurteilen, ob objektive Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen ( - [Lufthansa CityLine] Rn. 56; - C-393/10 - [O‘Brien] Rn. 64 ff.; - C-300/06 - [Voß] Rn. 36 ff.; - C-285/02 - [Elsner-Lakeberg] Rn. 18).
26cc) Auch nach den am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG - dessen spezialgesetzliche Ausprägung § 4 Abs. 1 TzBfG darstellt - entwickelten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bedürfen Differenzierungen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (st. Rspr., vgl. - Rn. 110 ff.). Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. - Rn. 14 f.).
27dd) Die Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG steht einer Überprüfung des § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV am Maßstab des Benachteiligungsverbots des § 4 Abs. 1 TzBfG nicht entgegen. Tarifvertragliche Regelungen müssen mit höherrangigem Recht vereinbar sein ( - Rn. 27 f.; - 9 AZR 71/19 - Rn. 33).
28(1) Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichtet die Arbeitsgerichte dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Dementsprechend ist Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen. Diese Grenze gilt es zu beachten, obwohl Tarifnormen nicht selten Ergebnisse tarifpolitischer Kompromisse sind („Gesamtpaket“), und kann damit zur Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Tarifvertragsparteien führen (vgl. zuletzt: - Rn. 19 mwN).
29(2) Als selbständigen Grundrechtsträgern steht den Tarifvertragsparteien aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. - Rn. 20; - 9 AZR 564/17 - Rn. 28 f.). Der Grundsatz, dem zufolge tarifliche Regelungen mit höherrangigem Recht vereinbar sein müssen, hat nicht zur Folge, dass der grundrechtlich geschützte Gestaltungsspielraum bei einer Kontrolle am Maßstab des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG bedeutungslos wäre. Vielmehr bestimmen die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer Normsetzungskompetenz aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung ( - Rn. 34, BAGE 165, 1; - 6 AZR 161/16 - Rn. 55, BAGE 158, 360). Sie verfügen über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung sowie über eine Einschätzungsprärogative bezüglich der Bewertung der tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen, die eine differenzierende Regelung sachlich rechtfertigen können. Die Tarifvertragsparteien sind dabei nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn sich die Regelung am gegebenen Sachverhalt orientiert, vertretbar erscheint und nicht gegen gesetzliche Regelungen verstößt (vgl. - Rn. 20; - 10 AZR 34/17 - Rn. 43, BAGE 162, 230; - 4 AZR 796/13 - Rn. 32 mwN, BAGE 151, 235).
30(3) Der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien darf aber nicht dazu führen, das Verbot der Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer auszuhöhlen (vgl. - Rn. 33). Besteht eine Tatsacheneinschätzung der Tarifvertragsparteien darin, dass eine auszugleichende Belastung nur bei einer Vollzeitbeschäftigung gegeben ist, unterliegt diese Bewertung - unter Berücksichtigung des zurückgenommenen Prüfungsmaßstabs - einer Kontrolle durch die Gerichte. Es muss erkennbar sein, dass der Tatsacheneinschätzung zumindest ein allgemeiner Erfahrungswert zugrunde liegt (vgl. - Rn. 37; - 9 AZR 372/18 - Rn. 28). Andernfalls würde der verfassungsrechtlich gebotene Benachteiligungsschutz unangemessen weit zurückgedrängt.
31ee) Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV ihre durch § 4 Abs. 1 TzBfG begrenzte Rechtsetzungsbefugnis - auch unter Berücksichtigung ihres Beurteilungs- und Ermessensspielraums - überschritten.
32(1) Die Gewährung bezahlter Altersfreizeit nach § 2a Ziff. 1 Abs. 1 und 5 MTV dient, wie die Auslegung der Regelung ergibt (zu den Auslegungsgrundsätzen vgl. etwa - Rn. 17; zur Zweckbestimmung vgl. - Rn. 34, BAGE 165, 1), der Entlastung älterer Arbeitnehmer durch eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit. Diesem Zweck folgend ist die Altersfreizeit nach § 2a Ziff. 2 MTV monatlich zu gewähren und eine Nachgewährung nach § 2a Ziff. 6 Abs. 1 Satz 2 MTV ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer von ihr keinen Gebrauch macht. Die Regelungen machen deutlich, dass eine kontinuierliche Entlastung älterer Arbeitnehmer das Ziel und ein „Ansparen“ der Altersfreizeit nicht gewollt ist.
33(2) § 2a Ziff. 1 Abs. 1 MTV geht von einer mit zunehmendem Alter sinkenden Belastbarkeit und infolgedessen von einem gesteigerten Erholungsbedürfnis der Arbeitnehmer aus, die das 58. Lebensjahr vollendet haben. Der Tarifvertrag bestimmt in Abhängigkeit von der geschuldeten Wochenarbeitszeit differenzierte Regelungen und legt damit für Arbeitnehmer, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, unterschiedliche individuelle Belastungsgrenzen fest (vgl. hierzu - Rn. 50, BAGE 165, 1; - 6 AZR 161/16 - Rn. 51, BAGE 158, 360). Dabei wird Arbeitszeit in Vollzeit beschäftigter Arbeitnehmer im Ergebnis auf 36 Wochenarbeitsstunden bei vollem Entgeltausgleich reduziert. Für Teilzeitkräfte, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, unterstellt der Tarifvertrag, dass es an einem ins Gewicht fallenden Entlastungsbedarf fehlt, weil er deren Arbeitszeit nicht proportional zu ihrer individuellen Arbeitszeit absenkt, sondern sie vollständig von der Gewährung von Altersfreizeit ausschließt (vgl. - Rn. 36; - 9 AZR 372/18 - Rn. 27).
34(3) Diese von der konkreten Tätigkeit unabhängige, sich allein am Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit von älteren Arbeitnehmern orientierende Differenzierung bei der Gewährung vergüteter Altersfreizeit ist nicht durch Unterschiede im Tatsächlichen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG sachlich gerechtfertigt. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, der die Annahme rechtfertigen könnte, für Arbeitnehmer ab Vollendung des 58. Lebensjahres bestehe eine qualitative Belastung erst ab einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden. Es ist nicht ersichtlich, dass ältere in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer keinen qualitativen Belastungen ausgesetzt sind, deren Minderung die Altersfreizeit bezweckt. Weder der Tarifvertrag selbst noch das Vorbringen der Beklagten gibt einen tatsachenbasierten Anknüpfungspunkt für einen derartigen Erfahrungssatz. Es handelt sich auch nicht um einen so evidenten und branchenübergreifenden allgemeinen Erfahrungssatz, dass er keiner näheren tatsächlichen Untermauerung bedürfte. Die tarifliche Festlegung, dass eine Entlastung nur bei einer Vollzeitbeschäftigung erfolgt, lässt zudem die Gründe für das Rechtsinstitut der Teilzeit (zB das Vorliegen besonderer außerberuflicher Belastungen) außer Betracht (vgl. - [Lufthansa CityLine] Rn. 63). Der Zweck der tariflichen Altersfreizeit, älteren Arbeitnehmern zu ihrer Entlastung bezahlte Freistellung zu gewähren, rechtfertigt es deshalb nicht, gleichaltrige in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer, deren Wochenarbeitszeit eine bestimmte Stundenzahl unterschreitet, entgegen § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG von dieser geldwerten Leistung in vollem Umfang auszuschließen.
35d) Als Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG hatte die Klägerin Anspruch auf die ihr seit September 2016 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Unrecht vorenthaltene vergütete Altersfreizeit in dem Umfang, der dem Anteil ihrer Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Zwar folgt aus § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG nur, dass die diskriminierende Regelung nach § 134 BGB nichtig ist. Jedoch kann die Diskriminierung allein durch eine „Anpassung nach oben“ beseitigt werden (vgl. ausf. - Rn. 44 ff., BAGE 159, 92; - 9 AZR 534/15 - Rn. 29 ff.).
36e) Der Anspruch der Klägerin ist nicht gemäß § 15 MTV verfallen. Die Klägerin hat die dort geregelte zweistufige Ausschlussfrist gewahrt.
37aa) Die Klägerin hat mit Schreiben vom ihren Anspruch auf tarifliche Altersfreizeit rechtzeitig innerhalb von drei Monaten nach Anspruchsentstehung iSv. § 15 Abs. 1 MTV der Beklagten gegenüber geltend gemacht. Der Anspruch der Klägerin auf die nach § 2a Ziff. 2 MTV vom Arbeitgeber monatlich in der Form einer Freischicht zu gewährende Altersfreizeit ist mit Vollendung des 58. Lebensjahres durch die Klägerin entstanden. Fällig wurde der Anspruch für September 2016 mit Ablauf des dritten Mittwochs im September 2016, dem . Dies folgt aus § 2a Ziff. 2 Abs. 2 Satz 1 MTV, nach dem die Altersfreizeiten jeweils in der ersten bzw. dritten Woche eines Monats auf den Mittwoch fallen, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht über die Lage der Freischichten einigen. Die Geltendmachung mit Schreiben vom fiel damit in die dreimonatige Frist.
38bb) Die Klägerin hat ihre Ansprüche auch - wie es § 15 Abs. 3 MTV verlangt - innerhalb weiterer 30 Kalendertage nach der ihr am zugegangenen schriftlichen Ablehnung der Beklagten gerichtlich geltend gemacht. Ihre Klage ist am bei Gericht eingegangen und der Beklagten am zugestellt worden.
39f) Bei einer vereinbarten wöchentlichen Regelarbeitszeit der Klägerin von 20 Stunden und einer regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit in Vollzeit beschäftigter Arbeitnehmer von 38 Stunden beträgt der Umfang der der Klägerin anteilig zu gewährenden Altersfreizeit mindestens eine Stunde je Woche.
40C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:090724.U.9AZR296.20.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-77399