BGH Urteil v. - 5 StR 37/24

Instanzenzug: LG Chemnitz Az: 1 Ks 210 Js 39257/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer anderweitig rechtskräftig erkannten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Das mit dem Ziel einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags eingelegte Rechtsmittel des Nebenklägers führt mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts zur Aufhebung des Urteils.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Am klopfte der Nebenkläger, der ein etwa 21 cm langes Küchenmesser mit einer circa 10,5 cm langen Klinge bei sich führte, gegen 0.30 Uhr an die Zimmertür des im 2. Stock in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende wohnenden Angeklagten. Dieser öffnete und fragte den Nebenkläger, der das Messer deutlich sichtbar in seiner Hand und auf den Angeklagten gerichtet hielt, nach dem Grund des Erscheinens, worauf dieser antwortete: „deine Mutter ficken“. Der Angeklagte erwartete einen Angriff und nahm dem Nebenkläger das Messer ab; dabei griff er in die Klinge und verletzte sich. Sodann fügte er dem vor ihm stehenden Nebenkläger bewusst und gewollt mit dem Messer mehrere Stichverletzungen am Kopf bei. Als dieser seine Hände zum Schutz erhoben hatte, versetzte ihm der Angeklagte zwei tiefe Stiche in den Thorax- und Brustbereich; dabei äußerte er wiederholt: „ich bringe dich um“. Dem Angeklagten war bewusst, dass der Nebenkläger in diesem Zeitpunkt unbewaffnet war und lediglich versuchte, den Angriff abzuwehren.

4Dem Geschädigten gelang es trotz seiner Verletzungen, den Angeklagten mit seinen Händen auf Abstand zu halten; die hinzukommenden Mitbewohner Ra.       und B.          trennten beide, hielten auch den Angeklagten fest und so auch von weiteren Stichen ab. Die Zeugen ließen beide los, wobei sich diese noch in unmittelbarer Nähe zueinander befanden. Der Nebenkläger begab sich auf Drängen des Zeugen Ra.       zu den Sicherheitsleuten in das Erdgeschoss. Der Angeklagte erkannte, dass die Stiche noch nicht den Tod des Geschädigten „herbeigeführt hatten“. Er hielt das Messer weiter in der Hand und ging in sein Zimmer.

5Der Nebenkläger erlitt multiple Schnitt- und Stichverletzungen, unter anderem zwei Kopfverletzungen mit einem Durchstich der Kopfschwarte, mehrere Stichverletzungen im Gesicht sowie eine etwa 9 cm tiefe Stichwunde im Flankenbereich und eine ungefähr 9 cm tiefe Stichverletzung im Brustbereich. Er musste angesichts der schweren Verletzungen notoperiert werden.

62. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gewertet. Es hat die Varianten der Verletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) und einer lebensgefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) angenommen.

7Das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes hat es auf das Wissen des Angeklagten von der Gefährlichkeit seiner Handlung und auf seine wiederholte Äußerung „ich bringe dich um“ gestützt. Es hat einen unbeendeten Versuch des Totschlags angenommen, von dem der Angeklagte strafbefreiend zurückgetreten sei.

II.

8Die Revision des Nebenklägers hat Erfolg, denn die Prüfung des Rücktritts (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB) weist Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.

91. Die Annahme eines unbeendeten Versuchs hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

10a) Die Abgrenzung zwischen einem unbeendeten und einem beendeten Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont (st. Rspr.; vgl. etwa , NStZ-RR 2021, 340). Wenn der Täter bei einem Tötungsdelikt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht, liegt ein beendeter Versuch vor (vgl. , NStZ 2017, 576), mit der Folge, dass er für den Eintritt der Straffreiheit entweder den Tod durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum jedenfalls freiwillig und ernsthaft bemühen muss. Rechnet der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit dem Eintritt des Erfolges, hält er jedoch die Vollendung weiterhin für möglich, liegt ein unbeendeter Versuch vor; für eine Straffreiheit genügt sodann die Aufgabe der weiteren Tatausführung.

11b) Gemessen an diesen Maßstäben tragen die Urteilsgründe nicht die Annahme eines unbeendeten Versuchs, weil die Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten defizitär sind.

12Das Landgericht hat zwar angenommen, der Angeklagte habe nach dem Eingreifen der Mitbewohner freiwillig von der weiteren Tatausführung abgesehen. Denn er habe den Tatort verlassen, obwohl es ihm möglich gewesen sei, den Nebenkläger erneut mit dem Messer anzugreifen und „seine Tat zu vollenden“. Es bleibt aber offen, was sich der Angeklagte im maßgeblichen Zeitpunkt nach seiner letzten Ausführungshandlung vorstellte.

13aa) Die Strafkammer hat insbesondere keine Feststellungen zur Kenntnis des Angeklagten über das Ausmaß der Verletzungen des Nebenklägers und der Möglichkeit eines Todeseintritts getroffen. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lassen sich keine relevanten Angaben zu dessen subjektiver Vorstellung insoweit entnehmen.

14Dass das Landgericht festgestellt hat, der Angeklagte habe nach dem Einschreiten der Mitbewohner erkannt, dass die „bislang ausgeführten Stiche noch nicht den Tod des Geschädigten herbeigeführt hatten“, kann die für die Rücktrittsprüfung vermissten Feststellungen nicht ersetzen. Denn es kommt nicht auf die Kenntnis davon an, ob die Handlung den Tod des Geschädigten herbeigeführt hat. Ein beendeter Tötungsversuch ist anzunehmen, wenn der Täter zum maßgeblichen Zeitpunkt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält. Dafür reicht die Kenntnis der tatsächlichen Umstände aus, die den Erfolgseintritt nahelegen (vgl. ).

15bb) Zudem teilt das Urteil nicht mit, ob der Angeklagte selbst im maßgeblichen Zeitpunkt eine Fortsetzung seiner Tat für möglich hielt. Zwar hat die Strafkammer festgestellt, der Angeklagte sei nach dem Eingreifen der Mitbewohner weiterhin im Besitz des Messers und „durchaus in der Lage gewesen“, seine Tat zu vollenden. Das Landgericht beschränkt sich allerdings offenbar auf eine aus den Umständen gezogene Schlussfolgerung und verhält sich nicht zu einem beim Angeklagten bestehenden Vorstellungsbild. Überdies lässt sich den Feststellungen nicht die Grundlage dieses gezogenen Schlusses entnehmen; es bleibt unklar, in welchen Positionen sich die Beteiligten nach dem Einschreiten der Mitbewohner befanden und ob dem Angeklagten bei objektiver Betrachtung ein erneuter Angriff möglich gewesen wäre; das Urteil teilt lediglich pauschal das Stehen in „räumlicher Nähe“ mit.

162. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne diese das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts vom versuchten Totschlag abgelehnt hätte.

17Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht umfassende und widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).

III.

18Die Überprüfung des Urteils im gebotenen Umfang hat keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 301 StPO entsprechend).

Cirener                       Mosbacher                       Resch

               von Häfen                           Werner

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:040624U5STR37.24.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-77318