BGH Urteil v. - 6 StR 137/24

Instanzenzug: Az: 39 Ks 13/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schwerer Brandstiftung in zwei tateinheitlichen Alternativen“ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

2Nach den Feststellungen bewohnte der Angeklagte mit seiner Lebensgefährtin, der Zeugin J.              , eine Mietwohnung in einem Reihenhaus. Unmittelbar daran schloß sich die Wohnung der Zeugen M.      und S.           an, die dort mit ihrem Kleinkind lebten. Der Angeklagte hatte Bier und Wodka getrunken und sich in einen leichten bis mittelgradigen Rauschzustand versetzt. Nach einem Streit mit der Zeugin J.             schlief er ein. Die Zeugin verließ anschließend zwischen 15 und 16 Uhr die Wohnung. Als der Angeklagte zwei bis drei Stunden später erwachte, bemerkte er, dass sich seine Lebensgefährtin nicht mehr in der Wohnung aufhielt und einige Sachen fehlten. Er begab sich zu seinen Nachbarn und fragte, ob sich die Zeugin J.              dort aufhalte. Diese teilten ihm mit, dass die Zeugin nicht bei ihnen sei. Der Angeklagte schrie, wenn J.           nicht nach Hause komme, werde er „hier alles in Brand setzen“. Aus seiner Wohnung versandte er über einen Zeitraum von etwa 30 Minuten 22 Sprachnachrichten an das Mobiltelefon der Zeugin. Er drohte darin mehrfach, die Wohnung, sich selbst und die anderen „abzufackeln“, wenn sie ihm nicht sage, wo sie sei, und nicht zurückkomme. Das Kind werde ihn auch nicht interessieren, es könne mit ihm verbrennen. Ferner kündigte er an, zu einer Tankstelle zu gehen und Sprit zu holen. Zugleich schrie er, für die Nachbarn gut vernehmbar, dass er sie anzünden und in Brand setzen werde, wenn die Zeugin nicht zurückkomme.

3Gegen 19:20 Uhr legte der Angeklagte im Küchenbereich seiner Wohnung an mindestens zwei Stellen mit Hilfe von Brandbeschleunigern Feuer. Er nahm dabei billigend in Kauf, dass Teile des Gebäudes selbständig Feuer fangen konnten, und verließ die Wohnung, ohne sich um den Brand zu kümmern. Er erkannte, dass es zu einer Rauchgasentwicklung und einem Übergreifen des Brandes auf die Nachbarwohnung kommen könne, und nahm eine Gesundheitsgefährdung der dortigen Bewohner billigend in Kauf. Er vertraute darauf, dass der Brand für die Nachbarn keine tödlichen Folgen haben würde. Wie vom Angeklagten beabsichtigt, fing das Mobiliar Feuer und breitete sich über die ganze Küche aus. Seiner Lebensgefährtin schrieb er: „Die Bude brennt“. Die Nachbarn, die sich bereits hingelegt hatten, nahmen ein zischendes Geräusch wahr und bemerkten die starke Rauchgasentwicklung; sie flüchteten aus ihrer Wohnung ins Freie. Die von anderen Nachbarn alarmierte Feuerwehr konnte ein Übergreifen der Flammen auf die umliegenden Wohnungen verhindern. Die Wohnung des Angeklagten und seiner Lebensgefährtin brannte dagegen völlig aus, es entstand ein Gesamtschaden in Höhe von etwa 100.000 Euro. Die Wohnung der Zeugen M.      und S.             wurde durch die Rauchgasentwicklung beschädigt und war für mehrere Monate unbewohnbar.

II.

4Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe nicht mit (bedingtem) Tötungsvorsatz gehandelt, entbehrt einer tragfähigen Beweiswürdigung.

51. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung etwa lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist. Insbesondere bei der Prüfung des (bedingten) Tötungsvorsatzes ist es erforderlich, sämtliche objektiven und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalls in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten (vgl. , NStZ-RR 2013, 75, 76 f.; vom  − 1 StR 457/15, NStZ 2016, 341; Beschluss vom  − 2 StR 122/19, NStZ 2020, 288; speziell zu Brandstiftungsdelikten Schneider in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 212 Rn. 52 ff. mwN). Rechtsfehlerhaft ist auch, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. etwa ; vom – 6 StR 71/24, jeweils mwN).

62. Daran gemessen erweist sich die der Verneinung des Tötungsvorsatzes zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

7a) Sie ist in zweifacher Hinsicht lückenhaft.

8aa) Dies gilt zum einen insoweit, als die Strafkammer bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes anderweit festgestellte Umstände nicht erkennbar erwogen hat. So führt sie allein bei der Prüfung der subjektiven Voraussetzungen des § 306a Abs. 2 StGB an, dass – auch aus Sicht des Angeklagten – die Gefährdung der Nachbarn in der unmittelbar angrenzenden Wohnung jedenfalls durch entstehende Rauchgase nahelag, zumal die Nachbarn durch andere Umstände, wie etwa die Rettung ihres Kleinkindes, am sofortigen Verlassen der Wohnung gehindert sein könnten. Bei der Erörterung eines etwaigen Tötungsvorsatzes geht die Strafkammer auf diesen für eine erhebliche Gefährdung der Nachbarn sprechenden Umstand nicht ein und lässt die erforderliche Gesamtschau vermissen.

9bb) Die Beweiswürdigung ist auch insofern lückenhaft, als die Strafkammer anführt, der Angeklagte habe damit rechnen können, dass die Nachbarn aufgrund des Geschreis in der hellhörigen Wohnung keineswegs arglos hinsichtlich einer Brandstiftung sein würden. Soweit er „Ihr Schwulen, ich zünde euch an“ geschrien habe, hat die Kammer dies nicht als Selbstgespräch, sondern als an die Nachbarn adressierte „Ankündigung und Warnung“ bewertet. Die Strafkammer hat nicht erörtert, welcher Zeitraum zwischen den Schreien und der Tat lag, und nicht in den Blick genommen, dass mit zunehmendem zeitlichen Abstand die Nachbarn davon ausgehen konnten, die Drohung sei nicht ernst gemeint.

10b) Zudem hat das Landgericht rechtsfehlerhaft Umstände zugunsten des Angeklagten unterstellt, für die das Beweisergebnis keinen Anhaltspunkt erbracht hat (vgl. , NStZ-RR 2015, 148; vom – 3 StR 288/19; Beschluss vom – 6 StR 109/22, NStZ 2022, 698). Dies gilt etwa für die Ansicht der Strafkammer, der Angeklagte habe „mehr als naheliegend“ davon ausgehen dürfen, dass die Lebensgefährtin wegen ihres engen Verhältnisses zu den Nachbarn diese aufgrund der empfangenen Sprachnachrichten vorwarnen würde. Es fehlt insoweit schon jeder Beleg für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei „von einem zeitnahen Abhören“ durch die Zeugin ausgegangen. Der Angeklagte hat sich dazu nicht geäußert; auch dem übrigen Urteil lassen sich keine Tatsachen für ein solches Vorstellungsbild des Angeklagten entnehmen.

Feilcke                         Wenske                         Fritsche

               Arnoldi                        Gödicke

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:040924U6STR137.24.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-77184