Instanzenzug: LG Görlitz Az: 9 KLs 420 Js 4699/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer verbotenen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Die Nachprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
32. Soweit die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist, hat das Urteil keinen Bestand.
4a) Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte im Mai 2023 knapp 60 g Crystal (Methamphetamin) mit einer Wirkstoffmenge von über 42 g Methamphetamin-Base in der Tschechischen Republik und brachte es ins Bundesgebiet, wobei etwa 45 g zum gewinnbringenden Verkauf und der Rest zum Eigenkonsum bestimmt waren.
5Das Landgericht hat – ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen – das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt verneint, weil ein Hang im Sinne des § 64 StGB angesichts der mittlerweile nachweislich gelebten Abstinenz (seit Vollzug der Untersuchungshaft) und der Teilnahme des Angeklagten an Suchthilfemaßnahmen nicht festzustellen sei.
6b) Der Ablehnung eines Hangs im Sinne von § 64 StGB ist nicht tragfähig begründet.
7aa) Nach der am in Kraft getretenen und hier maßgeblichen Neufassung des § 64 StGB (BGBl. I Nr. 203, S. 2) erfordert der Hang eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Auch unter Zugrundelegung des seit der Neufassung des Gesetzes strengeren Maßstabs (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 44 f.; ; Beschluss vom – 5 StR 345/23) erweisen sich die äußerst knappen Ausführungen des Landgerichts, mit denen es das Vorliegen eines Hangs verneint hat, als unvollständig und für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar; zudem offenbaren sie ein zu enges Verständnis des Hangs.
8bb) Nach den Feststellungen begann der 52 Jahre alte Angeklagte, der seit 1998 wiederholt wegen Betäubungsmittelstraftaten verurteilt wurde, im Alter von etwa 18 Jahren illegale Substanzen zu konsumieren – zunächst Marihuana, dann „alle möglichen Pillen“ und Kokain, zuletzt vorwiegend Crystal Meth und Cannabis, unter anderem um den Belastungen des Alltags standhalten zu können. Soweit es längere Zeiten der Abstinenz gab, verstärkte sich sein Konsum ab 2016 nach der Trennung von seiner Partnerin. Er konsumierte durchgehend und regelmäßig; seit dem Tod seines besten Freundes im Dezember 2021 nahezu täglich, Cannabis und zwischen 0,2 g und 0,5 g Crystal Meth. Nach eigenen Angaben habe er dabei „immer versucht, sich selbst zu disziplinieren und seine Sucht in den Griff zu bekommen“. Wegen des Dauerkonsums verheilte eine seit 2018 bestehende offene OP-Wunde erst, als der Angeklagte im Zusammenhang mit dem Vollzug der Untersuchungshaft den Konsum beendete. Die zu Beginn der Haft auftretenden Entzugserscheinungen „versuchte“ er „zunächst“, ohne Medikamente und Drogenkonsum „hinzukriegen“. Seit Juli 2023 nimmt er regelmäßig an Suchtberatungsterminen teil.
9cc) Angesichts dieser Feststellungen liegt das Bestehen einer Substanzkonsumstörung und hieraus resultierenden Beeinträchtigungen der sozialen Funktionsfähigkeit, mithin das Bestehen eines Hangs – trotz durchgehender Erwerbstätigkeit des Angeklagten – nicht fern. Denn im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht ihm zugutegehalten, dass er abhängig war und seine Sucht nicht anderweitig als durch die Begehung der Tat finanzieren konnte.
10Demgegenüber erweist sich die Annahme des Landgerichts, aufgrund zwischenzeitlicher Abstinenz in der Untersuchungshaft liege kein Hang mehr vor, als nicht tragfähig und lässt besorgen, dass es von einem zu engen Verständnis des Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist. Der Verzicht des Angeklagten auf Drogenkonsum im Rahmen der Untersuchungshaft und seine Teilnahme an Suchthilfemaßnahmen sind insoweit nicht entscheidend. Ungeachtet dessen, dass die angenommene „nachweislich gelebte Abstinenz“ allein durch Angaben des Angeklagten belegt ist, kommt dem durch die Haft erzwungenen Drogenverzicht kein maßgebliches Gewicht zu. Schon unter Geltung des § 64 StGB aF stand dem Vorliegen eines Hangs nicht entgegen, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage ist, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen (vgl. zu § 64 StGB aF BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 416/22; vom – 6 StR 148/21; vom – 2 StR 93/19; vom – 1 StR 582/18; Urteil vom – 5 StR 102/20). An diesen Grundsätzen ist, auch wenn § 64 StGB nF nunmehr strengere Anforderungen an die Begründung stellt (siehe oben), jedenfalls insoweit festzuhalten, als allein ein Verzicht auf Konsum über wenige Monate der Untersuchungshaft weder dem (Fort-)Bestehen einer Substanzkonsumstörung noch schwerwiegenden und dauerhaften Auswirkungen auf die soziale Leistungsfähigkeit entgegenstehen muss.
11c) Das Urteil beruht auf den Rechtsfehlern (337 Abs. 1 StPO), da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die abgeurteilte Tat überwiegend auf den möglichen Hang zurückgeht (zum symptomatischen Zusammenhang nach Neufassung des § 64 StGB vgl. , NStZ-RR 2024, 45). Die für die Anordnung der Maßregel erforderliche tatsachenbasierte Erfolgsaussicht (vgl. Rn. 6) scheidet hier nicht von vornherein aus. Der in der Haft abstinente Angeklagte wurde bisher nicht therapiert und nimmt seit mehreren Monaten Gespräche mit der Suchtberatung wahr, unterzieht sich freiwilligen Drogentests und hat ein hohes Interesse an einem drogenfreien Leben gegenüber der Strafkammer bekundet, was für eine ausreichende Motivation spricht.
123. Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) – insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO); er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
13Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:130824B5STR343.24.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-76825