BGH Urteil v. - 6 StR 168/24

Instanzenzug: LG Hof Az: 5 KLs 4430 Js 17393/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in acht Fällen, jeweils in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, unter Einbeziehung anderweitig erkannter Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Erfolg und erweist sich im Übrigen als unbegründet. Das auf den Freispruch beschränkte, ebenfalls auf die Sachrüge gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist begründet.

I.

2Die Revision des Angeklagten führt zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs.

31. Nach den Feststellungen verkaufte der Angeklagte im Zeitraum von Januar bis Juni 2017 gewinnbringend an den anderweitig verurteilten und seinerzeit 14 beziehungsweise 15 Jahre alten A.             in drei Fällen jeweils ein Gramm, in drei Fällen jeweils 20 Gramm und in zwei weiteren Fällen jeweils 50 Gramm Marihuana. Die Drogen hatten einen Wirkstoffgehalt von mindestens fünf Prozent THC.

42. Der Schuldspruch ist zu ändern, weil am das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG, BGBl. I Nr. 109) in Kraft getreten ist, das den Umgang mit Konsumcannabis abschließend regelt (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 130) und nach § 354a StPO bei der Revisionsentscheidung zu berücksichtigen ist. Dieses erweist sich bei der nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen konkreten Betrachtungsweise (vgl. , BGHSt 20, 74, 75 mwN) als das mildere Gesetz. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Strafkammer einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG angenommen hat. Der Senat schließt aus, dass das Tatgericht den Strafrahmen eines besonders schweren Falls nach § 34 Abs. 3 KCanG angewandt hätte, obgleich dem Umstand, dass es sich bei Cannabis um eine „weiche Droge“ handelt, unter dem KCanG keine strafmildernde Bedeutung beizumessen ist (vgl. , Rn. 17). Denn die Strafkammer hat die Anwendung des Sonderstrafrahmens von § 29a Abs. 2 BtMG nicht vorrangig damit begründet, dass es sich bei Cannabis um eine Droge von geringerer Gefährlichkeit handelt (vgl. , Rn. 30 mwN), sondern vor allem mit dem Zeitablauf von mehr als sechs Jahren seit den Taten, der teilgeständigen Einlassung des Angeklagten und dessen gezeigter Reue.

5Danach hat sich der Angeklagte des Handeltreibens mit Cannabis in acht Fällen schuldig gemacht (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG). Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO. Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen; der geständige Angeklagte hätte sich nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.

63. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der verhängten Strafen. Denn der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer aufgrund des milderen Strafrahmens (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) auf niedrigere Strafen erkannt hätte. Dies entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage; insoweit bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

74. Sollte das neue Tatgericht wiederum zur Verhängung kurzer Freiheitsstrafen kommen, wird es die Vorschrift des § 47 StGB zu beachten haben. Der Senat weist außerdem darauf hin, dass nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB ein Anrechnungsmaßstab für die erlittene Auslieferungshaft im Urteil zu bestimmen ist.

II.

8Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; der Teilfreispruch hat keinen Bestand.

91. Mit der Anklage legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten insoweit zur Last, gemeinschaftlich mit dem anderweitig Verfolgten S.           mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben. Dazu sollen beide am in ihrem gemeinsamen Zimmer in der Asylbewerberunterkunft insgesamt 392,78 Gramm Marihuana, 191,3 Gramm Haschisch und 84 Ecstasy-Pillen aufbewahrt haben. Mindestens 279,5 Gramm des Marihuanas habe der Angeklagte zuvor von einer unbekannt gebliebenen Person gegen Zahlung von mindestens 900 Euro erhalten.

10Die Strafkammer hat den Angeklagten von diesem Vorwurf aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Sie ist den Angaben des gesondert Verurteilten B.           , der gegenüber dem als Zeugen gehörten Vernehmungsbeamten angegeben haben soll, kurz vor der Sicherstellung der Drogen ein Betäubungsmittelgeschäft für den Angeklagten angebahnt zu haben, allein deshalb nicht gefolgt, weil sie sich von der Glaubwürdigkeit des für sie unerreichbaren gesondert Verurteilten kein eigenes Bild habe machen können; es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der gesondert Verurteilte den Angeklagten zu Unrecht belastet habe.

112. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet insoweit, auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. , Rn. 3 mwN), durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

12a) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft (vgl. , Rn. 6). Denn der Senat kann nicht überprüfen, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei davon abgesehen hat, die Bekundungen des gesondert Verurteilten in die gebotene – hier überdies fehlende – Gesamtschau einzustellen (vgl. dazu , Rn. 8).

13Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, was der anderweitig Verurteilte B.          , dessen Angaben durch den Vernehmungsbeamten R.         in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind, in seinen – mindestens zwei – Vernehmungen im Einzelnen bekundet hat. Es bleibt auch unklar, vor welchem Hintergrund der gesondert Verurteilte Angaben gemacht hat, wie es zu seiner Vernehmung kam und was ihm vorgeworfen wurde.

14b) Ein damit in Zusammenhang stehender weiterer sachlich-rechtlicher Mangel ist darin zu sehen, dass die Strafkammer ihre durchgreifenden Zweifel an der Glaubwürdigkeit des gesondert Verurteilten B.            ganz maßgeblich mit dessen Unerreichbarkeit begründet und damit den Beweiswert eines „Zeugen vom Hörensagen” (vgl. , BGHSt 17, 382, 383) schon im Grundsatz verneint und sich den Blick auf eine freie Beweiswürdigung (§ 261 StPO) verstellt hat. Die Unerreichbarkeit des unmittelbaren Zeugen steht der Berücksichtigung der Bekundungen des „Zeugen vom Hörensagen“ indessen nicht stets entgegen.

15Es sind insoweit allerdings besonders strenge Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen (vgl. , BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 28; Beschluss vom − 4 StR 413/22). Dabei sind die durch den Vernehmungsbeamten wiedergegebenen Angaben insbesondere mit Blick auf das Konfrontationsrecht (vgl. mwN) besonders kritisch und sorgfältig zu würdigen.

163. Vorsorglich weist der Senat auf das Folgende hin:

17a) Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass die Strafkammer überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat. So hat sie den Freispruch damit begründet, dass die Einlassung des Angeklagten, er habe „damit“ nichts zu tun, vielmehr habe der gesondert Verfolgte S.    -        die Betäubungsmittel am Abend vor dem Tag ihrer Sicherstellung im Schrank verstaut, aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme „nicht zu widerlegen“ sei. Die Angaben eines Angeklagten müssen indessen auch mit Blick auf den Zweifelsgrundsatz nicht schon deshalb als „nicht zu widerlegen“ den Feststellungen zugrunde gelegt werden, weil es für ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit keine Beweise gibt. Vielmehr sind sie – ebenso wie andere Beweismittel – auf ihre Plausibilität und anhand des übrigen Beweisergebnisses auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen (vgl. , Rn. 13 mwN).

18b) Sollte sich der Angeklagte ebenso wie zu den abgeurteilten Taten über seinen Verteidiger erklären, kann seiner Einlassung unter Umständen ein verminderter Beweiswert zukommen (vgl. , Rn. 13; Beschluss vom – 3 StR 380/21, Rn. 10; jeweils mwN).

Feilcke                       Wenske                    Fritsche

                   Arnoldi                  Gödicke

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:040924U6STR168.24.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-75944