BGH Beschluss v. - 6 StR 340/24

Instanzenzug: LG Halle (Saale) Az: 1 Ks 7/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer und mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer anderen Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Das auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten hat weitgehend Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den Feststellungen verbrachten der Angeklagte, der Zeuge Z.             , der spätere Geschädigte N.           und der Zeuge Ny.       im November 2013 die Nacht gemeinsam in der im zweiten Obergeschoss gelegenen Wohnung Ny.    s. Die Stimmung war infolge Alkohol- und Kokainkonsums gelöst. Sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge Z.           fühlten sich zu dem wegen transsexueller Neigungen als Frau auftretenden Ny.     hingezogen, der ihnen als attraktive Frau erschien. Als der eifersüchtige homosexuelle Geschädigte darauf hinwies, dass es sich bei seinem Freund Ny.     um einen Mann handele, geriet der Angeklagte in heftige Wut, ergriff den ihm körperlich unterlegenen Geschädigten an dessen Hemd, schob ihn in Richtung des geöffneten Fensters und stieß ihn heftig gegen den nicht vollständig herabgelassenen Rollladen. Infolge der Wucht des Aufpralls brach der Rollladen einseitig aus der Führungsschiene, und der Geschädigte stürzte mehr als sechs Meter hinab auf den Gehweg, wo er mit dem Kopf aufschlug. Er erlitt unter anderem schwere und konkret lebensgefährliche Kopfverletzungen. Infolgedessen kann er nur noch eingeschränkt sprechen und laufen, ist seither erwerbsunfähig und bei der Bewältigung seines Alltags dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen.

3Der Angeklagte wollte den Geschädigten durch den Stoß aus dem Fenster verletzen, um ihn auf diese Weise für die Täuschung über das Geschlecht Ny.    s und dessen vorhergehende Annäherungsversuche ihm – dem Angeklagten – gegenüber zu bestrafen. Ihm war aber auch bewusst, dass der Geschädigte einen Sturz aus dem zweiten Stock mit großer Wahrscheinlichkeit nicht oder nur mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen überleben würde, was er jedoch billigend in Kauf nahm.

42. Der Schuldspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht tragfähig belegt sind.

5a) Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen getrennt voneinander geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen, wobei bei der Prüfung neben der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung und der konkreten Angriffsweise des Täters auch seine psychische Verfassung bei Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (st. Rspr.; vgl. − 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267 mwN).

6b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht, weil den Urteilsgründen schon nicht zu entnehmen ist, aufgrund welcher Indizien das Landgericht auf die Merkmale der inneren Tatseite geschlossen hat.

7aa) Zwar deuten die Urteilsgründe in ihrem Gesamtzusammenhang an, dass die Strafkammer die Gefährlichkeit der Tathandlung und den Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts im Blick hatte. Beide Umstände sind indessen keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Täter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei besonders gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. ; vom – 2 StR 54/14, NStZ 2015, 516). Das Landgericht hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. ; vom – 4 StR 432/18, Rn. 10) nicht vorgenommen.

8Insbesondere bei spontanen, unüberlegt oder in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus der Kenntnis der Gefahr des möglichen Todeseintritts nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. , Rn. 8; vom – 1 StR 344/16). Das Landgericht hatte auch die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten als weiteren Umstand zur Entkräftung des Tötungsvorsatzes in den Blick zu nehmen. Dies ist auch in Fällen geboten, in denen das Tatgericht – wie hier – eine uneingeschränkte Schuldfähigkeit bejaht (vgl. , Rn. 42).

9bb) Dem Handlungsantrieb des Angeklagten, den Geschädigten für seine Annäherungsversuche und die vermeintliche Täuschung zu bestrafen, kommt nur insoweit Bedeutung zu, als dieser Rückschlüsse auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen zulässt (vgl. , Rn. 14 mwN). Denn mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter verfügen regelmäßig über kein Tötungsmotiv (vgl. , Rn. 10; vom – 4 StR 608/11, Rn. 20; vom – 5 StR 344/05, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 61).

103. Obschon die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz nicht fernliegt, bedarf die Sache aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers neuer tatgerichtlicher Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung entzieht auch dem Schuldspruch zu den tateinheitlich verwirklichten Delikten die Grundlage. Die von dem Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen haben hingegen Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO) und können um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

Feilcke                       Wenske                       Fritsche

                Arnoldi                      Gödicke

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:050924B6STR340.24.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-75883