Zulässigkeit einer auf Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gestützten Rechtsbeschwerde
Leitsatz
Eine auf die Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gestützte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, wenn es der Beschwerdeführer im Rahmen des vorinstanzlichen Rechtsmittels versäumt hat, eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (Anschluss an , VersR 2022, 1125).
Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO, § 574 Abs 2 Nr 2 ZPO
Instanzenzug: Az: 5 U 1889/21vorgehend Az: 1 O 17/19
Gründe
I.
1Der Kläger nimmt - soweit im Rahmen der Rechtsbeschwerde von Interesse - die Beklagte wegen Aufklärungsfehlern im Rahmen einer pharmakologischen Studie in Anspruch.
2Der Kläger nahm im September 2017 an einer pharmakologischen Erstanwendungsstudie des beklagten Auftragsforschungsinstitutes an gesunden Probanden teil. Mitte August 2017 fand eine Informationsveranstaltung zur geplanten Studie mit den potentiellen Probanden und einer Ärztin (sog. Prüfärztin) statt und er erhielt eine Probandeninformationsbroschüre. Weiter nahm er am an einer Voruntersuchung teil, vor deren Beginn er ein Einzelgespräch mit einem Prüfarzt führte und im Anschluss unter anderem die Probandeninformationsbroschüre und eine Einwilligungserklärung unterzeichnete.
3Zur Durchführung der Studie befand sich der Kläger ab dem stationär in einem Studienzentrum der Beklagten. Nachdem ihm einmalig das Prüfpräparat subkutan verabreicht worden war, klagte er in der Nacht vom 6. auf den über Parästhesien der unteren Extremitäten, Schmerzen, ein Kältegefühl in beiden Beinen sowie ein allgemeines Krankheitsgefühl. In der Folge kam es zu einer Vorstellung in einer neurologischen Praxis sowie zu einer neurologischen Abklärung während eines stationären Aufenthaltes in einer Klinik. Die Beschwerdesymptomatik des Klägers hatte sich bereits verbessert, war aber noch nicht abgeklungen. Es wurden Sensibilitätsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten festgestellt.
4Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld, Ersatz des Haushaltsführungsschadens und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden abgewiesen. Die Frage, ob der Kläger ordnungsgemäß und ausreichend aufgeklärt worden sei, bedürfe keiner Entscheidung, weil der Kläger nicht bewiesen habe, dass die Beschwerden durch die Gabe des Prüfpräparates verursacht worden seien.
5Die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht - nach vorherigem Hinweis - durch Beschluss als unzulässig verworfen. Der Kläger habe zwar die von dem Landgericht fehlerhaft verneinte Kausalität und damit auch die tragende Erwägung für den Aspekt des Aufklärungsmangels mit Erfolg angegriffen, denn der Kausalitätsnachweis zwischen der Gabe des Prüfpräparates und dem im zeitlichen Zusammenhang aufgetretenen Polyneuropathiesyndrom sei nach dem geringeren Beweismaßstab des § 287 ZPO als geführt anzusehen. Der Kläger habe aber in der Berufungsbegründung keine Ausführungen dazu gemacht, inwiefern die Rechtsverletzung des Landgerichts entscheidungserheblich gewesen sei. Hierzu habe es zumindest Ausführungen dazu bedurft, dass tatsächlich auch ein Aufklärungsmangel vorgelegen habe und die Beklagte sich nicht - wie in erster Instanz geschehen - auf eine hypothetische Einwilligung berufen könne. Der Verweis in der Berufungsbegründung auf den erstinstanzlichen Vortrag sei nicht ausreichend, da der Kläger dort die detaillierten Ausführungen der Beklagten zur ordnungsgemäßen Aufklärung nicht erheblich bestritten habe und die Aufklärung nach dem deshalb zugestandenen Vortrag der Beklagten ordnungsgemäß erfolgt sei. Unabhängig davon könne sich die Beklagte auf eine hypothetische Einwilligung des Klägers berufen, da der Kläger einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel dargelegt habe. Aus den genannten Gründen wäre die Berufung auch unbegründet. In der Stellungnahme des Klägers auf den Hinweisbeschluss fehle es an einer Auseinandersetzung mit der Auffassung des Senates, dass die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entspreche.
6Mit der Rechtsbeschwerde beanstandet der Kläger, dass er die Entscheidungserheblichkeit des Aufklärungsversäumnisses in der Berufungsbegründung ausreichend dargelegt habe, indem er ausgeführt habe, dass das Landgericht die Aufklärungsversäumnisse fälschlicherweise nicht geklärt habe. Es habe nur eine Gruppenaufklärung gegeben, bei der die Risiken bagatellisiert und die speziellen Risiken, die sich bei ihm realisiert hätten, gar nicht angesprochen worden seien. Im Übrigen ergebe sich die Entscheidungserheblichkeit unmittelbar aus dem Prozessstoff. Weitere Ausführungen seien, zumal er auf die Ausführungen erster Instanz Bezug genommen habe, nicht erforderlich gewesen.
II.
7Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt den gesetzlichen Frist- und Formerfordernissen. Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich. Einer Berufung des Klägers auf die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfG, NJW 2003, 281, juris Rn. 9 mwN) steht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität entgegen.
81. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Zur Darlegung der Rechtsverletzung gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf. Für die Zulässigkeit der Berufung ist auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Zur Bezeichnung des Umstands, aus dem sich die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung materiellen Rechts ergibt, genügt regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht, die dem Berufungskläger zufolge zu einem anderen Ergebnis als dem des angefochtenen Urteils führt. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Dabei ist aber stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 22/20, VersR 2022, 978 Rn. 6; vom - VI ZB 81/19, juris Rn. 7 mwN).
9Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes gerecht. Sie lässt hinreichend erkennen, welche Gründe der Kläger den Erwägungen des Landgerichts entgegensetzt. Unter korrekter Bezeichnung des angefochtenen Urteils hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung gerügt, dass das Landgericht rechtsirrig einen Aufklärungsfehler sowie die Kausalität zwischen der Behandlung und dem Schaden verneint habe. Der Kläger hat - zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich - den für die Klageabweisung maßgeblichen Gesichtspunkt angegriffen, dass es ihm nicht gelungen sei, die Kausalität zwischen der Behandlung und den Schäden zu beweisen. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen.
10Aus der Berufungsbegründung ergibt sich, dass der Kläger Schmerzensgeld, Schadensersatzansprüche und Feststellung aufgrund der vermeintlich fehlerhaft durch die Beklagte durchgeführten pharmakologischen Studie geltend macht. Weiter hat er als Aufklärungsfehler geltend gemacht, dass es nur eine Gruppenaufklärung gegeben habe, bei der die Risiken bagatellisiert und die speziellen Risiken, die sich bei ihm realisiert hätten, gar nicht angesprochen worden seien. Damit wird in einer für die Zulässigkeit der Berufung hinreichend verständlichen Weise deutlich, dass der Kläger vom Berufungsgericht die Überprüfung der Auffassung des Landgerichts vom Fehlen der Kausalität und - bei deren Bejahung - die Prüfung der geltend gemachten Aufklärungsmängel durch das Berufungsgericht selbst begehrt. Es war nicht geboten, ausdrücklich noch einmal das gesamte erstinstanzliche Vorbringen zu den Voraussetzungen des verfolgten Klageanspruchs - auf das der Kläger in der Berufungsbegründung pauschal verwiesen hat - zu wiederholen und auf diese Weise die Entscheidungserheblichkeit des Berufungsangriffs darzutun (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 215/14, NJW 2015, 1684 Rn. 10; , NJW 2012, 3581 Rn. 12). Die Entscheidungserheblichkeit ergibt sich bereits daraus, dass eine inhaltliche Prüfung der geltend gemachten Aufklärungsversäumnisse nicht erfolgt und die Klage allein mangels vermeintlich nicht feststellbarer Kausalität abgewiesen worden ist. Der Vortrag des Klägers zu den geltend gemachten Aufklärungsmängeln lässt sich dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils entnehmen. Für die Zulässigkeit der Berufung ist ohne Bedeutung, ob diese Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Ob der Vortrag des Klägers gem. § 138 Abs. 2, 3 ZPO genügt, das Vorbringen der Beklagten zu Umfang und Inhalt der Aufklärung substantiiert zu bestreiten, ist eine Frage der Begründetheit der Berufung.
112. Der Kläger kann sich jedoch wegen des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität auf die fehlerhafte Abweisung seiner Berufung als unzulässig nicht mit Erfolg berufen.
12a) Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st. Rspr, vgl. nur Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 14/21, ZfS 2022, 259 Rn. 12; vom - VI ZB 30/19, NJW-RR 2021, 1507 Rn. 12, jeweils mwN). Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren. Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führten. Nichts Anderes gilt für das Rechtsbeschwerdeverfahren (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 14/21, ZfS 2022, 259 Rn. 12 mwN; vom - VI ZB 30/19, NJW-RR 2021, 1507 Rn. 12, jeweils mwN).
13b) Gemessen daran hat es der Kläger versäumt, zu den Ausführungen des Berufungsgerichts im Hinweisbeschluss vom , dass und weshalb die Berufungsbegründung den Vorgaben aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht gerecht werde, Stellung zu nehmen. In der kursorischen Stellungnahme zum Hinweisbeschluss finden sich keine Ausführungen dazu, weshalb die Berufung entgegen der im Hinweisbeschluss geäußerten Ansicht des Berufungsgerichts dennoch zulässig sei. Solche zeigt die Rechtsbeschwerde auch nicht auf. Indem der Kläger zu der angedrohten Verwerfung der Berufung nicht Stellung genommen hat, hat er die ihm eingeräumte prozessuale Möglichkeit zur Verhinderung der nunmehr mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensgrundrechtsverletzung nicht genutzt.
Seiters Oehler Müller
Klein Böhm
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:300724BVIZB30.22.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 41
YAAAJ-75689