BSG Urteil v. - B 6 KA 5/23 R

Instanzenzug: Az: S 38 KA 217/21 Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 12 KA 31/22 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Arzneimittelregresses um den Anwendungsbereich der in § 106b Abs 2a SGB V geregelten Begrenzung der Nachforderungen gegenüber Ärzten wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlichen Verordnung.

2Die Beigeladene zu 2., eine kinderärztliche Gemeinschaftspraxis, verordnete im Fall von Versicherten der klagenden Krankenkasse ua die Arzneimittel Spasmo Mucosolvan Saft sowie Mucospas Saft (Quartal 3/2019 iHv 265,68 Euro, Quartal 4/2019 iHv 675,24 Euro). Nachdem die Klägerin einen Antrag auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungen gestellt hatte, setzte die beklagte Prüfungsstelle Regresse gegenüber der Gemeinschaftspraxis iHv 197,26 Euro (Bescheid vom für Quartal 3/2019) und iHv 559,62 Euro (Bescheid vom für Quartal 4/2019) fest. Die verordneten Arzneimittel seien nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnungsfähig. Nach § 106b Abs 2a SGB V seien allerdings nicht die vollen Kosten der Arzneimittel anzusetzen. Die Beklagte rechnete als wirkstoffgleiche und zulässige Verordnungsalternative die Verordnung von Ambroxol gegen und setzte die Differenz als Regress fest.

3Die hiergegen gerichteten Klagen der Krankenkasse, die geltend gemacht hat, dass die vollen Kosten des Arzneimittels zurückgefordert werden müssten, hat das SG abgewiesen (Urteil vom ). Die Differenzkostenregelung des § 106b Abs 2a SGB V finde auch auf unzulässige Arzneimittelverordnungen - wie sie hier im Streit stünden - Anwendung. Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG sowie die angefochtenen Prüfbescheide aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verpflichtet (Urteil vom ). Bei der Berechnung des Rückforderungsbetrages habe die Beklagte zu Unrecht die Differenzschadensberechnung angewandt. Zwar spreche der Wortlaut des § 106b Abs 2a Satz 1 SGB V dafür, dass auch unzulässige Verordnungen erfasst würden. Gleichwohl seien in teleologischer Reduktion der Vorschrift unzulässige Arzneimittelverordnungen vom Anwendungsbereich ausgenommen. Bei unzulässigen Verordnungen bestehe nach ständiger Rechtsprechung kein Raum für eine Ermessensausübung hinsichtlich der Schadensbestimmung. Der durch eine unrechtmäßige ärztliche Verordnung eingetretene Schaden werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Krankenkasse des Versicherten bei einer rechtmäßigen Verordnung dieselben oder gar höhere Kosten entstanden wären. Dies beruhe auf der Bedeutung des vertragsärztlichen Ordnungssystems für die Wirtschaftlichkeit und die Qualität der vertragsärztlichen Versorgung und der daraus folgenden Notwendigkeit, die dafür maßgebenden Bestimmungen nicht zu unbeachtlichen Ordnungsvorschriften herabzustufen. Es sei mehr als unwahrscheinlich, dass diese Rechtsprechung durch eine Gesetzesänderung, die erst spät im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens - quasi "in letzter Minute" - aufgenommen worden sei, vollumfänglich aufgegeben werden sollte, ohne dass dies der Gesetzgeber auch nur ansatzweise begründe.

4Dagegen wendet sich die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) mit ihrer Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion der Vorschrift lägen nicht vor. Vielmehr habe der Gesetzgeber mit der Regelung eine grundsätzliche Abkehr vom normativen Schadensbegriff im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung beabsichtigt. Dies folge bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. § 106b Abs 2a Satz 1 SGB V unterscheide nicht zwischen unzulässigen und unwirtschaftlichen Verordnungen und nehme zudem Bezug auf "Nachforderungen" nach § 106b Abs 1 Satz 2 SGB V. Das BSG betone in ständiger Rechtsprechung (Hinweis auf - SozR 4-2500 § 106 Nr 28 und - SozR 4-2500 § 106 Nr 62), dass es sich bei einem Arzneimittelregress, der auf einer Verordnung eines nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähigen Arzneimittels beruhe, um einen Fall der Wirtschaftlichkeitsprüfung handele. Soweit das LSG ausführe, dass bei Einbeziehung von unzulässigen Verordnungen unter die Differenzkostenregelung die Sanktionsfunktion des Arzneimittelregresses unterlaufen werde, überzeuge dies nicht. Der Verordnungsregress sei kein Sanktionsmittel für Verstöße gegen vertragsärztliche Pflichten, sondern ein Schadensersatzanspruch, der einen Vermögensnachteil ausgleichen solle.

5Die Beigeladene zu 1. beantragt,das Urteil des Bayerischen aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das zurückzuweisen.

6Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.

7Zutreffend sei das LSG davon ausgegangen, dass sich § 106b Abs 2a SGB V allein auf unwirtschaftliche Verordnungen im engeren Sinne beziehe und unzulässige Verordnungen nicht erfasse. Dass der Gesetzgeber mit der Regelung eine Modifizierung des normativen Schadensbegriffs im Vertragsarztrecht beabsichtigt habe, könne nicht angenommen werden.

8Die Beklagte beantragt,das Urteil des Bayerischen aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das zurückzuweisen.

9Sie ist der Auffassung, dass die Differenzschadensberechnung auch auf unzulässige Verordnungen Anwendung finde.

Gründe

10Die Revision der zu 1. beigeladenen KÄV ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

11A. Die Beigeladene zu 1. ist alleinige Revisionsführerin und zur Einlegung der Revision rechtsmittelbefugt. Für die Rechtsmittelbefugnis der Beigeladenen bedarf es auch im Revisionsverfahren (vgl § 165 iVm §§ 143 ff SGG) stets einer materiellen Beschwer durch das angegriffene Urteil im Sinne einer möglichen Verletzung in eigenen subjektiven Rechten (vgl zB - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 19 mwN; - BSGE 127, 288 = SozR 4-2500 § 130b Nr 3, RdNr 20; - KrV 2022, 80 = juris RdNr 17; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, Vor § 143 RdNr 8 mwN). Dies ist vorliegend in Bezug auf die Beigeladene zu 1. der Fall. Generell gilt, dass die zu einem Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung (notwendig) beigeladene KÄV schon wegen der in § 106 Abs 1 SGB V normierten Gesamtverantwortung von Krankenkassen und KÄVen für die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen durch Entscheidungen der Prüfgremien bzw der Gerichte beschwert sein können. Zudem ist die Beigeladene zu 1. Verhandlungspartnerin der regionalen Prüfvereinbarung (§ 106b Abs 1 Satz 1 SGB V). Die formelle Beschwer folgt aus der Erfolglosigkeit ihres Klageabweisungsantrags.

12B. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass es keines Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss bedurfte. Nach § 106c Abs 3 Satz 1 SGB V können betroffene Ärzte und ärztlich geleitete Einrichtungen, die Krankenkassen, die betroffenen Landesverbände der Krankenkassen sowie die KÄVen gegen Entscheidungen der Prüfungsstelle den Beschwerdeausschuss anrufen. Abweichend davon findet nach § 106c Abs 3 Satz 6 SGB V (in der ab dem geltenden Fassung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes <TSVG> vom <BGBl I 646>) in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist diese Ausnahmevorschrift auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) ergibt ( - BSGE 108, 175 = SozR 4-2500 § 106 Nr 32, RdNr 19; - BSGE 112, 251 = SozR 4-2500 § 106 Nr 38, RdNr 10; - SozR 4-2500 § 106 Nr 45 RdNr 16). Zudem muss sich der Ausschluss aus spezifischen Regelungen des Krankenversicherungsrechts ergeben. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die in Rede stehenden Verordnungen betreffen Arzneimittel, deren Verordnung Versicherte (grundsätzlich) nicht beanspruchen können. Nach § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind. § 16 Abs 3 Arzneimittel-Richtlinie bestimmt, dass die nach den Absätzen 1 und 2 (wegen fehlenden Nachweises des Nutzens, der medizinischen Notwendigkeit oder der Wirtschaftlichkeit bzw wegen Unzweckmäßigkeit oder Therapiealternativen) in ihrer Verordnung eingeschränkten und von der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittel in einer Übersicht als Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie zusammengestellt sind. In dieser Anlage werden unter Nr 31 auch "Hustenmittel: fixe Kombinationen von Antitussiva oder Expektorantien oder Mukolytika untereinander oder mit anderen Wirkstoffen" aufgeführt, deren Verordnung vorliegend im Streit steht. Der Umstand, dass diese Arzneimittel in besonderen Konstellationen mit Begründung verordnet werden dürfen (vgl § 31 Abs 1 Satz 4 SGB V, § 16 Abs 5 Arzneimittel-Richtlinie), ändert nichts daran, dass jedenfalls für den Regelfall ein Verordnungsausschluss besteht (vgl - SozR 4-2500 § 106 Nr 45 RdNr 21 f).

13C. Die Revision der Beigeladenen zu 1. bleibt ohne Erfolg. Zutreffend hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung des Prüfungsantrags der Klägerin verpflichtet. Es hat revisionsrechtlich beanstandungsfrei entschieden, dass Rechtsgrundlage des festgesetzten Regresses § 27 der im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV geltenden "Prüfungsvereinbarung vom über das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch die Prüfungsstelle und den Beschwerdeausschuss Ärzte Bayern nach § 106 Abs. 1 Satz 2 und § 106b Abs. 1 Satz 1 SGB V" (in Fassung des 2. Nachtrags mit Gültigkeit ab , im Folgenden: Prüfvereinbarung) iVm § 106b Abs 1 Satz 1 SGB V (idF des TSVG) ist (dazu 1.). Ebenso hat das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Differenzkostenregelung nach § 106b Abs 2a Satz 1 SGB V bei der Festsetzung des Regressbetrages nicht anzuwenden ist (dazu 2.).

141. Nach § 106 Abs 1 Satz 1 SGB V überwachen die Krankenkassen und die KÄVen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Nach § 106b Abs 1 Satz 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung mit ärztlich verordneten Leistungen ab anhand von Vereinbarungen geprüft, die von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den KÄVen zu treffen sind. Aufgrund dieser Vereinbarungen können Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festgelegt werden (§ 106b Abs 1 Satz 2 SGB V). Eine solche Vereinbarung ist im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV getroffen worden. Die von den Krankenkassen(verbänden) und der Beigeladenen geschlossene Prüfvereinbarung sieht in § 6 Abs 1 vor, dass die Prüfungsstelle die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung von Amts wegen oder auf Antrag prüft. Nach § 6 Abs 3 Buchst d Prüfvereinbarung wird eine Prüfung auf Antrag eingeleitet ua bei Prüfungen von unzulässigen Verordnungen gemäß § 27 Prüfvereinbarung. Macht eine Krankenkasse bei der Prüfungsstelle Nachforderungsansprüche gegen eine Praxis wegen der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln, die von der Verordnung ausgeschlossen sind geltend, leitet die Prüfungsstelle das Nachforderungsbegehren zeitnah nach Prüfung an die Praxis weiter (§ 27 Abs 1 Satz 1 Prüfvereinbarung). Die Prüfung bezieht sich hier auf die Arzneimittel Spasmo Mucosolvan Saft sowie Mucospas Saft, die grundsätzlich nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind (vgl Anlage III Nr 31 Arzneimittel-Richtlinie, dazu bereits unter B.).

152. Zu Unrecht hat die Beklagte bei der Berechnung der Regressforderung für die hier in Rede stehenden unzulässigen Arzneimittelverordnungen § 106b Abs 2a Satz 1 SGB V angewandt. Die dort für die Wirtschaftlichkeitsprüfung geregelte Differenzkostenberechnung bezieht sich allein auf Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungen im engeren Sinne. Auf unzulässige Verordnungen findet die Regelung dagegen keine Anwendung (so auch: KL - juris; LSG Niedersachsen-Bremen Urteile vom - L 3 KA 51/23 - juris und L 3 KA 52/23 - juris; SG Mainz Urteil vom - S 2 KA 195/22 - juris RdNr 63 ff; - juris RdNr 41; Murawski in LPK-SGB V, 6. Aufl 2022, § 106b RdNr 11; Ladurner, ZMGR 2019, 123, 127; vgl auch Grau/Dickmann, A&R 2023, 302, 305; Seifert in v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB V, 4. Aufl 2022, § 106b RdNr 17; aA - juris RdNr 15 ff und vom - S 38 KA 145/21 - juris RdNr 19 ff; Hofmayer/Kirchner in Heidelberger Kommentar Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht, Stand der Einzelbearbeitung 5/2023, Kap 5560 Wirtschaftlichkeitsprüfung RdNr 34; für einen weitergehenden Anwendungsbereich auch Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand der Einzelbearbeitung 8/2022, § 106b RdNr 146; offen gelassen Rademacker, GuP 2020, 49, 55 ff). Anders als das LSG geht der Senat allerdings nicht von einer teleologischen Reduktion des § 106b Abs 2a SGB V aus, sondern von einer im Wortlaut nicht eindeutigen Regelung (dazu a). Auch die Gesetzesmaterialien erlauben nicht den Rückschluss, dass die Differenzkostenregelung unzulässige Verordnungen erfassen soll (dazu b). Unter Berücksichtigung systematischer Gesichtspunkte ist die Norm vielmehr dahingehend auszulegen, dass lediglich unwirtschaftliche Verordnungen im engeren Sinne erfasst werden (dazu c). Nichts anderes folgt aus den zum Prüfzeitpunkt hier geltenden Rahmenvorgaben (dazu d).

16a) Weder Satz 1 (dazu aa) noch Satz 2 (dazu bb) des § 106 Abs 2a SGB V lässt sich klar entnehmen, ob der Anwendungsbereich der Vorschrift allein auf Fälle der Unwirtschaftlichkeit im engeren Sinne beschränkt ist oder ob auch unzulässige Verordnungen erfasst werden sollen und ob damit auch die Kosten ua von Arzneimitteln, die nicht zum Leistungskatalog der GKV gehören, in den Kostenvergleich einzubeziehen sind. Der Wortlaut ist nicht eindeutig und lässt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu (vgl Glänzer/Wiedemann, GesR 2024, 160, 162 "derart unklare Regelung"; Hess in BeckOKG, SGB V, Stand , § 106b RdNr 26 "zu dem nicht klar formulierten Satz 2"; Rademacker, GuP 2020, 49, 55 "unklare und konfliktträchtige Regelung").

17aa) Nach § 106b Abs 2a Satz 1 SGB V sind Nachforderungen gegenüber Ärzten nach § 106b Abs 1 Satz 2 SGB V auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich verordneten Leistung zu begrenzen.

18(1) Satz 1 nimmt damit einerseits die in § 106b Abs 1 Satz 2 SGB V angesprochenen "Nachforderungen" in Bezug. Dies spricht auf den ersten Blick dafür, auch unzulässige Verordnungen hierunter zu subsumieren (vgl Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 8/2022, § 106b RdNr 145; Rademacker, GUP 2020, 49, 56; Hofmayer/Kirchner in Heidelberger Kommentar Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht, Stand der Einzelbearbeitung 5/2023, Kap 5560 Wirtschaftlichkeitsprüfung RdNr 34). Denn nach § 106b Abs 1 Satz 2 SGB V können - in den Vereinbarungen nach § 106b Abs 1 Satz 1 SGB V - "Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise" nach § 106 Abs 3 SGB V festgelegt werden. Hierunter fallen jedoch nicht nur Regresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungen im engeren Sinne, sondern auch wegen unzulässiger Verordnungen. Hierauf weist die Beigeladene zu 1. zu Recht hin.

19Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind ärztliche Verordnungen nicht nur dann unwirtschaftlich, wenn zu hohe Kosten entstehen (sog Unwirtschaftlichkeit im engeren Sinne), weil zB eine geringere Menge oder eine Versorgung mit kostengünstigeren Arznei- oder Heilmitteln ( - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 38; - SozR 4-2500 § 106 Nr 54 RdNr 19; zum Sprechstundenbedarf in unwirtschaftlicher Menge vgl auch - SozR 4-2500 § 106 Nr 7 RdNr 6 = juris RdNr 17) ausreichend gewesen wären oder weil wirtschaftliche Bezugswege nicht wahrgenommen wurden ( - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 39). Vielmehr ist § 106b SGB V auch Grundlage des Verordnungsregresses, mit dem der Ersatz eines Schadens geltend gemacht wird, der der Krankenkasse dadurch entstanden ist, dass sie gegenüber der Apotheke Medikamente bezahlen muss, die der Arzt nach den geltenden gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen nicht zu Lasten der GKV hätte verordnen dürfen, zB weil sie nicht über die erforderliche Arzneimittelzulassung verfügen oder weil sie nicht zur Behandlung der Erkrankung zugelassen sind, für die der Arzt sie verordnet hat (Off-Label-Use). Gleiches gilt zB für einen Regress wegen der ärztlichen Verordnung von Sprechstundenbedarf unter Verstoß gegen die maßgeblichen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften ( - SozR 4-2500 § 106 Nr 62 RdNr 22; vgl auch - SozR 4-2500 § 106 Nr 65 RdNr 17 zur unzulässigen Verordnung von Impfstoffen). Auch diese Prüfung der Wirtschaftlichkeit im weiteren Sinne ist Wirtschaftlichkeitsprüfung und obliegt daher der Prüfungsstelle (grundlegend: - SozR 3-2500 § 106 Nr 52 - juris RdNr 12 ff; vgl auch - SozR 4-2500 § 106 Nr 31 RdNr 16, 19; - SozR 4-2500 § 106 Nr 61 RdNr 16).

20(2) Andererseits schreibt § 106b Abs 2a Satz 1 SGB V die Bildung einer Differenz zwischen den Kosten der wirtschaftlichen Verordnung und den Kosten der tatsächlich ärztlich verordneten Leistung vor. Dies spricht für ein Vergleichspaar aus den im System der GKV verordnungsfähigen Leistungen, die sich lediglich im Preis unterscheiden (vgl Ladurner, ZMGR 2019, 123, 127; Seifert in v. Koppenfels-Spies, SGB V, 4. Aufl 2022, § 106b RdNr 17).

21Wenn ein Arzt keine unzulässigen Verordnungen vorgenommen hat, aber unnötig teure Medikamente verordnet oder teure Beschaffungswege genutzt hat, wurde der Regress gegen den Arzt auch bisher regelmäßig auf die dadurch entstandenen Mehrkosten begrenzt. Bezogen auf den Richtgrößenregress war das in § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V in der bis zum geltenden Fassung ausdrücklich so geregelt und dies entsprach auch der Rechtsprechung zu anderen Prüfmethoden (vgl - SozR 4-2500 § 106 Nr 55 RdNr 16 zum Vergleich anhand von durchschnittlichen Therapiedosen). Bei unzulässigen Verordnungen kam nach bisheriger Rechtsprechung dagegen die Bildung einer solchen Differenz nicht in Betracht. Die unzulässige Verordnung wird - wie bereits dargestellt - zwar ebenfalls als eine Form der Unwirtschaftlichkeit angesehen (dazu bereits RdNr 18f). Bei diesem Verordnungsregress handelt es sich gleichwohl um ein eigenständiges Prüfverfahren, für das andere Regeln gelten als für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne. Solche Verordnungsregresse bieten insbesondere keinen Raum für eine Ermessensausübung hinsichtlich der Honorarkürzung ( - juris RdNr 28 f; - SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 43; - SozR 4-2500 § 106 Nr 43 RdNr 11 ff; vgl dazu auch - juris RdNr 15). Die Berücksichtigung kompensatorischer Einsparungen, dh der "ersparten" Kosten des Kostenträgers für die rechtlich zulässige Verordnung, kommt gerade nicht in Betracht (sog normativer Schadensbegriff, vgl - SozR 4-2500 § 106 Nr 57 RdNr 22; - juris RdNr 10). Vielmehr kann in diesen Fällen eine Unwirtschaftlichkeit nur bejaht oder verneint werden (vgl - SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 29; - SozR 4-2500 § 106 Nr 65 RdNr 43-44).

22bb) Satz 2 des § 106b Abs 2a SGB V bestimmt, dass "etwaige Einsparungen keinen Anspruch zugunsten des verordnenden Arztes" begründen. Die im Vergleich zu Satz 1 ("Nachforderungen") gewählte unterschiedliche Formulierung ("Einsparungen") spricht dafür, Satz 2 einen eigenen, von Satz 1 unabhängigen Regelungsgehalt zuzuschreiben. "Nachforderungen", die nach Satz 1 auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich verordneten Leistung zu begrenzen sind, können begrifflich niemals einen positiven Betrag zugunsten des verordnenden Arztes aufweisen. "Nachforderungen" sind vielmehr stets Forderungen gegenüber dem verordnenden Arzt. Dies wird durch die in Satz 1 verwendete Formulierung "begrenzen" bestätigt. Es dürfen somit in den von Satz 1 erfassten Fällen nicht die Gesamtkosten der unwirtschaftlichen Leistung zurückgefordert werden. Vielmehr sind die Kosten der nicht verordneten wirtschaftlichen Leistung, die ausreichend gewesen wäre, gegenzurechnen. Demgegenüber verwendet Satz 2 die Formulierung "Einsparungen", die - so die Regelung - keinen Anspruch zugunsten des verordnenden Arztes begründen. Ein Anspruch zugunsten des verordnenden Arztes kann bei "Nachforderungen" - wie ausgeführt - jedoch von vorneherein nicht bestehen. Letztlich kann Satz 2 damit lediglich entnommen werden, dass einem Arzt, der statt einer zulässigen Verordnung eine - im Vergleich zu dieser kostengünstigere - unzulässige Verordnung vornimmt, dafür kein Ausgleichsanspruch gegenüber der Krankenkasse (oder der KÄV) zusteht.

23b) Aus den Gesetzesmaterialien lassen sich weitergehende Erkenntnisse zum Willen des Gesetzgebers nicht gewinnen. § 106b Abs 2a SGB V geht auf eine am - und damit nur einen Tag vor der abschließenden dritten Lesung des Gesetzes im Bundestag am - beschlossene Empfehlung des Gesundheitsausschusses zurück (vgl BT-Drucks 19/8351 und BT-Plenarprotokoll 19/86, S 10048 B ff). Stellungnahmen der betroffenen Spitzenverbände oder von Institutionen, die über praktische Erfahrungen im Zusammenhang mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen verfügen, konnten aufgrund dieser Kurzfristigkeit keinen Eingang in das Gesetzgebungsverfahren finden (vgl Rademacker, GuP 2020, 49, 55).

24Eine Begründung zur Regelung der Differenzkostenberechnung findet sich allein in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) vom (BT-Drucks 19/8351, S 195 f). Dort wird ausgeführt: "Durch die Änderung wird die Höhe von Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise auf eine Differenzberechnung beschränkt. Die Nachforderung ergibt sich aus dem Mehrbetrag, der nach Abzug der ärztlich verordnungsfähigen Leistung zu Lasten des Kostenträgers verbleibt. Soweit sich durch eine unzulässige Verordnung Kostenersparnisse zugunsten des Kostenträgers ergeben, kommt dies nicht dem verordnenden Arzt zugute. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen vereinbaren das Nähere in den einheitlichen Rahmenvorgaben nach Absatz 2."

25Diese (knappe) Begründung bietet allerdings keine verlässliche Grundlage für das Normverständnis. Sie erlaubt keinen Rückschluss auf einen Willen des Gesetzgebers, die Differenzkostenregelung auch auf unzulässige Verordnungen zu erstrecken (zum Erfordernis, dass der gesetzgeberische Wille auch im Text Niederschlag gefunden hat: , 2 BvE 2/83, 2 BvE 3/83, 2 BvE 4/83 - BVerfGE 62, 1, 45 = juris RdNr 124 mwN; - BFHE 238, 362 = BStBl II 2013, 165 = juris RdNr 22 mwN; vgl zu diesem Aspekt auch - BSGE 128, 125 = SozR 4-2500 § 103 Nr 27, RdNr 48 zur Konzeptbewerbung; - SozR 4-2500 § 106 Nr 66 RdNr 24 zur Ausschlussfrist bei einer Beratung zur unwirtschaftlichen Verordnungsweise). Es erscheint dem Senat jedenfalls spekulativ, allein aus der Formulierung "unwirtschaftliche Verordnungsweise" die Schlussfolgerung zu ziehen, dass damit alle Fallgestaltungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung und damit auch unzulässige Verordnungen gemeint sind (vgl auch Hess in BeckOGK, SGB V, Stand , § 106b RdNr 26).

26c) Unter Berücksichtigung systematischer Gesichtspunkte ist die Norm vielmehr dahingehend auszulegen, dass allein unwirtschaftliche Verordnungen im engeren Sinne erfasst werden.

27aa) § 106 Abs 1 SGB V verpflichtet die Krankenkassen und die KÄVen, die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen zu überwachen. Das Verfahren nach § 106 SGB V dient damit der Feststellung, ob die vertragsärztliche Versorgung in Bezug auf die Behandlungs- wie auch die Verordnungsweise den gesetzlichen Anforderungen des Wirtschaftlichkeitsgebots genügt ( - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 36; - SozR 4-2500 § 106 Nr 54 RdNr 17). Der in § 106 Abs 1 SGB V verwendete Begriff der Wirtschaftlichkeit ist mit den in § 12 Abs 1 SGB V definierten, in § 70 Abs 1 Satz 2 SGB V für die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern wiederholten und in § 72 Abs 2 SGB V für die Beziehungen der Krankenkassen zu Ärzten und Zahnärzten präzisierten Begriffen identisch. Nach § 12 Abs 1 Satz 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs 1 Satz 2 SGB V). Nach § 70 Abs 1 Satz 2 SGB V muss die Versorgung der Versicherten ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss wirtschaftlich erbracht werden. § 72 Abs 2 SGB V schreibt vor, dass die vertragsärztliche Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) durch schriftliche Verträge der KÄVen mit den Verbänden der Krankenkassen so zu regeln ist, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist und die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden.

28bb) Diese Regelungen verdeutlichen, dass Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht im Rahmen der GKV eng miteinander verbunden sind. Leistungen, die unter Missachtung gesetzlicher Vorgaben erbracht werden, werden im allgemeinen nicht vergütet. Dies gilt nicht allein für die ärztliche Verordnung, sondern generell im Vertragsarztrecht und auch darüber hinaus für die gesamte Leistungserbringung. Wenn ein Arzt einen gesetzlich Versicherten (ohne dass ein Notfall vorliegt) behandelt, obwohl er nicht über die erforderliche vertragsärztliche Zulassung (vgl - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 53) oder die qualifikationsbezogene Genehmigung oder - auch bei Behandlung im Krankenhaus - über die erforderliche Approbation (vgl - juris RdNr 12 bei vorläufigem Berufsverbot des Arztes; vgl auch - BSGE 134, 142 = SozR 4-2500 § 15 Nr 4 bei Mitwirken eines Nichtarztes bei Krankenhausbehandlung) verfügt, besteht grundsätzlich kein Vergütungsanspruch. Neben der formellen Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung muss der Arzt auch materiell berechtigt sein, Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung zu erbringen (vgl zB - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 55).

29Der durch eine unrechtmäßige ärztliche Verordnung eingetretene Schaden wird jedenfalls nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Krankenkasse des Versicherten bei einer rechtmäßigen Verordnung dieselben oder gar höhere Kosten entstanden wären ( - SozR 4-2500 § 106 Nr 47 RdNr 36-37; - SozR 4-2500 § 106 Nr 57 RdNr 22). Dies berücksichtigt, dass es auf die Beachtung der für die vertragsarztrechtliche Versorgung geltenden Bestimmungen nicht ankäme, wenn die Kosten, die hypothetisch bei rechtmäßigem Verhalten angefallen wären, schadensmindernd berücksichtigt würden (vgl - SozR 4-5540 § 48 Nr 2 RdNr 36 f betr Gebot der persönlichen Unterzeichnung von Arzneiverordnungen durch ermächtigte Krankenhausärzte; - SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 51 betr Verordnung von Sprechstundenbedarf; - SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 14 betr unzulässige faktisch-stationäre Behandlung; - BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6, RdNr 11 betr eine als Praxisgemeinschaft auftretende Gemeinschaftspraxis; - SozR 4-2500 § 39 Nr 7 RdNr 17 f betr zu lange stationäre Versorgung; - SozR 4-2500 § 106 Nr 26 betr Verordnung von autologen Tumorvakzinen; - BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27, RdNr 46 betr Verordnung von Immunglobulin; - SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 44 betr Verordnung von Megastat). Im Vertragsarztrecht ist kein Raum, einen Verstoß gegen Verbote und Gebote, die nicht bloße Ordnungsvorschriften betreffen, durch Berücksichtigung eines hypothetischen alternativen Geschehensablaufs - hier die Annahme der rechtmäßigen Verordnung durch den Arzt - als unbeachtlich anzusehen, denn damit würde das vertragsärztliche Ordnungssystem relativiert (vgl - SozR 4-5540 § 48 Nr 2 RdNr 37).

30cc) Dieses grundlegende Prinzip wäre für den Verordnungsregress in Frage gestellt, wenn Nachforderungen auch im Falle einer unzulässigen Verordnung auf die Differenz der Kosten zwischen wirtschaftlicher und tatsächlich verordneter Leistungen begrenzt würden. Die Steuerungsfunktion des Verordnungsregresses würde verfehlt (zutreffend Bayerisches - juris RdNr 57 ff; SG Mainz Urteil vom - S 2 KA 195/22 - juris RdNr 64; Ladurner, ZMGR 2019, 123, 127). In allen Fällen, in denen durch die unzulässige Verordnung keine höheren Kosten als durch die zulässige Verordnung entstehen, wäre die Krankenkasse im Ergebnis gezwungen, die Kosten der unzulässigen Verordnung endgültig zu übernehmen und Leistungen zu erbringen, die nicht zum Leistungskatalog gehören. Umfangreiche, der Qualitätssicherung dienende Regelungen im SGB V liefen damit zu wesentlichen Teilen leer. Verordnungsausschlüsse würden faktisch unbeachtlich werden und Versicherte würden Leistungen erhalten, auf die sie wegen Ausschlusses der Verordnungsfähigkeit keinen Anspruch haben. Im Ergebnis würden Leistungspflichten der Krankenkassen begründet, die ausdrücklich nicht vorgesehen sind. Dass der Gesetzgeber tatsächlich die Einhaltung aller Qualitätsvorgaben für verzichtbar hält, solange den Krankenkassen dadurch nicht unmittelbar Mehrkosten entstehen, erscheint fernliegend. Wenn ein solcher grundlegender Systemwechsel erfolgen soll, muss das im Gesetz jedenfalls klar zum Ausdruck gebracht werden. Daran fehlt es hier.

31Ein solcher Systemwechsel hätte im Übrigen auch erhebliche Folgen für die praktische Umsetzbarkeit der geltenden Regelungen zum Verordnungsregress. Häufig wird im Falle unzulässiger Verordnungen "die" wirtschaftliche Vergleichsverordnung iS des § 106b Abs 2a Satz 1 SGB V schwer bzw nur mit hohem Verwaltungsaufwand durch medizinische Gutachten zu bestimmen sein (vgl Bayerisches - juris RdNr 74; Ladurner, ZMGR 2019, 123, 127; Schüttler jurisPR-MedizinR 4/2023 Anm 5 unter D.; vgl auch Seifert in v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB V, 4. Aufl 2022, § 106b RdNr 17). Im Ergebnis müssten die Prüfgremien im Streitfall die erforderliche Therapieentscheidung treffen. Auch dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber, soweit er eine solche Konsequenz anstrebt, dies durch eine klare gesetzliche Regelung zum Ausdruck bringt (vgl Seifert in v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB V, 4. Aufl 2022, § 106b RdNr 17). Auf welche praktischen Schwierigkeiten die Festlegung der wirtschaftlichen Vergleichsverordnung in der Praxis stößt, wird bereits in der vorliegenden Konstellation deutlich. Als wirtschaftliche Verordnungsalternative hat die Beklagte die Kosten des Arzneimittels Ambroxol in Ansatz gebracht, obwohl sich dieses sowohl hinsichtlich der Wirkungsweise als auch der Wirkstoffe von den tatsächlich verordneten Arzneimitteln (Spasmo Mucosolvan Saft sowie Mucospas Saft) unterscheidet: Während Ambroxol dazu dient, festsitzende Bronchialsekrete zu lösen (Hustenlöser, Mukolytika), enthält Spasmo Mucosolvan Saft neben Ambroxol auch Clenbuterol und wird pharmakotherapeutisch der Gruppe der Bronchospasmolytika/Antiasthmatika zugeordnet.

32dd) Gegen dieses Ergebnis kann letztlich auch nicht eingewandt werden, die Regelung des § 106b Abs 2a SGB V wäre wenig sinnvoll, wenn sie allein für unwirtschaftliche, aber zulässige ärztliche Verordnung geschaffen worden wäre (vgl Glänzer/Wiedemann, GesR 2024, 160, 162). Zwar ist zutreffend, dass es schon vor Einführung der Vorschrift der Praxis der Prüfgremien weitgehend entsprochen hat, bei Verordnung unnötig teurer Medikamente den Regressanspruch gegen den Arzt auf die dadurch entstandenen Mehrkosten zu begrenzen (vgl RdNr 21). Eine bundesrechtliche Kodifizierung solcher Vorgaben bestand jedoch nicht. Vielmehr wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung mit ärztlich verordneten Leistungen ab anhand von Vereinbarungen der Selbstverwaltungspartner auf Landesebene geprüft (§ 106b Abs 1 Satz 1 SGB V). Die Vertragspartner auf Landesebene sind bei der Ausgestaltung der Prüfungen grundsätzlich frei (vgl BT-Drucks 18/4095, S 110 - zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz). Dies ermöglicht grundsätzlich auch unterschiedliche Regelungen zur Ermittlung des Regressbetrags bzw zur Schadenshöhe bei unwirtschaftlichen Verordnungen im engeren Sinne (vgl zum gerichtlich eingeschränkten Beurteilungs- und Ermessensspielraum bei Schätzung des Schadensumfangs im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung - SozR 5500 § 17 Nr 2 - juris RdNr 28; - SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 19; vgl auch zum sog Kürzungsermessen - SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 28; s auch Scholz in Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl 2022, § 106b RdNr 7; Seifert in v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB V, 4. Aufl 2022, § 106b RdNr 17; Ladurner, ZMGR 2019, 123, 127). Aus § 106b Abs 2a Satz 1 SGB V und den dazu von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) und dem GKV-Spitzenverband vereinbarten Rahmenvorgaben folgen nunmehr bundesweit zu beachtende einheitliche Vorgaben für die Ermittlung der Regresshöhe bei unwirtschaftlichen Verordnungen im engeren Sinne, die den bisherigen Entscheidungsspielraum der Vertragspartner auf Landesebene insoweit einschränken.

33ee) Der Senat verkennt nicht, dass es dem Gesetzgeber offensteht, grundlegende Strukturen der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu modifizieren. Es wäre aber widersprüchlich und mit der bisher geltenden Systematik des Gesetzes nicht zu vereinbaren, wenn die leistungsrechtlichen Grenzen einerseits bestehen blieben und die Krankenkassen andererseits über ärztliche Verordnungen gezwungen werden könnten, nicht zum Leistungskatalog der GKV gehörende Leistungen zu bezahlen. Auch wenn die KÄBV in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FinStG) vom auf die "Ergänzende Regelungsnotwendigkeit in § 106b Absatz 2a SGB V" hingewiesen und ua ausgeführt hat, dass es ohne gesetzliche Klarstellung unmöglich sein werde, die "Differenzschadensberechnung in der vom Gesetzgeber intendierten Form umzusetzen" und daher eine "begriffliche Nachschärfung" in § 106b Abs 2a SGB V erfolgen solle, hat der Gesetzgeber zudem bislang keine Neujustierung des Anwendungsbereichs oder von Vorgaben des Leistungsrechts vorgenommen.

34d) Ein anderes Ergebnis folgt hier auch nicht aus dem im Prüfzeitpunkt geltenden (vgl - BSGE 117, 149 = SozR 4-2500 § 106 Nr 48, RdNr 37) "Rahmenvorgaben nach § 106b Abs 2 SGB V für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen vereinbart zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung" vom . Diese Fassung der Rahmenvorgaben gilt nach § 8 auch für Prüfverfahren, die Prüfzeiträume betreffen, die ärztlich verordnete Leistungen ab dem umfassen und damit grundsätzlich auch für die hier streitigen Quartale 3/2019 und 4/2019.

35§ 3a Abs 1 Satz 4 dieser Fassung der Rahmenvorgaben (aF) bestimmte zur Umsetzung der Differenzkostenregelung nach § 106b Abs 2a SGB V zunächst, dass die Berücksichtigung der Kostendifferenz nur vorzunehmen ist, wenn die in Rede stehende Verordnung nicht bereits durch § 34 SGB V oder nach Anlage 1 der Heilmittel-Richtlinie ausgeschlossen ist und die Voraussetzungen nach § 12 Abs 11 Arzneimittel-Richtlinie nicht vorliegen. Erst nach Kündigung der Rahmenvorgaben durch den GKV-Spitzenverband am mit Wirkung zum hat das Bundesschiedsamt für die vertragsärztliche Versorgung am nunmehr § 3a Abs 1 Satz 4 und 5 wie folgt gefasst: "Die Berücksichtigung einer Kostendifferenz ist dann vorzunehmen, wenn die in Rede stehende Verordnung unwirtschaftlich ist und nicht unzulässig und somit von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen ist. Ausgenommen von der Anwendung der Differenzschadensmethode sind ärztliche Verordnungen, die durch gesetzliche oder untergesetzliche Regelungen wie z.B. § 34 SGB V, Anlage 1 der Heilmittelrichtlinie, ausgeschlossen sind und für die die Voraussetzungen nach § 12 Abs. 11 Arzneimittel-Richtlinie nicht vorliegen" (zur Rechtmäßigkeit dieses Schiedsspruches Urteil des Senats vom - B 6 KA 10/23 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

36Es kann offenbleiben, ob der von den Rahmenvertragspartnern ursprünglich vereinbarte § 3a Abs 1 Satz 4 Rahmenvorgaben aF dahingehend auszulegen war, dass dieser die Fallgruppen abschließend benannt hat, in denen die Differenzkostenregelung nicht anzuwenden war. Auch wenn nach einer solchen Interpretation die hier vorliegende Fallkonstellation einer unzulässigen Arzneimittelverordnung aufgrund Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie nicht unter die genannten Fallgruppen fiele, könnte die Beigeladene zu 1. hierauf die Anwendung der Differenzkostenregelung nicht stützen. Die Frage, ob § 106b SGB V auf unwirtschaftliche Verordnungen im engeren Sinne begrenzt ist oder auch auf - bestimmte Varianten von - unzulässigen Verordnungen anzuwenden ist, obliegt nicht dem Beurteilungsspielraum der Vertragspartner der Rahmenvorgaben. Auch soweit nach § 106b Abs 2a Satz 3 SGB V "das Nähere" zur Differenzkostenberechnung in diesen einheitlichen Rahmenvorgaben zu regeln ist, wird den Vertragspartnern keine Kompetenz zur Modifizierung der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen der Norm eingeräumt. "Das Nähere" erlaubt allein Regelungen zur Umsetzung der Vorschrift, wie zB die "nähere" Ausgestaltung zur Bestimmung der Kostendifferenz. So regelt zB § 3a Abs 2 Satz 1 der Rahmenvorgaben, dass im Rahmen von Einzelfallprüfungen für die Berücksichtigung einer Kostendifferenz in den Vereinbarungen nach § 106b Abs 1 SGB V Regelungen zu der zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Leistung und deren Kosten zu treffen sind. An Stelle der im Einzelfall festzulegenden wirtschaftlichen Leistung können durch die regionalen Vereinbarungspartner auch indikationsbezogene durchschnittliche wirtschaftliche Verordnungskosten festgelegt und berücksichtigt werden (§ 3a Abs 2 Satz 2 Rahmenvorgaben). Für die Berücksichtigung der Kostendifferenz soll die Krankenkasse im Prüfantrag die wirtschaftliche Leistung bzw die durchschnittlichen wirtschaftlichen Verordnungskosten benennen und begründen (§ 3a Abs 2 Satz 3 Rahmenvorgaben). Vergleichbare Regelungen trifft § 3a Abs 3 Rahmenvorgaben für statistische Prüfungen. "Das Nähere" erlaubt dagegen nicht die Erweiterung bzw Modifizierung der materiell-rechtlichen Vorgaben der Regelung (vgl auch - juris RdNr 32 - zur Regelungsbefugnis "des Näheren" über die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung iSd § 98 Abs 1 Satz 1 SGB V).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:050624UB6KA523R0

Fundstelle(n):
IAAAJ-75583