BSG Beschluss v. - B 5 R 17/24 BH

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - sozialrechtliches Verfahren - Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs 1 SGB 10 - keine rückwirkende Zahlung zunächst rechtswidrig versagter Sozialleistungen bei außerhalb der vierjährigen Verfallfrist nach § 44 Abs 4 S 1 SGB 10 liegenden Sozialleistungen - Verfahrensmangel - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - erheblicher Grund iS des § 227 Abs 1 S 1 ZPO - kurzfristige Beauftragung eines Rechtsanwalts)

Gesetze: § 62 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 SGG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 227 Abs 2 ZPO, § 295 Abs 1 ZPO, § 44 Abs 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 1 SGB 10, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: SG Mannheim Az: S 14 R 587/22 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 9 R 2591/23 Urteil

Gründe

1I. Der am geborene Kläger begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, hilfsweise Berufsunfähigkeit rückwirkend zum . Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ), das LSG seine hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Auf den Überprüfungsantrag aus Januar 2022 könnten nach § 44 Abs 4 SGB X Rentenleistungen maximal für einen Zeitraum ab nachträglich erbracht werden. Da der Kläger seit November 2014 ohnehin eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen beziehe und zum das reguläre Rentenalter erreicht habe, komme die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ab dem nicht in Betracht. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.

2Der Kläger hat sich mit einem am beim BSG eingegangenen, von ihm unterzeichneten Schreiben vom gegen das ihm am zugestellte Urteil des LSG mittels "Anfechtungsklage" gewandt und ua ausgeführt, dass er "Beschwerde über das LSG und der Ablehnung der Erwerbsminderungsrente der LVA" führe. Außerdem beantragte er, ihm einen Rechtsbeistand zur Verfügung zu stellen. Ein Erklärungsformular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe hat der Kläger am vorgelegt.

3II. Das als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Rechtsanwalts sowie als Beschwerde zu verstehende Begehren des Klägers hat keinen Erfolg.

41. Einem Beteiligten kann für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Das ist hier nicht der Fall.

5Die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung - die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision - bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Akten ist nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.

7Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Rechtsfrage muss außerdem klärungsbedürftig und klärungsfähig, dh entscheidungserheblich sein (vgl dazu zB - juris RdNr 5 mwN). Dass sich eine solche Rechtsfrage hier stellt, ist nicht erkennbar. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich das Begehren des Klägers auf eine rückwirkende Korrektur des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides vom nur auf die Vorschrift zur Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakts in § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X stützen lässt (vgl - BSGE 110, 97-104 = SozR 4-5075 § 3 Nr 2 - juris RdNr 19; - juris RdNr 6). Für einen solchen Fall schreibt § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X ausdrücklich vor, dass Sozialleistungen, wie zB Rentenleistungen nach dem SGB VI, "längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme" erbracht werden; im Falle einer Rücknahme auf Antrag tritt bei der Berechnung des Zeitraums anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs 4 Satz 3 SGB X). In der Rechtsprechung des BSG ist bereits geklärt, dass die Regelung zur Begrenzung rückwirkender Zahlungen zunächst rechtswidrig versagter Sozialleistungen abschließend und als solche auch verfassungsgemäß ist ( - SozR 4-5075 § 3 Nr 1 - juris RdNr 17 f; - juris RdNr 6).

8Der Revisionszulassungsgrund der Rechtsprechungsabweichung (Divergenz - § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Er kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG in seiner Entscheidung tragend einen Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von einem Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht (vgl zB BH - juris RdNr 11). Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

9Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel erkennen, der bei genügender Bezeichnung gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Revisionszulassung führen könnte. Insbesondere durfte das LSG trotz des Terminverlegungsantrags des Klägers vom nach mündlicher Verhandlung am entscheiden. Zur Begründung seines Terminverlegungsantrags hat der Kläger sinngemäß vorgetragen, einen Rechtsanwalt für den am bestimmten Verhandlungstermin beauftragen zu wollen, was ihm in der bis zum verbleibenden Zeit nicht möglich sei. Mit diesem Vorbringen hat er einen erheblichen Grund für die Terminverlegung iS von § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO nicht glaubhaft gemacht (§ 202 SGG iVm § 227 Abs 2 ZPO). Zwar kann die Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten erst kurz vor einem Termin zur mündlichen Verhandlung und das Erfordernis, dass dieser sich in angemessener Zeit hinreichend mit dem Sachverhalt vertraut macht, grundsätzlich einen erheblichen Grund iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO darstellen, der wegen des Anspruchs auf das rechtliche Gehör (Art 103 Abs 1 GG) eine Aufhebung des Termins gebietet (vgl - juris RdNr 6). Das ist allerdings ausnahmsweise dann nicht der Fall, wenn dem Beteiligten eine rechtzeitige Bestellung des Prozessbevollmächtigten zugemutet werden konnte, sich die späte Bestellung mithin als verschuldet erweist (vgl - juris RdNr 25; - juris RdNr 24; - juris RdNr 11; - juris RdNr 7). Nach Maßgabe dessen ist die Ablehnung der Terminverlegung durch Beschluss vom (zum Erfordernis einer gesonderten Entscheidung vgl - juris RdNr 6 mwN) nicht zu beanstanden. Der prozesserfahrene Kläger, der bereits zum wiederholten Male einen Überprüfungsantrag in Bezug auf den bindenden Ablehnungsbescheid der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom gestellt hatte, wurde bereits mit Schreiben vom von der Berichterstatterin des LSG auf die Aussichtslosigkeit der Berufung und mit Verfügung des darauf hingewiesen, dass der Rechtsstreit zur Entscheidung vorgesehen ist. Dass er bis zum Verhandlungstermin am keine ausreichende Gelegenheit gehabt haben könnte, sich erfolgreich um einen Rechtsbeistand zu bemühen, ist nicht ersichtlich.

10Überdies hat der Kläger nach dem Beschluss des LSG mit der Ablehnung der Terminsaufhebung vom , der ihm am zugestellt wurde, an der mündlichen Verhandlung am teilgenommen, ohne eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend zu machen. Da er in der mündlichen Verhandlung weder die Ablehnung seines Antrags beanstandet noch einen Vertagungsantrag gestellt hat, kommt eine Verfahrensrüge insofern nach § 202 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO nicht mehr in Betracht (vgl - juris RdNr 9 mwN).

11Soweit der Kläger seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht hinreichend berücksichtigt sieht, sind diese erkennbar für die angefochtene Entscheidung nicht entscheidungsrelevant gewesen. Auf eine vermeintlich fehlerhafte Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) kann eine Nichtzulassungsbeschwerde ohnehin nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

12Da dem Kläger nach alledem PKH nicht bewilligt werden kann, entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts durch das Gericht (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

132. Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht formgerecht eingelegt worden ist (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Vor dem BSG kann eine Beschwerde nur durch zugelassene Prozessbevollmächtigte wirksam eingelegt werden (§ 73 Abs 4 SGG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:050824BB5R1724BH0

Fundstelle(n):
DAAAJ-75511