Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer - Briefwahloption für alle Wahlberechtigte
Gesetze: § 9 Abs 2 MitbestG, § 16 Abs 2 MitbestG, § 22 MitbestG, § 49 Abs 2 MitbestGWO 3, § 50 Abs 2 MitbestGWO 3, § 2 MitbestGWO 3, § 83 Abs 3 ArbGG, § 19a BPersVWO vom , § 28 SchwbWO vom , § 49 Abs 1 S 1 MitbestGWO 3, § 49 Abs 3 MitbestGWO 3
Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 4 BV 152/21 Beschlussvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 16 TaBV 37/22 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der vom 3. bis durchgeführten Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Beteiligten zu 17.
2Bei der Beteiligten zu 17. - einem in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betriebenen Luftfrachtunternehmen, welches verschiedene Tochtergesellschaften hat - ist der zu 18. beteiligte Aufsichtsrat gebildet. Der Vorstand der Beteiligten zu 17. teilte unter dem Datum des nach § 2 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz (3. WOMitbestG) mit, dass bis zum sechs Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zu wählen seien.
3Der für die Wahl bestellte Hauptwahlvorstand fasste in seiner Sitzung vom unter dem Tagesordnungspunkt 3 folgenden Beschluss:
4In einem am ausgehängten Wahlausschreiben ist unter anderem angegeben:
5Sämtlichen wahlberechtigten Arbeitnehmern wurde mit den Briefwahlunterlagen ein Schreiben „Aufsichtsratswahl 2021 der L AG“ übersandt, in dem es unter anderem heißt:
6Die Wahl wurde vom 3. bis durchgeführt; 85 % der Wähler gaben ihre Stimme im Wege der Briefwahl ab. Nach dem am bekanntgegebenen und am im Bundesanzeiger veröffentlichten Wahlergebnis wurden die Beteiligten zu 5. und 7. bis 12. als unternehmensangehörige Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer bzw. deren Stellvertreter gewählt. Der Beteiligte zu 14. wurde auf Vorschlag der zu 19. beteiligten Gewerkschaft als deren Vertreter gewählt; der Beteiligte zu 16. als sein Stellvertreter. Aus dem von der zu 20. beteiligten Gewerkschaft eingereichten Wahlvorschlag wurde kein Kandidat gewählt.
7Mit ihrem am beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz haben die Antragsteller und Beteiligten zu 1., 3. und 4., sämtlich wahlberechtigte Arbeitnehmer, die Nichtigkeit, hilfsweise Unwirksamkeit der am abgeschlossenen Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer geltend gemacht. Sie haben vor allem die Ansicht vertreten, entgegen der einschlägigen Wahlvorschrift des § 49 3. WOMitbestG sei eine generelle Briefwahl eröffnet worden. Die schriftliche Stimmabgabe sei jedoch als Ausnahmefall konzipiert und auch die besonderen Umstände der im Zeitpunkt der streitbefangenen Wahl andauernden Covid-19-Pandemie berechtigten keine Handhabung der Briefwahl in der durchgeführten Art und Weise. Bereits mit der Einleitung des Verfahrens haben die Antragsteller zudem gerügt, das Wahlausschreiben sei zu unklar gefasst, denn es verhalte sich nicht zur Verfahrensweise, wenn trotz der Zusendung der Briefwahlunterlagen eine persönliche Stimmabgabe gewünscht sei. Die wahlvorschriftswidrige Eröffnung einer zusätzlichen Briefwahloption sei schließlich geeignet gewesen, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
8Die Beteiligten zu 1., 3. und 4. haben - nach der Rücknahme des Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl - zuletzt noch beantragt,
9Die Beteiligten zu 5., 7. bis 12., 14. und 16. bis 20. haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie haben die Auffassung vertreten, eine Verletzung der Wahlvorschrift des § 49 Abs. 2 3. WOMitbestG liege nicht vor. Der Hauptwahlvorstand habe mit der zusätzlichen Briefwahloption in rechtmäßiger Weise von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht. Pandemiebedingt sei aufgrund von Kurzarbeit und Homeoffice - und damit aufgrund der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses - immer ein Teil der Mitarbeiter jeweils nicht im Betrieb anwesend gewesen. Auch wenn voraussichtlich eine erhebliche Anzahl an Beschäftigten im Wahlzeitraum im Betrieb präsent sein würde, sei nicht absehbar gewesen, welche Wahlberechtigten dies konkret sein würden. Vor diesem Hintergrund sei es nicht zu beanstanden, wenn der Betriebswahlvorstand allen Mitarbeitern Briefwahlunterlagen zugesandt habe. Nur so habe die Möglichkeit einer Teilnahme an der Wahl überhaupt gesichert werden können. Hierbei sei zu beachten, dass Wahlberechtigte, die im Wahlzeitraum kurzfristig in Kurzarbeit geschickt oder sich im Homeoffice befunden hätten, ggf. nicht mehr rechtzeitig Briefwahlunterlagen hätten beantragen können. Auch hätten sich im Hinblick auf die Vielzahl der Betroffenen für den Wahlvorstand erhebliche organisatorische Herausforderungen gestellt. Es sei zudem zu beachten, dass die Möglichkeit einer Briefwahl nur zusätzlich neben der Präsenzwahl wegen der damaligen Pandemielage beschlossen wurde. Die Auswirkungen und die Gefahr des Missbrauchs seien bei der Anordnung einer ausschließlichen Briefwahl anders zu bewerten als im vorliegenden Fall, wenn die Briefwahl zusätzlich zur Präsenzwahl als freiwilliges Angebot ermöglicht werde. Nach seinem Sinn und Zweck meine § 49 3. WOMitbestG die Durchführung einer ausschließlichen Briefwahl. Die zusätzliche Möglichkeit der Briefwahl habe dem Zweck gedient, eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Im Übrigen haben die Beteiligten zu 5., 7. bis 12., 14. und 16. bis 20. die Auffassung vertreten, auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften wäre kein anderes Wahlergebnis erzielt worden. Allein die Tatsache, dass seitens des Wahlvorstands insgesamt 31 Briefwahlstimmen im Vergleich zu insgesamt 14 ungültigen Stimmen im Rahmen der Präsenzwahl nicht berücksichtigt werden konnten, lasse nicht den Umkehrschluss zu. Aus dem Umstand, dass zwischen Stimmabgabe im Rahmen der Briefwahl und dem eigentlichen Wahltag unter Umständen mehrere Tage liegen können, könne nicht gefolgert werden, dass einige Arbeitnehmer anders gewählt hätten, wenn sie persönlich ihre Stimme abgegeben hätten.
10Das Arbeitsgericht hat die streitbefangene Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer für unwirksam erklärt. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichteten Beschwerden der Beteiligten zu 5. sowie 7. bis 20. zurückgewiesen. Mit ihren vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerden verfolgen die Beteiligten zu 5. und 7. bis 12., 14. und 16. bis 20. ihr Ziel einer Zurückweisung des Antrags weiter.
11B. Die Rechtsbeschwerden haben keinen Erfolg. Die der Beteiligten zu 20. ist bereits unzulässig. Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 5. und 7. bis 12., 14. und 16. bis 19. sind unbegründet.
12I. Die Rechtsbeschwerde der zu 20. beteiligten Vereinigung C ist unzulässig.
131. Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist und mit seinem Rechtsmittel gerade die Beseitigung dieser Beschwer begehrt. Die Rechtsmittelbefugnis im Beschlussverfahren folgt der Beteiligungsbefugnis ( - Rn. 12 mwN, BAGE 177, 237). Daher ist rechtsbeschwerdebefugt nur derjenige, der nach § 83 Abs. 3 ArbGG am Verfahren beteiligt ist ( - Rn. 11, BAGE 178, 172). Verfahrensbeteiligt ist eine Person oder Stelle, die durch die zu erwartende Entscheidung in ihrer mitbestimmungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen wird (vgl. - Rn. 14).
142. Die Beteiligte zu 20. ist durch den Beschluss des Landesarbeitsgerichts nicht beschwert. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts betrifft sie in ihrer mitbestimmungsrechtlichen Stellung nicht unmittelbar. Die Vorinstanzen haben die Beteiligte zu 20. insofern zu Unrecht am Verfahren beteiligt. Am Verfahren über die Anfechtung der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind die Gewerkschaften am Verfahren beteiligt, auf deren Vorschlag nach § 16 Abs. 2 MitbestG ein Vertreter der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat gewählt und dessen Wahl angefochten wurde (vgl. - Rn. 22, BAGE 159, 111). Dies war bezüglich der Beteiligten zu 20. nicht der Fall. Nach der Erörterung im Anhörungstermin vor dem Senat hat die Beteiligte zu 20. zwar Kandidaten zur Wahl gemäß § 16 Abs. 2 MitbestG vorgeschlagen. Diese sind jedoch nicht gewählt worden. Gewählt wurden ausschließlich Kandidaten aus dem Wahlvorschlag der zu 19. beteiligten Gewerkschaft. Eine unmittelbare Betroffenheit der Beteiligten zu 20. folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Senat die Rechtsbeschwerde - ausdrücklich auch auf deren Nichtzulassungsbeschwerde - zugelassen hat.
15II. Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 5. und 7. bis 12., 14. und 16. bis 19. sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerden gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Der zulässige Wahlanfechtungsantrag ist begründet.
161. Der Anfechtungsantrag der Beteiligten zu 1., 3. und 4. ist zulässig.
17a) Die Antragsteller haben zuletzt ausschließlich beantragt, die am abgeschlossene Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer für unwirksam zu erklären. Ausweislich der Antragsschrift vom handelte es sich hierbei ursprünglich um den Hilfsantrag zu dem Hauptantrag, die Nichtigkeit der am abgeschlossenen Wahl der Aufsichtsratsmitglieder festzustellen. Diesen Nichtigkeitsfeststellungsantrag haben die Antragsteller im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht am zurückgenommen. Verfahrensgegenstand ist damit allein die Anfechtung der Wahl nach § 22 MitbestG. Die Frage, ob der allein noch anhängige Anfechtungsantrag auch die Feststellung der Nichtigkeit der Wahl umfassen soll (vgl. zu dieser Frage - zu B III 2 a der Gründe, BAGE 72, 161; Schubert/Wißmann/Kleinsorge/Wißmann 6. Aufl. MitbestG § 22 Rn. 17; zu einem Antrag iSd. § 19 BetrVG vgl. - Rn. 25), stellt sich vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Rücknahme des ursprünglichen Nichtigkeitsfeststellungsantrags nicht.
18b) Der Antrag bezieht sich auf die Wahl sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer und ist zutreffend nicht auf die Wahl einzelner Aufsichtsratsmitglieder beschränkt. Nach Sinn und Zweck des Anfechtungsrechts kann der Anfechtungsantrag nur auf einzelne Aufsichtsratsmitglieder beschränkt werden, soweit sich der Wahlverstoß ausschließlich bei ihnen auswirkt und die Rechtmäßigkeit der Wahl der übrigen Arbeitnehmervertreter einschließlich der Ersatzmitglieder unberührt lässt ( - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 86, 117). Die von den Antragstellern gerügte Übersendung der Briefwahlunterlagen an alle Wahlberechtigten hat sich auf die Wahl aller Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer ausgewirkt. Insofern enthält der Wortlaut des Antrags zu Recht keine Beschränkung auf einzelne Gewählte.
192. Das Landesarbeitsgericht hat nach § 83 Abs. 3 ArbGG alle Stellen in dem Verfahren gehört, die nach den maßgeblichen mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften beteiligt sind. Neben den Antragstellern betrifft das die gewählten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, weil deren Wahl angefochten ist und sie dadurch unmittelbar in ihrer mitbestimmungsrechtlichen Rechtsstellung betroffen sind. In ihrer mitbestimmungsrechtlich geschützten Rechtsposition betroffen sind auch die Ersatzmitglieder, die nach § 17 Abs. 2 MitbestG zusammen mit dem jeweiligen Aufsichtsratsmitglied gewählt wurden, für das sie bei dessen Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat in das Amt nachrücken. Ihre Wahl haben die Antragsteller ebenfalls angefochten. Der Aufsichtsrat - hier der Beteiligte zu 18. - ist neben dem Unternehmen selbst - hier die Beteiligte zu 17. - stets an einem Verfahren über die Wirksamkeit der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat beteiligt. Auch die zu 19. beteiligte Gewerkschaft, auf deren Vorschlag nach § 16 Abs. 2 MitbestG der Beteiligte zu 14. und sein Stellvertreter, der Beteiligte zu 16., als ihr Vertreter im Aufsichtsrat gewählt und deren Wahl angefochten worden ist, ist im Verfahren zu hören. Sie ist von dem Wahlanfechtungsverfahren in ihrer Rechtsstellung unmittelbar betroffen, da der von ihr vorgeschlagene Arbeitnehmervertreter ggf. sein Mandat verliert (vgl. ausf. zur Beteiligung bei der Anfechtung der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat - Rn. 17 ff., BAGE 159, 111; sa. - Rn. 14 ff., jew. mwN). Hingegen ist der durch das Amtsgericht anstelle der ursprünglich zu 13. und zu 15. Beteiligten zum Aufsichtsratsmitglied bestellte Frank H nicht am Verfahren beteiligt, da er nicht gewählt wurde und deshalb von der Entscheidung des Wahlanfechtungsverfahrens nicht betroffen wird (vgl. - Rn. 19, aaO).
203. Der Anfechtungsantrag ist begründet.
21a) Die formalen Voraussetzungen der Anfechtung liegen vor. Dies hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen. Die Beteiligten zu 1., 3. und 4. sind nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 MitbestG als wahlberechtigte Arbeitnehmer des Unternehmens anfechtungsberechtigt (die Wahlberechtigung muss dabei grundsätzlich nur zum Zeitpunkt der Wahl gegeben sein vgl. - Rn. 27, BAGE 159, 111). Mit ihrer am bei Gericht eingegangenen Antragsschrift haben die Antragsteller die zweiwöchige Frist des § 22 Abs. 2 Satz 2 MitbestG gewahrt. Das Wahlergebnis wurde am im Bundesanzeiger veröffentlicht. Zur Wahrung der zweiwöchigen Anfechtungsfrist kommt es nicht darauf an, ob der Wahlanfechtungsantrag den übrigen Verfahrensbeteiligten innerhalb der Anfechtungsfrist oder „demnächst“ iSv. § 167 ZPO zugestellt wurde. Maßgeblich ist vielmehr der Eingang des Wahlanfechtungsantrags beim Arbeitsgericht ( - Rn. 31 ff., aaO).
22b) Auch die materiellen Anfechtungsvoraussetzungen liegen vor.
23aa) Nach § 22 Abs. 1 MitbestG kann die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds oder eines Ersatzmitglieds der Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.
24bb) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die bei der Durchführung der verfahrensgegenständlichen Wahl den Wahlberechtigten neben der Präsenzwahl generell eröffnete Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe nicht von § 49 3. WOMitbestG gedeckt war und hierin ein Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren liegt.
25(1) Die angefochtene Wahl bestimmt sich nach Maßgabe des MitbestG in Verbindung mit der 3. WOMitbestG, wobei aufgrund der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach § 9 Abs. 2 MitbestG in unmittelbarer Wahl zu wählen waren, so dass Teil 1 Kapitel 2 der 3. WOMitbestG und für die Durchführung der Wahl Abschnitt 2 und für die schriftliche Stimmabgabe dessen Unterabschnitt 4 - mithin §§ 49 f. 3. WOMitbestG einschlägig sind. Hiervon sind die Vorinstanzen ebenso wie die Beteiligten ausgegangen.
26(2) § 49 Abs. 1 Satz 1 3. WOMitbestG rechtfertigt die generelle, neben die Möglichkeit der persönlichen Stimmabgabe tretende Eröffnung der schriftlichen Stimmabgabe bei der Durchführung der streitbefangenen Wahl nicht. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebswahlvorstand einem Wahlberechtigten, der im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert ist, seine Stimme persönlich abzugeben, auf sein Verlangen die in der Vorschrift näher bezeichneten Briefwahlunterlagen auszuhändigen oder zu übersenden. Unstreitig haben nicht alle Wahlberechtigten die Aushändigung der Briefwahlunterlagen verlangt. Der Betriebswahlvorstand hat die Unterlagen vielmehr unaufgefordert an alle Wahlberechtigte der L AG F übersandt.
27(3) Auch die Voraussetzungen einer schriftlichen Stimmabgabe nach § 49 Abs. 2 3. WOMitbestG liegen nicht vor.
28(a) Nach dieser Vorschrift erhalten Wahlberechtigte, von denen dem Betriebswahlvorstand bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (insbesondere im Außendienst, mit Telearbeit und in Heimarbeit Beschäftigte), die in § 49 Abs. 1 3. WOMitbestG bezeichneten Unterlagen, ohne dass es eines Verlangens der Wahlberechtigten bedarf.
29(b) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war dem Betriebswahlvorstand nicht in Bezug auf sämtliche Wahlberechtigte bekannt, dass diese im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden. Der Betriebswahlvorstand wusste lediglich nicht, welche Wahlberechtigten sich am Wahltag bzw. an den Wahltagen in Kurzarbeit oder im Homeoffice befinden. Diese Feststellung haben die Rechtsbeschwerdeführer nicht mit erheblichen Rügen angegriffen. Auch in dem der Übersendung der Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe beigelegten Schreiben „Aufsichtsratswahl 2021 der L AG“ ist lediglich ausgeführt, dass „sehr viele von Euch“ aufgrund von Homeoffice, Kurzarbeit etc. nur „sehr unregelmäßig bzw. gar nicht“ am eigentlichen Büroarbeitsplatz tätig sind.
30(c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerden genügt es nicht, dass der Betriebswahlvorstand aufgrund der pandemischen Lage davon ausgehen musste, dass sehr viele Arbeitnehmer entweder aufgrund von Homeoffice oder Kurzarbeit nicht im Betrieb anwesend sein würden und nicht sicher absehbar war, welche Arbeitnehmer hiervon betroffen sein würden. § 49 Abs. 2 3. WOMitbestG verlangt - schon nach dem Wortlaut der Norm - in Bezug auf konkrete Wahlberechtigte (oder eine konkrete Gruppe von Wahlberechtigten) die Kenntnis des Betriebswahlvorstands, dass diese voraussichtlich nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses im Zeitpunkt der Wahl nicht im Betrieb anwesend sein werden. Das folgt im Übrigen auch aus der Normsystematik. Nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 3. WOMitbestG kann der Betriebswahlvorstand die schriftliche Stimmabgabe beschließen für Betriebe, in denen die Mehrheit der Wahlberechtigten zur schriftlichen Stimmabgabe nach § 49 Abs. 2 3. WOMitbestG berechtigt ist und in denen die verbleibende Minderheit nicht mehr als insgesamt 25 Wahlberechtigte ausmacht. Daraus folgt, dass es nach dem Willen des Verordnungsgebers nicht einmal genügt, dass die Mehrheit der Wahlberechtigten voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein wird; es dürfen vielmehr nicht mehr als 25 Wahlberechtigte im Betrieb anwesend sein. Die Rechtsbeschwerdeführer haben nicht geltend gemacht, dass der Betriebswahlvorstand in Bezug auf die ganz überwiegende Anzahl der Wahlberechtigten davon ausgehen musste, dass diese während der Wahl betriebsabwesend sein würden. Im Übrigen weisen die Antragsteller zutreffend darauf hin, dass es sich bei der Beteiligten zu 17. um eine Frachtfluggesellschaft handelt, bei der viele Arbeiten im Betrieb erbracht werden müssen und zudem betriebliche „Präsenz“-Tätigkeiten während der Pandemie nicht eingestellt worden sind. Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob nach den geltenden betrieblichen Regelungen zur mobilen Arbeit und zur Kurzarbeit überhaupt davon auszugehen war, dass Wahlberechtigte an allen Tagen, an denen die Wahllokale geöffnet waren - ausweislich des Schreibens „Aufsichtsratswahl 2021 der L AG“ immerhin an acht Tagen -, nicht im Betrieb anwesend sein würden (zur Frage, ob iRd. § 24 WOBetrVG bereits Abwesenheit an einzelnen Tagen genügt vgl. einerseits DKW/Homburg 19. Aufl. § 24 WOBetrVG Rn. 8; andererseits GK-BetrVG/Jacobs 12. Aufl. WOBetrVG § 24 Rn. 8). Ebenso wenig bedarf es einer Entscheidung, ob es sich bei pandemiebedingter Arbeit im Homeoffice und Kurzarbeit überhaupt um Eigenarten der Beschäftigungsverhältnisse iSd. § 49 Abs. 2 3. WOMitbestG handelte (dies für die „Kurzarbeit Null“ ausdrücklich bejahend Habersack/Henssler/Henssler 4. Aufl. MitbestG § 18 Rn. 10).
31(d) Etwas Anderes folgt nicht aus dem Umstand, dass der Hauptwahlvorstand die Eröffnung der Möglichkeit zur schriftlichen Stimmabgabe für alle Arbeitnehmer vorgegeben hat. Zwar wird die Wahl in den einzelnen Betrieben im Auftrag und nach den Richtlinien des Hauptwahlvorstands durch die Betriebswahlvorstände durchgeführt (vgl. § 3 Abs. 2 3. WOMitbestG). Jedoch erstreckt sich diese Richtlinienkompetenz des Hauptwahlvorstands nicht darauf, die Auslegung zwingender Wahlvorschriften verbindlich vorzuschreiben ( - zu B I 1 b bb der Gründe, BAGE 67, 254; insoweit zust. Fuchs/Köstler/Pütz Handbuch zur Aufsichtsratswahl 7. Aufl. Rn. 707). Die dem Hauptwahlvorstand überantwortete Richtlinienkompetenz gibt ihm grundsätzlich nur das Recht zur Erteilung allgemeiner organisatorischer Anweisungen und zur sachgerechten Terminierung des Wahlverfahrens unter Beachtung der zwingenden Fristen, die in den Wahlordnungen vorgeschrieben sind ( - zu B I 1 b bb der Gründe, aaO). Zwar eröffnet die Vorschrift des § 49 Abs. 2 3. WOMitbestG mit dem Tatbestandsmerkmal „voraussichtlich“ eine gewisse Spannbreite ihrer Anwendung (vgl. zu § 19 Abs. 2 3. WOMitbestG - zu B I 1 b cc der Gründe, aaO). Innerhalb dieser Spannbreite ist der Hauptwahlvorstand berechtigt, aufgrund seiner Richtlinienkompetenz die Handhabung der Vorschrift für die Betriebswahlvorstände verbindlich vorzuschreiben, um die Wahlgleichheit in den einzelnen Betrieben zu gewährleisten. Hingegen kann der Hauptwahlvorstand - auch wenn die Möglichkeit der Teilnahme an der Wahl jedenfalls im Verhältnis zum Vorrang der persönlichen Stimmabgabe das schützenswertere Rechtsgut ist ( - zu B I 1 b cc der Gründe, aaO) - keine den Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 3. WOMitbestG widersprechende Vorgabe erteilen, dass der Betriebswahlvorstand für Teile der Wahlberechtigten sich jeglicher Einschätzung enthält, ob die Eigenart derer Beschäftigungsverhältnisse mit einer voraussichtlichen Betriebsabwesenheit im Zeitpunkt der Wahl einhergeht.
32(4) Die Übersendung der Briefwahlunterlagen an alle Wahlberechtigte war nicht nach § 49 Abs. 3 3. WOMitbestG gerechtfertigt.
33(a) Nach § 49 Abs. 3 3. WOMitbestG kann der Betriebswahlvorstand die schriftliche Stimmabgabe beschließen sowohl für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind (Nr. 1), als auch für Betriebe, in denen die Mehrheit der Wahlberechtigten zur schriftlichen Stimmabgabe nach Abs. 2 berechtigt ist und in denen die verbleibende Minderheit nicht mehr als insgesamt 25 Wahlberechtigte ausmacht (Nr. 2).
34(b) Diese Voraussetzungen lagen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht vor. Die schriftliche Stimmabgabe wurde nicht lediglich für Betriebsteile oder Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, beschlossen, sondern neben der persönlichen Stimmabgabe für den gesamten Wahlbetrieb L AG F als Option eröffnet. Für eine Annahme iSd. § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 3. WOMitbestG fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten; eine solche haben die Rechtsbeschwerden auch nicht geltend gemacht.
35(5) Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis auch zu Recht angenommen, dass der Betriebswahlvorstand nicht berechtigt ist, über die in den Absätzen 1 bis 3 des § 49 3. WOMitbestG ausdrücklich genannten Fälle hinaus die Briefwahlunterlagen an Wahlberechtigte zu übersenden. Die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe ist nur in den in der 3. WOMitbestG genannten Fällen zulässig (vgl. zu § 26 WahlO 1953 bereits - zu B III 2 c der Gründe, BAGE 72, 161). Dies gilt nicht nur für eine Durchführung der Wahl ausschließlich als Briefwahl, sondern auch dann, wenn - wie vorliegend - alternativ die Möglichkeit der persönlichen Stimmabgabe besteht. Dies ergibt die Auslegung des § 49 3. WOMitbestG.
36(a) Zwar weisen insbesondere die Rechtsbeschwerdeführer zu 14., 16. und 19. zutreffend darauf hin, dass § 49 3. WOMitbestG nach seinem Wortlaut kein ausdrückliches Verbot der Aushändigung oder Übersendung der Briefwahlunterlagen an alle Wahlberechtigte - und damit der Eröffnung einer Briefwahl(option) über die in der Vorschrift genannten Fälle hinaus - enthält. So regeln die Absätze 1 und 2 der Vorschrift explizit nur positive Handlungspflichten des Betriebswahlvorstands (vgl. Abs. 1: „hat … auszuhändigen oder zu übersenden“) in Bezug auf die Briefwahlunterlagen.
37(b) Jedoch lautet die amtliche Überschrift des § 49 3. WOMitbestG „Voraussetzungen“, wobei sich die Vorschrift im Unterabschnitt 4 „Schriftliche Stimmabgabe“ findet. Noch deutlicher formuliert die weitgehend inhaltsgleiche Vorschrift des § 19 3. WOMitbestG für die Abstimmung über die Art der Wahl als amtliche Überschrift „Voraussetzungen der schriftlichen Stimmabgabe“. Dies spricht klar für einen Willen des Verordnungsgebers, nicht nur die Fälle zu regeln, in denen der Betriebswahlvorstand die Briefwahlunterlagen herauszugeben hat, sondern zugleich abschließend die Voraussetzungen zu regeln, unter denen eine schriftliche Stimmabgabe überhaupt möglich ist - ohne dabei zwischen einer ausschließlichen und einer lediglich alternativen Briefwahl zu unterscheiden (zur ähnlich strukturierten Regelung in § 24 Abs. 3 der WOBetrVG vgl. - Rn. 27, BAGE 177, 269).
38(c) Die Annahme einer nicht an die in § 49 3. WOMitbestG genannten Voraussetzungen gebundenen Befugnis des Betriebswahlvorstands, nach freiem Ermessen an alle Wahlberechtigte die Briefwahlunterlagen auszuhändigen oder zu übersenden, widerspräche dem Gesamtzusammenhang der Wahlvorschriften.
39(aa) Der Betriebswahlvorstand bedarf für eine etwaige Übersendung der in § 49 Abs. 1 Satz 1 und 2 3. WOMitbestG genannten Unterlagen ggf. der Kenntnis der privaten Adressen der Wahlberechtigten. Diese müssten ihm vom Arbeitgeber übermittelt werden. So regelt die Neufassung des § 24 Abs. 2 WOBetrVG nunmehr ausdrücklich, dass der Arbeitgeber dem Wahlvorstand die erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen hat. Diese Vorschrift wird als datenschutzrechtlich unproblematisch angesehen (vgl. BR-Drs. 666/21 S. 24). In den in der Wahlordnung benannten Fällen ist die Datenübermittlung (voraussichtlich) für die Wahrnehmung des Wahlrechts erforderlich (vgl. Fitting BetrVG 32. Aufl. § 24 WO Rn. 15 mwN). Dies würde nicht in gleichem Maße für solche Wahlberechtigte gelten, die im Betrieb zur Urnenwahl gehen können. Die Übermittlung ihrer privaten Anschriften an den Betriebswahlvorstand begegnete insoweit datenschutzrechtlichen Bedenken.
40(bb) Die Erstellung der Briefwahlunterlagen und insbesondere die Freiumschläge verursachen zusätzliche Kosten. Nach § 20 Abs. 3 MitbestG trägt das Unternehmen die Kosten der Wahlen. Das Gesetz normiert damit nach der Rechtsprechung des Senats allerdings keine unbegrenzte Kostentragungspflicht des Arbeitgebers. Eine Zahlungspflicht besteht nur hinsichtlich der erforderlichen Kosten der Wahl ( - zu B II 1 der Gründe, BAGE 115, 43; Schubert/Wißmann/Kleinsorge/Wißmann 6. Aufl. MitbestG § 20 Rn. 58). Ist die schriftliche Stimmabgabe aber nicht im Sinne der in § 49 3. WOMitbestG aufgeführten Fälle erforderlich, um eine Stimmabgabe überhaupt zu ermöglichen, sondern wird die schriftliche Stimmabgabe weiteren Wahlberechtigten als bloßer zusätzlicher „Service“ angeboten, dürfte der Unternehmer nicht zur Übernahme der dadurch entstehenden weiteren Kosten verpflichtet sein.
41(cc) Gegen die Möglichkeit, generell die Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe - zumindest im Hinblick auf die pandemische Lage - zu eröffnen, spricht auch der Vergleich mit anderen Wahlordnungen. So galt für die Wahlordnung Schwerbehindertenvertretung mit deren § 28 eine - bis zum Ablauf des befristete - Sonderregelung aus Anlass der Covid-19-Pandemie (vgl. dazu Düwell jurisPR-ArbR 11/2022 Anm. 1). Zwar ließe sich grundsätzlich auch argumentieren, dass der Verordnungsgeber der 3. WOMitbestG gerade keine Sonderregelung für notwendig hielt, weil er die Eröffnung einer zusätzlichen Briefwahloption neben der Urnenwahl von vornherein als zulässig ansah. Dagegen spricht freilich entscheidend ein Vergleich mit der Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVWO). Obwohl diese mit ihrem § 17 eine dem § 49 Abs. 1 3. WOMitbestG und mit § 19 eine dem § 49 Abs. 3 3. WOMitbestG vergleichbare Regelung enthält, hat der Verordnungsgeber in § 19a BPersVWO eine Sonderregelung für die Personalratswahl 2020 getroffen. Danach war die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe bei den Wahlen der Personalvertretungen in allen Dienststellen zulässig, wenn zum Zeitpunkt der Wahl die Möglichkeit der Stimmabgabe in der Dienststelle voraussichtlich nicht sichergestellt werden kann. Diese Regelung bezog sich ausdrücklich auch auf die Briefwahl als Option neben einer Urnenwahl in Präsenz (vgl. § 19a Abs. 1 Satz 2 BPersVWO: „Die Anordnung nach Satz 1 kann ausschließlich oder ergänzend zu einer persönlichen Stimmabgabe getroffen werden.“).
42(dd) Auch eine Auslegung unter Beachtung des Grundsatzes der geheimen Wahl spricht für eine abschließende Regelung der Voraussetzungen der schriftlichen Stimmabgabe in § 49 3. WOMitbestG. So trägt die Gestaltung der in der Vorschrift geregelten schriftlichen Stimmabgabe dem Umstand Rechnung, dass der Grundsatz der geheimen Wahl, wonach die Stimmabgabe des Wählers keinem anderen bekannt werden darf, bei der Briefwahl größeren Gefahren ausgesetzt ist als bei der Urnenwahl. Der Grundsatz der geheimen Wahl ist insbesondere durch das Verfahren über die Stimmabgabe, den Wahlvorgang und die Stimmauszählung in der Wahlordnung formalisiert und unabdingbar ausgestaltet. Zwar ist dem Wählenden bei der schriftlichen Stimmabgabe aufgegeben, für die Einhaltung des Wahlgeheimnisses selbst Sorge zu tragen, indem er nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 3. WOMitbestG verpflichtet ist, den Stimmzettel unbeobachtet persönlich zu kennzeichnen und in den Wahlumschlag einzulegen (vgl. zu § 25 Satz 1 Nr. 1 WOBetrVG - Rn. 21; vgl. zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung - Rn. 31). Gleichwohl ist offenbar nach Ansicht des Verordnungsgebers die Gefahr, dass die Stimmabgabe anderen als dem Wähler bekannt wird, bei der Briefwahl ungleich größer als bei der Urnenwahl, bei welcher der Ablauf der Stimmabgabe der Kontrolle des Wahlvorstands unterliegt. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass er die Möglichkeit der generellen Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe in Betriebsteilen, Kleinstbetrieben und Betrieben nach § 49 Abs. 3 3. WOMitbestG nur eingeschränkt zugelassen hat. Damit sollen auch Wahlmanipulationen möglichst geringgehalten bzw. ausgeschlossen werden (vgl. zu § 26 WOBetrVG 1953 - zu B III 2 c der Gründe, BAGE 72, 161). Die Spannungslage, einerseits mit der Handhabe der Briefwahl eine umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und andererseits der Gefahr einer darin liegenden Missbrauchs- und Manipulationsmöglichkeit zu begegnen, ist mit der strikten Bindung der brieflichen Stimmabgabe an näher definierte Maßgaben aufgelöst und dient dem Ziel, eine sichere und geheime Wahl zu gewährleisten (so zu § 24 WOBetrVG - Rn. 29, BAGE 177, 269).
43cc) Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, dass durch den Verstoß gegen § 49 3. WOMitbestG das Wahlergebnis iSd. § 22 Abs. 1 letzter Halbs. MitbestG geändert oder beeinflusst werden konnte.
44(1) Nach § 22 Abs. 1 letzter Halbs. MitbestG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dabei ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre ( - Rn. 34 mwN; vgl. zu § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG - Rn. 41, BAGE 177, 269).
45(2) Danach ist die Anfechtbarkeit der Wahl nicht nach § 22 Abs. 1 letzter Halbs. MitbestG ausgeschlossen.
46(a) Soweit das Landesarbeitsgericht allerdings die Möglichkeit der Beeinflussung des Wahlergebnisses damit begründet hat, es sei nicht auszuschließen, dass einige der Briefwähler bei persönlicher Stimmabgabe anders gewählt hätten, weil zwischen der Stimmabgabe per Briefwahl und der Urnenwahl mehrere Tage liegen könnten, ist dies nicht frei von Rechtsfehlern. Zwar hat auch der Senat in der Vergangenheit die mögliche Beeinflussung des Wahlergebnisses bei der unrechtmäßigen Anordnung einer allgemeinen Briefwahl damit bejaht, dass es bei der Briefwahl für die einzelnen Arbeitnehmer zu zeitlich versetzten Wahlen komme (vgl. - zu B III 2 c der Gründe, BAGE 72, 161; vgl. auch - Rn. 43, BAGE 177, 269). Das betraf allerdings Konstellationen einer ausschließlichen schriftlichen Stimmabgabe. Vorliegend hatte der Hauptwahlvorstand in seiner Sitzung vom ausdrücklich beschlossen, dass die Wähler ihre Stimme auch dann noch persönlich abgeben können, wenn sie zuvor schon per Briefwahl gewählt hatten. Beschränkt auf diesen Aspekt liegt keine unzulässige Ausübung der Richtlinienkompetenz des Hauptwahlvorstands vor.
47(aa) Der Beschluss des Hauptwahlvorstands steht in Einklang mit der Rechtslage (Habersack/Henssler/Henssler 4. Aufl. MitbestG § 18 Rn. 10). Dies folgt schon aus dem Umstand, dass §§ 49 f. 3. WOMitbestG keine Regelungen enthalten, die eine persönliche Stimmabgabe eines Wahlberechtigten verhindern könnten, der zuvor bereits per Briefwahl gewählt hat. So ist insbesondere keine Verpflichtung des Betriebswahlvorstands geregelt, den Eingang eines Freiumschlags mit den Briefwahlunterlagen in der Wählerliste zu dokumentieren. Allein die Aushändigung der Briefwahlunterlagen auf Verlangen ist nach § 49 Abs. 1 Satz 3 3. WOMitbestG in der Wählerliste zu vermerken. Allerdings enthält § 49 Abs. 2 3. WOMitbestG keine entsprechende Regelung für den Fall, dass der Betriebswahlvorstand die Briefwahlunterlagen ohne ein entsprechendes Verlangen übersendet. Erscheint ein Wahlberechtigter zur persönlichen Stimmabgabe nach § 40 3. WOMitbestG, so ist für den Betriebswahlvorstand nicht erkennbar, ob dieser seine Stimme bereits schriftlich abgegeben hat (zur entsprechenden Situation nach der BPersVWO vgl. 6 P 14.02 - zu 1 c der Gründe). Der Wahlberechtigte ist daher auf jeden Fall zur Urnenwahl zuzulassen, die nach § 40 Abs. 4 Satz 2 3. WOMitbestG in der Wählerliste zu vermerken ist. Erst vor dem Öffnen der Wahlbriefe nach § 50 Abs. 2 3. WOMitbestG hat der Betriebswahlvorstand zu prüfen, ob der Wahlberechtigte bereits persönlich bei der Urnenwahl gewählt hat. Ist dies ausweislich der Eintragung in der Wählerliste der Fall, darf der Betriebswahlvorstand den in dem Wahlbrief enthaltenen Stimmzettel nicht in die Wahlurne einlegen (Schubert/Wißmann/Kleinsorge/Wißmann 6. Aufl. MitbestG § 9 Rn. 71: Die zeitlich vorhergehende Stimmabgabe im Wahllokal blockiert die Berücksichtigung des Wahlbriefs). Zwar fehlt eine entsprechende ausdrückliche Regelung in der Wahlordnung. Das Verbot der Einlegung auch des Briefwahl-Stimmzettels ergibt sich aber ohne weiteres aus dem Grundsatz der Stimmgleichheit. Zudem ist nach der Struktur der Wahlordnung die Urnenwahl der Regelfall, die Briefwahl die Ausnahme (vgl. Bachner NZA 2012, 1266, 1267).
48(bb) Den Wahlberechtigten war auch bekannt, dass sie neben der Briefwahl die Möglichkeit zur persönlichen Stimmabgabe an der Urne hatten (anders als im Fall, der dem Beschluss des Senats vom - 7 ABR 29/20 - Rn. 44 ff., BAGE 177, 269 zugrunde lag). Allen Briefwahlunterlagen war das Schreiben „Aufsichtsratswahl 2021 der L AG“ beigefügt. Darin heißt es, der Hauptwahlvorstand habe sich entschieden, „zusätzlich“ (im Schreiben in Fettdruck hervorgehoben) die Möglichkeit der Briefwahl anzubieten.
49(b) Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht jedoch angenommen, dass sich die Möglichkeit der Beeinflussung des Wahlergebnisses aus der hohen Anzahl der Briefwähler ergibt (Anteil von 85 % der Wähler). Zwar folgt nicht allein aus der mit der Briefwahl typischerweise verbundenen erhöhten Gefahr der Wahlbeeinflussung, dass schon deshalb eine Beeinflussung der Wahl möglich war. Insofern ist auch hier zu beachten, dass ein Wähler, der bei der Stimmabgabe im Rahmen der Briefwahl unrechtmäßig beeinflusst wurde, die Möglichkeit hatte, ohne eine entsprechende Beeinflussung seine Stimme in Präsenz abzugeben und damit seine (beeinflusste) Briefwahlentscheidung unbeachtlich zu machen. Es kann aber nicht angenommen werden, dass es ohne die allgemein eingeräumte Möglichkeit der Briefwahl zwingend zu demselben Wahlergebnis gekommen wäre. Gerade aufgrund der von den Rechtsbeschwerdeführern angeführten besonderen Umstände zum Zeitpunkt der Wahl erscheint es naheliegend, dass zahlreiche Wähler, bei denen die Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 des § 49 3. WOMitbestG nicht vorlagen, dennoch von einer persönlichen Stimmabgabe im Wahllokal abgesehen hätten. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass es ohne den Verstoß gegen die Wahlvorschriften zu einer wesentlich geringeren Zahl von abgegebenen Stimmen gekommen wäre. Dies hätte auch das Wahlergebnis objektiv ändern können.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:240424.B.7ABR22.23.0
Fundstelle(n):
BB 2024 S. 2291 Nr. 40
DB 2024 S. 2634 Nr. 43
BAAAJ-75315