BGH Beschluss v. - VIII ZR 255/21

Instanzenzug: Az: 21 S 6/21vorgehend Az: 230 C 177/19

Gründe

I.

1Der Beklagte mietete ab Oktober 2009 ein in D.             gelegenes Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von circa 135 m² von den damaligen Eigentümern. Die monatliche Nettokaltmiete betrug 400 €.

2Im Dezember 2016 erwarben die Kläger die Immobilie in der Absicht, den Beklagten - den Bruder der Klägerin zu 1 - vor dem Hintergrund, dass dieser nunmehr Sozialleistungen bezog, zu unterstützen. Vereinbarungsgemäß wurde das Haus in zwei Wohnungen geteilt. Der Beklagte bewohnt seit dem die im Hinterhaus gelegene Zwei-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von 75 m². Über die vom Beklagten hierfür zu zahlende Nettokaltmiete konnten die Parteien keine Einigung erzielen.

3Mit Schreiben vom rechneten die Kläger über die Betriebskosten des Jahres 2017 ab und gelangten zu einem Nachzahlungsbetrag zulasten des Beklagten in Höhe von 477,86 €.

4Die Kläger erklärten mehrfach, zuletzt mit Schriftsatz vom , die außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses unter Bezugnahme auf rückständige Miete sowie - zuletzt - die ausstehende Betriebskostennachzahlung für 2017.

5Die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung sowie - nach einer vor der ersten mündlichen Verhandlung erfolgten Teilklagerücknahme in Höhe von 9.950 € - auf Zahlung rückständiger Miete in Höhe von 649,60 € und Nachzahlung von Betriebskosten für das Jahr 2017 in der oben genannten Höhe gerichtete Klage hat vor dem Amtsgericht nur teilweise Erfolg gehabt. Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung rückständiger Miete in Höhe von 125,17 € verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Landgericht zurückgewiesen.

6Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision haben die Kläger ihr Klagebegehren, soweit dieses bisher keinen Erfolg gehabt hat, weiterverfolgt. Nachdem der Beklagte auf die Revisionsbegründung der Kläger zunächst erwidert hatte, haben beide Parteien unter Berufung auf einen freiwilligen Auszug des Beklagten aus der Wohnung den Räumungs- und Herausgabeantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt. Hinsichtlich des weiterverfolgten Zahlungsantrags haben die Kläger die Revision zurückgenommen. Demnach ist nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden.

II.

7Die im Tenor getroffene Kostengrundentscheidung ist eine Kostenmischentscheidung und beruht auf § 516 Abs. 3 Satz 1, § 565 Satz 1, § 269 Abs. 3 Satz 2, § 91 Abs. 1 Satz 1, § 91a Abs. 1 Satz 1, § 100 Abs. 1 ZPO.

81. Soweit das Berufungsgericht die Berufung der Kläger hinsichtlich ihres Zahlungsantrags zurückgewiesen hat, ist sein Urteil mit der Rücknahme der Revision der Kläger rechtskräftig geworden. Für die Revisionsinstanz ergibt sich aus § 516 Abs. 3 Satz 1, § 565 Satz 1 ZPO, dass die Kläger insoweit die Kosten des Rechtsstreits zu tragen haben. Für die Tatsacheninstanzen folgt die Pflicht der Kläger, die Kosten in Bezug auf den Zahlungsantrag zu tragen, aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO beziehungsweise - soweit die Kläger bereits in der ersten Instanz ihren Zahlungsantrag in Höhe von 9.950 € (vor der ersten mündlichen Verhandlung) zurückgenommen haben - aus § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

92. Soweit beide Parteien den Räumungs- und Herausgabeanspruch in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war über die diesbezüglichen Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden.

10a) Maßgeblich hierfür ist entgegen der Ansicht der Revision vorliegend der mutmaßliche Ausgang des Revisionsverfahrens (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VIII ZR 346/19, NJW 2021, 1887 Rn. 4; vom - XI ZR 571/21, AG 2022, 443 Rn. 9 mwN; vom - XI ZR 328/22, juris Rn. 1) und nicht der Umstand, dass der Beklagte, der auf Räumung und Herausgabe der Wohnung in Anspruch genommen wurde, aus dieser Wohnung nach Erlass des Berufungsurteils freiwillig ausgezogen ist. Zwar kann nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rahmen der Billigkeitsentscheidung gemäß § 91a Abs. 1 ZPO in bestimmten Fällen berücksichtigt werden, dass der Beklagte sich durch die Zahlung einer noch streitgegenständlichen Forderung freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begibt, auch wenn nicht zugleich erklärt wird, die Kosten des Rechtsstreits zu übernehmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VI ZR 154/08, juris Rn. 5; vom - VI ZR 11/10, juris Rn. 2; vom - VI ZR 1232/20, NJW 2021, 2589 Rn. 2; vom - V ZR 268/21, juris Rn. 1). Allerdings erlaubt ein freiwilliger Auszug des Mieters aus einer Wohnung nicht in vergleichbarer Weise wie die freiwillige Zahlung einer noch streitgegenständlichen Forderung durch den Schuldner einen Rückschluss darauf, dass damit der Rechtsstandpunkt der Gegenpartei im Ergebnis hingenommen wird, sondern kann auf anderen Motiven unterschiedlicher Art (unter anderem beruflichen Notwendigkeiten, dem Wunsch nach örtlicher Veränderung, verändertem Platzbedarf oder finanziellen Gesichtspunkten) beruhen. Auch hat der Beklagte vorliegend durch die zunächst erfolgte Erwiderung auf die Revisionsbegründung und den von ihm gestellten Kostenantrag im Rahmen der Teilerledigungserklärung (auf diese Aspekte abstellend BGH, Beschlüsse vom - VI ZR 154/08, aaO; vom - VI ZR 11/10, aaO; vom - VI ZR 1232/20, aaO) hinreichend deutlich gemacht, dass er der rechtlichen Einschätzung der Kläger widerspricht.

11b) Bei Anlegung des dargestellten Prüfungsmaßstabs sind im Hinblick auf den Räumungs- und Herausgabeanspruch die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben.

12aa) Es ist nicht Zweck einer Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - II ZR 163/03, AG 2006, 666 Rn. 3; vom - V ZB 166/11, juris Rn. 3; vom - VII ZB 28/17, juris Rn. 10; vom - VIII ZB 58/21, NJW 2022, 3778 Rn. 6). Grundlage der Entscheidung ist demgemäß lediglich eine summarische Prüfung, bei der das Gericht grundsätzlich davon absehen kann, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verteilung der Kosten alle für den hypothetischen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu klären (, BGHZ 197, 147 Rn. 13; Beschlüsse vom - II ZR 163/03, aaO; vom - V ZB 166/11, aaO; vom - VII ZB 28/17, aaO; vom - VIII ZB 44/22, NZM 2023, 947 Rn. 4).

13bb) Der Senat sieht sich deshalb nicht veranlasst, die - vorliegend von den Vorinstanzen im Grundsatz bejahte - Rechtsfrage zu klären, ob ein Nachzahlungsbetrag aus einer Betriebskostenabrechnung bei der Berechnung des Zahlungsrückstands im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB zu berücksichtigen ist (verneinend die ganz überwiegende Auffassung, vgl. OLG Koblenz, NJW 1984, 2369, 2369 f. [zu § 554 BGB aF]; , juris Rn. 5; vom - 63 S 158/15, juris Rn. 4 f.; LG Dessau-Roßlau, ZMR 2017, 481, 482 f.; MünchKommBGB/Bieber, 9. Aufl., § 543 Rn. 46; Staudinger/V. Emmerich, Neubearb. 2021, § 543 BGB Rn. 68; BeckOGK-BGB/Mehle, Stand: , § 543 Rn. 160; Siegmund in Blank/Börstinghaus/Siegmund, Miete, 7. Aufl., § 543 BGB Rn. 97; Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 16. Aufl., § 543 BGB Rn. 165; Grüneberg/Weidenkaff, 83. Aufl., § 543 BGB Rn. 23; BeckOK-BGB/Wiederhold, Stand: , § 543 Rn. 35; Erman/Lützenkirchen/Selk, BGB, 17. Aufl., § 543 Rn. 23; Börstinghaus, WuM 2017, 254, 256; Lehmann-Richter, ZMR 2017, 372, 375; Meyer-Abich, NZM 2023, 61, 72; Schwab, NZM 2019, 36, 40 f.; zum kombinierten Rückstand von Miete und Betriebskostennachzahlung ausdrücklich Hinz, WuM 2019, 673, 679 f.; Schmidt-Futterer/Streyl, aaO Rn. 45; Siegmund in Blank/Börstinghaus/Siegmund, aaO Rn. 26; wohl aA nur OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 1989, 973 [zu § 554 BGB aF]; zweifelnd Lützenkirchen/Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Aufl., § 543 BGB Rn. 218a).

14cc) Bleibt diese Frage mithin offen, ist - da der geltend gemachte Mietrückstand für sich genommen die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB nicht erfüllt - ungewiss, welchen Ausgang das Verfahren im Hinblick auf den mit der Revision weiterverfolgten Räumungs- und Herausgabeantrag genommen hätte, weil die Kläger ihre fristlose Kündigung vom auch auf den oben genannten Nachzahlungsbetrag aus einer Betriebskostenabrechnung gestützt haben und das Bestehen dieses Anspruchs bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht ausgeschlossen ist. Mangels anderer Verteilungskriterien sind die auf den Räumungs- und Herausgabeantrag bezogenen Kosten daher gegeneinander aufzuheben.

Dr. Bünger                    Kosziol                    Dr. Matussek

                   Messing                  Dr. Böhm

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:130824BVIIIZR255.21.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-75228