BGH Urteil v. - 1 StR 430/23

Gesetze: § 227 Abs 1 StGB

Instanzenzug: Az: 3 KLs 116 Js 101185/21 jug

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten Ar.     , I.          , P.                     und Y.          jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Jugendstrafe von vier Jahren (Ar.   ) und Freiheitsstrafen von vier Jahren (I.         ) sowie von vier Jahren und drei Monaten (P.                      und Y.         ) verurteilt. Die Revision des Angeklagten Ar.     hat bereits mit der Sachrüge Erfolg. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen und zuungunsten der Angeklagten Ar.   , I.         , P.                    und Y.         jeweils mit der Sachrüge geführten Revisionen der Staatsanwaltschaft sind teilweise begründet. Die Revision des Angeklagten P.                     ist hingegen erfolglos.

I.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts griffen die vier Angeklagten, der gesondert verfolgte B.         sowie weitere unbekannte Täter am den         A.         und den Nebenkläger D.    am          L.         Gymnasium in S.                               an.       A.       wurde durch einen Messerstich ins Herz getötet; der Nebenkläger D.     erlitt schwere Kopfverletzungen.

3Zuvor hatten sich A.        sowie die Angeklagten Ar.    und P.                    gestritten, weil A.        aus der Gruppierung „E.           Kurden“ aussteigen wollte. Da ein Ausstieg gegen den „Ehrenkodex“ der Gruppierung verstieß, hatte diese A.         für „vogelfrei“ erklärt. Etwa zeitgleich war A.         mit dem Angeklagten Y.         wegen eines Mädchens und mit dem gesondert verfolgten B.          wegen seiner Beziehung zu dessen Schwester M.                      , welche dieser als Türke wegen der kurdischen Herkunft des A.        missbilligte, in Streit geraten.

4Am Vortag der körperlichen Auseinandersetzung vereinbarte der Angeklagte I.         , der mit A.        keine Konflikte hatte, auf Bitten seines Cousins, des Angeklagten Y.       , unter einem Vorwand mit diesem ein Treffen. A.         ging dabei davon aus, dass es sich um einen mehrere Wochen zurückliegenden Vorfall handelte, bei welchem er, A.     , dem in Bedrängnis geratenen Bruder des I.           zu Hilfe geeilt war. Im Laufe des erfuhren auch die Angeklagten Ar.    und P.                     , der gesondert verfolgte B.           und weitere unbekannte Personen von dem geplanten Treffen zwischen I.          und A.        . Alle kamen schließlich überein, dass dem zu dem Treffpunkt gelockten A.         „eine körperliche Abreibung“ verpasst werden sollte.

5Am späten Nachmittag des Tattags trafen sich der in Begleitung des Nebenklägers D.    befindliche A.         und der Angeklagte I.           am vereinbarten Treffpunkt. A.          hatte in seiner Hosentasche einen Schraubenzieher und in seiner Jackentasche einen Schlagstock dabei, da er jederzeit mit einer Racheaktion der „E.           Kurden“ rechnete. Zur gleichen Zeit trafen sich die Angeklagten Ar.    , Y.      , P.                     und B.         sowie die weiteren Mittäter einige Straßen entfernt mit zwei Fluchtfahrzeugen und begaben sich nach einer kurzen Besprechung zum Treffpunkt am          L.        Gymnasium. Hierbei nahmen die Angeklagten Ar.   , Y.      und P.         bei einem der anderen Täter einen Schlagstock wahr, mit dessen Einsatz im Rahmen der körperlichen Auseinandersetzung sie fortan rechneten, was sie billigten. Es war ihnen auch bewusst, dass Schläge mit einem Schlagstock auf den Kopf des Opfers zu potentiell lebensgefährlichen Verletzungen führen können. Keiner der Angeklagten hatte hingegen Kenntnis davon, dass eine der anderen Personen – wahrscheinlich der gesondert verfolgte B.         – ein Messer mit sich führte.

6Nachdem A.        und der Angeklagte I.          sich mit einer Umarmung begrüßt und auf die Treppenstufen gesetzt hatten, stürmten die Angeklagten Ar.   , Y.         und P.                     sowie der gesondert verfolgte B.       und die weiteren Täter – teilweise maskiert – auf A.      zu. A.     ging die Treppe nach unten; der Angeklagte I.              entfernte sich – wie mit den übrigen Tätern zuvor besprochen – vom Tatort. Die Angreifer schlugen sofort mit Fäusten und dem mitgeführten Schlagstock auf A.       ein. Durch einen wuchtig geführten Schlag mit dem Schlagstock auf den Hinterkopf des A.         erlitt dieser eine blutende Verletzung im Hinterhauptsbereich. Der Angeklagte P.                     versetzte A.       mindestens einen Faustschlag ins Gesicht. Die Angeklagten Ar.     und Y.        standen – ohne eigene Schläge auszuführen – dabei und versicherten aufgrund ihrer Präsenz ihre jederzeitige Bereitschaft, in das Geschehen einzugreifen und notfalls selbst Körperverletzungshandlungen zu begehen. Im Verlauf der Schlägerei, möglicherweise gleich zu Beginn, stach einer der Angreifer – wahrscheinlich der gesondert verfolgte B.       – dem A.      mit dem Messer ins Herz, wobei die Angeklagten Ar.    , Y.        und P.                    den Messereinsatz nicht wahrnahmen. Als D.  , der zunächst entschieden hatte, sich nicht in die Auseinandersetzung einzumischen, die Unterlegenheit des A.        erkannte, kam er ihm zu Hilfe und ermöglichte ihm so die Flucht. A.         lief weg, brach aber nach kurzer Strecke zusammen und verstarb wenig später an den Folgen des Herzdurchstichs.

7Infolge seiner Einmischung traktierten die Angreifer nunmehr D.   mit Faustschlägen und Schlägen mit dem mitgeführten Schlagstock auf Kopf, Rücken und Schulter. Der Angeklagte P.                  versetzte D.   mehrere Faustschläge ins Gesicht. Die Angeklagten Ar.    und Y.          standen – ohne eigene Schläge auszuführen – eingriffsbereit und in dieser Weise einschüchternd dabei. Durch die Schläge mit dem Schlagstock erlitt D.    drei stark blutende Kopfverletzungen.

II.

81. Die zuungunsten des Angeklagten P.                  geführte Revision der Staatsanwaltschaft hat überwiegend Erfolg.

9a) Die Feststellungen tragen eine Verurteilung des Angeklagten P.                    wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB.

10aa) Bei einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung setzt die Strafbarkeit eines Mittäters wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1 StGB nicht voraus, dass er selbst eine unmittelbar zum Tod des Opfers führende Verletzungshandlung ausführt. Es reicht vielmehr aus, dass der Mittäter aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft einen Beitrag zum Verletzungsgeschehen geleistet hat. Dabei ist im Grundsatz weiter erforderlich, dass die Handlung des anderen im Rahmen des gegenseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses liegt und dem Täter hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit zur Last fällt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 141/21 Rn. 6 und vom – 1 StR 109/20 Rn. 4). Ist der Todeserfolg durch einen über das gemeinsame Wollen hinausgehenden und deshalb als Exzesshandlung zu qualifizierenden Gewaltakt verursacht worden, kommt eine Zurechnung des Todes als qualifizierender Erfolg gemäß § 227 Abs. 1 StGB dann in Betracht, wenn den gemeinschaftlich verübten Gewalthandlungen, die der todesursächlichen Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr eines tödlichen Ausgangs anhaftet. Das kann der Fall sein, wenn das Opfer durch die mittäterschaftlich begangene Körperverletzung in eine Lage gerät, in der es nachfolgenden Einwirkungen eines gewaltbereiten Tatbeteiligten schutzlos ausgeliefert ist oder dem vom gemeinsamen Willen aller Mittäter getragenen Angriff nach den ihn kennzeichnenden konkreten tatsächlichen Gegebenheiten die naheliegende Möglichkeit einer tödlichen Eskalation innewohnt (vgl. Rn. 7). So kann ein heimtückischer Überfall in großer Überzahl die hohe Gefahr einer Eskalation auch mit unerkanntem Messereinsatz begründen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 344/15, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 40 Rn. 17 und 1 StR 424/15 Rn. 17; Urteile vom – 2 StR 103/09 Rn. 12 und vom – 5 StR 15/04 Rn. 9). Andererseits wohnt nicht jedem von mehreren Personen mit einem Schlagwerkzeug geführten tätlichen Angriff auf einen anderen per se die tatbestandsspezifische Gefahr eines in seiner Gefährlichkeit für das Leben des Opfers gesteigerten Messereinsatzes inne. Ein spezifischer Gefahrenzusammenhang kann insoweit in objektiver Hinsicht nur angenommen werden, wenn sich aus Art und Weise des tätlichen Angriffs einzelfallbezogen konkrete tatsächliche Umstände ergeben, welche die Möglichkeit einer tödlichen Eskalation nahelegen (vgl. Rn. 9).

11bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Todesfolge dem Angeklagten P.                     zuzurechnen. Zwar war der Angriff mit dem Messer auf A.          durch einen der Täter – wahrscheinlich durch den gesondert verfolgten B.          – für die übrigen Tatbeteiligten ein Exzess, weil ein solcher Messereinsatz nicht einmal von einem bedingten Vorsatz umfasst war. Der gemeinsame Tatplan war jedoch darauf ausgerichtet, dem Geschädigten A.       die Verteidigungsmöglichkeiten zu nehmen, indem ihn der Angeklagte I.          , von dessen Seite er keine Gefahr wähnte, unter einem Vorwand zum Tatort lockte und zur Ablenkung in ein Gespräch verwickelte, um ihn in einer großen Überzahl aus dem Hinterhalt anzugreifen. Der Angeklagte P.                     nahm vor dem Angriff zudem bei einem der Angreifer einen Schlagstock wahr, mit dessen Einsatz er rechnete und dessen Einsatz gegen den Geschädigten A.         , der von der Gruppierung „E.          Kurden“, der auch P.                       angehörte, zuvor für „vogelfrei“ erklärt worden war, er billigte. Ferner gab es zwischen den Angreifern keine genaue Vereinbarung darüber, in welcher konkreten Weise sie dem Geschädigten A.        eine körperliche Abreibung verpassen wollten. Da die Täter sich nicht oder nicht gut kannten, unterschiedliche Angriffsmotive hatten, die ihnen untereinander ebenfalls nicht bekannt oder gleichgültig waren, und sich spontan zusammenschlossen, bestand die erhöhte Gefahr eines Exzesses durch einen der anderen Mittäter, auch unter Einsatz eines Messers. Die vorbereitete „Racheaktion“ unter Mitführen eines Schlagstocks trug ersichtlich die Gefahr eines Einsatzes von weiteren gefährlichen Werkzeugen in sich; auch das Bereitstellen der Fluchtfahrzeuge zeigt, dass die einzelnen Mitglieder von einem erheblichen Übergriff ausgingen.

12Selbst wenn – möglicherweise – B.          gleich zu Beginn tödlich mit dem Messer zugestochen haben sollte, änderte dies nichts an der Zurechnung. Denn bereits zu diesem Zeitpunkt hatten alle Mittäter gemäß dem Tatplan mit der Ausführung der Körperverletzungshandlungen begonnen.

13cc) Die Verwirklichung des § 227 StGB führt zur Konsumtion der zugleich verwirklichten gefährlichen Körperverletzungsvarianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB; denn die Gefahr für das Leben des Opfers A.      wurde gerade durch das gemeinschaftliche Zusammenwirken der Angeklagten unter lebensgefährdendem Einsatz von Hieb- und Stichwaffen verursacht. Der in diesem gemeinschaftlichen Angriff zum Ausdruck kommende Unrechtsgehalt wird daher von dem Unrechtsgehalt des § 227 Abs. 1 StGB umfasst (vgl. Rn. 8).

14b) Die Körperverletzung mit Todesfolge zulasten des Geschädigten A.        und die gefährliche Körperverletzung zulasten D.    stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit gemäß § 53 StGB. Höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen und deren Verletzung sind einer additiven Betrachtungsweise, wie sie etwa der natürlichen Handlungseinheit zugrunde liegt, nur ausnahmsweise zugänglich.

15c) Der Senat kann den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst ändern, weil er von den erschöpfenden Feststellungen getragen wird. Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil der Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung darauf hingewiesen hat, dass auch eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht komme. Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung der Strafe.

162. Die zuungunsten des Angeklagten Y.        geführte Revision der Staatsanwaltschaft hat aus den gleichen Gründen überwiegend Erfolg.

17a) Auch hier tragen die Feststellungen eine Verurteilung wegen Köperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB. Der Umstand, dass der Angeklagte Y.         den A.      selbst nicht verletzte, ändert nichts daran, dass er als Mittäter an der Körperverletzung beteiligt war. Die vom Mitangeklagten P.                     und weiteren Mittätern ausgeübten Faustschläge waren ebenso vom gemeinsamen Tatplan gedeckt wie die Schläge eines anderen Mittäters mit dem Schlagstock, den der Angeklagte Y.         wahrgenommen hatte und mit dessen Einsatz er rechnete (§ 25 Abs. 2 StGB). Die Ausführungen zur Zurechenbarkeit des Mittäterexzesses unter II. 1. a) gelten entsprechend.

18b) Auch der Angeklagte Y.          beging die Taten zum Nachteil des Geschädigten A.         und des Nebenklägers D.    tatmehrheitlich.

19c) Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich.

203. Die zuungunsten des Angeklagten I.          geführte Revision der Staatsanwaltschaft hat hingegen nur teilweise im Hinblick auf den Strafausspruch Erfolg.

21a) Das Landgericht hat den Angeklagten I.          zu Recht wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen (§ 52 StGB) verurteilt. Die Urteilsfeststellungen belegen hingegen entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft keine Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) durch den Angeklagten I.           . Denn der Mittäterexzess ist ihm nicht zuzurechnen. Der Angeklagte I.       hatte – anders als die Angeklagten Ar.  , P.                      und Y.         – keine Kenntnis davon, dass einer der Angreifer einen Schlagstock mit sich führte und diesen gegen A.        einsetzen wollte, weil er sich – nicht ausschließbar – von seiner Wohnung direkt zum Treffpunkt am        L.          Gymnasium begab und bei dem Treffen der übrigen Angeklagten an der St.                   Straße nicht dabei war. Er rechnete auch nicht mit dem Einsatz von Schlagwerkzeugen. Der Angeklagte I.         hatte somit nur die Vorstellung, dass dem A.          von mehreren Personen ohne den Einsatz gefährlicher Werkzeuge „eine Abreibung verpasst werden sollte“. Gegenüber diesem Vorstellungsbild stellt der tödliche Messereinsatz einen Angriff gänzlich anderer Art und Beschaffenheit dar, welcher dem Angeklagten I.           nicht zugerechnet werden kann.

22b) Auch die konkurrenzrechtliche Bewertung ist entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht zu beanstanden. Der Angeklagte I.         erbrachte zu Lasten des Nebenklägers D.   keinen gesonderten Tatbeitrag; sein „In-die-Falle-locken“ wirkte sich gleichermaßen auf die Verletzung beider Geschädigten aus.

23c) Die Strafkammer hat aber bei der Strafzumessung hinsichtlich des Angeklagten I.           übersehen, dass dieser in Bezug auf die Körperverletzung zulasten des A.         neben der Tatbestandsvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zugleich auch die weitere Tatbestandsvariante eines hinterlistigen Überfalls gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht hat.

24aa) Hinterlistig ist ein Überfall, wenn der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung der wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen. Es muss also ein Überraschungsangriff beabsichtigt, die wahre Absicht verdeckt und der Überfall gezielt in einer für das Opfer überraschenden Weise durchgeführt werden. Hierfür genügt in der Regel das Entgegentreten mit vorgetäuschter Friedfertigkeit oder ein von Heimlichkeit geprägtes Vorgehen. Das bloße Ausnutzen eines Überraschungsmoments reicht dagegen nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 386/20 Rn. 4 und vom – 3 StR 167/11 Rn. 7).

25bb) Hiernach hat der Mitangeklagte I.           auch eine gefährliche Körperverletzung mittels hinterlistigen Überfalls begangen. Denn der Angeklagte I.           lockte in Absprache mit den Angeklagten P.                    und Y.         den A.         gezielt unter dem Vorwand, mit diesem ein Gespräch führen zu wollen, zum Tatort, wobei er diesen zu Anfang auch noch mit Handschlag und Umarmung begrüßte und hierdurch Friedfertigkeit vortäuschte. Als dies gelungen war, stürmten – wie von Anfang an beabsichtigt – die Angeklagten P.                    , Y.          , der gesondert verfolgte B.        und weitere unbekannte Täter, welche sich vorher in der Nähe getroffen und besprochen hatten, völlig unerwartet auf A.         zu und malträtierten diesen mit Schlägen, wobei dieser keine Möglichkeit mehr hatte, die Flucht zu ergreifen. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich A.         des Angriffs zuvor versah. Zwar hatte er einen Schlagstock und einen Schraubendreher dabei, weil er „abstrakt“ jederzeit mit einem Angriff der „E.            Kurden“ rechnete. In der konkreten Situation war er sich eines bevorstehenden Angriffs aber nicht bewusst. So äußerte A.         nach den Feststellungen gegenüber dem Zeugen             Mu.      noch unmittelbar vor der Tat, dass der Angeklagte I.           gleich zu dem vereinbarten Treffen komme und nunmehr „alles geklärt sei“. Hinsichtlich des D.   liegt hingegen erkennbar keine gefährliche Körperverletzung durch einen hinterlistigen Überfall vor.

26d) Die fehlende Berücksichtigung der Verwirklichung von § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB neben § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB in der Strafzumessung führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer höheren Strafe gelangt wäre, wenn es die Verwirklichung mehrerer Tatbestandsvarianten des § 224 StGB strafschärfend berücksichtigt hätte, zumal es sich beim Hineinlocken des A.         in einen Hinterhalt um einen wesentlichen Tatbeitrag handelte.

274. Die zuungunsten des Angeklagten Ar.    geführte Revision der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Erfolg; da die Nachprüfung des Urteils gemäß § 301 StPO aber zugleich einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufgedeckt hat, welcher zur Aufhebung und Zurückverweisung führt, ist eine Schuldspruchverschärfung insoweit nicht möglich.

28a) Auch in Bezug auf den Angeklagten Ar.    tragen die Feststellungen zugleich eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB. Der Umstand, dass der Angeklagte Ar.    den A.        selbst nicht verletzte, ändert nichts daran, dass er als Mittäter an der Körperverletzung beteiligt war. Die vom Mitangeklagten P.                   und weiteren Mittätern ausgeübten Faustschläge waren ebenso vom gemeinsamen Tatplan gedeckt wie die Schläge eines anderen Mittäters mit dem Schlagstock, den der Angeklagte Ar.    wahrgenommen hatte und mit dessen Einsatz er rechnete (§ 25 Abs. 2 StGB). Die Ausführungen zur Zurechenbarkeit des Mittäterexzesses unter II. 1. a) gelten entsprechend.

29b) Die Revision der Staatsanwaltschaft führt aber zugleich gemäß § 301 StPO aufgrund eines den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehlers zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Täterschaft des eine Tatbeteiligung bestreitenden Angeklagten Ar.    hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

30aa) In Fällen, in denen – wie hier – der Tatnachweis im Wesentlichen auf einem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht, bestehen besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung und deren Darstellung im Urteil. Danach ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen Gründen regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben und diese sodann zum Erscheinungsbild des Angeklagten in der Hauptverhandlung in Beziehung zu setzen; die äußeren Merkmale des Täters, die für das Wiedererkennen entscheidend waren, sind grundsätzlich zu benennen. Zudem sind in den Urteilsgründen diejenigen Gesichtspunkte darzulegen, auf denen die Folgerung des Tatgerichts beruht, dass insoweit tatsächlich Übereinstimmung besteht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 142/23 Rn. 5; vom – 5 StR 483/22 Rn. 7; vom – 2 StR 11/21 Rn. 9 und vom – 2 StR 472/16 Rn. 4). Darüber hinaus bedarf es einer Mitteilung der Umstände, die zur Identifizierung des Angeklagten durch den Zeugen geführt haben, insbesondere, ob das (erste) Wiedererkennen auf einer Einzel- oder Wahllichtbildvorlage beruht; wegen der damit verbundenen suggestiven Wirkung kommt dem Wiedererkennen aufgrund einer Einzellichtbildvorlage grundsätzlich ein geringerer Beweiswert zu (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 110/23 Rn. 5 und vom – 2 StR 472/16 Rn. 5). Konnte ein Zeuge eine ihm zuvor unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich das Tatgericht nicht ohne Weiteres auf dessen subjektive Gewissheit beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat, und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen (BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 483/22 Rn. 8; vom – 6 StR 516/22 Rn. 5 und vom – 2 StR 11/21 Rn. 9). Die Opfer von Gewalthandlungen sind während der Tatausführung zudem häufig als „existenzbedrohend“ empfundenen Bedrängnissen ausgesetzt. Dieser Umstand kann sie in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf Merkmale des Täters, die eine Wiedererkennung ermöglichen, beeinträchtigen (vgl. , BGHR StPO Identifizierung 16 Rn. 22). Bei einem wiederholten Wiedererkennen in einer Hauptverhandlung ist außerdem zu beachten, dass eine verstärkte Suggestibilität der Identifizierungssituation besteht (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 142/23 Rn. 5 und vom – 2 StR 472/16 Rn. 5).

31bb) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.

32(1) Soweit das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten Ar.    darauf stützt, dass der Nebenkläger D.    ihn auf einem Instagram-Foto als einen der Täter erkannte, welches ihm der Zeuge V.                zwei Tage nach der tödlichen Auseinandersetzung vorlegte, sind die Ausführungen lückenhaft. Das fragliche Bild hat der Strafkammer in der Hauptverhandlung nicht vorgelegen. Zur Qualität und zum Inhalt desselben, insbesondere dazu, ob und ggf. welche weiteren Personen abgebildet waren, verhalten sich die Urteilsgründe ebenso wenig wie zur Erkennbarkeit und Identifizierbarkeit gerade des Angeklagten. Auch die weiteren Umstände der Wiedererkennung bleiben im Dunkeln. Dies betrifft insbesondere die Frage, welche weiteren Bilder dem Nebenkläger D.   gezeigt wurden, inwieweit die Personen auf den weiteren Bildern dem Ar.    ähnelten und in welcher Reihenfolge die Bilder vorgelegt wurden. Schließlich fehlen jegliche Erläuterungen der Strafkammer dazu, an welchen markanten physiognomischen Merkmalen D.   den Angeklagten Ar.    auf dem Instagram-Bild wiedererkannt haben will. Dies wäre aber schon deshalb von Bedeutung gewesen, weil nach der äußerst vagen Beschreibung des Nebenklägers D.   bei seiner polizeilichen Vernehmung vom die Angreifer einander ähnelten. Unter den gleichen Mängeln leidet der vom Landgericht angenommene Beweiswert des Wiedererkennens in der Hauptverhandlung, zumal insoweit die „verstärkte Suggestibilität der Identifizierungssituation“ zu bedenken gewesen ist. Sollte die Strafkammer im nächsten Rechtsgang Feststellungen dazu treffen können, anhand welcher Merkmale der Nebenkläger D.    den Angeklagten Ar.   erkannt haben will, wird sie bei ihrer Überzeugungsbildung zudem die ursprüngliche Wahrnehmungssituation des Nebenklägers D.    zu berücksichtigen haben. Denn das Körperverletzungsgeschehen zu seinem und des Geschädigten A.    s      Nachteil zog sich zwar auf der einen Seite über einen gewissen Zeitraum hin und betraf zunächst nur den Geschädigten A.       , so dass der Nebenkläger D.    die – ihm zuvor unbekannten – Täter nicht nur ganz kurzzeitig gesehen haben dürfte. Auf der anderen Seite handelte es sich aber um ein äußerst dynamisches Geschehen, bei welchem mehrere Personen, teils auch noch maskiert, auf A.       und dann schließlich auf ihn einschlugen, was er als „existenzbedrohend“ empfunden haben mag, so dass seine Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sein könnte.

33(2) Die Strafkammer hat sich außerdem in den Urteilsgründen nicht mit dem sich aufdrängenden Umstand auseinandergesetzt, dass die erste Wiedererkennungsleistung des Nebenklägers D.   unbewusst davon beeinflusst gewesen sein könnte, dass die Familie des getöteten A.       , mit der der Zeuge V.                befreundet war, intensiv bemüht war, die Täter zu finden, und sie im Umfeld der „E.           Kurden“ vermutete.

34c) Da die Revision der Staatsanwaltschaft sowohl zugunsten wie zulasten des Angeklagten Ar.    zur vollständigen Urteilsaufhebung führt, gilt für das neue Tatgericht das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) nicht (vgl. Rn. 84 ff.).

III.

35Die Revision des Angeklagten Ar.    führt bereits auf die Sachrüge aufgrund der oben unter II. 4. b) dargestellten Gründe zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache; auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.

IV.

36Die Revision des Angeklagten P.                   ist unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat.

Jäger                                 Wimmer                                 Leplow

                  Munk                            Welnhofer-Zeitler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070824U1STR430.23.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-75030