BGH Beschluss v. - 1 StR 274/24

Instanzenzug: LG München II Az: 2 KLs 46 Js 6845/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz eines verbotenen Gegenstands, in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition und des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 18.635 € sowie eines näher bezeichneten Mobiltelefons angeordnet. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verkaufte und übergab der Angeklagte im November 2022 an einen Arbeitskollegen 3,1 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 5 % Tetrahydrocannabinol (THC) gewinnbringend zum Preis von 30 € (Fall B. I. 1. der Urteilsgründe).

3Er verfügte zudem am in seiner Wohnung über insgesamt 1.023,79 Gramm Cannabis – überwiegend Marihuana – mit einer Gesamtwirkstoffmenge von 207,4 Gramm THC und 0,41 Gramm Amphetamin mit 0,03 Gramm Amphetamin-Base, daneben über ein Vakuumiergerät, diverse Verpackungsmaterialien, zwei Feinwaagen, Konsumutensilien und Bargeld im Wert von 18.605 € in szenetypischer Stückelung. Das Cannabis war zu 60 Prozent zum gewinnbringenden Weiterverkauf und im Übrigen zum Eigenkonsum bestimmt. Es befand sich in diversen Tüten vorportioniert und ebenso zugriffsbereit wie eine Machete mit einer Klingenlänge von 37 cm, eine mit neun Kartuschen geladene, funktionsfähige PTB-Schreckschusspistole, ein Schlagring, ein Teleskopschlagstock und zwei beidseitig geschliffene Wurfmesser mit Klingenlängen von acht und zehn Zentimetern über die Wohnung verteilt. Alle Gegenstände dienten zumindest auch dem Schutz vor unberechtigtem Zugriff auf die Drogen. Das weder zum Eigenkonsum noch zum Verkauf bestimmte Amphetamin hatte der Angeklagte seiner Freundin weggenommen und nicht entsorgt (Fall B. I. 2. der Urteilsgründe).

42. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuld- und zur weitgehenden Aufhebung des Strafausspruchs. Zwar lässt das Urteil nach dem zur Zeit der Entscheidung geltenden Recht keinen Rechtsfehler erkennen. Allerdings ist am das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis vom (BGBl. I Nr. 109; KCanG) in Kraft getreten. Dieses erweist sich bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen konkreten Gesamtvergleich (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 45/24 Rn. 7 und vom – 3 StR 154/24 Rn. 5; jew. mwN) als das mildere und daher für die Revisionsentscheidung nach § 354a StPO maßgebliche Gesetz.

5a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Tat unter Ziffer B. I. 1. des Urteils hat der Angeklagte sich des Handeltreibens mit Cannabis (§ 1 Nr. 4 und Nr. 8 KCanG) nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG schuldig gemacht.

6b) Sein im Urteil unter Ziffer B. I. 2. festgestelltes Verhalten erfüllt den Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis nach § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG in Tateinheit mit Besitz von insgesamt mehr als 60 Gramm Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG), mit Besitz eines verbotenen Gegenstands (Schlagring; § 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG) und mit Besitz von Munition (§ 52 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b WaffG).

7aa) Die Handelsmenge Cannabis von rund 614 Gramm besaß nach den Urteilsfeststellungen einen Wirkstoffgehalt von 124 Gramm THC und beläuft sich damit annähernd auf das 17-fache der nicht geringen Menge im Sinne des § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG, die bei 7,5 Gramm liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 106/24 Rn. 7; vom – 1 StR 145/24 Rn. 12; vom – 2 StR 480/23 Rn. 27; vom – 2 StR 177/24 Rn. 3; vom – 3 StR 115/24 Rn. 9; vom – 4 StR 5/24 Rn. 10; vom – 4 StR 111/24 Rn. 5; vom – 5 StR 153/24 Rn. 11; vom – 5 StR 136/24 Rn. 3 und vom – 6 StR 536/23 Rn. 21).

8Bedenken dahin, dass es dem Qualifikationstatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG wie auch der Strafzumessungsregel in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG, die nach ihrem Wortlaut wie § 29a BtMG als normatives Tatbestandsmerkmal eine „nicht geringe Menge“ voraussetzen, an der gemäß Art. 103 Abs. 2 GG erforderlichen hinreichenden Bestimmtheit fehlen könnte (so wohl Gärditz, JZ 2024, 564, 565 ff.), hat der Senat nicht (vgl. BVerfGE 126, 170, 194 ff.; 143, 38 Rn. 41; 160, 284 Rn. 90 ff.). Denn der konkretisierungsbedürftige Begriff der „nicht geringen Menge“ hat aufgrund der seit Jahrzehnten gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu §§ 29a ff. BtMG eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewonnen.

9Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist auch im Regelungszusammenhang des KCanG weder der bisherige Grenzwert der nicht geringen Menge von THC herabzusetzen oder sonst anders zu bestimmen noch setzt sich dessen Festsetzung in verfassungswidriger Weise über den Willen des Gesetzgebers hinweg (vgl. aber Beukelmann/Heim, NJW-Spezial 2024, 313; Bode, NJ 2024, 307; Greier, jurisPR-StrafR 9/2024, Anm. 1; Pschorr, NJW 2024, 1968, 1972). Im Gegenteil wäre eine vom etablierten Maßstab abweichende Bestimmung der nicht geringen Menge verfassungsrechtlich zumindest bedenklich. Denn die Mengenbegriffe des Betäubungsmittelstrafrechts haben die erforderliche Konturierung gerade durch die langjährige gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung erfahren, womit diese ihrer besonderen Verpflichtung, an der Erkennbarkeit der Voraussetzungen der Strafbarkeit mitzuwirken, nachgekommen ist (vgl. dazu BVerfG, NJW 2023, 3072 Rn. 107).

10bb) Wie im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist ein Mitsichführen einer Schusswaffe oder eines sonstigen Gegenstandes gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG gegeben, wenn der Täter den Gegenstand in irgendeinem Stadium des Tathergangs bewusst gebrauchsbereit so in seiner Nähe hat, dass er sich dieses jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann. Der Qualifikationstatbestand setzt zudem voraus, dass der Täter den bei der Tat mit sich geführten Gegenstand, wenn es sich bei diesem nicht um eine Schusswaffe handelt, zur Verletzung von Personen bestimmt hat. Dies ist vom Tatgericht grundsätzlich näher festzustellen und zu begründen, soweit es sich nicht um eine Waffe im technischen Sinne oder eine gekorene Waffe (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG) handelt (vgl. BT-Drucks. 20/8704 S. 132; BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 132/24 Rn. 7 und vom – 3 StR 159/24 Rn. 6 f.). Nach Maßgabe dessen ist der Tatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG hier erfüllt, ohne dass es – wie vom Beschwerdeführer beanstandet – darauf ankäme, ob der Angeklagte in seiner Wohnung Handelsgeschäfte abwickelte oder sich die von den Waffen ausgehende abstrakte Gefahr sonst tatsächlich verwirklichte.

11cc) Im Hinblick auf die in der Wohnung vorgehaltene Eigenkonsummenge an Cannabis von 409 Gramm mit einer Wirkstoffmenge von 82,8 Gramm THC ist der Angeklagte nach den Feststellungen des Besitzes von insgesamt mehr als 60 Gramm Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG) schuldig. Zwar kommt dem verbotenen Besitz von Cannabis nach dem Regelungskonzept des § 34 Abs. 1 KCanG kein eigenständiger Unrechtsgehalt zu, wenn zugleich einer der spezielleren Tatbestände der Strafvorschrift verwirklicht ist (vgl. Rn. 16 f.; vgl. bereits , BGHSt 25, 385). Die Bestrafung wegen Besitzes als Auffangtatbestand kommt allerdings dann in Betracht, wenn entweder die Verwirklichung einer spezielleren Begehungsweise nicht feststellbar ist oder der Besitz in einer solchen nicht vollständig aufgeht (vgl. , BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Konkurrenzen 3). So liegt es hier.

12dd) Hinsichtlich der Kleinmenge Amphetamin, welches der Angeklagte seiner Freundin wegnahm, ist der Tatbestand des Sichverschaffens von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG erfüllt. Indem er das Betäubungsmittel seiner Freundin wegnahm und in seiner Wohnung verwahrte, verschaffte er sich darüber die tatsächliche Verfügungsgewalt mit der Möglichkeit und dem Willen, darüber zu verfügen (vgl. Rn. 6; Urteil vom – 3 StR 224/09, ).

13c) Der Senat stellt den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1, § 354a StPO um. Die Regelung des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Der Senat hat bei der Neufassung des Schuldspruchs auch hinsichtlich der Verstöße gegen das Waffengesetz den Tenor ergänzt und den Zusatz vorsätzlicher und unerlaubter Tatbegehung entfallen lassen. Dies dient der Klarstellung der ansonsten durch die Aufnahme nicht notwendigen Inhalts unübersichtlichen Urteilsformel (vgl. dazu Rn. 5 mwN).

14d) Der Strafausspruch bleibt von der Schuldspruchänderung im Fall B. I. 1. unberührt, während diese im Fall B. I. 2. zu dessen Aufhebung und zur Aufhebung der Gesamtstrafe führt.

15aa) Der Strafausspruch zu Fall B. I. 2. hat keinen Bestand. Obschon das Landgericht – mit Blick auf die anstehende Rechtsänderung bewusst – eine unter Anwendung des § 30a Abs. 1 BtMG äußerst milde Strafe festgesetzt hat, kann der Senat letztlich nicht ausschließen, dass es diese unter Anwendung des § 34 Abs. 4 KCanG ebenso bemessen hätte. Denn während § 30a Abs. 1 BtMG einen Strafrahmen von fünf bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, reicht der Regelstrafrahmen des § 34 Abs. 4 KCanG von zwei bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Darauf, dass nach § 39 StGB eine Freiheitsstrafe nur nach vollen Monaten und Jahren zu bemessen ist, kommt es daneben nicht an. Ebenso ist der Umstand, dass die nach dem KCanG legalen Besitzmengen (§§ 3, 4 KCanG) für die Strafzumessung zu berücksichtigen sein können, wenn die Grenze zur nicht geringen Menge unter Ansatz der gesamten Cannabismenge nur unwesentlich überschritten wurde (vgl. dazu Rn. 24 ff.), infolge der erheblichen Überschreitung des Grenzwerts hier bedeutungslos.

16Im Übrigen (Fall B. I. 1.) kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht zu einer milderen Strafe gelangt wäre.

17bb) Die Aufhebung der Einzelstrafe für die Tat unter B. I. 2. zieht den Wegfall der Gesamtstrafe nach sich. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um nicht widersprechende Feststellungen ergänzt werden.

18e) Die Einziehungsentscheidung ist aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen rechtsfehlerfrei.

Jäger                                   Wimmer                                   Leplow

                  Allgayer                            Welnhofer-Zeitler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250724B1STR274.24.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-75029