BGH Beschluss v. - 6 StR 204/21

Instanzenzug: Az: 3 Ks 2/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten des versuchten Mordes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung, und der Sachbeschädigung in fünf Fällen schuldig gesprochen. Es hat von der Verhängung einer Jugendstrafe abgesehen und unter Einbeziehung eines weiteren Urteils die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts war der im Tatzeitraum 19 Jahre alte Angeklagte seit seiner Kindheit im Feuerwehrwesen aktiv und verbrachte auch als Jugendlicher dort nahezu seine gesamte Freizeit. Als er im Jahr 2019 in den Verdacht geriet, für eine Serie von Brandstiftungsdelikten in seinem Heimatort verantwortlich zu sein, wurde seine Mitgliedschaft in der örtlichen Feuerwehr suspendiert. Auch sein Aufnahmeantrag bei der freiwilligen Feuerwehr in einer Nachbargemeinde wurde aus diesem Grund abgelehnt; gleichwohl gab er in seinem Umfeld vor, dort Mitglied zu sein, und besorgte sich eine entsprechende Uniform sowie Ausrüstungsgegenstände. Im November 2022 wurde er zu einem Jugendarrest verurteilt, weil er im Oktober 2020 und im September 2021 Papiercontainer in Brand gesetzt hatte.

3Die verfahrensgegenständlichen Taten beging er im Zeitraum vom 8. März bis zum . Er setzte am 8. März und am insgesamt fünf Papiercontainer sowie in der Nacht auf den eine unmittelbar an ein Wohnhaus angrenzende Thujahecke in Brand; das Feuer griff auf die Fassade des Hauses und den Dachstuhl über. Die Bewohner bemerkten den Brand rechtzeitig und konnten das Haus unverletzt verlassen.

4Während eines Besuchs bei Freunden am Abend des kam es zu einem Streit zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin, weil er über sein Mobiltelefon Kontakt zu einer anderen Frau hatte. Anschließend programmierte er die Weckfunktion eines sich in seinem Besitz befindlichen Funkmeldeempfängers der Feuerwehr. Als dieser um 0:49 Uhr auslöste, teilte der Angeklagte den übrigen Anwesenden mit, er müsse zu einem Einsatz. Er fuhr mit seinem Fahrzeug in einen Nachbarort, entzündete dort erneut eine unmittelbar an ein Wohnhaus angrenzende Thujahecke, stieg in sein Auto und fuhr davon. Auch in diesem Fall griff das Feuer auf die Fassade und die Dachkonstruktion des Hauses über. Die in dem Haus schlafende Bewohnerin blieb unverletzt, weil das Feuer gelöscht werden konnte, nachdem Nachbarn es bemerkt und die Einsatzkräfte informiert hatten. Im weiteren Verlauf der Nacht entzündete der Angeklagte zwei weitere Papier- und zwei Altkleidercontainer. Gegen 3:30 Uhr kehrte er zu seinen Freunden und seiner Lebensgefährtin zurück.

5Das Landgericht ist sachverständig beraten davon ausgegangen, der Angeklagte leide an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit unsicher-abhängigen, zwanghaften sowie narzisstischen Anteilen und habe die verfahrensgegenständlichen Taten „aus der Kulmination seines persönlichen Frusts“ infolge der fehlenden Möglichkeit einer Mitgliedschaft bei der Feuerwehr, des vorangegangenen Strafverfahrens und anhaltender Streitigkeiten mit seiner Lebensgefährtin begangen. Im Zeitpunkt der Taten sei seine Steuerungsfähigkeit infolge dieser Persönlichkeitsstörung erheblich vermindert gewesen.

II.

61. Die Unterbringungsanordnung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

7a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf als außerordentlich belastende Maßnahme nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht (vgl. , Rn. 10; Beschluss vom  – 2 StR 568/19, Rn. 5; Urteil vom – 2 StR 108/16, Rn. 7).

8Da nicht jede Persönlichkeitsstörung eine schwere andere seelische Störung im Sinne des § 20 StGB darstellt, sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (vgl. , Rn. 12; Urteil vom  – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52; Beschluss vom  – 4 StR 59/00). Dies erfordert eine Gesamtschau auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und deren Entwicklung, der Vorgeschichte, des unmittelbaren Anlasses und der Ausführung der Tat sowie seines Verhaltens nach der Tat (vgl. , NStZ 2009, 258; Beschluss vom  – 3 StR 333/04, Urteil vom – 5 StR 122/91, BGHSt 37, 397, 402).

9Für die Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens des Angeklagten gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als Merkmal der schweren anderen seelischen Störung angesehen werden (vgl. , Rn. 12; Urteil vom  – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53).

10b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die Annahme des Landgerichts, beim Angeklagten liege eine Persönlichkeitsstörung vor, die das Ausmaß einer schweren anderen seelischen Störung erreicht habe, ist nicht tragfähig belegt.

11aa) Soweit das Landgericht zur Begründung angeführt hat, die Störung habe sich in unterschiedlichen Lebensbereichen des Angeklagten ausgewirkt, wird schon nicht ausreichend deutlich, worauf es diese Annahme gestützt hat, zumal festgestellt ist, dass der Angeklagte ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern unterhielt, im Tatzeitpunkt nach zweifachem Wechsel seiner Ausbildungsstelle eine Lehre in seinem Wunschberuf Dachdecker absolvierte, sich seit Juli 2020 in einer festen Beziehung befand und von Oktober 2022 bis zu seiner Inhaftierung im April 2023 mit seiner Lebensgefährtin in einer gemeinsamen Wohnung lebte.

12Zu den angeführten anhaltenden Streitigkeiten zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin ist nicht dargetan, dass diese von außergewöhnlichem Gewicht waren. Ein hierzu zeugenschaftlich vernommener Freund des Angeklagten, dessen Angaben das Landgericht als glaubhaft bewertet hat, hat bekundet, aus seiner Sicht würden sich der Angeklagte und seine Lebensgefährtin lieben, auch wenn es „immer mal“ Streit gebe. Auch hinsichtlich des Streits am Vorabend der Taten vom lässt sich den Urteilsgründen keine außergewöhnliche Kränkung des Angeklagten entnehmen.

13Zudem erschließt sich anhand der Urteilsgründe die Einschätzung des Sachverständigen nicht, die Auswahl der Ausbildungsstellen durch den Angeklagten mute „mitunter ziellos“ an. Die für die Wechsel der Ausbildungsstellen festgestellten Anlässe erscheinen ohne Weiteres normalpsychologisch erklärbar; hiernach brach er die erste Ausbildung ab, weil er sich verbal abwertendem Verhalten ausgesetzt fühlte, und die zweite, weil ihn die Tätigkeit im Bereich Sanitärinstallationen nicht ausreichend interessierte.

14bb) Konkrete Hinweise auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Angeklagten lassen sich auch den Feststellungen zu seinem Verhalten vor, während und nach den Taten nicht entnehmen. Die Taten wurden von dem Angeklagten konstelliert, die schwere Brandstiftung in der Nacht auf den sogar regelrecht inszeniert, indem er gegenüber seinen Begleitern eine Feuerwehrmeldung vortäuschte und diese zum Anlass nahm, die Wohnung unter Hinweis auf einen Einsatz zu verlassen. Zudem hat das Landgericht festgestellt, dass die Taten zügig und zielgerichtet abliefen. Auch zu dem Nachtatverhalten des Angeklagten lassen sich den Urteilsgründen keine Umstände entnehmen, die Rückschlüsse auf eine psychopathologische Beeinträchtigung im Tatzeitpunkt zuließen.

15cc) Soweit der Sachverständige weiter angeführt hat, dass der Angeklagte nach narzisstischer Bestätigung trachte, auf „zwanghaft-rigide Art und Weise“ Reinheits- und Sauberkeitsideale betone und unter „Verlassensängsten“ leide, bleibt offen, auf welche Anknüpfungstatsachen sich diese Einschätzung stützt. Den Urteilsgründen lassen sich hierzu – auch unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs – keine Angaben entnehmen.

16dd) Durchgreifenden Bedenken begegnet schließlich, dass die Strafkammer dem Sachverständigen auch insoweit gefolgt ist, als dieser ursprünglich nur eine Verdachtsdiagnose gestellt hatte und seine spätere Festlegung tragend auf das nonverbale Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung gestützt hat. Zwar dürfen Gestik und Mimik des Angeklagten bei der Überzeugungsbildung auch dann verwertet werden, wenn dieser – wie hier – von seinem Schweigerecht Gebrauch macht (vgl. ; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 261 Rn. 40; MüKo-StPO/Bartel, 2. Aufl., § 261 Rn. 208; aA LR/Sander, StPO, 27. Aufl., § 261 Rn. 121 unter Verweis auf , StV 1993, 458). Dies setzt jedoch voraus, dass das Verhalten in seiner Äußerungsform eindeutig und erheblich ist (vgl. , Rn. 6). Zudem ist der Aussagegehalt des Verhaltens in den schriftlichen Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen (vgl. MüKo-StPO/Bartel, aaO).

17An beidem fehlt es hier. Das Landgericht hat insoweit lediglich die Einschätzung des Sachverständigen wiedergegeben, dass der Angeklagte „affektiv kaum schwingungsfähig, depressiv und bedrückt“ gewirkt habe. Es hat jedoch weder das dieser Einschätzung zugrundeliegende Verhalten des Angeklagten näher beschrieben noch nachvollziehbar dargelegt, welchen Aussagegehalt es dem Verhalten des Angeklagten beigemessen hat. Auch ist in diesem Zusammenhang unerörtert geblieben, inwiefern die beschriebene bedrückte Stimmung des Angeklagten auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass er sich als Heranwachsender bei einer erdrückenden Beweislage einem Strafverfahren mit sehr gewichtigen Tatvorwürfen ausgesetzt sah.

182. Da der Senat sicher ausschließen kann, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten in den Tatzeitpunkten aufgehoben war (§ 20 StGB), hat der Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen Bestand.

19Indes zieht die Aufhebung des Maßregelausspruchs aufgrund des bestehenden inneren Zusammenhangs die Aufhebung der Entscheidung gemäß § 5 Abs. 3 JGG nach sich. Der Umstand, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB allein auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO das neue Tatgericht nicht daran, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen (vgl. , Rn. 8; Beschluss vom  – 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, Rn. 13 f.). Dies ist ihm aber nur möglich, wenn auf die Revision des Angeklagten mit dem rechtsfehlerhaften Maßregelausspruch auch die Entscheidung nach § 5 Abs. 3 JGG in Wegfall kommt (vgl. aaO).

Feilcke                              Tiemann                               Fritsche

               von Schmettau                         Arnoldi

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:210824B6STR204.24.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-74845