Leitsatz
Das Erlöschen der einer Sicherungshypothek zugrunde liegenden Abgabenforderung kann mit einer Feststellungsklage geltend gemacht werden.
Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 20 BV 23.16 Urteilvorgehend Az: M 10 K 19.5311 Urteil
Gründe
I
1Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, das ihm seine Eltern im Wege der Einzelrechtsnachfolge übertragen haben. Er begehrt die Feststellung, dass die Forderungen aus den Bescheiden des Beklagten vom , mit denen die Eltern des Klägers als vormalige Eigentümer des Grundstücks zum Herstellungsbeitrag für die öffentliche Wasserversorgung herangezogen wurden, infolge von Zahlungsverjährung erloschen sind. Das Grundstück ist mit einer Sicherungshypothek in Höhe der streitigen Beitragsforderung (31 351,92 €) zugunsten des Beklagten belastet.
2Der Kläger begehrte vor dem Verwaltungsgericht zuletzt die oben genannte Feststellung. Seinen weiteren Antrag, den Beklagten zu verurteilen, die Löschung der Sicherungshypothek zu bewilligen, nahm er zurück, nachdem der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt hatte, dass er im Falle des Erfolgs des Klägers in dem Feststellungsverfahren einer Löschung der eingetragenen Sicherungshypothek zustimmen werde. Des Weiteren stellte der Beklagte in der mündlichen Verhandlung klar, dass eine Vollstreckung der nach Auffassung des Beklagten noch offenen Beitragsforderungen demnächst beabsichtigt sei.
3Das Verwaltungsgericht stellte das Verfahren ein, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hatte. Im Übrigen sprach es die begehrte Feststellung aus. Der Antrag sei zulässig und begründet. Der Zulässigkeit stehe nicht der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) entgegen, denn es stehe nicht nur eine (weitere) Verwertung der eingetragenen Sicherungshypothek im Raum, sondern es drohe nach der Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung generell die Vollstreckung in (weitere) Vermögenswerte des Klägers. Die Klage sei auch begründet, da die streitgegenständlichen Herstellungsbeitragsbescheide aufgrund von Zahlungsverjährung mittlerweile erloschen seien. Das Verwaltungsgericht ließ die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der verjährungsrechtlichen Fragen zu.
4Im Berufungsverfahren beantragte der Kläger hilfsweise die Feststellung, dass der Beklagte ihm gegenüber nicht zum Erlass und zur Vollstreckung eines Duldungsbescheids berechtigt sei. Die Beklagtenbevollmächtigte stimmte der Klageerweiterung nicht zu.
5Der Verwaltungsgerichtshof änderte das Urteil des Verwaltungsgerichts und wies die Klage vollständig ab. Die im Haupt- und Hilfsantrag erhobenen Feststellungsklagen seien bereits wegen Subsidiarität nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig. Dem Kläger sei zumutbar, entweder den Erlass eines Duldungsbescheides (§ 191 AO i. V. m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. e BayKAG) abzuwarten oder einen Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO i. V. m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a BayKAG) über das Fortbestehen der Beitragsforderung zu beantragen und gegen diese Verwaltungsmaßnahmen nachträglichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
6Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision.
II
7Die Beschwerde hat Erfolg. Die Revision ist zwar nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1) oder wegen Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2) zuzulassen; das Urteil beruht aber auf einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht das Feststellungsinteresse für die Feststellungsklage (§ 43 VwGO) verneint hat (3). Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat den Rechtsstreit nach § 133 Abs. 6 VwGO an die Vorinstanz zurück (4).
81. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
9Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
10Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob der Eigentümer eines erworbenen Grundstückes, das mit einer öffentlichen Steuer/Abgabe (hier: Herstellungsbeitrag für die öffentliche Wasserversorgung) von Gesetzes wegen (Art. 5 Abs. ..., Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 c BayKAG i. V. m. § 77 AO) und mittels einer vom Voreigentümer und Abgabenschuldner eingetragenen und übernommenen Sicherungshypothek belastet ist, ein Steuerschuldner i. S. d. § 37 AO und ein Dritter nach § 218 AO ist, der bei einer drohenden Zwangsvollstreckung in das Grundstück auf der Grundlage eines Duldungsbescheides nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO berechtigt und verpflichtet ist, einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO zu beantragen,
rechtfertigt keine Zulassung der Revision. Die (an sich bundesrechtliche) Abgabenordnung kommt im vorliegenden Fall durch den Verweis in Art. 13 Abs. 1 Nr. 5a BayKAG zur Anwendung. Ihre Vorschriften werden damit kraft landesrechtlichen Anwendungsbefehls in das irrevisible Landesrecht inkorporiert, teilen mithin dessen Rechtscharakter und können daher nicht Maßstab einer revisionsgerichtlichen Überprüfung des Rechtsstreits sein (stRspr, vgl. 9 B 80.10 - juris Rn. 3).
112. Die Divergenzrügen greifen ebenfalls nicht durch.
12Eine Divergenz ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hat.
13Soweit die Beschwerde einen Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs rügt, hat sie bereits deshalb keinen Erfolg, weil dieser gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kein divergenzfähiges oberstes Bundesgericht ist. Eine Abweichung von dessen Rechtsprechung kann daher allenfalls eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigen, indes nur dann, wenn es - anders als vorliegend - um die Klärung einer Rechtsfrage des revisiblen Rechts geht.
14Hinsichtlich des geltend gemachten Widerspruchs zum - 11 C 9.00 - BVerwGE 114, 1) benennt die Beschwerde keine voneinander abweichenden Rechtssätze der Entscheidungen und genügt damit nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Soweit sie sich auf den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragspflicht beruft, ist der Verwaltungsgerichtshof darüber hinaus von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht abgewichen. Er geht in der angefochtenen Entscheidung nicht davon aus, dass der Kläger durch die Einzelrechtsnachfolge selbst Beitragspflichtiger geworden ist, sondern stellt ausdrücklich fest, dass gegen ihn kein unmittelbarer Zahlungsanspruch besteht.
153. Die Revision ist jedoch nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Feststellungsklage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Weder fehlt dem Kläger das erforderliche Feststellungsinteresse (a), noch steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage deren Subsidiarität entgegen (b).
16a) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs besteht ein Feststellungsinteresse des Klägers gemäß § 43 Abs. 1 VwGO.
17Als solches ist jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art anzusehen, das hinreichend gewichtig ist, um die Position des Betroffenen zu verbessern (stRspr, vgl. 8 C 10.21 - NVwZ 2023, 512 Rn. 12). Zu Unrecht hat das Berufungsgericht ein solches Interesse mit der Begründung verneint, der Kläger begehre vorbeugenden Rechtsschutz, der mangels Vorliegens anerkannter Ausnahmen und des darin zum Ausdruck kommenden besonderen, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichteten Feststellungsinteresses unzulässig sei. Zwar ist der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz grundsätzlich nicht vorbeugend konzipiert, sondern setzt die den Gerichten übertragene Kontrollfunktion gegen Maßnahmen der Behörden erst nachgelagert ein, um den Grundsatz der Gewaltenteilung und das der Verwaltung zugewiesene Handlungsfeld nicht übermäßig und "anlasslos" zu beeinträchtigen. Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erfordert daher regelmäßig den Erlass einer Maßnahme, der nachfolgend Gegenstand gerichtlicher Überprüfung ist (vgl. 2 C 18.15 - NVwZ-RR 2016, 907 Rn. 19). Vorliegend wendet sich der Kläger jedoch nicht nur gegen erwartete oder befürchtete künftige Anordnungen der Verwaltung; Ziel seiner Klage ist vielmehr auch die Beseitigung der auf seinem Grundstück bereits lastenden, zugunsten des Beklagten eingetragenen Sicherungshypothek. Dementsprechend hat er zunächst neben der Feststellung des Erlöschens der zugrundeliegenden Forderungen die Verurteilung des Beklagten zur Bewilligung der Löschung der Hypothek begehrt. Letztere stellt unabhängig davon, ob der Beklagte hieraus künftig eine Vollstreckung beabsichtigt, eine bereits gegenwärtige Beeinträchtigung seines Eigentums dar. Das Feststellungsinteresse kann daher nicht mit der Begründung verneint werden, dem Kläger sei es zuzumuten, eigenständig anfechtbare Entscheidungen des Beklagten abzuwarten oder zu initiieren.
18b) Der Feststellungsklage steht auch nicht der - von dem Feststellungsinteresse zu unterscheidende (Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 112) - Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen.
19Danach kann eine Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Die Vorschrift ist ihrem Zweck entsprechend einschränkend auszulegen und anzuwenden. Wo - wie hier - eine Umgehung der für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen geltenden Bestimmungen über Fristen und Vorverfahren nicht droht, steht § 43 Abs. 2 VwGO der Feststellungsklage ebenso wenig entgegen wie in Fällen, in denen diese den effektiveren Rechtsschutz bietet. Kann die zwischen den Beteiligten streitige Frage sachgerecht und ihrem Feststellungsinteresse voll Rechnung tragend mit einer Feststellungsklage geklärt werden, verbietet es sich, den Kläger auf eine Gestaltungs- oder Leistungsklage zu verweisen, in deren Rahmen das Rechtsverhältnis, an dessen selbständiger Feststellung er ein Interesse hat, nur eine Vorfrage wäre (stRspr, vgl. 1 C 2.95 - NJW 1997, 2534 <2535>).
20Dies zugrunde gelegt, kann § 43 Abs. 2 VwGO der Feststellungsklage hier nicht entgegengehalten werden. Sie stellt vielmehr die effektivste Rechtsschutzmöglichkeit dar, weil mit ihr die streitige Rechtsfrage des Erlöschens der nach Art. 5 Abs. 7 Satz 1 BayKAG als öffentliche Last auf dem Grundstück des Klägers ruhenden Beitragsforderung, die in mehrfacher Hinsicht als Vorfrage von Bedeutung ist, sachgerecht geklärt werden kann. Ist rechtskräftig festgestellt, dass diese Forderung erloschen ist, kann zum einen ein Duldungsbescheid nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. e BayKAG i. V. m. § 191 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AO nicht mehr ergehen. Denn der Kläger ist zur Duldung der Zwangsvollstreckung nach dem Erlöschen der Beitragsforderung nicht mehr nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c BayKAG i. V. m. § 77 Abs. 2 Satz 1 AO verpflichtet. Zum anderen steht bei einem Erfolg der Feststellungsklage das Erlöschen der Beitragsforderung als Voraussetzung dafür rechtskräftig fest, dass der Eigentümer statt der Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB die Bewilligung der Löschung der Sicherungshypothek verlangen kann, die mit dem Erlöschen der Forderung nach § 1163 Abs. 1 Satz 2 und § 1177 Abs. 1 Satz 1 BGB zu einer Eigentümergrundschuld geworden ist (vgl. - BGHZ 41, 30 <31>).
21Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können zudem Feststellungsklagen von Privatpersonen gegen den Bund, die Länder oder andere juristische Personen des öffentlichen Rechts anstelle einer Leistungsklage erhoben werden, weil bei solchen Beklagten angesichts ihrer verfassungsrechtlich verankerten Bindung an Gesetz und Recht vermutet werden kann, dass sie ein Feststellungsurteil unabhängig von dessen mangelnder Vollstreckbarkeit respektieren (vgl. 7 C 3.00 - BVerwGE 111, 306 <311>). Sie gewährleisten jedenfalls dann effektiven Rechtsschutz, wenn der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt hat, dass er im Falle eines Erfolgs der Klage einer Löschung der eingetragenen Sicherungshypothek zustimmen wird.
22c) Die angefochtene Entscheidung beruht schließlich darauf, dass das Berufungsgericht zu Unrecht das erforderliche Feststellungsinteresse verneint und die Feststellungsklage als nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO ausgeschlossen angesehen hat. Denn die Klageabweisung ist tragend auf diese Annahmen gestützt.
234. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
24Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:080824B9B8.24.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-74776