BGH Beschluss v. - XII ZR 63/23

Abgrenzung einer sonstigen Familiensache von einer allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit

Leitsatz

Zur Abgrenzung einer sonstigen Familiensache im Sinne des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG von einer allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit.

Gesetze: § 266 Abs 1 Nr 3 FamFG, § 17a Abs 6 GVG

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 6 U 74/22 Beschlussvorgehend Brandenburgisches Az: 6 U 74/22 Beschlussvorgehend LG Neuruppin Az: 2 O 506/21nachgehend Az: XII ZR 63/23 Nichtzulassungsbeschwerde verworfen

Gründe

I.

1Die Klägerin, die geschiedene Ehefrau des Beklagten, nimmt diesen nach Veräußerung eines im Miteigentum der Parteien stehenden landwirtschaftlichen Grundstücks und Ablösung gemeinsamer Verbindlichkeiten auf Rückzahlung eines behaupteten Darlehens in Höhe von 60.000 € in Anspruch.

2Die beiden Parteien waren miteinander verheiratet. Im Jahr 2014 erfolgte die rechtskräftige Scheidung. In der Ehe erwarben die Ehegatten zu hälftigem Miteigentum ein bebautes Grundstück zur landwirtschaftlichen Nutzung, das in erster Linie dem Landwirtschaftsbetrieb des Beklagten diente. Zuletzt lasteten auf dem Grundstück zur Absicherung verschiedener Bankkredite, für die auch die Klägerin haftete, Grundschulden in Höhe von insgesamt 210.000 €.

3Nach ihrer Trennung im Jahr 2009 verkauften die Parteien mit notariellem Kaufvertrag vom dieses Grundstück zum Preis von 120.000 €. Mit dem Verkaufserlös wurden die gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten vollständig abgelöst. Die Klägerin wurde aus der Mithaftung und aus einer übernommenen Bürgschaft entlassen.

4Die Klägerin behauptet, dass sie mit dem Verkauf zur Entschuldung einverstanden gewesen sei, aber darauf bestanden habe, „ihren“ Erlösanteil von 60.000 € zu einem späteren Zeitpunkt von dem Beklagten ausgezahlt zu erhalten. Einstweilen solle der Betrag als Darlehen gewährt werden. Nachdem sie vom Finanzamt aufgefordert wurde, Steuern auf ihren Anteil am Gewinn aus dem Grundstücksverkauf zu zahlen, kündigte sie mit Schreiben vom den von ihr behaupteten Darlehensvertrag zum .

5Das Landgericht hat den Beklagten nach Durchführung einer Beweisaufnahme verurteilt, an die Klägerin 60.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

6Das vom Beklagten beim Bundesgerichtshof eingelegte Rechtsmittel ist nach vorläufiger Auffassung des Senats unstatthaft und daher unzulässig. Es dürfte eine sonstige Familiensache im Sinne des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG vorliegen mit der Folge, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde gesetzlich nicht gegeben und die Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 1 FamFG nur bei - hier fehlender - Zulassung durch das Oberlandesgericht eröffnet wäre.

7Das Rechtsmittelgericht hat das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre (Senatsbeschluss vom - XII ZR 87/17 - FamRZ 2018, 839 Rn. 14). Würde es sich daher bei der vorliegenden Sache entgegen der Annahme der Vorinstanzen nicht um eine allgemeine Zivilsache, sondern um eine Familiensache handeln, wäre die Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft. Das dürfte hier der Fall sein.

81. Gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind sonstige Familiensachen Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe betreffen, sofern nicht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben ist oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a bis k ZPO genannten Sachgebiete, das Wohnungseigentumsrecht oder das Erbrecht betrifft und sofern es sich nicht bereits nach anderen Vorschriften um eine Familiensache handelt. Mit § 266 FamFG hat der Gesetzgeber den Zuständigkeitsbereich der Familiengerichte deutlich erweitert („Großes Familiengericht“). Damit sollten bestimmte Zivilrechtsstreitigkeiten, die eine besondere Nähe zu familienrechtlich geregelten Rechtsverhältnissen aufweisen oder die in engem Zusammenhang mit der Auflösung eines solchen Rechtsverhältnisses stehen, ebenfalls Familiensachen werden. Ordnungskriterium ist dabei nach der Gesetzesbegründung allein die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Im Interesse aller Beteiligten soll es dem Familiengericht möglich sein, alle durch den sozialen Verband von Ehe und Familie sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden.Durch den von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG geforderten Zusammenhang der Streitigkeit mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe soll insbesondere die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Ehegatten außerhalb des Güterrechts (sogenanntes Nebengüterrecht) den Familiengerichten zugewiesen werden (BT-Drucks. 16/6308 S. 263). Im Hinblick auf die gewünschte möglichst umfassende Zuständigkeit der Familiengerichte ist der Begriff des Zusammenhangs mit der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft großzügig zu beurteilen. § 266 Abs. 1 FamFG ist anwendbar, wenn der Rechtsstreit durch die bezeichneten familienrechtlichen Verhältnisse nicht unwesentlich mitgeprägt ist. Auszuscheiden sind die Fälle, in denen der familienrechtliche Bezug völlig untergeordnet ist, so dass eine Entscheidung durch das Familiengericht sachfremd erscheint (Senatsbeschluss vom - XII ZB 340/14 - FamRZ 2015, 2153 Rn. 18). Ein inhaltlicher Zusammenhang iSv § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG liegt vor, wenn das Verfahren vor allem die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betrifft. Bei dieser Prüfung sind nicht nur die tatsächlichen und rechtlichen Verbindungen, sondern ist auch der zeitliche Ablauf zu berücksichtigen (Senatsbeschlüsse vom - XII ZR 41/22 - zur Veröffentlichung bestimmt und vom - XII ZR 87/17 - FamRZ 2018, 839 Rn. 9 mwN). Für die Prüfung, ob der zur Entscheidung anstehende Verfahrensgegenstand eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit oder eine Familiensache im Sinne des § 17 a Abs. 6 GVG darstellt, kommt es nicht allein auf den Vortrag der Klägerseite, sondern ebenfalls auf das Verteidigungsvorbringen der Gegenseite an (Senatsbeschluss vom - XII ZR 87/17 - FamRZ 2018, 839 Rn. 10 mwN).

92. Gemessen hieran dürfte das vorliegende Verfahren eine sonstige Familiensache im Sinne des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG zum Gegenstand haben, weil der notwendige Zusammenhang zur Trennung und Scheidung der Parteien besteht.

10Das Grundstück, an dessen Verkaufserlös die Klägerin einen Anteil beansprucht, wurde von den Parteien während der Ehe zu hälftigem Miteigentum erworben. Der Verkauf des Grundstücks erfolgte kurze Zeit nach der Trennung der Parteien. Der Verkaufserlös wurde sogleich von den Parteien verwendet, um Verbindlichkeiten zurückzuführen, die sie während der Ehe gemeinschaftlich eingegangen sind. Dabei dienten die Kredite jedenfalls nach dem Vortrag des Beklagten nicht nur dessen landwirtschaftlichem Betrieb, sondern auch der gemeinsamen Lebensführung der Parteien während der Ehe. Für die von der Klägerin behauptete Darlehensgewährung stellt sich deshalb die Vorfrage, wer im Innenverhältnis der beiden Ehegatten die Verpflichtungen aus den Kreditverträgen zu tragen gehabt hätte. Diese Frage hat sich das Landgericht auch vorgelegt und wird in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde aufgegriffen. Streitigkeiten wegen eines Gesamtschuldnerausgleichs zwischen Eheleuten im Zusammenhang mit der Trennung oder Scheidung einschließlich möglicher Freistellungsansprüche zählen jedoch zu den Verfahren, die typischerweise als sonstige Familiensache iSv § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG zu qualifizieren sind (vgl. Musielak/Borth/Frank/Borth FamFG 7. Aufl. § 266 Rn. 11; Sternal/Giers FamFG 21. Aufl. § 266 Rn. 16), weil sie regelmäßig die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betreffen.

11Der notwendige Zusammenhang iSv § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG dürfte im vorliegenden Fall auch nicht deshalb fehlen, weil die Klägerin den behaupteten Darlehensrückzahlungsanspruch erst im Jahr 2021 geltend gemacht hat, obwohl die Parteien sich bereits im Jahr 2009 getrennt haben und ihre Ehe im Jahr 2014 geschieden wurde. Eine feste zeitliche Grenze, ab der ein solcher Zusammenhang nicht mehr besteht, gibt es nicht (vgl. BGHZ 215, 139 = FamRZ 2017, 1602 Rn. 18 mwN). Im vorliegenden Fall steht jedenfalls die von der Klägerin behauptete Darlehensgewährung im Zusammenhang mit der Trennung der Parteien. Dass die Klägerin ihren angeblichen Darlehensrückzahlungsanspruch erst im Jahr 2021 geltend gemacht hat, fällt dagegen nicht entscheidend ins Gewicht. Denn nach dem Vortrag der Klägerin sollte der Beklagte das Darlehen erst dann zurückzahlen, wenn er wieder „liquide“ sei. Einen konkreten Termin zur Rückzahlung des Darlehens hatten die Parteien demnach nicht vereinbart. Deshalb hat die vorliegende Streitigkeit durch den langen zeitlichen Abstand zwischen der Trennung und der Scheidung der Parteien ihren familienrechtlichen Bezug nicht verloren. Trennung und Scheidung der Parteien waren in tatsächlicher Hinsicht für die geltend gemachte Rechtsfolge jedenfalls ursächlich. Das Verfahren dient somit der wirtschaftlichen Entflechtung der mittlerweile geschiedenen Eheleute, so dass eine Entscheidung durch das Familiengericht nicht sachfremd erscheint.

12Eine der von § 266 Abs. 1 FamFG genannten Spezialzuständigkeiten liegt nicht vor.

                                                  Nedden-Boeger

                                         

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:060324BXIIZR63.23.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-74630