Strafaussetzung zur Bewährung: maßgebliche Abwägungskriterien bei Kriminalprognose
Gesetze: § 56 Abs 1 StGB, § 56 Abs 2 StGB
Instanzenzug: LG Gera Az: 11 KLs 670 Js 18085/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung „in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und von einem weiteren Vorwurf freigesprochen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
2Das Rechtsmittel deckt zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug genommen.
II.
3Rechtlich zu beanstanden ist aber, unbeschadet des hierbei bestehenden Beurteilungsspielraums des Tatgerichts (vgl. , StV 2022, 642, 643 Rn. 5 mwN), die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung.
41. Die Strafkammer hat eine positive „Sozialprognose“ im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB verneint. Sie hat zu Ungunsten des Angeklagten ausgeführt, er sei zwar in Deutschland bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, sei aber nach der Außervollzugsetzung des Haftbefehls im Juni 2022 den ihm erteilten Weisungen – bei denen es sich um solche nach § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 StPO handelte – nicht nachgekommen. Auch für die Annahme des Fehlens besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB falle entscheidend zu Lasten des Angeklagten ins Gewicht, dass keine positive „Sozialprognose“ bestehe.
52. Diese Begründung leidet an einem rechtlich erheblichen Erörterungsmangel. Obschon das Landgericht den Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung als haftempfindlich behandelt hat, hat es sich nicht mit möglichen spezialpräventiven Wirkungen der Untersuchungshaft befasst, die nach der erneuten Festnahme des Angeklagten zum Zeitpunkt des Urteils bereits seit über sieben Monaten andauerte (vgl. , StV 2022, 642, 644 Rn. 15; Beschlüsse vom – 5 StR 174/90 Rn. 7; vom – 4 StR 118/95, StV 1995, 414, 415, und vom – 6 StR 493/21, Rn. 3; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 215).
63. Der Senat sieht Veranlassung zu dem Hinweis, dass es für die Kriminalprognose gemäß § 56 Abs. 1 und 2 StGB allein darauf ankommt, ob ohne Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zu erwarten ist, dass der Täter sich in Zukunft nicht mehr strafbar machen wird. Allgemeines Wohlverhalten wird hierfür nicht verlangt. Das Erfordernis einer „ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben“ umfassenden günstigen Sozialprognose hat das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom (BGBl. I, S. 645, 647) bereits mit Wirkung zum aufgegeben (, wistra 2022, 167, 172 Rn. 119, und vom – 1 StR 437/21, StV 2022, 642, 643 Rn. 8 mwN; MüKo-StGB/Groß/Kett-Straub, 4. Aufl., § 56 Rn. 16).
7Damit ist es nicht ohne weiteres zu vereinbaren, die Verneinung einer positiven Prognose entscheidend auf den bloßen Ungehorsam des Angeklagten gegen die ihm im Rahmen der Haftverschonung erteilten Anweisungen zu stützen, ohne die Bedeutung seiner Verstöße gegen Melde- und Aufenthaltspflichten für die Erwartung künftiger straffreier Führung zu bewerten.
Menges Meyberg Grube
Schmidt Zimmermann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160724B2STR263.24.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-74488