BGH Urteil v. - 2 StR 51/24

Instanzenzug: LG Erfurt Az: 8 KLs 190 Js 24454/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft – insoweit zu Ungunsten des Angeklagten – und die Nebenklägerin mit ihren auf die Sachbeschwerde gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat überwiegend, das Rechtsmittel der Nebenklägerin in vollem Umfang Erfolg.

I.

2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Angeklagte und die Nebenklägerin begannen im Sommer 2019 eine Beziehung, die im August 2020 endete. Obwohl die Nebenklägerin beim Amtsgericht nach dem Ende der Beziehung eine Gewaltschutzanordnung gegen den Angeklagten erwirkt hatte, kam es in der Folgezeit zwischen beiden zu einer Reihe von Kontakten und gelegentlichem einvernehmlichem Geschlechtsverkehr. Am gegen 10.00 Uhr passte der Angeklagte die Nebenklägerin auf deren Spaziergang am Waldrand ab. Er hielt ihr Pfefferspray vor das Gesicht und ein circa acht bis neun Zentimeter langes Messer an den Hals. Gleichzeitig forderte er, dass sie mitkommen solle, um sie zur Rede zu stellen, nachdem er am Wochenende zuvor beobachtet hatte, dass die Nebenklägerin von einem Mann besucht worden war.

4Er schob die Nebenklägerin am Arm tiefer in den Wald und forderte sie auf, sich hinzusetzen. Die Nebenklägerin kam aus Angst der Forderung nach. Der Angeklagte erkundigte sich bei der Nebenklägerin nach deren Besuch vom Wochenende, woraufhin diese erklärte, dass es sich um ihren Ex-Mann gehandelt habe.

5Der Angeklagte verlangte, dass die Nebenklägerin ihr Mobiltelefon entsperre und es ihm übergebe. Als die Nebenklägerin sich weigerte, drohte er, ihr mit dem Messer in die Halsschlagader zu stechen. Aus Angst vor dieser Drohung entsperrte die Nebenklägerin ihr Mobiltelefon und übergab es dem Angeklagten. Dieser las eine Reihe Chats, schrieb selbst und steckte das Mobiltelefon in seine Jackentasche.

6Kurze Zeit später forderte er die Nebenklägerin auf weiterzugehen. Auch dieser Aufforderung kam die Nebenklägerin aus Angst nach, wobei sie von dem Angeklagten zusätzlich geschoben wurde. Beide gingen 500 Meter tiefer in den Wald, wo der Angeklagte auf einer Lichtung sein Fahrzeug abgestellt hatte. Dort forderte er, dass die Nebenklägerin sich hinsetze, was diese aus Angst vor einem Einsatz des Messers tat.

7Der Angeklagte steckte anschließend das Messer und das Pfefferspray weg und holte aus dem Auto eine Pistole mit gefülltem Magazin; nicht feststellbar war, ob es sich um eine echte Schusswaffe handelte. Er führte vor den Augen der Nebenklägerin das Magazin in die Pistole ein und lud die Waffe durch. Die Nebenklägerin, die die Waffe für echt hielt, hatte Todesangst. Als sie den Angeklagten bat, sie gehen zu lassen, antwortete dieser, dass sie den Tag wahrscheinlich nicht überleben werde.

8Einige Zeit später forderte der Angeklagte die Nebenklägerin auf, sich auf eine Fußmatte neben dem Fahrzeug zu knien; die Nebenklägerin tat in Todesangst wie geheißen. Sie rechnete damit, jetzt erschossen zu werden. Der Angeklagte verlangte, dass sie ihre Hose und ihren Slip herunterziehe und sich auf alle viere begebe. Auch dieser Forderung kam die Nebenklägerin nach. Der Angeklagte steckte die Pistole in seine Jackentasche und holte einen Gegenstand aus dem Fahrzeug, den er in die Scheide der Nebenklägerin einführte und aufpumpte. Außerdem zog er sich selbst die Hose und Unterhose herunter und streifte ein Kondom über sein erigiertes Glied. Er packte die Nebenklägerin derb am Nacken und versuchte, mit seinem Glied in deren Anus einzudringen, was jedoch misslang. Er fluchte, nahm den aufgepumpten Gegenstand aus der Scheide der Nebenklägerin und vollzog den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Nachdem die Nebenklägerin, die ein wenig aus der Scheide blutete, sich verbunden hatte, zogen sich beide wieder an.

9Der Angeklagte forderte die Nebenklägerin auf, sich auf den Beifahrersitz zu setzen. Auch dieser Anweisung kam die Nebenklägerin nach. Der Angeklagte holte eine Flasche Rotwein hervor, aus der beide auf seine Aufforderung tranken. Anschließend verließen beide das Auto. Nach der Rückkehr zum Fahrzeug fuhr der Angeklagte mit der Nebenklägerin zu einer Tankstelle, wo sie Getränke und Zigaretten kauften. Beim Hinausgehen machte die Nebenklägerin hinter ihrem Rücken mit einer Hand in Richtung der Kassiererin ein Zeichen für häusliche Gewalt. Der Angeklagte, der dies bemerkte, beschimpfte die Nebenklägerin und fuhr zurück zu der Stelle im Wald, wo vormals sein Fahrzeug gestanden hatte. Beide stiegen aus.

10Er verlangte von der Nebenklägerin, in einem Video zu erklären, dass der gesamte bisherige Geschlechtsverkehr, der jemals zwischen ihnen stattgefunden habe, einvernehmlich und freiwillig gewesen sei und dass alle ihre früheren Anschuldigungen im Gewaltschutzverfahren beim Amtsgericht falsch gewesen seien. Er hielt sein Mobiltelefon so, dass er und die Nebenklägerin auf der Aufnahme zu sehen waren. Die Nebenklägerin sprach aus Angst vor dem Angeklagten den gewünschten Text. Als das Video beendet war, erklärte der Angeklagte, dass die Nebenklägerin jetzt gehen dürfe. Er drohte ihr, sie abzuschlachten, wenn sie eine Anzeige bei der Polizei erstatte. Schließlich gab er ihr das Mobiltelefon zurück. Die Nebenklägerin ging nach Hause, wo sie etwa um 17.30 Uhr eintraf.

112. Nach der Wertung der Strafkammer hat sich der Angeklagte einer schweren Vergewaltigung nach § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB schuldig gemacht. Eine Verurteilung wegen besonders schwerer Vergewaltigung nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB sei nicht möglich, weil der Angeklagte das Pfefferspray und das Messer nicht bei der Vergewaltigung benutzt habe. Zu der Pistole seien keine näheren Feststellungen möglich gewesen, so dass offen sei, ob diese tatsächlich geeignet gewesen sei, nicht unerhebliche Verletzungen hervorzurufen. Selbiges gelte für den Gegenstand, den der Angeklagte in die Scheide der Nebenklägerin eingeführt habe.

12Auch der Tatbestand der Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 StGB sei nicht gegeben, weil nach den Feststellungen nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte von Anfang an beabsichtigte, die Nebenklägerin zu vergewaltigen, so dass einer Bemächtigungslage im Sinne des § 239b Abs. 1 StGB für die Vergewaltigung keine eigenständige Bedeutung zugekommen sei. Ob und gegebenenfalls wie lange nach der Vergewaltigung die Bemächtigungslage fortgedauert habe, sei nicht zweifelsfrei festzustellen; spätestens an der Tankstelle habe die Nebenklägerin zumindest objektiv die Möglichkeit gehabt, die Situation zu beenden.

13Von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB hat die sachverständig beratene Strafkammer abgesehen. Es fehle an dem erforderlichen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Bei dem Angeklagten sei keine innerliche Neigung zu erkennen, Sexualstraftaten und schwere Gewalttaten zu begehen. Ein Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66a Abs. 1 bzw. 2 StGB komme nicht in Betracht, da nicht wahrscheinlich sei, dass beim Angeklagten ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vorliege.

II. Revision der Staatsanwaltschaft

14Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet mit ihrem Rechtsmittel die unterbliebene Verurteilung wegen besonders schwerer Vergewaltigung nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB sowie wegen Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 StGB, hiervon unabhängig die Strafzumessung sowie die unterbliebene Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung. Das Rechtsmittel ist überwiegend begründet.

151. Zwar erweist sich das Urteil als rechtsfehlerfrei, soweit die Strafkammer den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung nach § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB verurteilt und die Annahme der weiteren Qualifikation einer besonders schweren Vergewaltigung nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB abgelehnt hat. Der Schuldspruch des angegriffenen Urteils ist jedoch zum Vorteil des Angeklagten rechtsfehlerhaft, soweit die Strafkammer auch dessen Verurteilung wegen Geiselnahme abgelehnt hat.

16a) Eine Verurteilung wegen besonders schwerer Vergewaltigung nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB kommt nicht Betracht.

17aa) Die Vorschrift bestraft die konkrete Verwendung einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB bei der Tat. Ein Verwenden „bei der Tat“ liegt in zeitlicher Hinsicht vor, wenn das gefährliche Werkzeug zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung der Tat eingesetzt wird (vgl. , BGHSt 51, 276, 278; vom – 4 StR 239/18, juris Rn. 12; Beschlüsse vom - 5 StR 542/09, BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Verwenden 8; vom – 4 StR 166/21, BGHR StGB § 177 Abs. 8 Nr. 1 Verwenden 1). Waffen im technischen Sinne sind Werkzeuge, die ihrer Natur nach dazu bestimmt sind, durch Hieb (zB Schlagstock, Schlagring), Stoß, Stich (zB Spring- oder Butterflymesser) oder Schuss zu verletzen (, BGHR StGB § 177 Abs. 3 Waffe 1; MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 177 Rn. 163). Für die Beurteilung, ob ein gefährliches Werkzeug verwendet wird, ist die konkrete Art des Einsatzes entscheidend (vgl. , NStZ–RR 2003, 202; Beschluss vom – 4 StR 464/00, BGHSt 46, 225, 228; BeckOK StGB/Ziegler, 61. Ed., § 177 Rn. 58).

18bb) Hieran gemessen tragen die Feststellungen keine Verurteilung wegen besonders schwerer Vergewaltigung nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB.

19(1) Der festgestellte Einsatz des von dem Angeklagten mitgeführten Pfeffersprays sowie des circa acht bis neun Zentimeter langen Messers war bereits abgeschlossen, als der Angeklagte zur Vergewaltigung der Nebenklägerin ansetzte. Ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz dieser Waffen und der Vergewaltigung ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Hinsichtlich der vom Angeklagten eingesetzten Pistole konnte die Strafkammer nicht ausschließen, dass es sich um eine Scheinwaffe handelte (vgl. zur ungeladenen Schusswaffe , NStZ-RR 2006, 205).

20(2) Den Feststellungen kann auch nicht entnommen werden, dass es sich bei dem unbekannten Gegenstand, den der Angeklagte in die Vagina der Nebenklägerin einführte und „aufpumpte“, um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB handelte. Zwar weist die Revisionsführerin zu Recht darauf hin, dass die Erfüllung der Qualifikation nicht voraussetzt, dass die Waffe oder das gefährliche Werkzeug gerade als Nötigungsmittel eingesetzt wird; es reicht der Einsatz als Werkzeug bei der sexuellen Handlung (vgl. , juris Rn. 13). Auch kann das gewaltsame Einführen eines Dildos in den After eines Opfers die Qualifikation begründen (vgl. , juris Rn. 13 f.). Indes bestehen keine Anhaltspunkte, dass es sich bei dem unbekannten Gegenstand um ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift handelte. Dass die Nebenklägerin nach dem Geschlechtsverkehr aus der Scheide blutete, muss nicht bedeuten, dass sie durch den unbekannten Gegenstand verletzt wurde. Sie hat keine in diese Richtung weisenden Angaben gemacht. In dem Bericht über die ärztliche Untersuchung nach der Tat ist vielmehr von einer abklingenden Menstruationsblutung die Rede. Soweit die Staatsanwaltschaft rügt, das Landgericht habe sich im Hinblick auf die unterbliebene Verurteilung wegen einer besonders schweren Vergewaltigung nicht mit der Feststellung begnügen dürfen, dass nicht feststellbar sei, welchen konkreten Gegenstand der Angeklagte in die Vagina der Nebenklägerin eingeführt habe, zeigt sie keinen Rechtsfehler auf. Eine Aufklärungsrüge hat sie nicht erhoben.

21b) Indes tragen die rechtsfehlerfreien Feststellungen eine Verurteilung wegen Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 StGB in mehrfacher Hinsicht.

22aa) Nach § 239b Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um diesen durch eine qualifizierte Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer eine bestehende Bemächtigungslage zu einer derartigen Nötigung ausnutzt. Der Täter muss entweder bereits im Zeitpunkt der Begründung der Herrschaft über das Opfer die Absicht haben, die Bemächtigungslage zu der Nötigung auszunutzen, oder er muss die durch ihn aus anderen Gründen herbeigeführte Bemächtigungslage tatsächlich zu einer Nötigung ausnutzen. In beiden Fällen ist es zudem erforderlich, dass er einen Nötigungserfolg erstrebt, der über den zur Bemächtigung erforderlichen Zwang hinausgeht (vgl. , juris Rn. 15 mwN).

23Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein Sich-bemächtigen vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muss. Diese Bemächtigung muss zu einer „gewissen Stabilisierung“ der Lage des Opfers geführt haben. Denn nur dann kann der Täter gerade – wie es der Tatbestand des § 239b Abs. 1 StGB verlangt – die von ihm geschaffene Lage zur (weiteren) Nötigung ausnutzen. Die „stabilisierte“ Bemächtigungslage muss deshalb für die nachfolgende Nötigung eine eigenständige Bedeutung haben; es muss sich gerade aus dieser stabilen Bemächtigungslage über die mit jeder Bemächtigung verbundene Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Drucksituation für das Opfer ergeben (vgl. , juris Rn. 11 mwN).

24bb) Hieran gemessen liegen die Voraussetzungen einer Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 Halbs. 2 StGB vor.

25(1) Der Angeklagte bemächtigte sich bereits unmittelbar bei dem ersten Zusammentreffen der Nebenklägerin, indem er sie nach Vorhalt des Pfeffersprays und eines Messers aufforderte, mitzukommen, und sie am Arm tiefer in den Wald schob. Danach war es der Nebenklägerin nicht mehr möglich, die Situation zu verlassen, ohne zuvor den physischen Zwang sowie den angekündigten und zu erwartenden weiteren Widerstand des Angeklagten zu überwinden. Damit war die stabile Bemächtigungslage geschaffen. Die aus jeder Beherrschungslage folgende Drucksituation verstärkte der Angeklagte kurz darauf, indem er die Nebenklägerin mit dem Tode bedrohte und ankündigte, ihr mit dem Messer in die Halsschlagader zu stechen, falls sie sich weiter weigere, ihr Mobiltelefon zu entsperren. Einige Zeit später erklärte er zur Aufrechterhaltung der Lage nach dem Vorhalt einer von der Nebenklägerin für echt gehaltenen Schusswaffe, dass sie den Tag wahrscheinlich nicht überleben werde.

26Diese Bemächtigungslage währte bis zum Nachmittag des Tattages und der Erklärung des Angeklagten, dass die Nebenklägerin jetzt – nach Abschluss der von ihm erzwungenen Videoaufnahme – gehen dürfe. Denn die Fortdauer der Bemächtigungslage setzt keine so umfassende Sicherung des Opfers voraus, dass jedwede Schutz- und Fluchtmöglichkeit ausgeschlossen ist (vgl. , NStZ 2006, 448, 449; vom – 3 StR 366/06, NStZ-RR 2007, 77). Deshalb kommt es – entgegen der Ansicht der Strafkammer – nicht darauf an, dass die Nebenklägerin an der Tankstelle „zumindest objektiv die Möglichkeit [hatte], die Situation zu beenden und dem Angeklagten mit Hilfe der Kassiererin zu entkommen“.

27Die Feststellungen bieten auch keinen Anhaltspunkt, dass der Angeklagte seinerseits die Bemächtigungslage zuvor beendet hätte. Vielmehr beschimpfte er die Nebenklägerin dafür, dass diese beim Hinausgehen aus der Tankstelle hinter ihrem Rücken ein Zeichen für häusliche Gewalt gegenüber der Kassiererin gemacht hatte. Die Aufrechterhaltung der eingangs festgestellten Bemächtigungslage erforderte in der konkreten Situation auch keine weitere Aktualisierung der Bedrohung, weil der Angeklagte die Nebenklägerin zwischenzeitlich mit einer durchgeladenen Waffe, die die Nebenklägerin für echt hielt, bedroht hatte.

28(2) Der Angeklagte nutzte – mit dem erforderlichen Vorsatz – die von ihm geschaffene Bemächtigungslage für eine Reihe von Nötigungshandlungen unter fortwährender Bedrohung der Nebenklägerin mit dem Tode aus. Er zwang sie zunächst zur Preisgabe des Namens ihres Wochenendbesuchs, nachdem er ihr zuvor ein Messer an den Hals gehalten und sie dadurch mit dem Tode bedroht hatte. Er nötigte sie des Weiteren, ihr Mobiltelefon zu entsperren, nachdem er zuvor gedroht hatte, ihr mit dem Messer in die Halsschlagader zu stechen. Er vergewaltigte sie, nachdem er die Bedrohungssituation durch die Präsentation und das Durchladen einer von der Nebenklägerin für echt gehaltenen Waffe weiter verstärkt hatte. Später zwang er sie zum Konsum von Rotwein. Schließlich nötigte er sie, die von ihm aufgezeichnete, inhaltlich unzutreffende Erklärung abzugeben.

29(3) Dabei ist es entgegen der Strafkammer unerheblich, wann der Angeklagte den Vorsatz für die einzelnen Nötigungshandlungen fasste. Denn dieser war jedenfalls im Zeitpunkt der jeweiligen Nötigungshandlung gegeben (§ 239b Abs. 1 Halbs. 2 StGB). Einen darüber hinausgehenden Vorsatz vor Beginn der Bemächtigungslage konnte die Strafkammer zwar nicht feststellen. Sein Vorliegen hätte indes lediglich zusätzlich zur Strafbarkeit nach § 239b Abs. 1 Halbs. 1 StGB geführt. Denn dann hätte der Angeklagte sich der Nebenklägerin bemächtigt, um diese unter der zunächst geschaffenen Herrschaftslage durch die Drohung mit dem Tod zu den dargestellten – mit zeitlichem Abstand folgenden – Handlungen zu nötigen.

302. Der Senat kann den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst zum Nachteil des Angeklagten abändern, nachdem er einen möglichen Vorwurf nach § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG (in der Fassung vom ) mit Zustimmung des Generalbundesanwalts und der Nebenklägerin von der Verfolgung ausgenommen hat. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen. Dem Angeklagten ist der Vorwurf der Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 StGB bereits in der Anklageschrift gemacht worden.

313. Die Abänderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs, so dass es auf die hiergegen gerichteten Angriffe der Revisionsführerin, die ausschließlich Wertungsfehler zum Gegenstand haben, nicht ankommt. Die Feststellungen zum Strafausspruch sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich.

32Da die Qualität der Anlasstat für die Prüfung des Hangs des Angeklagten zu erheblichen Straftaten gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB von Bedeutung ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 391/08, NStZ-RR 2009, 11, 12; vom – 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; vom – 5 StR 476/18, juris Rn. 5) und die Strafkammer die formellen Voraussetzungen einer Unterbringung des Angeklagten nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt hat, erfasst die Aufhebung auch – unter Aufhebung der Feststellungen – die unterbliebene Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung. Auf die Einwände der Staatsanwaltschaft gegen das Absehen von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kommt es damit nicht an.

33Im Hinblick auf die aufrechterhaltenen Feststellungen zur Strafzumessung und die aufgehobenen Feststellungen zum Maßregelausspruch wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht zu beachten haben, dass die für die Strafzumessung relevanten Tatsachen des Lebenslaufs des Angeklagten aufgrund ihrer Doppelrelevanz auch für die neuerliche Prüfung der Maßregel Bestand haben. Auch hier sind ergänzende Feststellungen, die den doppelrelevanten Feststellungen nicht widersprechen, möglich. Hingegen bedarf das Vorliegen eines Hangs zu erheblichen Straftaten (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB) – wiederum unter Einschaltung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) − einer umfassenden neuen Prüfung.

III. Revision der Nebenklägerin

34Die Nebenklägerin beanstandet mit ihrem Rechtsmittel die Verletzung sachlichen Rechts. Sie erstrebt eine tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 StGB, in deren Folge ein höheres Strafmaß sowie seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.

351. Die Revision der Nebenklägerin ist zulässig. Mit einem tateinheitlichen Schuldspruch wegen Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 StGB verfolgt sie eine zusätzliche Verurteilung wegen einer gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO zum Anschluss berechtigenden Gesetzesverletzung (§ 400 Abs. 1 StPO). Zwar ist ihr die Beanstandung des Strafmaßes und der unterbliebenen Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung verwehrt (vgl. , juris Rn. 3 mwN). Indes ist die Revision zulässig, wenn die Verletzung eines nebenklagefähigen Delikts gerügt wird, selbst wenn weitere Begründungselemente der Revision auf ein unzulässiges Angriffsziel gerichtet sind (vgl. , juris).

362. Das Rechtsmittel der Nebenklägerin ist auch begründet. Die Strafkammer hat, wie oben dargestellt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 239b Abs. 1 Halbs. 2 StGB verkannt. Dies führt – ebenso wie auf die Revision der Staatsanwaltschaft – zur Abänderung des Schuldspruchs und zieht – wie oben dargestellt − die Aufhebung des Strafausspruchs sowie der unterbliebenen Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung, hinsichtlich des unterbliebenen Maßregelausspruchs mit den zugrundeliegenden Feststellungen, nach sich.

IV.

37Die auf die Revision der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin nach § 301 StPO veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

V.

38Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es hier für sich genommen nicht bedenkenfrei erscheint, „das völlig widersprüchliche Verhalten der Nebenklägerin in einem gewissen Umfang strafmildernd“ zu berücksichtigen. Zwar kommt bei Beziehungstaten der Entstehung, Entwicklung und konkreten Ausgestaltung der Beziehung sowie einem ambivalenten Verhalten des Tatopfers und der hierdurch möglicherweise herabgesetzten Hemmschwelle für die Begehung der Tat Relevanz für die Strafzumessung zu (vgl. , juris Rn. 18 mwN). Es erschließt sich indes ohne weitere Erörterung nicht, weshalb der nach dem Ende der Beziehung gelegentlich fortgesetzte einvernehmliche Geschlechtsverkehr die Hemmschwelle des Angeklagten in der konkreten Tatsituation herabgesetzt haben könnte.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:080524U2STR51.24.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-74408