BAG Urteil v. - 6 AZR 245/23

TV-N Berlin - Wechselschichtzulage - dauerhafte Kürzung von Besitzstandszulagen bei nur vorübergehendem Entfallen ihrer Voraussetzungen

Gesetze: § 1 TVG, § 319 ZPO, § 4 Abs 1 S 1 TzBfG

Instanzenzug: Az: 58 Ca 1121/22 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 26 Sa 49/23 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Zahlung einer Wechselschichtzulage sowie einer höheren Besitzstandskomponente.

2Der Kläger ist seit 1990 in Teilzeit (34,88/39) bei der Beklagten im Straßenbahnverkehrsservice/Werkstatt beschäftigt. In diesem Arbeitsbereich richten sich die Arbeitszeiten nach einem Schichtsystem, das einen 24-Stunden-Rhythmus vorsieht, bei dem die jeweiligen Schichten unmittelbar aneinander anknüpfen. Bei Teilzeitbeschäftigten wird die verringerte Arbeitszeit nicht durch verkürzte Schichten, sondern durch ein Mehr an freien Tagen realisiert.

3Bis zum war der Kläger in dieses Schichtsystem eingegliedert und erhielt eine Wechselschichtzulage. Vom bis zum trafen die Parteien aus Rücksicht auf familiäre Gründe eine Sonderregelung. Der Kläger arbeitete in dieser Zeit mit unveränderter Teilzeitquote nach dem Dienstplan 31/2040 in der Frühschicht von 07:00 Uhr bis 15:50 Uhr, in der Spätschicht von 11:00 Uhr bis 19:50 Uhr oder in der Nachtschicht von 21:00 Uhr bis 05:45 Uhr, so dass er mit seiner individuellen Arbeitszeit anders als das Schichtsystem die Zeit von 19:50 Uhr bis 21:00 Uhr und von 05:45 Uhr bis 07:00 Uhr nicht abdeckte.

4Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft beiderseitiger Tarifbindung unter anderem der Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben im Land Berlin (TV-N Berlin) vom anzuwenden. Dieser Tarifvertrag enthält für Schichtarbeit auszugsweise folgende Regelungen:

5Der Kläger erhielt als Altbeschäftigter iSd. § 1 der Anlage 6 zum TV-N Berlin zudem eine Sicherung gemäß § 3 „Sicherungseinkommen der Altbeschäftigten“ der Anlage 6 zum TV-N Berlin, der auszugsweise wie folgt lautet:

6Nach den vor dieser Sicherung geltenden Regelungen betrug die Wechselschichtzulage 142,34 Euro. Neben weiteren Bestandteilen des Sicherungsbetrags 1 ergab sich daher in Bezug auf die auf 130,00 Euro verminderte Wechselschichtzulage ein gesicherter Betrag unter Berücksichtigung der Teilzeitquote des Klägers in Höhe von 11,80 Euro brutto monatlich.

7In Folge der geänderten Schichteinteilung des Klägers stellte die Beklagte ab dem die Zahlung der Wechselschichtzulage ein und zahlte nur noch eine monatliche Schichtzulage gemäß § 12 Abs. 3 TV-N Berlin, die für Vollzeitbeschäftigte 75,00 Euro brutto betrug. Der Kläger erhielt deswegen unter Berücksichtigung seiner Teilzeitbeschäftigung monatlich 49,19 Euro brutto weniger als bei Zahlung der Wechselschichtzulage. Den Sicherungsbetrag 1 verminderte die Beklagte ebenfalls um den auf die Wechselschichtzulage entfallenden Anteil von 11,80 Euro brutto monatlich.

8Nach dem Ende der für den Kläger geltenden Sonderregelung zum war er wieder wie zuvor bis zum uneingeschränkt im Schichtsystem tätig und erhielt erneut die Wechselschichtzulage. Den Sicherungsbetrag 1 erhöhte die Beklagte hingegen nicht wieder.

9Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung der Wechselschichtzulage in Höhe der Differenz zur erhaltenen Schichtzulage für den Zeitraum vom bis zum . Darüber hinaus fordert der Kläger die Zahlung des ungeminderten Sicherungsbetrags 1 sowohl für den Zeitraum vom bis zum als auch darüber hinaus bis einschließlich Juni 2022. Diese Ansprüche stützt er, wie er im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, vorrangig auf den TV-N Berlin.

10Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe ungeachtet der geänderten Schichteinteilung auch in der Zeit vom bis zum die Wechselschichtzulage zu. Er habe durchgehend Wechselschicht im Tarifsinne geleistet. Dafür reiche es aus, dass er unabhängig von der Länge seiner individuellen Schichten überhaupt im Dreischichtsystem und damit auch in allen Schichten einschließlich der Nachtschicht gearbeitet habe. Dies gehe regelmäßig mit einem Verlust an sozialer Teilhabemöglichkeit einher. Die Definition von Wechselschicht iSd. § 22 Nr. 11 TV-N Berlin könne zudem nicht unabhängig von den arbeitswissenschaftlichen Anforderungen an rechtlich zulässige Schichtpläne bestimmt werden. Arbeitswissenschaftlich zulässige Arbeitszeitmodelle moderner Schichtarbeit seien immer mit Unterbrechungen der Arbeitsleistung verbunden. Auch sei die Problematik der Teilzeitarbeit im Schichtsystem zu beachten.

11Der Kläger hat ferner die Auffassung vertreten, er habe durchgehend, jedenfalls aber für die Zeit ab August 2018, dh. seit er unstreitig wieder in Wechselschicht arbeite, einen Anspruch auf den ungeminderten Sicherungsbetrag 1. Andernfalls könne jede noch so kurzzeitige Unterbrechung der Wechselschichttätigkeit zum dauerhaften Verlust des Besitzstandes führen.

12Der Kläger hat - soweit für die Revision relevant - beantragt,

13Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe in der Zeit vom bis zum keine Wechselschicht-, sondern nur Schichtarbeit geleistet. Der Begriff „ununterbrochen“ in § 22 Nr. 11 TV-N Berlin sei dahin zu verstehen, dass der Arbeitnehmer selbst mit seinen individuellen Schichten „rund um die Uhr“ in der Früh-, Spät- und Nachtschicht tätig sein müsse. Das sei im streitigen Zeitraum bei dem Kläger aufgrund der erheblichen Unterbrechungen zwischen Nacht- und Frühschicht und zwischen Spät- und Nachtschicht von täglich insgesamt fast 2,5 Stunden nicht der Fall gewesen. Die differenzierte Zulagenhöhe bilde die unterschiedliche Belastung ab und sei daher gerechtfertigt. Zudem liege auch keine Benachteiligung aufgrund der Teilzeitarbeit vor. Die Wechselschichtzulage werde nicht deshalb nicht gezahlt, weil der Kläger teilzeitbeschäftigt sei, sondern weil die tariflichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Auch Teilzeitbeschäftigte könnten eine Wechselschichtzulage erhalten, wenn sie - wie der Kläger bis November 2017 und sodann wieder ab August 2018 - vollschichtig eingesetzt würden.

14Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Zahlung des ungeminderten Sicherungsbetrags 1, da dessen Voraussetzungen seit nicht mehr vorlägen. Der Anspruch darauf lebe nicht wieder auf, wenn zu einem späteren Zeitpunkt erneut Wechselschicht geleistet werde. Eine erneute Erhöhung sehe die Tarifnorm nicht vor.

15Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und der Klage teilweise stattgegeben. Nach dem verkündeten Tenor hat es die Beklagte gemäß dem Antrag zu 3. zur Zahlung des Sicherungsbetrags 1 für den Zeitraum Januar bis Juni 2022 in Höhe von 70,80 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt und eine dementsprechende Kostenentscheidung getroffen. Mit Berichtigungsbeschluss vom hat der Kammervorsitzende ohne mündliche Verhandlung den Tenor dahingehend berichtigt, dass die Beklagte zur Zahlung des höheren Sicherungsbetrags 1 auch für den im Antrag zu 2. enthaltenen Zeitraum August 2018 bis Dezember 2021 und damit zur Zahlung von insgesamt 554,60 Euro brutto verurteilt wird, sowie die Kostenentscheidung entsprechend angepasst. Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit der vom Landesarbeitsgericht jeweils zugelassenen Revision.

Gründe

16Die Revision des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Landesarbeitsgericht hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung des Klägers rechtsfehlerhaft im Hinblick auf den Sicherungsbetrag 1 für den Zeitraum ab August 2018 abgeändert und die Beklagte insoweit zur Zahlung verurteilt. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Wechselschichtzulage im Zeitraum Dezember 2017 bis Juli 2018 noch auf den Sicherungsbetrag 1 in der geforderten Höhe, und zwar auch nicht, nachdem er wieder die Wechselschichtzulage erhielt.

17A. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist in Gestalt des durch Beschluss vom berichtigten Tenors zur Entscheidung des Senats angefallen.

18I. Beschlüsse nach § 319 ZPO können auch im Berufungsverfahren ohne Hinzuziehung der bei der Abfassung des ursprünglichen Tenors beteiligten ehrenamtlichen Richter durch den Vorsitzenden allein ergehen, sofern - wie vorliegend - keine mündliche Verhandlung erfolgt. Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, der im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht entsprechend gilt (§ 64 Abs. 7 ArbGG), erlässt der (Kammer-)Vorsitzende die nicht aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergehenden Beschlüsse, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, allein. Darunter fällt auch eine Urteilsberichtigung gemäß § 319 ZPO ( - zu II 2 der Gründe; GMP/Künzl 10. Aufl. ArbGG § 53 Rn. 7 aE; GK-ArbGG/Schütz § 53 Stand Rn. 7; Düwell/Lipke/Kloppenburg 5. Aufl. § 53 Rn. 6; zur - hier nicht vorliegenden - Berichtigung der unterbliebenen Rechtsmittelzulassung vgl.  - Rn. 28, BAGE 162, 275). Eine mündliche Verhandlung ist in diesem Fall gemäß § 319 Abs. 2 Satz 1, § 128 Abs. 4 ZPO nicht obligatorisch.

19II. Es kann vorliegend dahinstehen, ob die vorgenommene Urteilsberichtigung deswegen unzulässig und damit für den Senat unverbindlich war (zu dieser Rechtsfolge  - Rn. 22, BAGE 162, 275), weil sie keine offenbare Unrichtigkeit des Tenors betraf und die Voraussetzungen des § 319 Abs. 1 ZPO damit nicht vorlagen. Unabhängig davon entfaltet der Berichtigungsbeschluss im Rahmen seiner formellen Rechtskraft die ihm zugeordneten prozessualen Wirkungen, so dass die berichtigte Fassung des Tenors rückwirkend an die Stelle des ursprünglichen Urteilsausspruchs getreten ist (vgl.  - Rn. 18; - III ZR 95/82 - zu II 3 der Gründe; zu Ausnahmefällen bei einem Verstoß gegen zwingende prozessuale Grundsätze vgl.  - Rn. 19 f.).

20B. Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet, soweit der Kläger mit ihr die Zahlung der Differenz zwischen der erhaltenen Schichtzulage und der Wechselschichtzulage für den Zeitraum vom bis zum begehrt (Antrag zu 1.). Ihm steht in diesem Zeitraum keine Wechselschichtzulage zu. Daraus folgt zugleich die Unbegründetheit der Klage, soweit der Kläger mit ihr für den genannten Zeitraum die Zahlung eines höheren Sicherungsbetrags 1 verlangt (Antrag zu 2. im Umfang von 94,40 Euro).

21I. Die vom Kläger geltend gemachte Wechselschichtzulage gemäß § 12 Abs. 4 TV-N Berlin steht ihm nicht zu, da er im Zeitraum vom bis zum keine Wechselschichtarbeit iSd. § 22 Nr. 11 TV-N Berlin geleistet hat. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags (vgl. zu den Grundsätzen der Tarifauslegung die st. Rspr., zB  - Rn. 25 mwN). Hiervon ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen.

221. Gemäß § 12 Abs. 4 TV-N Berlin erhält der Arbeitnehmer, der ständig Wechselschichtarbeit leistet, eine (Wechsel-)Schichtzulage von 130,00 Euro monatlich. Wechselschichtarbeit ist gemäß § 22 Nr. 11 TV-N Berlin die Arbeit nach einem Schichtplan, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in mindestens drei Schichten vorsieht, in denen ununterbrochen bei Tag und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird. Zudem werden noch gewisse Anforderungen an die Mindesthäufigkeit von Nachtschichten gestellt, die vorliegend aber nicht ursächlich für den Entfall des Anspruchs auf die Wechselschichtzulage sind.

23a) Wechselschichtarbeit im tariflichen Sinn liegt nur dann vor, wenn in dem Arbeitsbereich, in dem der Beschäftigte tätig ist, an allen Kalendertagen ununterbrochen 24 Stunden gearbeitet wird. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn beispielsweise an Sonn- und Feiertagen in aller Regel keine Schichtarbeit anfällt oder die tägliche Arbeit, sei es auch nur in geringfügiger Form, unterbrochen wird. Unerheblich ist hingegen, in wie viele Schichten der 24-Stunden-Tag aufgeteilt wird oder ob in allen Schichten der Arbeitsanfall gleich groß ist und deshalb in jeder Schicht die gleiche Anzahl von Arbeitnehmern arbeitet. Die Arbeit muss nach einem Dienst- oder Schichtplan erfolgen, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten im genannten Sinn vorsieht. Der Beschäftigte muss zur Arbeit in allen Schichtarten eingesetzt werden (zB Früh-, Spät- und Nachtschicht im tariflichen Sinn), nicht aber in allen Schichten. Die Beschäftigten leisten ständig Wechselschichtarbeit, wenn ihnen diese Tätigkeit dauerhaft vom Arbeitgeber zugewiesen ist und die Arbeitsleistung tatsächlich erbracht wird (so zu einer inhaltsgleichen Regelung im TVöD-F schon  - Rn. 20 mwN).

24b) Der Anspruch auf die Wechselschichtzulage setzt jedoch gemäß § 12 Abs. 4 Satz 1 TV-N Berlin voraus, dass der Arbeitnehmer auch selbst Wechselschichtarbeit „leistet“. Diese „individuelle Komponente“ (Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 7 Stand Mai 2022 Rn. 13) umfasst das Erfordernis, dass die wechselnden Arbeitsschichten „ununterbrochen“ iSv. § 22 Nr. 11 TV-N Berlin stattfinden und der Arbeitnehmer in diesen Ablauf uneingeschränkt integriert ist. Darum muss der Arbeitnehmer selbst mit seinen individuellen Schichten, zu denen er eingeteilt ist, den kompletten Zeitrahmen „rund um die Uhr“ abdecken. Nur dann ist er in allen Schichtarten eingesetzt. Erst dieser Wechsel „rund um die Uhr“ in bestimmten Zeiträumen und die damit einhergehenden Belastungen lösen nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die Wechselschichtzulage aus (vgl.  - Rn. 23). Insofern ist die Annahme des Klägers, das Erfordernis des ununterbrochenen Leistens von Arbeit beziehe sich allein auf den im jeweiligen Arbeitsbereich geltenden Schichtplan, unzutreffend. Der Senat hat bereits in der Entscheidung vom (- 6 AZR 179/20 - Rn. 22 f., 28 ff.) das Nichtvorliegen von Wechselschichtarbeit, unabhängig von der auf den Arbeitsbereich bezogenen Betrachtung, maßgeblich damit begründet, dass die dortigen Kläger sich nicht zur Arbeitsleistung im Zeitfenster von 01:00 Uhr bis 03:00 Uhr bereit erklärt hatten und deswegen selbst nicht „rund um die Uhr“ einsetzbar waren. Daran hält der Senat fest und stellt dies nochmals klar.

25c) Der Umstand, dass der Arbeitnehmer - wie vorliegend der Kläger - nur wenige Stunden nach seinem individuellen Dienstplan nicht abgedeckt hat, gebietet auch nicht nach Sinn und Zweck der Wechselschichtzulage eine Annahme der Leistung von Wechselschichtarbeit. Die Tarifvertragsparteien haben durch die Verwendung des Begriffs „ununterbrochen“ in § 22 Nr. 11 TV-N Berlin klar zum Ausdruck gebracht, dass bereits geringfügige Unterbrechungen schädlich sein sollen. Wäre dies anders, müssten sich aus dem Tarifvertrag Anhaltspunkte dafür ergeben, ab welchem Umfang Unterbrechungen unerheblich sein sollen. Solche sind nicht ersichtlich. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien die durch den bloßen Schichtdienst entstehenden Belastungen durch Gewährung einer Schichtzulage (§ 12 Abs. 3 TV-N Berlin) berücksichtigt und damit einen differenzierten Belastungsausgleich vorgesehen. Dies ist zu respektieren (vgl. zum TVöD-F  - Rn. 25 mwN).

26d) Ein anderes Auslegungsergebnis folgt - anders als der Kläger meint - nicht daraus, dass die Tarifvertragsparteien in § 22 Nr. 11 Satz 3 TV-N Berlin als Nachtschichten alle Arbeitsschichten definieren, von denen mindestens vier Stunden in den Nachtarbeitszeitraum fallen. Zwar müssen ausgehend von der Definition des Nachtarbeitszeitraums in § 22 Nr. 5 TV-N Berlin als Zeitraum zwischen 21:00 Uhr und 06:00 Uhr bei einer Arbeit in Schichten „rund um die Uhr“ zwangsläufig Schichten anfallen, in denen mindestens vier Stunden Nachtarbeit enthalten sind. Dennoch ist die Regelung in § 22 Nr. 11 Satz 3 TV-N Berlin nicht überflüssig und - wie der Kläger meint - nur dadurch erklärbar, dass keine Abdeckung des gesamten Zeitraums „rund um die Uhr“ erforderlich sei. Denn Wechselschichtarbeit erfordert auch die Ableistung einer hinreichenden Anzahl von Nachtschichten in einer bestimmten Frequenz. Dafür ist die Definition der Nachtschicht erforderlich.

27e) Die Unterscheidung im TV-N Berlin zwischen ständiger und nicht ständiger Wechselschichtarbeit gebietet ebenfalls kein anderes Auslegungsergebnis. Auch nicht ständige Wechselschichtarbeit nach § 12 Abs. 4 Satz 2 TV-N Berlin liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer selbst mit seinen individuellen Schichten, zu denen er - und sei es auch jeweils nur einmal - eingeteilt ist, den kompletten Zeitrahmen „rund um die Uhr“ abdeckt. Dies zeigt gerade der Vergleich mit der ebenfalls vorgesehenen nicht ständigen Schichtarbeit nach § 12 Abs. 3 Satz 2 TV-N Berlin. Der Unterschied zwischen der (gewöhnlichen) Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit liegt, unabhängig davon, ob sie jeweils ständig oder nicht ständig ausgeübt wird, gerade in der Abdeckung des kompletten Zeitrahmens „rund um die Uhr“.

28f) Dieses Tarifverständnis diskriminiert Teilzeitbeschäftigte nicht wegen ihrer Teilzeit (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG). Teilzeitbeschäftigte können in gleicher Weise wie Vollzeitbeschäftigte die Wechselschichtzulage erhalten, wenn sie ebenfalls „rund um die Uhr“ eingesetzt werden und dabei - wie vorliegend bei der Beklagten gehandhabt - grundsätzlich in den gleichen Schichten mit der gleichen Schichtlänge eingesetzt werden wie Vollzeitbeschäftigte, nur eben in einer geringeren Anzahl an Schichten insgesamt. So lag es auch beim Kläger, der bis zum und sodann wieder ab dem die Wechselschichtzulage ungeachtet seiner durchgehenden Teilzeitbeschäftigung erhalten hat. Umgekehrt würden auch Vollzeitbeschäftigte die Wechselschichtzulage nicht erhalten, wenn bei ihnen - etwa aus familiären Gründen - Lücken im Einsatz „rund um die Uhr“ entstünden, die bspw. durch zusätzliche Schichten ausgeglichen würden. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG wäre zwar verletzt, wenn der Anspruch auf die Wechselschichtzulage daran scheitern würde, dass der Kläger wegen der verringerten Anzahl seiner Schichten die erforderliche Anzahl von Nachtschichten im tariflich festgelegten Zeitraum nicht erreicht (zur Notwendigkeit einer zeitanteiligen Kürzung von Schwellenwerten  - Rn. 16;  C 12.08 - Rn. 16). Das ist jedoch nicht der Fall.

29g) Die vom Kläger angeführten arbeitswissenschaftlichen Anforderungen an rechtlich zulässige Schichtpläne gebieten kein anderes Ergebnis. Das wäre nur der Fall, wenn ein Schichtmodell, in dem der Arbeitnehmer selbst mit seinen individuellen Schichten, zu denen er eingeteilt ist, den kompletten Zeitrahmen „rund um die Uhr“ abdecken muss, insgesamt unzulässig wäre und somit nicht zur Voraussetzung einer Wechselschichtzulage gemacht werden könnte. Das legt auch der Kläger nicht dar.

302. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger vom bis zum keine Wechselschichtarbeit geleistet.

31a) Zwar findet bei der Beklagten Wechselschichtarbeit statt, da insgesamt ununterbrochen gearbeitet wird. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum aber nicht selbst den kompletten Zeitrahmen „rund um die Uhr“ abgedeckt, sondern entsprechend dem für ihn geltenden Schichtplan 31/2040 lediglich den Zeitraum vom 07:00 Uhr bis 19:50 Uhr und von 21:00 Uhr bis 05:45 Uhr.

32Dass der Kläger damit keine Wechselschichtzulage erhält, ist ausgehend vom Zweck der Wechselschichtzulage auch konsequent. Diese wird für die besondere Belastung gewährt, dass die Wechselschichtarbeit erheblich auf den Lebensrhythmus des Arbeitnehmers einwirkt und dabei keine Rücksicht auf die individuellen Erfordernisse der Arbeitnehmer genommen werden kann. Vorliegend beruhten die zeitlichen Unterbrechungen der Arbeit „rund um die Uhr“ gerade auf den individuellen familiären Erfordernissen des Klägers. Nicht der Schichtplan bestimmte das Leben des Klägers, sondern das Leben des Klägers seinen Schichtplan.

33b) Es kann dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen eine Schichtplangestaltung rechtsmissbräuchlich sein kann, weil sie gerade der Vermeidung von Wechselschichtzulagen dient, und ob dies bspw. dann anzunehmen wäre, wenn Dienstpläne ohne sachlichen Grund so atomisiert werden, dass sie jeweils nur für einen oder einige wenige Arbeitnehmer gölten und für diese jeweils einige Minuten der Schicht ausgespart blieben. Ein Rechtsmissbrauch ist vorliegend nicht ersichtlich. Im Gegenteil schließt die Vereinbarung der konkreten Schichtgestaltung aus familiären Gründen des Klägers einen solchen aus.

34c) Bei seiner Annahme, dass für ihn im hier relevanten Zeitraum „europarechtswidrig überhaupt kein Ausgleich von Nachteilen für den wechselnden Arbeitsbeginn“ stattfinde, blendet der Kläger die als Ausgleich der Belastungen durch seinen individuellen Dienstplan erhaltene Schichtzulage aus. Zudem ist zwischen arbeitsschutzrechtlicher und vergütungsrechtlicher Einordnung der Arbeitszeit zu unterscheiden. Unionsrechtliche Regelungen aus der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG, auf die der Kläger mit seinem nicht näher konkretisierten Argument offenkundig rekurriert, finden grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung von Arbeitnehmern ( - Rn. 23, 25, BAGE 178, 25).

35II. Da der Kläger für die Zeit vom bis zum keinen Anspruch auf die Wechselschichtzulage hat, kann er für diesen Zeitraum ebenso wenig die Zahlung des Sicherungsbetrags 1 in der begehrten Höhe, dh. unter Berücksichtigung der im Zuge der Überleitung gemäß § 1 der Anlage 6 zum TV-N Berlin verminderten Wechselschichtzulage beanspruchen. Dagegen wendet sich der Kläger auch nicht.

36C. Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Klage ist entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts auch unbegründet, soweit sie sich auf den Sicherungsbetrag 1 für den Zeitraum ab August 2018 bis Juni 2022 bezieht (Antrag zu 2. im Umfang von 483,80 Euro brutto sowie Antrag zu 3.). Dem Kläger steht über die bereits geleisteten Beträge hinaus kein weiterer Sicherungsbetrag in Höhe von monatlich 11,80 Euro brutto unter Berücksichtigung der wieder zu zahlenden (und auch tatsächlich wieder gezahlten) Wechselschichtzulage zu. Dieser ist nach dem zwischenzeitlichen Wegfall der Wechselschichtzulage nicht wiederaufgelebt. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags.

37I. Bereits der Wortlaut spricht - anders als das Landesarbeitsgericht meint - eindeutig für einen dauerhaften Wegfall des streitigen Teils des Sicherungsbetrags und gegen sein Wiederaufleben. Zwar hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, dass das in § 3 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Anlage 6 zum TV-N Berlin verwendete Wort „solange“ bedeuten kann „für die Dauer (der Zeit)“ bzw. „während (der Zeit)“ (Duden Deutsches Universalwörterbuch 10. Aufl. Stichwort: solang, solange). Auch ist es zutreffend, dass daraus folgen kann, dass eine Zulage nach zwischenzeitlichem Wegfall ihrer Voraussetzungen wiederaufleben kann, wenn diese erneut erfüllt sind. Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Auslegung aber den weiteren Wortlaut des § 3 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Anlage 6 zum TV-N Berlin nicht hinreichend in den Blick genommen. Nach dieser Tarifnorm sind diese Differenzbeträge nicht lediglich „solange“ Bestandteil des Sicherungsbetrags 1, wie die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen tatsächlich vorliegen, sondern solange, wie sie es „weiterhin“ tun. „Weiterhin“ bedeutet „immer noch“ oder „auch jetzt noch“ (Duden Deutsches Universalwörterbuch 10. Aufl. Stichwort: weiterhin). Dies impliziert einen - ausgehend vom erstmaligen Entstehen des Anspruchs zum Überleitungsstichtag gemäß § 1 der Anlage 6 zum TV-N Berlin - dauerhaften, kontinuierlichen Fortbestand der Voraussetzungen.

38Darüber hinaus sind die Differenzbeträge „nur“ solange Bestandteil des Sicherungsbetrags 1, wie die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen weiterhin tatsächlich vorliegen. Dieses „nur“ deutet auf einen restriktiven Charakter der Regelung hin, was für eine enge Auslegung und damit ebenfalls gegen ein Wiederaufleben spricht.

39II. Dieses Ergebnis wird durch die Systematik der Norm unterstützt. So ist in § 3 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. 2 Satz 2 der Anlage 6 zum TV-N Berlin bei Änderungen der tatsächlichen Umstände lediglich eine Verringerung des Sicherungsbetrags 1 vorgesehen, dagegen keine Erhöhung. Dies spricht dafür, dass sich nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien ein einmal verminderter Sicherungsbetrag später nicht wieder erhöhen kann. Die Verwendung des Wortes „Änderungen“ im Plural in § 3 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. 2 Satz 2 der Anlage 6 zum TV-N Berlin widerspricht dem dargestellten Tarifverständnis entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht. Da sich der Sicherungsbetrag 1 aus mehreren Komponenten zusammensetzt, sind auch mehrere Verringerungen, also mehrere „Änderungen“ denkbar und nicht nur eine einzige mit der Folge, dass die Verwendung des Plural nur dann Sinn ergäbe, wenn auch (mindestens) eine Erhöhung erfasst wäre.

40Zudem sind in § 3 Abs. 1 Buchst. a Unterabs. 3 und 4 der Anlage 6 zum TV-N Berlin explizit zwei Sonderfälle geregelt, in denen sich auch nach dem Stichtag des Beginns des Bestandsschutzes Verbesserungen ergeben können, da diese zum Stichtag jeweils bereits angelegt waren, sich aber noch nicht realisiert hatten. Dies spricht dafür, dass es neben diesen als abschließend anzusehenden Ausnahmeregelungen keine Änderungen des Sicherungsbetrags 1 zugunsten der Altbeschäftigten geben soll, wenn sich ihr Besitzstand - und sei es auch nur vorübergehend - geändert hat.

41III. Das Auslegungsergebnis wird auch durch Sinn und Zweck der Tarifnorm bestätigt. Das Landesarbeitsgericht geht zutreffend davon aus, dass es sich um eine Bestandsschutznorm handelt. Gewähren Tarifvertragsparteien Bestandsschutz, wollen sie im Regelfall nur einen aktuellen Zustand schützen und diesen Ist-Stand einfrieren. Ändern sich die dem zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände mit der Folge, dass der zu sichernde Besitzstand absinkt oder ganz entfällt, bedarf es keiner Sicherung in der Zukunft mehr. Wollen die Tarifvertragsparteien abweichend davon bei einer Rückkehr zu dem ursprünglichen Zustand ausnahmsweise immer noch bzw. wieder Bestandsschutz gewähren, bedarf es für eine solche Abweichung vom Regelfall hinreichender Anhaltspunkte im Tarifvertrag. Diese sind vorliegend nicht gegeben.

42IV. Soweit das Landesarbeitsgericht anführt, bei der hier vertretenen Auslegung habe es der Arbeitgeber durch Ausübung seines Direktionsrechts in der Hand, den Sicherungsbetrag 1 entfallen zu lassen, führt das zu keinem anderen Ergebnis. Einem solchen Verhalten ist, sofern es sich als treuwidrig oder missbräuchlich erweist, im Einzelfall durch Heranziehung des Rechtsgedankens des § 162 Abs. 1 BGB die Anerkennung zu versagen.

43V. Unter Berücksichtigung dieses Tarifverständnisses hat der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des Sicherungsbetrags 1 in der begehrten Höhe für den Zeitraum vom bis zum . Nachdem sich der Sicherungsbetrag 1 mit dem Wegfall der Wechselschichtzulage im Dezember 2017 um den darauf entfallenden Anteil in Höhe von 11,80 Euro brutto monatlich verringert hatte, lebte dieser Teil des Sicherungsbetrags 1 ab August 2018 nicht wieder auf. Dass der Beklagten im konkreten Einzelfall Rechtsmissbrauch oder Treuwidrigkeit vorzuwerfen wären, hat der Kläger nicht behauptet.

44D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:040724.U.6AZR245.23.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-74369