BAG Urteil v. - 6 AZR 206/23

Corona-Sonderzahlung - Teilzeit während Elternzeit - teilweise ruhendes Arbeitsverhältnis

Leitsatz

1. Leistet der Arbeitnehmer während der Elternzeit Teilzeitarbeit beim bisherigen Arbeitgeber, ruhen die beiderseitigen Hauptpflichten nur teilweise. Im Umfang der Teilzeitarbeit während der Elternzeit bestehen sie fort.

2. Die Sonderregelung für ruhende Arbeitsverhältnisse in § 2 Abs. 2 Satz 4 des Tarifvertrags über eine einmalige Corona-Sonderzahlung vom (TdL) gilt auch für ein nur teilweise ruhendes Arbeitsverhältnis in Elternteilzeit.

Gesetze: § 1 TVG, § 24 Abs 2 TV-L, § 15 BEEG, § 308 Abs 1 S 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Schwerin Az: 4 Ca 769/22 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Az: 5 Sa 163/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe des Anspruchs der Klägerin auf eine tarifliche Corona-Sonderzahlung.

2Die Klägerin ist seit Februar 2021 beim beklagten Land beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) kraft beidseitiger Tarifbindung der Parteien Anwendung.

3Die Klägerin arbeitete zunächst in Vollzeit. Nach der Geburt ihres Kindes am befand sie sich in der Zeit vom bis zum in Elternzeit. Beginnend ab dem vereinbarten die Parteien eine befristete Teilzeittätigkeit der Klägerin innerhalb der Elternzeit im Umfang von zunächst 10 Wochenstunden, die sie ab dem auf 15 Wochenstunden und ab dem auf 20 Wochenstunden erhöhten.

4Am schlossen die Tarifgemeinschaft deutscher Länder und der dbb beamtenbund und tarifunion den Tarifvertrag über eine einmalige Corona-Sonderzahlung (TV Corona-Sonderzahlung), der ua. regelt:

5Der im TV Corona-Sonderzahlung in Bezug genommene § 24 Abs. 2 TV-L lautet:

6Im April 2022 zahlte das beklagte Land an die Klägerin eine Corona-Sonderzahlung iHv. 487,50 Euro. Der Berechnung legte es den ab dem vereinbarten Teilzeitumfang von 15 Wochenstunden zugrunde.

7Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung mit Schreiben vom erhob die Klägerin Zahlungsklage auf weitere Corona-Sonderzahlung.

8Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe einen tariflichen Anspruch auf weitere 812,50 Euro. Für die Höhe der Sonderzahlung sei maßgeblich, dass sie vor der Elternzeit in Vollzeit gearbeitet habe. Sie dürfe aufgrund der Teilzeittätigkeit in der Elternzeit nicht schlechter stehen als Arbeitnehmer, die ohne Teilzeittätigkeit Elternzeit in Anspruch nähmen.

9Die Klägerin hat beantragt,

10Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt.

11Es hat die Auffassung vertreten, die Verhältnisse am Stichtag des seien maßgeblich für die Höhe der Sonderzahlung, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht im Sinne der tariflichen Regelung geruht habe. Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien sollten Teilzeitbeschäftigte gleichbehandelt werden, unabhängig davon, ob sie sich in Elternzeit befänden.

12Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

13Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Klägerin hat Anspruch auf den begehrten Differenzbetrag der Corona-Sonderzahlung.

14I. Das Berufungsurteil ist allerdings insoweit rechtsfehlerhaft, als es einen Anspruch der Klägerin auf Corona-Sonderzahlung aus dem TV Corona-Sonderzahlung sowohl kraft beiderseitiger Tarifbindung als auch kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme angenommen und damit gegen den Antragsgrundsatz des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen hat. Im zivilprozessualen Verfahren darf das Gericht nur über von den Parteien gestellte Anträge entscheiden. Eine Verletzung des Antragsgrundsatzes liegt ua. dann vor, wenn einer Partei etwas zugesprochen wird, ohne dies beantragt zu haben. Dies ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 10 mwN).

15Danach hat das Landesarbeitsgericht gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen, indem es einen Anspruch der Klägerin - auch - aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme bejaht hat. Stützt ein Kläger sein Klagebegehren sowohl auf einen normativ wirkenden Tarifvertrag als auch auf dessen Geltung kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme, so handelt es sich um zwei Streitgegenstände ( - Rn. 19). Die Klägerin hat sich jedoch im gesamten Verfahren zu keiner Zeit auf einen Anspruch aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme berufen. Sie hat in der Klageschrift vorgetragen, der TV Corona-Sonderzahlung finde kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit Anwendung, was unstreitig geblieben ist. Das Berufungsurteil ist daher - ohne dass es eines förmlichen Entscheidungsausspruchs bedurfte - zu berichtigen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist damit insoweit gegenstandslos, als der Klage wegen eines Anspruchs kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme des TV Corona-Sonderzahlung stattgegeben wurde (vgl.  - Rn. 48).

16II. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.

171. Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Zahlungsantrag ist nach dem Vorbringen der Klägerin abschließend auf eine konkrete Vergütungsdifferenz vor dem Hintergrund der einmaligen Corona-Sonderzahlung gerichtet.

182. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf weitere Corona-Sonderzahlung aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 TV Corona-Sonderzahlung iHv. 812,50 Euro brutto. Die Höhe des Anspruchs der Klägerin, die sich zu dem in § 2 Abs. 2 Satz 3 TV Corona-Sonderzahlung bestimmten Stichtag des in Elternteilzeit befunden hat, beläuft sich unter Berücksichtigung der Sonderregelung in § 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung auf insgesamt 1.300,00 Euro. Die Elternteilzeit wird von dieser Sonderregelung erfasst. Dies folgt aus der Auslegung der tarifvertraglichen Regelungen (zu den Grundsätzen der Tarifauslegung vgl.  - Rn. 25 mwN).

19a) Der TV Corona-Sonderzahlung findet auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.

20b) Die Klägerin hat dem Grunde nach Anspruch auf die Corona-Sonderzahlung. Sie unterfällt iSv. § 2 Abs. 1 TV Corona-Sonderzahlung dem Geltungsbereich des TV-L und damit auch demjenigen des TV Corona-Sonderzahlung (§ 1 Buchst. a TV Corona-Sonderzahlung). Ihr Arbeitsverhältnis bestand am und sie hat im Zeitraum vom bis zum an mindestens einem Tag Anspruch auf Entgelt gehabt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist zwischen den Parteien unstreitig.

21c) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass sich der Anspruch der Klägerin nach § 2 Abs. 2 TV Corona-Sonderzahlung auf insgesamt 1.300,00 Euro beläuft, den das beklagte Land nur iHv. 487,50 Euro erfüllt hat (§ 362 Abs. 1 BGB).

22aa) Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 TV Corona-Sonderzahlung beträgt die Höhe der Corona-Sonderzahlung für Beschäftigte im Geltungsbereich des TV-L 1.300,00 Euro. Satz 2 der Vorschrift ordnet die entsprechende Geltung des § 24 Abs. 2 TV-L an. Demnach sollen Teilzeitbeschäftigte die Corona-Sonderzahlung nur in dem Umfang erhalten, der dem Anteil ihrer individuell vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit an der regelmäßigen Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter entspricht. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 TV Corona-Sonderzahlung sind die Verhältnisse am maßgeblich. Daran schließt sich in § 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung eine Sonderregelung für die Arbeitsverhältnisse an, die am Stichtag geruht haben. Für diese sollen die Verhältnisse am Tag vor dem Beginn des Ruhens maßgeblich sein.

23bb) Die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung ist auf die Klägerin anwendbar. Zum Stichtag des hat ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Elternzeit - teilweise - geruht. Die Regelung für Teilzeitbeschäftigte in § 2 Abs. 2 Satz 2 TV Corona-Sonderzahlung kommt daher nicht zur Anwendung, sondern wird von der spezielleren Bestimmung in § 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung verdrängt.

24(1) Mit dem Begriff des ruhenden Arbeitsverhältnisses wird die Suspendierung der beiderseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag bezeichnet, also der Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung und der Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der vereinbarten Vergütung (vgl.  - Rn. 28). Zu einem solchen Ruhen kraft Gesetzes führt ua. die Elternzeit (st. Rspr., vgl.  - Rn. 16 mwN). Die Tarifvertragsparteien haben in § 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung den Rechtsbegriff des ruhenden Arbeitsverhältnisses verwendet. Bedienen sich die Tarifvertragsparteien eines Rechtsbegriffs, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat, ist dieser Begriff in seiner allgemeinen juristischen Bedeutung auszulegen, sofern sich nicht aus dem Tarifvertrag etwas anderes ergibt (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 14 mwN), wofür hier nichts ersichtlich ist.

25(2) Leistet der Arbeitnehmer während der Elternzeit Teilzeitarbeit beim bisherigen Arbeitgeber, ruhen insoweit die beiderseitigen Hauptpflichten entsprechend dem inaktiven Teil. Die ursprünglich begründeten Hauptpflichten bestehen nur im Umfang der Teilzeitarbeit während der Elternzeit weiter fort, im Übrigen ruhen sie. Mit Beendigung der Elternzeit leben die Hauptpflichten im ursprünglichen Umfang wieder auf. Darin liegt der Unterschied zur Vereinbarung eines befristeten Teilzeitverhältnisses nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG).

26(a) Bei Inanspruchnahme von Elternzeit vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien keine wöchentliche Arbeitszeit mit dem Faktor „null“, vielmehr ruhen die Hauptleistungspflichten während der Elternzeit kraft Gesetzes. Die arbeitsvertragliche Vereinbarung über die Arbeitspflicht und deren Umfang wird durch die Inanspruchnahme der Elternzeit daher nicht aufgehoben.

27(b) Somit kann auch während der Elternzeit eine Tätigkeit mit verringerter Arbeitspflicht beim bisherigen Arbeitgeber (Elternteilzeit) vereinbart werden. Es tritt dann keine vollständige, sondern nur eine teilweise Freistellung von der vertraglich vereinbarten Arbeitspflicht ein (vgl.  - zu II 3 b hh der Gründe, BAGE 114, 206; vgl. auch MHdB ArbR/Heinkel 5. Aufl. Bd. 2 § 192 Rn. 1; Brose/Weth/Volk/Schneider 9. Aufl. BEEG § 15 Rn. 68). Das Arbeitsverhältnis ruht also teilweise. Das ist Folge der gesetzlichen Ausgestaltung der Elternzeit iSd. §§ 15 ff. BEEG. Bei einer Teilzeitbeschäftigung bei dem bisherigen Arbeitgeber während der Elternzeit wird grundsätzlich kein anderes, zweites Arbeitsverhältnis zusätzlich zu dem bereits bestehenden begründet (vgl.  - Rn. 18; - 1 AZR 717/15 - Rn. 55 mwN, BAGE 160, 237; vgl. auch Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 172 Rn. 45 mwN).

28(3) Für die Situation eines ruhenden Arbeitsverhältnisses haben die Tarifvertragsparteien mit § 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung eine Sonderregelung geschaffen, die auch für nur teilweise ruhende Arbeitsverhältnisse - wie das der Elternteilzeit - gilt.

29(a) Der Sonderregelung hätte es nicht bedurft, wenn sie nur diejenigen Arbeitnehmer erfassen sollte, deren Arbeitsverhältnis gänzlich ruht. Die Bestimmung verschiebt den für die Höhe der Sonderzahlung maßgeblichen Stichtag vom hin zu dem Tag vor Beginn des Ruhens des Arbeitsverhältnisses. Diese Verschiebung hätte für die Höhe des Anspruchs bei den Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis während der Elternzeit insgesamt ruht, keine Auswirkung. Für die Berechnung der Höhe der Sonderzahlung ist es irrelevant, ob der Stichtag oder ein früheres Datum zugrunde gelegt wird, wenn sich zwischen dem Beginn des Ruhens und dem der Umfang der Arbeitszeit nicht geändert hat. Dann führt die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 1 TV Corona-Sonderzahlung bei Vollzeitarbeit in jedem Fall zu einem Zahlungsanspruch in voller Höhe von 1.300,00 Euro und die des § 2 Abs. 2 Satz 2 TV Corona-Sonderzahlung bei Teilzeitarbeit zu einem Anspruch pro-rata-temporis in entsprechender Anwendung von § 24 Abs. 2 TV-L.

30Ändert sich hingegen mit oder nach Beginn des (teilweisen) Ruhens des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Elternzeit der Umfang der Arbeitszeit vor dem Stichtag , wird die Sonderregelung in § 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung für die Höhe des Anspruchs relevant. Ohne diese hätte der Arbeitnehmer in Elternteilzeit lediglich den reduzierten Anspruch auf die Zahlung pro-rata-temporis nach § 2 Abs. 2 Satz 2 iVm. Satz 3 TV Corona-Sonderzahlung. Aufgrund der Anwendung der Sonderregelung wird jedoch der Stichtag auf den Tag vor Beginn des Ruhens verschoben, womit bei der Klägerin die Anspruchshöhe auf Vollzeitbasis zu bestimmen ist. Denn abzustellen ist - bezogen auf den Umfang der Arbeitszeit - auf den regelmäßigen Vertragsstatus.

31(b) Allein ein solches Verständnis, wonach ein während der Elternzeit ruhendes Arbeitsverhältnis auch bei einer in dieser Zeit beim bisherigen Arbeitgeber ausgeübten Teilzeittätigkeit ein ruhendes Arbeitsverhältnis iSv. § 2 Abs. 2 Satz 4 TV Corona-Sonderzahlung ist, führt zu einem verfassungskonformen Auslegungsergebnis. Die Tarifvertragsparteien wollten ersichtlich eine sachlich nicht zu rechtfertigende Differenzierung zwischen Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis in der Elternzeit vollständig ruht, gegenüber Arbeitnehmern, die in der Elternzeit beim bisherigen Arbeitgeber in Teilzeit tätig sind, vermeiden (vgl.  - Rn. 19; - 1 AZR 717/15 - Rn. 56, BAGE 160, 237; - 1 AZR 826/13 - Rn. 23). Durch die Verschiebung des Stichtags erleiden Arbeitnehmer in Elternteilzeit keine Nachteile in Bezug auf die Höhe der Corona-Sonderzahlung, die sonst aufgrund der Reduzierung der Arbeitszeit wegen der entsprechenden Anwendung von § 24 Abs. 2 TV-L eintreten würden.

32d) Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Der Klägerin stehen nach § 187 Abs. 1 BGB Verzugszinsen ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zu. Die Fälligkeit bestimmt sich nach § 2 Abs. 1 TV Corona-Sonderzahlung iVm. § 24 Abs. 1 Satz 2 TV-L.

33III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:040724.U.6AZR206.23.0

Fundstelle(n):
BB 2024 S. 2163 Nr. 38
IAAAJ-74196