BVerwG Urteil v. - 8 C 9/23

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 4 A 2078/22 Urteilvorgehend Az: 3 K 7947/21 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zuweisung von Flächen auf einem von der Beklagten als öffentliche Einrichtung betriebenen Großmarkt.

2Rechtsgrundlage für dessen Betrieb ist § 1 der Satzung für den Großmarkt der Landeshauptstadt Düsseldorf vom (Düsseldorfer Amtsblatt Nr. 52 vom - im Folgenden: Großmarktsatzung). Zweck und Gegenstand des Großmarkts ist der Vertrieb vom Ordnungsamt festgesetzter Waren an gewerbliche Wiederverkäufer, gewerbliche Verbraucher und Großabnehmer. Die Zulassung zum Großmarkt und die Zuweisung eines Marktstandes, Raumes oder Platzes erfolgt auf Antrag durch die Marktverwaltung. Diese kann die Zulassung und Zuweisung nach § 6 Abs. 4 Großmarktsatzung aus sachlich gerechtfertigtem Grund widerrufen.

3Die Klägerin betreibt seit mehr als 30 Jahren einen Obst- und Gemüsegroßhandel auf dem Großmarkt. Zuletzt wies ihr die Beklagte dort mit Bescheid vom neue Standplätze zu. Für deren Ertüchtigung wandte die Klägerin nach eigenen Angaben mehr als 383 000 € auf. Die neue Zuweisung war zunächst bis Mai 2020 befristet. Sie verlängert sich jeweils um ein Jahr, sofern kein Widerruf mit vierteljährlicher Frist zum Jahresende erfolgt. Nach einer Nebenbestimmung zum genannten Bescheid kann die Marktverwaltung die Zuweisung widerrufen, wenn ein sachlich gerechtfertigter Grund vorliegt.

4Am beschloss der Rat der Beklagten, die öffentliche Einrichtung Großmarkt zum aufzulösen. Hierzu verabschiedete er ebenfalls unter dem die "Änderungssatzung: Aufhebung des § 1 der Großmarktsatzung (Satzung für den Großmarkt Düsseldorf der Landeshauptstadt Düsseldorf vom )".

5Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) i. V. m. § 6 Abs. 4 Großmarktsatzung nach vorheriger Anhörung die gegenüber der Klägerin ergangene Zuweisung von Großmarktflächen zum Ablauf des . Gleichzeitig ordnete sie an, dass die Flächen zu diesem Zeitpunkt geräumt und sauber der Marktverwaltung zur Verfügung zu stellen seien und drohte für den Fall, dass dies nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig ausgeführt werde, die Ersatzvornahme an.

6Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen den Widerrufsbescheid stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Der Widerruf der Zuweisung von Großmarktflächen sei sowohl durch Rechtsvorschrift in der Großmarktsatzung als auch in einer Nebenbestimmung zur Zuweisung vorbehalten. Der danach erforderliche sachliche Grund für den Widerruf liege in der Auflösung der öffentlichen Einrichtung Großmarkt. Der Ratsbeschluss zur Auflösung des Großmarkts und die Änderungssatzung seien wirksam und verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Die Änderungssatzung sei formell und materiell rechtmäßig. Die satzungsrechtlich umgesetzte Auflösungsentscheidung stehe nicht im Widerspruch zu den rechtlichen Vorgaben der §§ 7, 8 Abs. 1 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW). Die Änderungssatzung verstoße auch nicht gegen die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Das gelte selbst dann, wenn man der Selbstverwaltungsgarantie nicht nur das gemeindliche Recht zuordnen wolle, sich grundsätzlich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen, sondern auch eine entsprechende Pflicht. Die Änderungssatzung stehe auch mit sonstigem höherrangigem Recht - insbesondere dem Bestimmtheitsgebot - in Einklang. Die Beklagte habe das ihr eingeräumte Widerrufsermessen fehlerfrei ausgeübt. Sowohl bei der Entscheidung über den Widerruf der Zuweisung als auch bei der Entscheidung über die "Abwicklungsfrist" habe sie eine Abwägung aller Interessen vorgenommen. Diese allgemeinen Erwägungen seien auch im Hinblick auf den konkreten Betrieb der Klägerin ausreichend.

7Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, die Entscheidung der Beklagten, den Großmarkt als öffentliche Einrichtung aufzulösen, sei nicht mit dem in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG wurzelnden Gebot der Sicherung und Wahrung des Aufgabenbestandes der Gemeinden vereinbar. Durch die Selbstverwaltungsgarantie seien die Gemeinden nicht nur vor Eingriffen durch den Bund und die Länder in den Kernbestand ihres Aufgabenbereichs geschützt. Die Gemeinden dürften sich vielmehr solcher Aufgaben, die zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises zählten, nicht ohne Weiteres entledigen. Anderenfalls könnten sie den Inhalt der kommunalen Selbstverwaltung selbst beschneiden oder in Gänze aushöhlen, indem sie ureigene gemeindliche Aufgaben aufgäben oder nicht wahrnähmen. Das verpflichte die Kommunen nicht allein zur Aufrechterhaltung des Kernbestands ihres Aufgabenbereichs, sondern auch dazu, ihren Aufgabenbestand darüber hinaus zu wahren, zu sichern und gegebenenfalls auch zu erweitern, wenn dieser in den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wurzele und es das Wohl der Gemeindeangehörigen erfordere. Diese Grundsätze gölten nicht nur für die materielle Privatisierung gemeinwohlorientierter öffentlicher Einrichtungen, sondern auch für deren Auflösung. Mit dem Großmarkt stelle die Beklagte die Versorgung der Bevölkerung und örtlichen Unternehmen mit hochwertigen, gesunden und frischen Lebensmitteln sicher, stärke Düsseldorf als attraktiven Standort für den Handel, das Handwerk, die Produktion und den Gastronomiebedarf und fördere die lokale und regionale Erzeugung sowie Vermarktung von Produkten. Daneben leiste sie mit dem Großmarkt einen wichtigen Beitrag zur Förderung gesunder Ernährung der Stadtbevölkerung und zur kulturellen Vielfalt und Verständigung. Dementsprechend erfordere hier das Wohl der Gemeindeangehörigen eine - jedenfalls teilweise - Aufrechterhaltung des Großmarkts als öffentliche Einrichtung. Die Entscheidung der Beklagten könne schon deshalb keinen Bestand haben, weil sie ihre grundsätzliche Pflicht zur Sicherung und Wahrung des Aufgabenbestandes nicht gesehen habe. Ungeachtet dessen habe die Beklagte aber auch nicht hinreichend dargelegt, dass die besonderen Umstände des Einzelfalls die Auflösung der öffentlichen Einrichtung trotz ihrer sozialen, traditionellen und kulturellen Bedeutung ausnahmsweise rechtfertigten. Schließlich verstoße es gegen das Bestimmtheitsgebot, dass die Beklagte nur § 1 Satz 1 der Großmarktsatzung aufgehoben habe, die weiteren Vorschriften jedoch in Kraft bleiben.

8Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom zurückzuweisen.

9Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

10Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Gründe

11Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Widerruf der Zuweisung von Großmarktflächen gegenüber der Klägerin rechtmäßig ist.

121. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwVfG NRW liegen vor. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist.

13Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen revisibles Recht angenommen, dass der Widerruf auf einen ungeschriebenen sachlich gerechtfertigten Grund nach § 6 Abs. 4 Satz 1 der Großmarktsatzung und Nr. 14 Satz 1 der Nebenbestimmungen des Zuweisungsbescheids vom gestützt werden konnte. Die darin bezeichneten Widerrufsgründe sind nicht abschließend, weil deren Aufzählung nur beispielhaft ("insbesondere") erfolgt.

14Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, in der Auflösung des Großmarkts liege ein den Widerruf der Flächenzuweisung sachlich gerechtfertigter Grund, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei Wegfall des Großmarkts können keine entsprechenden Flächen mehr zur Verfügung gestellt werden.

15Die Auflösung des Großmarkts war wirksam. Das Oberverwaltungsgericht ist von einem zutreffenden Gehalt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ausgegangen (a). Ein Verstoß gegen sonstiges revisibles Recht liegt ebenfalls nicht vor (b).

16a) Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Damit wird den Gemeinden ein grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassender Aufgabenbereich sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich gesichert. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind solche Aufgaben, die das Zusammenleben und -wohnen der Menschen vor Ort betreffen oder einen spezifischen Bezug darauf haben ( - BVerfGE 147, 185 Rn. 69 f. m. w. N. - "KiFöG-LSA"). Zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung gehört danach kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen ( u. a. - BVerfGE 79, 127 <146, 150> m. w. N. - "Rastede"; siehe auch - BVerfGE 107, 1 <12 f.> m. w. N.).

17Art. 28 Abs. 2 GG wendet sich an die Länder, die den Gemeinden das Selbstverwaltungsrecht gewährleisten müssen, und an den Bund ( I C 60.61 - Buchholz 451.20 § 65 GewO Nr. 1 S. 4). Eine Verpflichtung der Kommunen, bestimmte Aufgaben wahrzunehmen oder fortzuführen, ergibt sich aus der Vorschrift nicht (anders noch 8 C 10.08 - Buchholz 415.1 Allg KommunalR Nr. 171). Dagegen spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift, die den Gemeinden ausdrücklich ein Recht gewährleistet, nicht aber Pflichten auferlegt (vgl. auch Donhauser, NVwZ 2010, 931 <933>; Kahl/Weißenberger, LKRZ 2010, 81 <83>; Schoch, DVBl. 2009, 1533 <1534>). Auch ihrer Entstehungsgeschichte lassen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsunmittelbare Pflicht der Kommunen zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben entnehmen. Vielmehr stand dem Parlamentarischen Rat bei ihrem Erlass allein vor Augen, die Kommunen vor staatlichen Übergriffen zu schützen. Die schließlich in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Bestimmung war im Herrenchiemseer Entwurf noch nicht enthalten, sondern wurde erst im Laufe der Beratungen eingefügt (Dreier, ders., GG, 3. Aufl. 2015, Art. 28 Rn. 17). Der Vorschlag zu ihrer Einführung orientierte sich an Art. 127 der Verfassung des Deutschen Reiches (Weimarer Reichsverfassung - WRV), wonach Gemeinden und Gemeindeverbände das Recht der Selbstverwaltung innerhalb der Schranken der Gesetze hatten. Damit sollte der bis dahin ohne Erwähnung der Gemeinden auskommende Entwurf um eine institutionelle Garantie zur Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung ergänzt (vgl. Mann, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Stand Februar 2024, Art. 28 Rn. 3) und die Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände gewährleistet werden (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd. XIV/1, S. 147 ff.). Dem lag die Vorstellung zugrunde, die Selbstverwaltung schützen zu müssen, wenn auch nicht in der Form eines Grundrechts (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd. III, S. 414). In den Beratungen war durchweg nur vom Recht der Gemeinden oder von der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht jedoch von einer kommunalen Pflicht die Rede (vgl. etwa Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd. III, S. 413, Bd. XIV/1, S. 148, 150 ff.). Im Laufe der Beratungen wurde erwogen, die Formulierung "Zum Wesen der Selbstverwaltung gehört, dass die Gemeinden alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln haben, soweit das Gesetz dem Lande oder einem Gemeindeverbande nicht Aufgaben zuweist" in die grundgesetzliche Regelung zur kommunalen Selbstverwaltung einzufügen (Leibholz/von Mangoldt, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, 1951, N. F. Bd. 1, 255). Diese Ergänzung, die nach ihrem Wortlaut für eine aus der Norm folgende Pflicht hätte sprechen können, setzte sich im Parlamentarischen Rat jedoch nicht durch.

18Systematisch spricht ebenfalls nichts dafür, aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG eine Pflicht der Kommunen zur Aufgabenerfüllung abzuleiten. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b GG räumt den Kommunen das Recht ein, gestützt auf eine (behauptete) Verletzung von Art. 28 GG Verfassungsbeschwerde zu erheben, was nur mit dem Charakter des Art. 28 GG als einer Rechte - und nicht auch Pflichten - regelnden Bestimmung vereinbar ist. Zudem unterscheidet der Verfassungsgeber in anderen Normen des Grundgesetzes ausdrücklich zwischen Rechten und Pflichten (vgl. etwa Art. 1 Abs. 1 Satz 2, Art. 25 Satz 2, Art. 33 Abs. 1 GG).

19Schließlich stehen auch Sinn und Zweck des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG der Annahme einer aus der Regelung folgenden kommunalen "Aufgabenerfüllungspflicht" entgegen. Das durch die Norm verbürgte "Aufgabenfindungsrecht" im örtlichen Wirkungskreis (Mann, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, Stand Februar 2024, Art. 28 Rn. 177) würde durch eine zugleich aus der Vorschrift folgenden Pflicht zur Aufgabenerfüllung schrittweise ausgehöhlt. Wegen ihrer begrenzten finanziellen Mittel wären Kommunen schnell außerstande, sich neuer freiwilliger Aufgaben anzunehmen, da die Aufgabenerfüllung nur selten kostenneutral möglich sein wird. Mit fortschreitender Zeit und der wachsenden Zahl einmal angenommener Aufgaben liefe das Recht, neue Aufgaben übernehmen zu können, zunehmend leer. Um den kommunalen Aufgabenkreis entsprechend dem Bedeutungsgehalt von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG entwicklungsoffen zu halten (vgl. - BVerfGE 138, 1 Rn. 47), muss mit dem Recht, Aufgaben der freiwilligen Selbstverwaltung an sich ziehen zu können, das Recht einhergehen, die Erfüllung solcher Aufgaben nicht fortzuführen. Schließlich enthält Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auch eine spezifisch demokratische Funktion. Die Bestimmung verlangt für die örtliche Ebene eine mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestattete Einrichtung der Selbstverwaltung, die den Bürgern eine effektive Mitwirkung an den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ermöglicht ( - BVerfGE 138, 1 Rn. 52). Diese demokratische Funktion, deren Verwirklichung ein hinreichendes Maß an Kompetenzen der gewählten kommunalen Vertretungsorgane erfordert (vgl. Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG), wäre durch eine Aufgabenfortführungspflicht gefährdet. Angesichts endlicher Ressourcen ginge neu gewählten Organen der legitime Einfluss auf die Wahrnehmung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben schrittweise verloren (vgl. Niedzwicki, KommJur 2011, 450 <455>; Szczekalla, NdsVBl. 2010, 84 <88>). Es träte eine Bindung an frühere Entscheidungen ein, ohne die Möglichkeit, sich daraus zu lösen.

20Bei Anwendung dieses Maßstabs können die von der Klägerin in Bezug auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie für den Weiterbetrieb des Großmarkts vorgebrachten Gesichtspunkte nicht zum Erfolg der Klage führen. Nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist der Betrieb der öffentlichen Einrichtung "Großmarkt" dem Bereich der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben zuzurechnen, die dem Gewährleistungsgehalt des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG unterfallen. Danach war die Beklagte nicht verpflichtet, den Großmarkt als öffentliche Einrichtung fortzuführen, sondern durfte die Einrichtung ohne Begründung auflösen.

21b) Ein Verstoß gegen sonstiges revisibles Recht liegt ebenfalls nicht vor.

22Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Rat der Beklagten bei seiner Entscheidung über die Auflösung des Großmarkts die Grundrechte der betroffenen Marktbeschicker berücksichtigt hat. Angesichts der langjährigen Diskussion über die Zukunft des Großmarkts, den unter dem Vorbehalt des Widerrufs stehenden Zuweisungen von Flächen an die Marktbeschicker sowie der mehrjährigen Übergangsfrist bis zur Auflösung des Großmarkts wären möglicherweise betroffene Grundrechtspositionen nicht unverhältnismäßig eingeschränkt.

23Es liegt auch kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot vor. Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die angegriffene Norm auslegungsfähig und ihr Inhalt damit bestimmbar ist. Dass es der Norm einen anderen Inhalt beigemessen hat als die Klägerin, führt nicht zu deren Unbestimmtheit.

24Schließlich verstößt auch der Umstand, dass die Beklagte nicht die Satzung insgesamt aufgehoben hat, nicht zur Nichtigkeit der durch Satzungsänderung umgesetzten Auflösungsentscheidung. Abgesehen davon, dass die nach dem Wirksamwerden der Auflösung bestehenden "Restregelungen" derzeit noch ihre Berechtigung haben und die Beklagte - wie das Oberverwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat - sie bis zum jederzeit aufheben könnte, werden sie nach der Auflösung des Großmarkts gegenstandslos. Eine weitergehende Rechtswirkung ist damit nicht verbunden.

252. Das Oberverwaltungsgericht ist auch zurecht davon ausgegangen, dass die Beklagte ihr Widerrufsermessen rechtmäßig ausgeübt hat. Sie hat ihr Ermessen erkannt und entsprechend dem Zweck der Ermächtigung in § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwVfG NRW ausgeübt. Diese Regelung soll die Anpassung eines Verwaltungsakts an eine geänderte Sach- oder Rechtslage erleichtern (vgl. 8 C 7.18 - Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 54 Rn. 21). Die Beklagte hat den Widerruf mit der Auflösung des Großmarkts begründet und sowohl bei der Entscheidung über den Widerruf der Zuweisung als auch bei der Entscheidung über die "Abwicklungsfrist" eine ausreichende Abwägung aller betroffenen Interessen vorgenommen. Darüberhinausgehende Erwägungen waren schon deshalb nicht veranlasst, weil der Großmarkt zum aufgelöst worden ist und nach diesem Zeitpunkt eine weitere Zuweisung von Flächen ohnehin nicht mehr in Betracht kommt.

26Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:240424U8C9.23.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-74175