BGH Beschluss v. - 1 StR 56/24

Instanzenzug: LG Waldshut-Tiengen Az: 1 KLs 14 Js 901/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit versuchtem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in zwei Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

21. a) Der Senat beschränkt das Verfahren in den Fällen 1 bis 10 der Urteilsgründe mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO auf den Vorwurf des Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG. Zwar kommt daneben auch eine Strafbarkeit nach dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) in Betracht, weil die synthetische Substanz ADB-BINACA, mit der das vom Angeklagten gehandelte Haschisch bedampft war, erst nach Tatbegehung mit Wirkung zum in Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG übernommen wurde und § 1 Abs. 2 NpSG durch das am in Kraft getretene Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (im Folgenden: Cannabisgesetz) keine Änderung erfahren hat, mithin nur dem Betäubungsmittelgesetz und dem Arzneimittelgesetz, nicht aber dem Konsumcannabisgesetz den Vorrang einräumt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte aber keine Kenntnis von der Bedampfung mit ADB-BINACA, so dass allenfalls ein fahrlässiges Handeln in Betracht kommt (§ 4 Abs. 6 NpSG), welches für die zu erwartende Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fällt.

3b) Soweit der Angeklagte in den Fällen 11 und 12 neben den zum Handeltreiben bestimmten Rauschgiftmengen am drei Joints und eine nicht bekannte Menge eines Marihuana-Tabak-Gemisches sowie am vier Joints und 4,2 Gramm Marihuana-Tabak-Gemisch außerhalb seines Wohnsitzes mit sich führte, welche jeweils zum Eigenkonsum bestimmt waren, kommt grundsätzlich eine Strafbarkeit gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1a KCanG in Betracht. Diese fällt jedoch in beiden Fällen neben der Strafbarkeit wegen bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht beträchtlich ins Gewicht. Der Senat scheidet die zum Eigenkonsum bestimmten Cannabismengen daher gemäß § 154a Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO von der Verfolgung aus, zumal es an einer Feststellung des Wirkstoffgehalts fehlt, so dass nicht geprüft werden kann, ob die Grenzen zur Ordnungswidrigkeit oder zur Strafbarkeit überschritten wurden.

42. In den Fällen 1 bis 10 der Urteilsgründe ist der Schuldspruch an das zum in Kraft getretene Cannabisgesetz anzupassen (§ 2 Abs. 3 StGB iVm § 354a StPO; § 34 Abs. 1 Nr. 4, § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 1 Nr. 4 KCanG; BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 153/24 Rn. 3 und vom – 1 StR 106/24 Rn. 4 f.). Der Angeklagte verwirklichte in jedem dieser Fälle den Grundtatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG. Dass er dabei jeweils irrig davon ausging, mit Haschisch von mindestens durchschnittlicher Qualität und damit mit einer – gemessen am Anteil des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol – nicht geringen Menge Cannabis Handel zu treiben, lässt – anders als nach bisheriger Rechtslage – den Schuldspruch unberührt. Denn der Gesetzgeber hat sich in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG dafür entschieden, die Strafbarkeit des Handeltreibens mit einer nicht geringen Menge Cannabis nicht mehr als Qualifikationstatbestand, sondern als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall auszugestalten.

53. Der Schuldspruch zu den Fällen 11 und 12 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, da nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes durch das Revisionsgericht in der gegebenen Konstellation nicht entschieden werden kann, ob die bei der Tat oder die nunmehr geltende Rechtslage milder im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB und daher anzuwenden ist (§ 354a StPO).

6a) Zunächst sind infolge der geänderten Rechtslage in den Fällen 11 und 12 der Urteilsgründe das gehandelte Haschisch sowie die übrigen beim Angeklagten sichergestellten und weiterhin dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden Suchtstoffe getrennt zu betrachten. Die Wirkstoffmengen der sichergestellten Ecstasy-Tabletten (2,136 Gramm MDMA-HCl), des Amphetamins (0,45 Gramm Amphetamin-Base) und des Amphetamingemisches (0,18 Gramm Amphetamin-Base) lagen jeweils deutlich unter den von der Rechtsprechung herausgebildeten Grenzwerten von 30 Gramm MDMA-Base oder 35 Gramm MDMA-Hydrochlorid (vgl. Rn. 4 mwN) und 10 Gramm Amphetamin-Base (vgl. , BGHSt 33, 169, 172). Auch bei prozentualer Zusammenrechnung ergänzen die Wirkstoffmengen sich nicht zu einer nicht geringen Menge. Es verbleibt insoweit eine Strafbarkeit wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG.

7b) Bezüglich des zum Handeltreiben bestimmten Cannabis ist zu prüfen, welches das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB ist. Das mildere von zwei Gesetzen ist dasjenige, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt. Hängt die Beurteilung des im Einzelfall milderen Rechts davon ab, ob die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung genutzt, etwa ein gesetzlich geregelter besonders oder minder schwerer Fall angenommen wird, obliegt die Bewertung grundsätzlich dem Tatgericht, sofern eine abweichende Würdigung nicht sicher auszuschließen ist (st. Rspr.; Rn. 4 mwN).

8Daran gemessen lässt sich im Revisionsverfahren nicht abschließend bestimmen, welche Rechtslage die mildere ist.

9aa) Das Landgericht hat die den Fällen 11 und 12 der Urteilsgründe zugrundeliegenden Taten des Angeklagten als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG bewertet, insoweit jeweils minder schwere Fälle angenommen und den Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG zugrunde gelegt, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht.

10Da die Wirkstoffmengen des zum Handeltreiben bestimmten Cannabis jeweils die weiterhin bei 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol anzunehmende Grenze zur nicht geringen Menge überschreiten (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 106/24 Rn. 7; vom – 1 StR 145/24 Rn. 12; vom – 2 StR 480/23 Rn. 27; vom – 2 StR 177/24 Rn. 3; vom – 3 StR 115/24 Rn. 9; vom – 4 StR 5/24 Rn. 10; vom – 4 StR 111/24 Rn. 5; vom – 5 StR 153/24 Rn. 11; vom – 5 StR 136/24 Rn. 3 und vom – 6 StR 536/23 Rn. 21), käme nach neuer Rechtslage jeweils eine Strafbarkeit wegen bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis in Betracht, das mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen von drei Monaten bis zu fünf Jahren, zu ahnden wäre (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 4 KCanG).

11bb) Bei dem vorzunehmenden Milderungsvergleich erweist sich der Strafrahmen nach § 34 Abs. 4 KCanG nicht ohne weiteres als günstiger als der vom Landgericht herangezogene des § 30a Abs. 3 BtMG, sondern nur bei einem Vergleich der jeweiligen Regelstrafrahmen miteinander und einem Vergleich der jeweiligen Strafrahmen für minder schwere Fälle. Der Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG ist hingegen niedriger als der Regelstrafrahmen des § 34 Abs. 4 KCanG, so dass bei einer Verneinung eines minder schweren Falles des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis § 30a Abs. 3 BtMG das mildere Gesetz ist.

12Ob im konkreten Fall ein minder schwerer Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis vorliegt, ist indes eine vom Tatgericht zu entscheidende Wertungsfrage. Allein deshalb, weil das Landgericht einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln angenommen hat, kann der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit schließen, dass es auch einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis annehmen würde. Dies gilt bereits deshalb, weil die Strafkammer dem Umstand, dass es sich bei Cannabisprodukten um sogenannte weiche Drogen handelt, zwar bei der Begründung der Annahme eines minder schweren Falls keine hervorgehobene Bedeutung beigemessen, ihn aber doch in den Blick genommen hat. Nach neuer Rechtslage kommt diesem Gesichtspunkt jedoch keine Bedeutung mehr zu, weil die vom Gesetzgeber angenommene geringere Gefährlichkeit von Cannabisprodukten im Vergleich zu anderen Suchtstoffen (st. Rspr.; etwa Rn. 30) bereits bei der gesetzlichen Festlegung der Strafrahmen des Konsumcannabisgesetzes Berücksichtigung gefunden hat.

13cc) Die Fälle 11 und 12 bedürfen danach wegen der Gesetzesänderung einer neuen Bewertung des Tatgerichts dahin, ob es aufgrund der gebotenen Gesamtwürdigung jeweils einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis für gegeben hält und damit das Konsumcannabisgesetz Anwendung findet. Anderenfalls bliebe, zumindest bei erneuter Annahme eines minder schweren Falls des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, weiterhin das Betäubungsmittelgesetz maßgeblich. Sollte das Landgericht bei erneuter Prüfung dazu kommen, dass allein mit Blick auf das gehandelte Cannabis § 30a Abs. 3 BtMG das mildere Gesetz darstellte, hätte der Schuldspruch unverändert auf bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu lauten, während bei Anwendung des Konsumcannabisgesetzes bewaffnetes Handeltreiben mit Cannabis in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu tenorieren wäre.

144. Im Strafausspruch zu den Fällen 1 bis 10 der Urteilsgründe kann das Urteil keinen Bestand haben, weil die Strafrahmen des § 34 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 KCanG von denen der bisher einschlägigen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes erheblich zu Gunsten des Angeklagten abweichen. Der Senat kann daher nicht ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO), dass die Strafkammer angesichts der deutlich abgesenkten Strafrahmen niedrigere Einzelstrafen und in der Folge eine niedrigere Gesamtstrafe verhängt hätte. Die zugrundeliegenden Feststellungen sind insgesamt nicht betroffen und können aufrechterhalten werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können um solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen.

155. Da die Einziehung des Pedelecs ausschließlich auf der Verurteilung in den Fällen 11 und 12 der Urteilsgründe beruht, hat deren Aufhebung auch die Aufhebung der diesbezüglichen Einziehungsentscheidung zur Folge.

Jäger                   Wimmer                   Leplow

               Munk              Welnhofer-Zeitler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240724B1STR56.24.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-74071