EuGH Urteil v. - C-39/23

Instanzenzug:

Gründe

Zu den Vorlagefragen

37Das vorlegende Gericht möchte mit seinen drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen, ob Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der die Dividendenausschüttungen gebietsansässiger Gesellschaften an gebietsfremde öffentlich-rechtliche Rentenkassen an der Quelle besteuert werden, während die Dividendenausschüttungen an gebietsansässige öffentlich-rechtliche Pensionsfonds von einer solchen Besteuerung befreit sind.

38Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse im Bereich der direkten Steuern unter Wahrung des Unionsrechts und insbesondere der vom AEU-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten ausüben (Urteile vom , L Fund, C-537/20, EU:C:2023:339, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom , Cartrans Preda, C-461/21, EU:C:2023:632, Rn. 61).

39Zum freien Kapitalverkehr hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass die Bestimmungen des Vertrags über diese Grundfreiheit nicht zwischen privaten und öffentlichen Unternehmen unterscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Kommission/Italien, C-174/04, EU:C:2005:350, Rn. 32). Diese Bestimmungen schließen folglich den öffentlichen Sektor nicht von ihrem Anwendungsbereich aus.

40Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Zu den Maßnahmen, die diese Bestimmung als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, gehören solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die in diesem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (Urteile vom , L Fund, C-537/20, EU:C:2023:339, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom , JD [Wohnsitzerfordernis], C-562/22, EU:C:2024:55, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41Nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV berührt Art. 63 AEUV allerdings nicht das Recht der Mitgliedstaaten, "die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln".

42Diese Bestimmung ist, da sie eine Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs darstellt, eng auszulegen. Daher kann sie nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Staat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem AEU-Vertrag vereinbar wäre. Die in Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV vorgesehene Ausnahme wird nämlich ihrerseits durch Art. 65 Abs. 3 AEUV eingeschränkt, wonach die in Art. 65 Abs. 1 AEUV genannten nationalen Vorschriften "weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 63 [AEUV] darstellen [dürfen]" (Urteile vom , L Fund, C-537/20, EU:C:2023:339, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom , BA [Erbschaft - Soziale Wohnungspolitik in der Union], C-670/21, EU:C:2023:763, Rn. 54).

43Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass deshalb die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV zulässigen Ungleichbehandlungen von den durch Art. 65 Abs. 3 AEUV verbotenen Diskriminierungen unterschieden werden müssen. Eine nationale Steuerregelung kann aber nur dann als mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die sich aus ihr ergebende Ungleichbehandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (Urteile vom , L Fund, C-537/20, EU:C:2023:339, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom , BA [Erbschaft - Soziale Wohnungspolitik in der Union], C-670/21, EU:C:2023:763, Rn. 55).

44Somit ist zunächst zu prüfen, ob eine Ungleichbehandlung vorliegt, sodann ist die etwaige Vergleichbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situationen und gegebenenfalls schließlich die Möglichkeit einer Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zu prüfen.

Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs

45In Bezug auf die in Kapitel 7 § 2 Abs. 1 des Gesetzes (1999:1229) über die Einkommensteuer vorgesehene steuerliche Behandlung der Dividendenausschüttungen von in Schweden ansässigen Gesellschaften ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass gebietsansässige öffentlich-rechtliche Pensionsfonds von der für diese Art von Dividenden vorgesehenen Quellensteuer befreit sind, während gebietsfremde öffentlich-rechtliche Rentenkassen nicht in den Genuss einer solchen Befreiung kommen.

46Eine solche steuerliche Ungleichbehandlung führt zu einer ungünstigeren Behandlung der an die gebietsfremden öffentlich-rechtlichen Rentenkassen ausgeschütteten Dividenden, die geeignet ist, diese Einrichtungen von Investitionen in Gesellschaften mit Sitz in Schweden abzuhalten (vgl. entsprechend Urteil vom , AllianzGI-Fonds AEVN, C-545/19, EU:C:2022:193, Rn. 39).

47Dies wird nicht durch das Vorbringen der schwedischen Regierung in Frage gestellt, mit dem diese geltend macht, der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Sinne von Art. 24 des OECD-Musterabkommens bedeute nicht, dass ein Staat, der seinen eigenen öffentlichen Einrichtungen spezielle Steuervorteile einräume, verpflichtet sei, dieselben Vorteile auch den öffentlichen Einrichtungen eines anderen Staates zu gewähren; dies gehe aus den Nrn. 10 und 12 des Kommentars zu diesem Art. 24 hervor.

48Insoweit genügt der Hinweis, dass die schwedische Regierung aus diesen Nummern des Kommentars zu Art. 24 des OECD-Musterabkommens keine Einwände herleiten kann, um ihren Verpflichtungen aus dem Vertrag zu entgehen (vgl. entsprechend Urteil vom , Damseaux, C-128/08, EU:C:2009:471, Rn. 34).

49Was das Vorbringen der schwedischen Regierung angeht, dass es in Ermangelung einer entsprechenden Harmonisierung des Unionsrechts keine gemeinsame Verpflichtung der Mitgliedstaaten gebe, zur Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit der anderen Mitgliedstaaten beizutragen, ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht zwar die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt, die Mitgliedstaaten aber bei der Ausübung dieser Zuständigkeit gleichwohl das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen des AEU-Vertrags zu den Grundfreiheiten beachten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Gerencia Regional de Salud de Castilla y León, C-86/21, EU:C:2022:310, Rn. 18, und vom , INSS [Kombination von Renten wegen vollständiger Berufsunfähigkeit], C-625/20, EU:C:2022:508, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine nach Art. 63 AEUV grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt.

Zur Vergleichbarkeit der Situationen

51Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zum einen die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels sowie ihres Zwecks und ihres Inhalts zu prüfen und sind zum anderen für die Beurteilung, ob die unterschiedliche Behandlung aufgrund einer derartigen Regelung einem objektiven Unterschied der Situationen entspricht, nur die von der betreffenden Regelung aufgestellten maßgeblichen Unterscheidungskriterien zu berücksichtigen (Urteile vom , L Fund, C-537/20, EU:C:2023:339, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom , BA [Erbschaft - Soziale Wohnungspolitik in der Union], C-670/21, EU:C:2023:763, Rn. 59).

52Was erstens die Ziele und den Zweck des schwedischen Systems der Besteuerung von Dividenden angeht, so ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass durch die Steuerbefreiung der Dividenden, die von Gesellschaften an gebietsansässige öffentlich-rechtliche Pensionsfonds ausgeschüttet werden, der Kreislauf öffentlicher Mittel des schwedischen Staates vermieden werden soll.

53Die schwedische Regierung bestätigt insoweit, dass durch die Befreiung im Sinne von Kapitel 7 § 2 Abs. 1 des Gesetzes (1999:1229) über die Einkommensteuer ein Kreislauf öffentlicher Mittel des schwedischen Staates vermieden werden soll, und führt weiter aus, dass diese Befreiung die Förderung der Stabilität und des Fortbestands des schwedischen Rentensystems bezwecke.

54Die Europäische Kommission dagegen macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass diese Befreiung nicht dazu diene, einen Beitrag zur Finanzierung des schwedischen Systems der sozialen Sicherheit zu leisten, in der Tat aber dazu, eine zu einem Kreislauf öffentlicher Mittel führende Besteuerung der Dividenden zu vermeiden, die von Gesellschaften an gebietsansässige öffentlich-rechtliche Pensionsfonds ausgeschüttet würden. Implizit solle durch diese Befreiung vermieden werden, dass öffentlichen Einrichtungen wie den schwedischen öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds Mittel aus dem Staatshaushalt als Ausgleich für die anderenfalls von ihnen zu entrichtende Steuer zur Verfügung gestellt werden müssten.

55In diesem Kontext ist, sofern durch das schwedische System der Steuerbefreiung der von öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds bezogenen Dividenden ein Kreislauf öffentlicher Mittel des schwedischen Staates vermieden werden soll, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, festzustellen, dass sich ein solcher Pensionsfonds allein dadurch, dass er Teil des schwedischen Staates ist, nicht zwangsläufig in einer anderen Situation befindet als eine gebietsfremde öffentlich-rechtliche Rentenkasse.

56Das fragliche Ziel könnte nämlich auch dann erreicht werden, wenn in Schweden die gebietsfremden öffentlich-rechtlichen Rentenkassen genauso von der Quellensteuer auf Dividendenausschüttungen gebietsansässiger Gesellschaften befreit würden wie die gebietsansässigen öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds.

57Zum Vorbringen der schwedischen Regierung und der Finanzverwaltung, die im Wesentlichen ausführen, dass im Hinblick auf das Ziel, die Stabilität und den Fortbestand des schwedischen Rentensystems zu fördern, der Zweck der gebietsfremden öffentlich-rechtlichen Rentenkassen - anders als bei den gebietsansässigen öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds - nicht darin bestehe, die finanzielle Stabilität und den Fortbestand des schwedischen Systems der sozialen Sicherheit zu fördern, genügt der Hinweis, dass, wie auch vom Generalanwalt in Nr. 30 seiner Schlussanträge der Sache nach ausgeführt, zwar jeder Fonds definitionsgemäß dazu dient, die Stabilität und den Fortbestand eines bestimmten nationalen Rentensystems sicherzustellen, dies aber den grenzüberschreitenden Vergleich von Pensionsfonds nicht unmöglich macht.

58Im Übrigen ist das Ziel, die Stabilität und den Fortbestand des schwedischen Rentensystems zu fördern, so umschrieben, dass es von den gebietsansässigen öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds erfüllt wird, während alle gebietsfremden öffentlich-rechtlichen Rentenkassen von der Steuerbefreiung im Sinne von Kapitel 7 § 2 Abs. 1 des Gesetzes (1999:1229) über die Einkommensteuer automatisch ausgeschlossen sind (vgl. entsprechend Urteil vom , Kommission/Österreich, C-10/10, EU:C:2011:399, Rn. 34).

59Was zweitens die von der betreffenden nationalen Regelung aufgestellten maßgeblichen Unterscheidungskriterien angeht, haben die schwedische Finanzverwaltung sowie die schwedische und die spanische Regierung geltend gemacht, dass das einzige in dieser Regelung festgelegte Unterscheidungskriterium nicht an den Sitz anknüpfe, sondern an die Tatsache, dass die gebietsansässigen öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds dieselbe Rechtspersönlichkeit wie der schwedische Staat hätten.

60Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die allgemeinen Systeme der Altersversorgung in Schweden und in Finnland dasselbe soziale Ziel, dieselbe Funktion sowie dieselbe Art der rechtlichen Ausgestaltung haben. Die Art der Finanzierung ist dieselbe, und sie funktionieren ähnlich. Allerdings weisen die öffentlich-rechtlichen Rentenkassen in Finnland bestimmte Merkmale auf, die sich von denen der öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds in Schweden dadurch unterscheiden, dass diese Einrichtungen unterschiedliche Rechtsformen aufweisen. Zudem ziehen die öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds in Schweden weder die Rentenbeiträge ein noch zahlen sie die Renten aus; diese Aufgabe obliegt den schwedischen Behörden.

61Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung jedoch im Wesentlichen ausgeführt hat, genügt insoweit der Hinweis, dass - vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Prüfungen - der Einzug der Rentenbeiträge, die Auszahlung der Renten sowie die Rechtsform des betreffenden Fonds nicht unmittelbar mit der steuerlichen Behandlung der Dividendenausschüttungen schwedischer Gesellschaften zusammenzuhängen scheinen.

62Demnach ist, da nur die gebietsansässigen öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds nach Kapitel 7 § 2 Abs. 1 des Gesetzes (1999:1229) über die Einkommensteuer steuerbefreit sind, während gebietsfremden öffentlich-rechtlichen Rentenkassen diese Befreiung nicht gewährt wird, einziges Kriterium für eine Unterscheidung zwischen den öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds in Schweden und den gebietsfremden öffentlich-rechtlichen Rentenkassen in Wirklichkeit der Ort, an dem diese Fonds ihren Sitz haben.

63Nach alledem ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall die in Rn. 46 des vorliegenden Urteils festgestellte Ungleichbehandlung von gebietsfremden öffentlich-rechtlichen Rentenkassen und gebietsansässigen öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds objektiv vergleichbare Situationen betrifft.

Zum Bestehen eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses

64Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zulässig sein, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteile vom , L Fund, C-537/20, EU:C:2023:339, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom , Autoridade Tributária e Aduaneira [Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen], C-472/22, EU:C:2023:880, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65Im vorliegenden Fall macht die schwedische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass - angenommen, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung wäre eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs - die Tatsache, dass die Befreiung im Sinne von Kapitel 7 § 2 Abs. 1 des Gesetzes (1999:1229) über die Einkommensteuer nur gebietsansässigen öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds gewährt werde, durch zwei zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei, nämlich zum einen durch das Erfordernis, das mit der schwedischen Sozialpolitik verfolgte Ziel zu erreichen und dessen Finanzierung sicherzustellen, sowie zum anderen durch das Territorialitätsprinzip in Verbindung mit dem Erfordernis, in Bezug auf das allgemeine System der einkommensbezogenen Altersversorgung eine ausgewogene Aufteilung der Befugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren.

66Was erstens das Erfordernis angeht, das mit der schwedischen Sozialpolitik verfolgte Ziel zu erreichen, macht die schwedische Regierung zum einen geltend, dass die Besteuerung gebietsansässiger öffentlich-rechtlicher Pensionsfonds bedeuten würde, dass die entsprechenden Steuereinnahmen im jährlichen Haushaltsentwurf diesen Fonds zugewiesen werden müssten, damit diese nicht ihre eigenen Mittel zur Finanzierung dieser Besteuerung aufbrächten. In diesem Fall könnten andere Ausgabenbereiche gegenüber dem allgemeinen System der einkommensbezogenen Altersversorgung bevorzugt werden, was die Fähigkeit dieser Fonds, ihren Aufgaben nachzukommen, schmälern würde.

67Zum anderen betont die schwedische Regierung, dass die den gebietsansässigen öffentlich-rechtlichen Pensionsfonds gewährte Steuerbefreiung es ermögliche, insbesondere den eigenständigen Status des schwedischen Systems der einkommensbezogenen Altersversorgung zu gewährleisten. Sie beruft sich insoweit auf das Urteil vom , Essent u. a. (C-105/12 bis C-107/12, EU:C:2013:677), in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass eine nationale Regelung eine gerechtfertigte Beschränkung einer Grundfreiheit darstellen könne, wenn sie durch wirtschaftliche Überlegungen zur Verfolgung eines im Allgemeininteresse liegenden Ziels vorgegeben werde. Überdies könne durch diese Befreiung ein unnötig schwerfälliger Kreislauf öffentlicher Mittel vermieden werden.

68Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass verwaltungstechnische Nachteile für sich genommen ein Hindernis für den freien Kapitalverkehr nicht rechtfertigen können (Urteil vom , Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö [Steuerbefreiung von in Vertragsform errichteten Investmentfonds], C-342/20, EU:C:2022:276, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69Außerdem ist festzustellen, dass die Beschränkung des freien Kapitalverkehrs in der vorliegenden Rechtssache, anders als in der ein Privatisierungsverbot betreffenden Rechtssache, in der das Urteil vom , Essent u. a. (C-105/12 bis C-107/12, EU:C:2013:677), ergangen ist, nicht die Frage berührt, in wessen Eigentum die gebietsfremden öffentlich-rechtlichen Rentenkassen stehen.

70Was zweitens das Territorialitätsprinzip in Verbindung mit der Notwendigkeit angeht, in Bezug auf das allgemeine System der einkommensbezogenen Altersversorgung eine ausgewogene Aufteilung der Befugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, macht die schwedische Regierung geltend, dass ein Mitgliedstaat gemäß diesem Prinzip berechtigt sei, die in seinem Hoheitsgebiet erzielten Einkünfte zu besteuern. Zudem schreibe das Unionsrecht einem Mitgliedstaat nicht vor, zur Finanzierung der nationalen allgemeinen Systeme der Altersversorgung anderer Mitgliedstaaten beizutragen.

71Die schwedische Regierung bringt damit in Wirklichkeit zum Ausdruck, dass die in Rede stehende Beschränkung des freien Kapitalverkehrs durch das Erfordernis, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, gerechtfertigt sei.

72Insoweit kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die aus der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten hergeleitete Rechtfertigung anerkannt werden, wenn die betreffende Regelung bezweckt, Verhaltensweisen vorzubeugen, die das Recht eines Mitgliedstaats, seine Besteuerungsbefugnis in Bezug auf Tätigkeiten in seinem Hoheitsgebiet auszuüben, beeinträchtigen könnten (Urteil vom , L Fund, C-537/20, EU:C:2023:339, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

73Allerdings kann sich ein Mitgliedstaat, wenn er sich wie in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation dafür entscheidet, die inländischen Einkünfte gebietsansässiger Fonds nicht zu besteuern, nicht auf die Notwendigkeit einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten berufen, um die Besteuerung gebietsfremder Fonds, die derartige Einkünfte haben, zu rechtfertigen (Urteil vom , L Fund, C-537/20, EU:C:2023:339, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).

74Demnach greift auch die Rechtfertigung mit der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nicht durch.

75Folglich kann die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung nicht mit der Begründung, dass sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei, als mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden.

76Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der die Dividendenausschüttungen gebietsansässiger Gesellschaften an gebietsfremde öffentlich-rechtliche Rentenkassen an der Quelle besteuert werden, während die Dividendenausschüttungen an gebietsansässige öffentlich-rechtliche Pensionsfonds von einer solchen Besteuerung befreit sind.

Kosten

77Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der die Dividendenausschüttungen gebietsansässiger Gesellschaften an gebietsfremde öffentlich-rechtliche Rentenkassen an der Quelle besteuert werden, während die Dividendenausschüttungen an gebietsansässige öffentlich-rechtliche Pensionsfonds von einer solchen Besteuerung befreit sind.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2024:648

Fundstelle(n):
JAAAJ-74028