BVerwG Urteil v. - 2 WD 9/23

Disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme bei verfassungswidriger Betätigung

Leitsatz

Die Betätigung zugunsten der Identitären Bewegung Deutschlands begründet einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue.

Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 8 VL 10/21 Urteil

Tatbestand

1Das Verfahren betrifft den Vorwurf der aktiven Unterstützung der Identitären Bewegung.

21. Der ... geborene frühere Soldat verfügt über die Allgemeine Hochschulreife. Er trat ... als Offizieranwärter seinen Dienst an und begann ... an der Universität der Bundeswehr sein Studium in der Fachrichtung Staats- und Sozialwissenschaften, das er in der Studienrichtung Politik und Gesellschaft ... im Bachelor- und ... im Masterstudiengang erfolgreich abschloss. Anschließend wurde er zum Ausbildungszentrum ... versetzt, wo er seine Ausbildung zum Truppenoffizier durchlief. Zuletzt wurde er ... zum Oberleutnant befördert. Im Februar ... wurde er zum ...bataillon ... versetzt und dort ab Juli ... als Zugführer und ab Oktober ... als Kompanieeinsatzoffizier verwendet.

3In seiner Funktion als Kompanieeinsatzoffizier, die er bis zu seiner vorläufigen Dienstenthebung im August 2019 ausübte, hat der frühere Soldat den Kompaniechef während dessen Einsatz in ... vertreten. Im Herbst 2016 ist er für mehrere Wochen als Einsatz-Mentor in der ... tätig gewesen. Außerdem hat er 2015/2016 mit seiner Einheit im Rahmen der Amtshilfe in ... bei der Betreuung von über die österreichische Grenze kommenden Flüchtlingen mitgewirkt. In diese Zeit fällt auch die angeschuldigte Betätigung in der Identitären Bewegung.

4Sein vorletzter Disziplinarvorgesetzter, Oberstleutnant i.G. G., hat ausgeführt, er habe zahlreichen Gesprächen entnommen, dass der frühere Soldat so weit rechts stehe, wie es das Grundgesetz zulasse. Major B. als letzter Disziplinarvorgesetzter hat den früheren Soldaten erstinstanzlich als geradlinigen und loyalen Offizier beschrieben, der im Vergleich zu anderen Einsatzoffizieren der leistungsstärkste gewesen sei. Man habe nie gemerkt, dass disziplinarisch gegen ihn ermittelt werde. Der frühere Soldat habe die Kompanie gekannt und sie in der ...-Phase geführt. Er sei ein Kompanieeinsatzoffizier gewesen, dem er bedenkenlos alles hätte überlassen können. In Bezug auf die freiheitliche demokratische Grundordnung sei er "nie über die Grenze geschossen". Er sei kein stromlinienförmiger Soldat gewesen, sondern habe kritische Thesen genutzt, um politische Diskussionen anzuregen. Er sei zwar konservativ, aber keinesfalls politisch extrem, sondern weltoffen und tolerant.

5Der frühere Soldat ist im August 2018 vom Dienst suspendiert worden und im Juni 2019 aus der Bundeswehr ausgeschieden. Straf- oder disziplinarrechtlich ist er nicht vorbelastet. Er ist verheiratet und Vater von drei minderjährigen Kindern. Er erhielt bis Ende März 2021 Übergangsgebührnisse von monatlich netto 1 899,60 €. Die Übergangsbeihilfe von 23 387,04 € wurde einbehalten. Er ist bei einem Unternehmen der Rüstungsindustrie tätig. Seine finanziellen Verhältnisse sind geordnet. Seine Ehefrau arbeitet in Teilzeit.

62. Nach ordnungsgemäßer Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens Ende Februar 2018 hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem früheren Soldaten mit Anschuldigung (A) vom und Nachtragsanschuldigung (N) vom als Dienstvergehen unter anderem zur Last gelegt:

"A 1) Der Soldat führte und verwaltete mindestens seit dem über einen nicht mehr näher bestimmbaren Zeitraum für die 'Identitäre Bewegung Deutschlands' (IBD), Ortsgruppe ..., eine Liste in Form eines E-Mail-Verteilers mit Personen, die die IBD unterstützen oder ein Interesse an der Unterstützung bzw. Mitgliedschaft in dieser Vereinigung haben.

A 2) Der Soldat nahm am in ... in vorderster Reihe an einem Aufmarsch der IBD teil und trug als rechter Flügelmann des Aufmarsches gemeinsam mit anderen Personen ein mehrere Meter langes Spruchband mit der Aufschrift 'STOPPT DEN GROSSEN AUSTAUSCH - Geburtenrückgang/​Masseneinwanderung' sowie unter anderem der Abbildung eines Sarges und einer Sanduhr vor sich her.

A 3) Der Soldat nahm am in ... an einem Aufmarsch der IBD teil.

A 4) Der Soldat nahm am in ... in vorderster Reihe an einem Aufmarsch der IBD teil und hielt hierbei währenddessen ein mehrere Meter langes Spruchband mit der Aufschrift 'IDENTITÄRE BEWEGUNG' hoch.

[...]

Dabei nahm der Soldat es billigend in Kauf bzw. hätte er in allen Fällen zumindest wissen können und müssen, dass es sich bei der IBD bzw. der IBB um solche Vereinigungen handelte, die mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht im Einklang stehen, und dass er durch die unter Punkt 1 bis 6 bezeichneten Handlungen zumindest den Anschein erweckt hat, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung widersprechenden Positionen der IBD bzw. der IBB zu unterstützen."

"N 1) Der frühere Soldat wirkte als Darsteller zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt im Zeitraum bis an einem zumindest bis zum im Internet bereitgestellten Film der Identitären Bewegung Deutschland (IBD), Regionalgruppe ..., mit dem Titel 'Die Identitäre Bewegung ... stellt sich vor' mit, womit er das Ziel verfolgte, Werbung für die IBD zu betreiben bzw. neue Mitglieder für die IBD zu rekrutieren.

[...]

Der frühere Soldat nahm es billigend in Kauf bzw. er hätte in allen drei angeschuldigten Fällen zumindest wissen können und müssen, dass es sich bei der IBD um eine solche Vereinigung handelt, die mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes (GG) nicht im Einklang steht, und dass er durch die unter Nachtragsanschuldigungspunkt 1 bis 3 bezeichneten Handlungen zumindest den Anschein erweckt bzw. erweckt hat, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes widersprechenden Positionen der IBD zu unterstützen."

73. Das Truppendienstgericht hat unter Ausklammerung der Punkte 5 und 6 der Anschuldigung sowie der Punkte 2 und 3 der Nachtragsanschuldigung dem früheren Soldaten mit Urteil vom das Ruhegehalt aberkannt. Von Anschuldigungspunkt 3 sei der frühere Soldat freizustellen, weil § 6 SG regele, dass Soldaten die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger hätten; Soldaten stehe daher die schlichte Teilnahme an Versammlungen frei. Im Übrigen stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der frühere Soldat ab Herbst 2015 für mehrere Monate bewusst administrative Aufgaben für die Identitäre Bewegung übernommen habe. Durch das Sammeln und Weiterleiten der E-Mail-Anfragen von Interessenten habe er den Aufbau der Regionalgruppe ... mitverantwortet. Ferner habe er - wie angeschuldigt - bei zwei Demonstrationen in vorderster Reihe die Transparente der Identitären Bewegung gehalten und sei bei einer Demonstration ohne erkennbare Funktion mitmarschiert. Schließlich stehe seine aktive Teilnahme an dem Werbefilm der Identitären Bewegung fest.

8Mit diesen Aktionen habe der Soldat pflichtwidrig gehandelt. Er habe sich die Ziele der Identitären Bewegung zu eigen gemacht und damit seine Verfassungstreuepflicht verletzt. Der frühere Soldat sei über sein Recht, Kritik an der Regierung und ihrer Politik zu üben, hinausgegangen und habe die Ideologie der Identitären Bewegung verbreitet, welche mit fundamentalen Verfassungsgrundsätzen nicht in Einklang stehe. Die Identitäre Bewegung bekenne sich zu dem Konzept des "Ethnopluralismus", der von der Idealvorstellung einer staatlichen bzw. gesellschaftlichen Ordnung in einem ethnisch und kulturell homogenen Staat getragen sei. Ein zentrales Ideologieelement sei die auf Verschwörungstheorien basierende Idee des "Großen Austauschs", den die Identitäre Bewegung als "schrittweisen Prozess, durch den die heimisch angestammte Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer verdrängt und ausgetauscht wird", definiere. Die mit diesen Begriffen verbundenen Konzepte seien mit der grundgesetzlich geschützten Menschenwürde unvereinbar, weil damit allein die ethnische Herkunft für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk maßgeblich sei und Anderen ein geringerer Wert beigemessen werde. Wenn Kultur und Identität eine vom demokratischen Willensbildungsprozess ausschließende Wirkung zukommen solle, liege ein antiliberales, xenophobisches und rassistisches Gedankenkonstrukt vor.

9Das Handeln des früheren Soldaten sei Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung. Denn er habe über einen längeren Zeitraum wiederholt verfassungsfeindliche Ideen verbreitet. Der politisch gebildete Soldat habe bereits 2015 gewusst, was die Identitäre Bewegung sei, was sie wolle und wofür sie stehe. Er habe Kontakt zu den maßgeblichen Führungspersönlichkeiten der Identitären Bewegung gehabt und sei kein ahnungsloser Mitläufer gewesen. Daher habe ihn auch das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst als "Verdachtsperson mit Erkenntnissen über fehlende Verfassungstreue" eingeordnet.

10Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bilde die Höchstmaßnahme, wovon abzuweichen kein Anlass bestehe. Für den früheren Soldaten sprächen zwar seine guten bis sehr guten Leistungen und seine geständigen Einlassungen in objektiver Hinsicht. Die Beweggründe sprächen jedoch gegen ihn. Zudem habe er als Folge des Disziplinarverfahrens weder an der einsatzgleichen Verwendung seines Verbandes teilnehmen noch in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit verwendet werden können. Angesichts des zerstörten Vertrauens könnten auch eine unangemessen lange Verfahrensdauer und seine Weiterverwendung als Vorgesetzter eine Abweichung von der Regelmaßnahme nicht rechtfertigen.

114. Mit seiner unbeschränkt eingelegten Berufung begehrt der frühere Soldat seinen Freispruch.

12Das erstinstanzliche Verfahren leide an mehreren Verfahrensfehlern und sei auch in der Sache rechtsfehlerhaft. Er habe schon objektiv nicht gegen § 8 SG verstoßen, weil die Identitäre Bewegung keine verfassungswidrigen Ziele verfolgt habe; wenn die Verfassungsschutzbehörden später andere Feststellungen getroffen hätten, gelte dies erst für spätere Zeiträume. Jedenfalls habe er geglaubt, keine verfassungswidrige Vereinigung zu unterstützen. Er habe einem Tatbestandsirrtum unterlegen, falls bereits seinerzeit in der Vereinigung die Ideologie des Ethnopluralismus in ihrer völkischen Ausprägung vorherrschend gewesen sei.

13Er sei mit dem Begriff des "Ethnopluralismus" nicht einverstanden gewesen und habe die Parole vom "Großen Austausch" als Kritik an einer Entwicklung interpretiert, die durch eine Abwanderung einheimischer Eliten einerseits und andererseits durch eine politisch gewollte, ungeregelte Zuwanderung unqualifizierter und zum Teil auch integrationsunwilliger Menschen gekennzeichnet gewesen sei. Er habe die Parole nicht im Sinne eines biologistischen, ausgrenzenden Volksverständnisses verstanden. 2015/16 habe es auch noch keine gerichtlichen Entscheidungen gegeben, die die Identitäre Bewegung als verfassungsfeindlich eingestuft hätten. Österreichische Gerichte hätten noch 2018/19 Mitglieder der Identitären Bewegung vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Erst ab 2019 hätten die Verfassungsschutzbehörden die Identitäre Bewegung als verfassungsschutzrelevant eingeordnet. Der Hinweis des Sachverständigen Prof. Dr. M., dass die Identitäre Bewegung bereits in den Jahren 2014/15 in verschiedenen Verfassungsschutzberichten auftauche, ändere daran nichts. In Bayern sei dies erst im Bericht von 2016 geschehen. Die bloße Erwähnung sei keine Feststellung von tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Hinsichtlich der gutachterlichen Stellungnahme von Prof. Dr. M. sei zu monieren, dass es nicht darum gehe, ob aus politikwissenschaftlicher Sicht die vorgeworfenen Handlungen Zweifel an der Verfassungstreue begründen könnten; vielmehr sei dies eine vom Gericht zu beantwortende Rechtsfrage.

14Seine Publikationen dürften bei der Würdigung seines Verhaltens keine Rolle spielen, da sie nicht angeschuldigt worden seien. Zudem stützten sie den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit nicht. Die publizistische Tätigkeit in seiner Studienzeit hätte zwar den Unwillen der Universitätsleitung hervorgerufen, sei jedoch dienstrechtlich folgenlos geblieben. Soweit er in der Zeitschrift "Junge Freiheit" und "Sezession" publiziert habe, fehle schon jeder Hinweis auf den Inhalt der jeweiligen Artikel, von einer Prüfung auf verfassungsfeindliche Inhalte ganz abgesehen. Das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sei in weiten Teilen unzutreffend und unsachlich.

155. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten, zur Anschuldigung und zur Entscheidungsbegründung wird auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen. Zu den Besonderheiten der Vorbereitung der Berufungshauptverhandlung wird auf die Beschlüsse vom und Bezug genommen. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der im Berufungsverfahren eingeführten Unterlagen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen.

Gründe

16Die zulässige Berufung ist unbegründet. Da sie unbeschränkt eingelegt ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Die Aberkennung des Ruhegehalts ist nach Maßgabe dessen rechtmäßig. Sie durfte auch gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 WDO ausgesprochen werden, weil der frühere Soldat wegen der nicht vollständig ausbezahlten Übergangsbeihilfe nach § 1 Abs. 3 Satz 2 WDO als Soldat im Ruhestand gilt ( 2 WD 13.20 - BVerwGE 172, 101 Rn. 22 m. w. N.).

171. Das erstinstanzliche Urteil weist - wie im Aufklärungsbeschluss vom ausgeführt - keine schweren Verfahrensmängel nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO auf, derentwegen die Sache zurückverwiesen werden könnte.

18a) Die Tenorierung des erstinstanzlichen Urteils ist nicht deshalb unvollständig, weil in ihr nicht die verletzten Regelungen des Soldatengesetzes Erwähnung gefunden haben. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Übernahme des § 260 Abs. 5 Satz 1 StPO, wie § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO dies verlangt, der Eigenart des gerichtlichen Disziplinarverfahrens entspricht. Jedenfalls liegt ein Verstoß gegen § 260 Abs. 5 Satz 1 StPO nicht vor, weil die Liste der angewendeten (Straf-)​Rechtsnormen schon nach dem Gesetzeswortlaut keinen Bestandteil der Urteilsformel bildet, sodass sie auch nicht bei der Urteilsverkündung gemäß § 268 Abs. 2 StPO verlesen zu werden braucht (Meyer-Goßner/​Schmitt, Strafprozessordnung, 67. Aufl. 2024, § 260 Rn. 51).

19b) Die erstinstanzliche Hauptverhandlung fand zwar ausweislich des erstinstanzlichen, gemäß § 272 Nr. 5 und § 273 Abs. 1 Satz 1 StPO über die wesentlichen Förmlichkeiten der Verhandlung - wie insbesondere über die Öffentlichkeit der Verhandlung (Meyer-Goßner/​Schmitt, Strafprozessordnung, 67. Aufl. 2024, § 273 Rn. 7) - Aufschluss gebenden Protokolls entgegen § 105 Abs. 1 Satz 1 WDO öffentlich statt, obwohl der frühere Soldat seinen schriftlich angekündigten Antrag auf Herstellung der Öffentlichkeit nicht in der Hauptverhandlung wiederholt und somit nicht rechtswirksam gestellt hat (vgl. Meyer-Goßner/​Schmitt, Strafprozessordnung, 67. Aufl. 2024, § 273 Rn. 7, 10 f.). Diese Verletzung des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit stellt jedoch keinen schweren Verfahrensfehler dar (vgl. 2 WD 20.21 - juris Rn. 20 m. w. N.), zumal der anwaltlich vertretene frühere Soldat in Kenntnis der die Öffentlichkeit begründenden Umstände keinen Anlass gesehen hat, den Mangel bereits in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zu rügen.

20c) Ein schwerer Verfahrensfehler liegt auch nicht darin, dass das Truppendienstgericht über den gegen die Sachverständige Dr. S. gestellten Befangenheitsantrag nach § 74 StPO keine gerichtliche Entscheidung getroffen hat. Zum einen hat das Truppendienstgericht ihr Gutachten nicht verwertet. Zum anderen hat ausweislich des Beschlusses des Senats vom auch keine Befangenheit vorgelegen.

21d) Anders als vom früheren Soldaten behauptet, liegt auch nicht etwa deshalb eine Überraschungsentscheidung vor, weil das Truppendienstgericht die literarischen Aussagen des früheren Soldaten verwertet hat. Es kann zwar eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) begründen, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl. 2 WNB 1.19 - juris Rn. 10 m. w. N.). Die Verwertung war für den anwaltlich vertretenen früheren Soldaten jedoch schon deshalb nicht überraschend, weil sich dieser selbst in der Hauptverhandlung zu seinen Publikationen geäußert und das Truppendienstgericht seine Einlassungen nicht als entscheidungsunerheblich unterbunden hat.

22e) Schließlich wäre selbst bei einer anderen rechtlichen Bewertung im Rahmen des durch § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO eingeräumten prozessualen Ermessens aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung von einer Zurückverweisung abzusehen. Dies würde nur zu einer weiteren Verfahrensverzögerung des bereits im Februar 2018 eingeleiteten, seit August 2018 anhängigen und sich auf Verhaltensweisen aus dem Jahr 2015 stützenden Verfahrens führen.

232. In tatsächlicher Hinsicht haben sich im Berufungsverfahren die erstinstanzlichen Tat- und Schuldfeststellungen bestätigt, womit sich die Frage der Wiedereinbeziehung ausgeklammerter Anschuldigungspunkte nach § 107 Abs. 2 WDO nicht mehr stellt (vgl. 2 WD 19.07 - NVwZ-RR 2009, 339 Rn. 21).

24a) Von der Richtigkeit der den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildenden Sachverhalte ist der Senat in objektiver Hinsicht sowohl aufgrund der Inaugenscheinnahme der Fotografien, soweit diese über die Art der Teilnahme an Versammlungen Aufschluss geben, der Inaugenscheinnahme der Videoaufnahme, der Aussage des Zeugen Z. sowie aus den teilgeständigen Einlassungen des früheren Soldaten überzeugt. Er hat seine Mitarbeit beim Aufbau der Regionalgruppe ..., seine koordinierende Aktivität als Vermittler von E-Mails, seine Beteiligung an den Demonstrationen und seine Präsenz bei dem Werbefilm in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt. Soweit der frühere Soldat eingewendet hat, er habe nicht als Darsteller in dem Film mitgewirkt, ändert dies nichts daran, dass er wissentlich und willentlich in dem Werbefilm aufgetreten ist.

25b) In tatsächlicher Hinsicht steht des Weiteren fest, dass es sich bei der Identitären Bewegung Deutschland um einen 2014 gegründeten Verein handelt, der politische Ziele verfolgt. Es handelt sich nach dem Gutachten von Prof. Dr. M. nicht um eine diskurs- oder parlamentsorientierte Vereinigung, sondern um eine aktionsorientierte Bewegung. Dementsprechend gibt es - anders als für Parteien - kein ausformuliertes politisches Programm. Die politischen Ziele der Bewegung können jedoch aus den Reden führender Repräsentanten, aus den Schriften der von ihnen als maßgeblich anerkannten Autoren, aus den Veröffentlichungen im Internet sowie aus dem Verhalten der Vereinsorgane und ihrer Anhänger abgeleitet werden. Diese von den gerichtlichen Sachverständigen angewendete Methodik begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. - NJW 2024, 645 Rn. 263 ff.).

26Dabei gehören seit der Gründungsphase der Identitären Bewegung Deutschland in den Jahren 2012 bis 2014 insbesondere M. S. und G. K. zu den publizistischen Leitfiguren, wenngleich sie nicht offizielle Mitglieder des Vereins geworden sind. Ihre politische Weltanschauung und die politische Ausrichtung des Vereins sind inspiriert von der "Génération identitaire" Frankreichs und den Denkern der sogenannten Konservativen Revolution der Weimarer Zeit. Wie der Sachverständige Prof. Dr. M. überzeugend ausgeführt hat, wurde die Vereinsgründung insbesondere von G. K. angestoßen, um der fragilen Form der reinen Aktionsbewegung dauerhafte Konturen und eine straffe Organisation zu verleihen. Es gab zur Tatzeit einen Vereinsvorsitzenden (N. A.) und einen stellvertretenden Vorsitzenden (S. Z.) sowie laut Satzung höchstens zehn weitere Vollmitglieder des Vereins, die ausweislich der Vereinssatzung dessen Kurs bestimmten. Ansonsten gab es nur nicht stimmberechtigte Unterstützer und Aktivisten.

27Die weltanschauliche Ausrichtung der Identitären Bewegung ist - wie Prof. Dr. M. und der Vertreter des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz nachvollziehbar ausgeführt haben - seit Vereinsgründung im Wesentlichen unverändert. Dies hat seinen Grund darin, dass innerhalb des Vereinsvorstands eine relativ hohe Konstanz herrschte und dass die publizistischen Leitfiguren M. S. und G. K. an ihren politischen Grundideen festhielten. Der Einwand des früheren Soldaten, dass die Identitäre Bewegung im Jahr 2015/16 noch keine klare weltanschauliche Ausrichtung gehabt habe und ihre politische Tendenz erst später entstanden sei, trifft daher nicht zu. Vielmehr hat die Identitäre Bewegung bereits vor der sogenannten Flüchtlingskrise ihre identitäre Programmatik entwickelt und lediglich in dieser Zeit mit ihren Thesen mehr Zuspruch erfahren.

28c) Zu ihrer Ideologie gehört von Anfang an das Dogma, dass jede Nation eine eigene ethnisch-kulturelle Identität besitze und sie in ihrem Staatsgebiet bewahren müsse. Im Unterschied zum Nationalsozialismus wird nicht vom Rassenunterschied der Völker gesprochen und auch kein Machtanspruch des deutschen Volkes jenseits der gewachsenen deutschen Staatsgrenzen erhoben. Die Theorie des sogenannten Ethnopluralismus gesteht allen Völkern ein Recht auf ethnisch-kulturelle Identität in ihrem jeweiligen Staatsgebiet zu. Sie wendet sich gegen eine Überfremdung des ethnisch-deutschen Volkes durch Zuwanderung ethnisch-kulturell fremder Personen, insbesondere muslimischen Glaubens. Dabei steht die ethnische Zugehörigkeit zum deutschen Volk von Geburt an unveränderlich fest und kann weder durch Integrationsbemühungen Fremder erworben noch durch den Staat verliehen werden. Nicht ethnisch Deutsche sollten in ihre Heimatländer zurückwandern ("Remigration") und durch Druck dazu gebracht werden, wofür auch das Schlagwort "Reconquista" (Rückeroberung) verwendet wird. Es beschreibt die christliche Rückeroberung Spaniens durch Vertreibung muslimischer Araber.

29Die Forderung nach Remigration richtet sich vor allem gegen arabische, asiatische und afrikanische Ausländer islamischen Glaubens. Während eine gewisse kulturelle Verbundenheit der europäischen Völker konzediert wird, werden afrikanische und arabisch-muslimische Migranten als kriminell, arbeits- und integrationsunwillig abgestempelt. Die Zunahme dieser Migranten wird als Bedrohung der ethnisch-deutschen Bevölkerung geschildert, deren Vorherrschaftsanspruch dadurch bedroht sei. Nach der verschwörungstheoretischen These vom "Großen Austausch" beruht die Aufnahme dieser Flüchtlinge nicht auf humanitären Erwägungen, sondern auf dem Willen der politischen Parteien, das ethnisch-kulturell deutsche Volk durch leichter manipulier- und beherrschbare Zuwanderer zu ersetzen.

30Die Forderung nach Rückführung nicht ethnisch-kulturell deutscher Personen beschränkt sich - wie Prof. Dr. M. in seinem Gutachten belegen konnte - bereits 2015/16 nicht auf illegal eingereiste oder befristet aufenthaltsberechtigte Ausländer, sondern umfasst auch Ausländer mit unbefristetem Aufenthaltsstatus und nicht ethnisch-kulturell deutsche Staatsangehörige. "Assimilierbares assimilieren, Integrierbares integrieren und alles andere remigrieren" ist die von M. S. bereits 2015 ausgegebene "kalte, nüchterne Formel", die "Staatsbürgerschaftsentzug für Kriminelle und Arbeitslose" mitumfasst. Der Vertreter des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz hat darauf hingewiesen, dass nicht ethnisch-deutsche Staatsangehörige von der Identitären Bewegung nicht als gleichwertige Staatsbürger, sondern als Staatsangehörige zweiter Klasse angesehen werden. Dementsprechend richtet sich die Forderung nach Rückwanderung auch an "nicht assimilierbare Eingebürgerte".

31Die Identitäre Bewegung hat die Parolen "Remigration" und "Reconquista" von Anfang an verwendet, aber selten öffentlich die konkret damit verbundenen Konsequenzen erläutert. Dies ist nach Prof. Dr. M. kein Zufall, sondern Kalkül. Wenn radikale und für Einige bedrohlich wirkende Forderungen teils durch unscheinbare Formulierungen umschrieben und teils verschwiegen werden, werde diese Tarnung in der Politikwissenschaft als "Mimikry" bezeichnet.

32d) Zu der seit Jahren unveränderten Ideologie der Identitären Bewegung gehört auch das "identitäre Demokratieverständnis". Es orientiert sich an den politischen Vorstellungen der Vertreter der sogenannten Konservativen Revolution der Weimarer Zeit. Diese heterogene Gruppierung von Literaten, Publizisten und politischen Denkern war sich letztlich nur in der nationalistischen Ablehnung universellen und liberalen Denkens und in der Ablehnung der parlamentarischen Demokratie einig.

33Nach Carl Schmitt setzt wahre Demokratie Identität von Herrschern und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden voraus. Unter der Voraussetzung eines homogenen Staatsvolkes könne der wahre Wille des Volkes (im Sinne von Rousseaus "volonté générale") ohne Wahlen, Parteien und Parlament verwirklicht werden. Der Wille des Volkes könne durch Zuruf ("acclamatio") und selbstverständliches, unwidersprochenes Dasein ebenso gut und noch besser geäußert werden als durch den statistischen Apparat, den man seit einem halben Jahrhundert ausgebildet habe (C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 1926, Nachdruck Berlin 1991, S. 14, 20, 32).

34Wie der Sachverständige Prof. Dr. M. belegt hat, findet sich bereits 2015 eine Verlinkung auf der Website der Identitären Bewegung Deutschlands zu einem Beitrag, in dem Carl Schmitts Demokratietheorie als wichtiges Rüstzeug für jeden Identitären bezeichnet wird und der sächsische Regionalleiter der Identitären Bewegung fasste 2015 in seinem Video "Metapolitik in unter 60 Sekunden" zusammen: "Eine wirkliche Demokratie ist keinesfalls egalitaristisch, [...]. Ihr Grundsatz ist der Vorrang des Volkswillens. [...] Eine solche Form der Demokratie ist auf keinen Parlamentarismus angewiesen. Sie braucht keinen Parteienstaat."

35Welche Staatsform anstelle der abgelehnten parlamentarischen Demokratie treten soll, bleibt in den Aussagen der Vertreter der Identitären Bewegung vage. Dass die Vorstellung Carl Schmitts von einer identitären Demokratie offen ist für einen Wechsel hin zu einem Einparteiensystem mit Führergestalt, ergibt sich nicht nur aus seinen theoretischen Ansichten, sondern auch historisch aus seiner publizistischen Unterstützung der Machtergreifung Hitlers (C. Schmitt, Der Führer schützt das Recht, DJZ 1934, 946 ff.). In den Aussagen der Vertreter der Identitären Bewegung findet sich neben dem Begriff der "identitären Demokratie" nach den Recherchen des Sachverständigen Prof. Dr. M. auch das Schlagwort der "organischen Demokratie". Damit wird auf ein autoritär-korporatistisches Demokratieverständnis Bezug genommen, das dem Dollfuß-Regime in Österreich und dem Mussolini- und Franco-Regime in der Frühphase ihrer Herrschaft in Italien bzw. Spanien zugrunde lag.

363. Der frühere Soldat hat mit seinen Handlungen zugunsten einer Vereinigung, deren politische Zielsetzung mit der verfassungsmäßigen Ordnung unvereinbar ist, gegen seine Pflicht zur Staats- und Verfassungstreue aus § 8 SG verstoßen.

37a) § 8 SG verlangt von Soldaten unabhängig von ihrem Dienstgrad, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes anzuerkennen (Alt. 1) und durch ihr gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten (Alt. 2). Die Pflicht zur Verfassungstreue fordert mehr als nur eine formal korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung. Sie fordert vom Soldaten die Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dem der Soldat dienen soll, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dieses Staates zu identifizieren. Dies schließt es nicht aus, an Erscheinungen dieses Staates Kritik üben zu dürfen, für Änderungen der bestehenden Verhältnisse - innerhalb des Rahmens der Verfassung und mit den verfassungsrechtlich vorgesehenen Mitteln - eintreten zu können, solange in diesem Gewand nicht eben dieser Staat und seine verfassungsmäßige Grundlage in Frage gestellt werden. Die Pflicht zur Staats- und Verfassungstreue fordert vom Soldaten insbesondere, dass er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren ( - BVerfGE 39, 334 <347 f.>; 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 19).

38b) Dementsprechend verletzt die politische Betätigung in und für eine Partei, deren politische Zielsetzung mit der verfassungsmäßigen Ordnung unvereinbar ist, § 8 SG ( 2 WD 42.00 - BVerwGE 114, 258 <264>). Nichts Anderes gilt für das politische Engagement in einer sonstigen Vereinigung, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt. Dabei kommt es für die dienst- und disziplinarrechtliche Beurteilung nicht darauf an, ob diese Partei in aktiv kämpferischer und aggressiver Haltung planvoll die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. Da die Verfassungstreuepflicht dem Soldaten ein aktives Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung gebietet, verstößt er schon dann gegen diese Pflicht, wenn er sich für eine Partei oder Vereinigung einsetzt, die wesentliche Elemente dieser Ordnung nicht anerkennt und sie durch eine eigene anders konzipierte Ordnung zu ersetzen bestrebt ist ( 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 <142 f.> und vom - 2 WD 42.00 u. a. - BVerwGE 114, 258 <266>).

39c) Nach diesen Maßstäben hat der frühere Soldat in den Jahren 2015/16 wie angeschuldigt seine Verfassungstreuepflicht aus § 8 SG verletzt, weil die Identitäre Bewegung Deutschland e. V. bereits damals im beschriebenen Sinne verfassungswidrig gewesen ist (4.) und weil der frühere Soldat sich als aktiver Unterstützer der Vereinigung betätigt hat (5.).

404. Die politische Zielsetzung der Identitären Bewegung Deutschland e. V. widersprach und widerspricht der Gleichberechtigung aller Staatsbürger und dem Demokratieprinzip als Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

41a) Der Begriff "freiheitliche demokratische Grundordnung" hat in § 8 SG denselben Inhalt wie in Art. 21 Abs. 2 und 3 GG (BVerwG, Beschlüsse vom - 2 WDB 10.23 - juris Rn. 30 ff. und vom - 2 WDB 12.23 - juris Rn. 13; Hohnerlein, DVBl 2024, 267 ff.; a. A.: - juris Rn. 50; zu Art. 9 GG und Art. 18 GG: u. a. - BVerfGE 149, 160 Rn. 107) und ist verfassungsrechtlich geklärt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom - 1 BvR 98/21 - NVwZ 2023, 67 Rn. 14). Daraus folgt eine Konzentration auf wenige zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Begriffsinhalts sind die Würde des Menschen und das Demokratieprinzip, für das die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller am politischen Willensbildungsprozess sowie die Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk maßgeblich sind. Zudem erfasst der Begriff den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (vgl. 2 WD 25.20 - NVwZ 2022, 1133 Rn. 29 und Beschluss vom - 2 WDB 10.23 - juris Rn. 31).

42b) Der Grundsatz der Gleichberechtigung aller Staatsbürger folgt zum einen aus dem Demokratieprinzip, das zu den unverzichtbaren Elementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört. Demokratie ist - wie das Bundesverfassungsgericht formuliert hat - die Herrschaftsform der Freien und Gleichen. Sie beruht auf der Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger, die in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die sie betreffende öffentliche Gewalt personell und sachlich bestimmen. Daher ist für ein demokratisches System die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung unverzichtbar ( - BVerfGE 144, 20 Rn. 542 f.).

43Die Gleichbehandlung aller Staatsbürger folgt zum anderen aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Sie bildet den interpretatorisch leitenden Ausgangspunkt bei der Bestimmung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Mit dem Begriff der Menschenwürde ist ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch verbunden, der es verbietet, den Menschen zum "bloßen Objekt" staatlichen Handelns zu degradieren. Der Schutz der Menschenwürde steht jeder Vorstellung eines ursprünglichen und daher unbedingten Vorrangs eines Kollektivs gegenüber dem einzelnen Menschen entgegen. Menschenwürde ist egalitär. Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent. Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte verstoßen damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ( - BVerfGE 144, 20 Rn. 538 bis 541 m. w. N.).

44aa) Das von der Identitären Bewegung verfolgte Konzept des Ethnopluralismus missachtet dieses egalitäre Verständnis der Staatsangehörigkeit. Denn es geht vom Vorrang der ethnisch-kulturell Deutschen aus, denen das Heimatrecht in Deutschland exklusiv zustehe. Diese deutschen Volksangehörigen sind gleichsam Staatsbürger erster Klasse. Demgegenüber wird deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund kein uneingeschränktes Bleiberecht zugestanden. Sie haben gleichsam den Status von Staatsbürgern zweiter Klasse (ebenso - NVwZ-RR 2021, 1002 Rn. 15). Von ihnen wird Assimilation gefordert. "Nicht assimilierbare Eingebürgerte" sollen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren und zur "Remigration" in ihr Herkunftsland gezwungen werden. Diese Idee ist - wie bereits ausgeführt - von M. S. schon im Jahr 2015 verbreitet und nicht erst anlässlich des sogenannten Potsdamer Treffens vom November 2023 entwickelt worden.

45Die Vorstellung der Identitären Bewegung von einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft ist nicht egalitär. Das "Reconquista"-Programm führt zu einer Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund. Danach haben insbesondere deutsche Staatsangehörige mit afrikanischen Wurzeln, arabischer Abstammung oder islamischer Religion von vornherein einen geringeren Staatsbürgerstatus und werden entgegen Art. 3 Abs. 3 GG aufgrund ihrer Abstammung, ihrer Herkunft und ihres Glaubens benachteiligt. Bei Nichterfüllung der Assimilationserwartungen der Identitären Bewegung drohen ihnen Staatsangehörigkeitsentzug und Vertreibung.

46bb) Entgegen der Auffassung des früheren Soldaten kann sich die Identitäre Bewegung zur Rechtfertigung ihres Verständnisses eines ethnisch-deutschen Staatsvolkes nicht auf das traditionelle Staatsangehörigkeitsrecht oder Art. 116 GG berufen. Das Volk, von dem Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ausgeht, wird "von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen" gebildet ( u. a. - BVerfGE 83, 37 <51>). Für die Zugehörigkeit zum Staatsvolk ist demgemäß die Staatsangehörigkeit und nicht eine ethnische Zugehörigkeit von entscheidender Bedeutung. Dabei überlässt es das Grundgesetz dem Gesetzgeber, Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit zu regeln. Die Auffassung, der Gesetzgeber sei dabei streng an das Abstammungsprinzip gebunden, findet im Grundgesetz keine Stütze ( - BVerfGE 144, 20 Rn. 690 f. und vom - 2 BvB 1/19 - NJW 2024, 645 Rn. 377). Der verfassungsrechtliche Begriff des Staatsvolks kann daher den von der Identitären Bewegung geforderten diskriminierenden Staatsangehörigkeitsentzug nicht rechtfertigen.

47cc) Soweit der frühere Soldat darauf verweist, dass sich die Identitäre Bewegung erst im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 gebildet und nur gegen die massenhafte illegale Zuwanderung gerichtet habe, trifft dies nach den tatsächlichen Feststellungen des Gerichts nicht zu. Der bloße Protest gegen die Flüchtlingspolitik wäre nicht verfassungswidrig. Bereits in seinem Urteil vom hat der Senat ausgeführt, dass weder der Ruf nach konsequenter Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer noch die Forderung nach Begrenzung der Zuwanderung oder das Motto "keine Einbürgerung ohne vollständige Integration in Staat, Sprache und Kultur" gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen. Allerdings würde die Ablehnung weiterer Zuwanderung dann eine verfassungsfeindliche Haltung offenbaren, wenn Ausländern auch die Menschenrechte abgesprochen und wohlerworbene Rechte rechtsstaatswidrig aberkannt werden sollen bzw. ihnen mit rechtsstaatswidrigen Mitteln begegnet, sie also ausgegrenzt oder vertrieben werden sollen ( 2 WD 42.00 u. a. - BVerwGE 114, 258 <276 f.>). Diese Grenze ist hier jedoch überschritten, weil die Identitäre Bewegung nicht assimilierbare Eingebürgerte und Ausländer mit unbefristetem Aufenthaltsstatus unter Missachtung ihrer erworbenen Rechtsstellung "remigrieren" will.

48dd) Ohne Erfolg beruft sich der frühere Soldat auch darauf, dass von anerkannten Wissenschaftlern eine relative geistig-kulturelle Homogenität des Staatsvolkes als wünschenswerte Voraussetzung (Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 2. Aufl. 1992, S. 112), "außerrechtliche Bedingtheit" staatlichen Lebens (Schröder, JZ 2010, 869) oder als "Voraussetzung für den inneren Frieden" (Bassam Tibi, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 52-53/96, S. 27 <28>) angesehen wird. Denn auch sie betonen im Unterschied zur Identitären Bewegung den geistig-kulturellen Aspekt, haben keinen rechtspolitischen Charakter und befürworten insbesondere keine verfassungswidrige Diskriminierung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Aus demselben Grund widersprechen auch politische Konzepte und rechtswissenschaftliche Lehrmeinungen nicht der Verfassung, die lediglich allgemein bei der Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 GG, der über keinen materiellen Gehalt verfügt (Heintzen, in: von Mangoldt/​Klein/​Starck, Grundgesetz, 7. Aufl. 2018, Art. 73 Rn. 26; Uhle, in: Dürig/​Herzog/​Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Stand Januar 2023, Art. 73 Rn. 59) die Bewahrung einer geistig-kulturellen Homogenität oder die Erhaltung des Abstammungsprinzips fordern (Grzeszick, in: Dürig/​Herzog/​Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Stand Januar 2023, Art. 20, Fußnote 2 zu Rn. 84 als Auswirkung des Demokratieprinzips; von Mangoldt/​Klein/​Starck, Grundgesetz, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 151 zu deutschen Sprachkenntnissen; Murswiek, Jahrbuch des öffentlichen Rechts n. F. Bd. 66 <2018>, 385 <424 bis 426>; Schmidt-Bleibtreu/​Hofmann/​Henneke, Grundgesetz, 15. Aufl. 2022, Art. 16, Rn. 11 zum Vorrang des ius sanguinis als identitätswahrenden Faktor; ablehnend etwa: Friehe, in: Stern/​Sodan/​Möstl, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Staatenverbund, 2. Aufl. 2022, § 7 Rn. 51, derselbe allerdings gegen die Zulässigkeit der vollständigen Aufgabe des ius sanguinis). Dem entspricht, dass Art. 1 Abs. 1 GG kein Recht auf Einwanderung begründet (Murswiek, Verfassungsschutz und Demokratie, 2020, S. 170), und es das Recht eines jeden Staates ist, Ausländer aus seinem Staatsgebiet auszuweisen ( - BVerfGE 113, 273 <294>). Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Maastricht- und Lissabon-Entscheidungen ausgeführt, dass bei der Ausgestaltung der Europäischen Union auf die unterschiedlichen nationalen Identitäten der Mitgliedsstaaten zu achten sei. Ihnen müssten in hinreichendem Umfang eigene Hoheitsrechte - insbesondere im Staatsangehörigkeitsrecht - verbleiben, damit die Staatsvölker dem, was sie - relativ homogen - geistig sozial und politisch verbindet, rechtlichen Ausdruck geben könnten ( u. a. - BVerfGE 89, 155 <181, 186> und vom - 2 BvE 2/08 u. a. - BVerfGE 123, 267 <350, 357 f., 381, 400 f., 405 f.>). Damit billigt es indes nicht die von der Identitären Bewegung geforderte Ausgrenzung und Diskriminierung nicht ethnisch-deutscher Staatsbürger.

49Vielmehr lehnt das Bundesverfassungsgericht dies ausdrücklich ab. Das Gedankengut der Identitären Bewegung und ihr Vokabular haben erhebliche Übereinstimmungen mit der Programmatik der für verfassungswidrig erklärten Partei "Die Heimat" (früher Nationaldemokratische Partei Deutschlands - NPD). Auch sie geht von einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft aus und legt ihrer Politik das Konzept des Ethnopluralismus zugrunde. Die Auswertung zahlreicher Quellen hat das Bundesverfassungsgericht zu der Erkenntnis gebracht, dass die Verwendung des Begriffs "Ethnopluralismus" in der Partei "Die Heimat" nur dazu dient, den zugrundeliegenden Rassismus zu verschleiern. Denn die Verklärung der ethnisch-kulturell definierten deutschen Volksgemeinschaft paart sich in dieser Partei mit einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Missachtung von Ausländern, Migranten und Minderheiten (vgl. - BeckRS 2024, 444 Rn. 350 ff.).

50Auch wenn die Identitäre Bewegung sich als Aktionsbündnis der sogenannten "Neuen Rechten" versteht und im Gegensatz zur Partei "Die Heimat" nicht aus einer völkisch-nationalistischen Partei der "Alten Rechten" hervorgegangen ist, zeigt dies die gedankliche Nähe ihrer Theorie von an bestimmte Territorien gebundenen Völkern mit der in rechtsextremen Kreisen traditionell vertretenen "Blut-und-Boden-Ideologie". Darauf hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz schon in seinem Jahresbericht für 2016 (S. 157) aufmerksam gemacht. Dementsprechend enthält die von der Identitären Bewegung betriebene pauschale Diffamierung afrikanischer, arabischer und muslimischer Migranten und ihre Forderung nach deren massenhafter Rückführung eine in vergleichbarer Weise gegen die Menschenwürde verstoßende Diskriminierung.

51c) Die Identitäre Bewegung hat darüber hinaus ein problematisches Demokratieverständnis, das mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist.

52aa) Unverzichtbar für ein demokratisches System sind nicht nur die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung, sondern auch die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das deutsche Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). In der Demokratie erfolgt die politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt. Nach dem Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) müssen sich alle Akte der Ausübung der Staatsgewalt auf den Willen des Volkes zurückführen lassen. Soweit das Volk die Staatsgewalt nicht selbst durch Wahlen oder Abstimmungen ausübt, sondern dies besonderen Organen (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) übertragen ist, bedarf es eines hinreichend engen Legitimationszusammenhangs, der sicherstellt, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat.

53Wie diesen Anforderungen entsprochen wird, ist für die Frage der Vereinbarkeit eines politischen Konzepts mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht entscheidend. Das Grundgesetz hat sich für das Modell der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie entschieden, weshalb der Wahl des Parlaments bei der Herstellung des notwendigen Zurechnungszusammenhanges zwischen Volk und staatlicher Herrschaft besondere Bedeutung zukommt. Zwar vermag die Ablehnung des Parlamentarismus, wenn sie mit der Forderung nach dessen Ersetzung durch ein plebiszitäres System verbunden ist, den Vorwurf der Missachtung des Demokratieprinzips nicht zu begründen. Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt jedoch, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann. Dies gilt erst recht, wenn mit der Verächtlichmachung des Parlaments das Ziel verfolgt wird, ein Einparteiensystem zu etablieren ( - BVerfGE 144, 20 Rn. 543 bis 546 m. w. N.).

54bb) Die Identitäre Bewegung beschränkt sich jedoch - wie ausgeführt - auf eine polemisch-diffamierende Kritik der Regierung, der systemtragenden Parteien und des Parlaments. Sie beruft sich auf das "identitäre Demokratieverständnis" Carl Schmitts und behauptet wie er, dass die Verwirklichung des wahren Volkswillens bei einer Identität von Regierenden und Regierten auf keinen Parlamentarismus und keinen Parteienstaat angewiesen sei. Sie erklärt jedoch nicht, dass sie die repräsentativ-parlamentarische Demokratie durch eine unmittelbare plebiszitäre Demokratie ersetzen will. Vielmehr folgt aus den Schriften Carl Schmitts, dass Abstimmungen und Wahlen für die Ermittlung des wahren Volkswillens nicht erforderlich sind und dass die Theorie der "identitären Demokratie" für einen Wechsel zu einem Einparteiensystem mit Volksführer offen ist. Nichts Anderes gilt für den von Vertretern der Identitären Bewegung gelegentlich ebenfalls verwendeten Begriff der "organischen Demokratie". Dieses korporatistische Konzept diente den faschistischen Herrschern in Österreich, Italien und Spanien der 30er Jahre ebenfalls nur als Feigenblatt für eine in Wahrheit ablehnende Haltung gegenüber einer demokratischen Partizipation des Volkes.

55d) Eine Vereinigung ist zwar ebenso wie eine Partei als Personenzusammenschluss nur dann darauf gerichtet, Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen, wenn die verfassungsfeindlichen Bestrebungen die Grundtendenz der Vereinigung bestimmen. Das ist bei "Entgleisungen" einzelner Mitglieder oder Anhänger bei sonst loyaler Haltung der politischen Vereinigung noch nicht der Fall ( 2 WD 42.00 u. a. - BVerwGE 114, 258 <265>, - BVerfGE 144, 20 Rn. 576). Im vorliegenden Fall sind aber bei den Äußerungen der führenden Köpfe der Identitären Bewegung keine unterschiedlichen Meinungen erkennbar. Vielmehr sichert die autoritäre Vereinsstruktur, in der lediglich zwölf Mitglieder das Geschehen bestimmen, ebenso wie eine hohe personelle Kontinuität der Ideengeber und Führungskräfte ein einheitliches Auftreten. Dies wird ferner durch die Veranstaltung von Sommerakademien und die Weitergabe von Schulungsmaterial und Handlungsanweisungen sichergestellt.

565. Durch die Betätigung für die Identitäre Bewegung hat der frühere Soldat auch seine Verfassungstreuepflicht verletzt.

57a) Nach § 8 Alt. 2 SG muss ein Soldat durch sein gesamtes Verhalten für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eintreten. Diese Verpflichtung betrifft gleichermaßen sein dienstliches wie sein außerdienstliches Verhalten. Aus diesem Grund muss er sich auch im außerdienstlichen Bereich von jedweden Bestrebungen distanzieren, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind ( 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 19 m. w. N.).

58aa) Der frühere Soldat hat sich jedoch aktiv für die Identitäre Bewegung Deutschland e. V. und damit für eine verfassungswidrige Vereinigung eingesetzt. Er marschierte in vorderster Front bei zwei Demonstrationen der Identitären Bewegung, hielt deren Plakate hoch, beteiligte sich am Aufbau einer Regionalgruppe und wirkte an einem Werbefilm der Identitären Bewegung mit. Diese Aktivitäten und die unter Anschuldigungspunkt 3 erwähnte Teilnahme an einer weiteren Demonstration müssen im Zusammenhang gesehen und als Ausdruck eines einheitlichen politischen Engagements für die Identitäre Bewegung Deutschland e. V. gesehen werden.

59Auch wenn man bei der einmaligen Teilnahme an einer Demonstration mit verfassungswidrigen Zielsetzungen in bestimmten Fällen zweifeln mag, ob das für ein Dienstvergehen zu fordernde Minimum an Gewicht und Evidenz der Pflichtverletzung vorliegt (vgl. 2 WD 42.00 u. a. - BVerwGE 114, 258 <267>), ist dieses Kriterium jedenfalls dann erfüllt, wenn die Teilnahme an einer Demonstration - wie hier - nur eine von mehreren aktiven politischen Betätigungen für eine verfassungswidrige Organisation darstellt (vgl. - BVerfGE 39, 334 <350>). Dementsprechend ist der frühere Soldat auch nicht von der unter Anschuldigungspunkt 3 genannten Pflichtverletzung freizustellen, weil sie als Teil eines zusammenhängenden politischen Engagements zu werten ist. All diese Aktivitäten bewegten sich als gelebte Auffassungen nicht mehr im Bereich des "forum internum", sondern zielten außenwirksam darauf ab, die innere Organisation und den Zusammenhalt der Identitären Bewegung, ihren Fortbestand und die Verwirklichung ihrer Bestrebungen zu fördern (vgl. 2 C 25.17 - BVerwGE 160, 370 Rn. 25). Anders als vom Truppendienstgericht angenommen, steht dem auch nicht die Entscheidung des Senats vom - 2 WD 19.85 - (BVerwGE 83, 60 <63 ff.>) entgegen. Vielmehr hat er dort einen Verstoß lediglich gegen § 7 SG und nicht auch gegen § 8 SG geprüft, weil mangels einer verfassungswidrigen Zielsetzung der Versammlung die schlichte Teilnahme an ihr keinen Anlass für einen Verstoß auch gegen die Pflicht zur Verfassungstreue gab.

60bb) Das Vorliegen einer objektiven Verletzung der Verfassungstreuepflicht wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der frühere Soldat bei dem angeschuldigten außerdienstlichen Verhalten nach § 6 Satz 1 SG von seinen staatsbürgerlichen Rechten Gebrauch gemacht hat. Denn die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG sind nicht schrankenlos gewährleistet, sondern unterliegen einem Gesetzesvorbehalt (Art. 2 Abs. 2, Art. 5 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 GG) oder verfassungsimmanenten Schranken. Daher ist die Einschränkung dieser Grundrechte bei Beamten durch die beamtenrechtliche Verfassungstreuepflicht anerkannt (vgl. - BVerfGE 39, 334 <367>).

61Für Soldatinnen und Soldaten, die ebenfalls als Hoheitsträger in einem besonderen öffentlichen Dienst- und Treueverhältnis (Art. 33 Abs. 4 GG) stehen, gilt das in besonderem Maße. Denn im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes (vgl. § 6 Satz 2 SG) und mit dem Ziel, die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr zu erhalten, dürfen gemäß Art. 17a Abs. 1 GG für Soldaten die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit durch gesetzlich begründete Pflichten eingeschränkt werden ( - BVerfGE 44, 197 <202>).

62Dementsprechend ist die den Soldatinnen und Soldaten auferlegte Verfassungstreuepflicht nach § 8 SG eine zulässige Grundrechtsschranke, die im Falle der Missachtung disziplinarische Maßnahmen rechtfertigen kann. Bei der im Rahmen der sogenannten Wechselwirkungstheorie geforderten Abwägung zwischen dem Interesse des Staates an der Loyalität des Soldaten und dem Interesse des Soldaten an der unbeschränkten Betätigung für politische Organisationen, überwiegt im konkreten Fall das Interesse des demokratischen Rechtsstaats daran, dass sich seine Soldaten nicht für verfassungsfeindliche Vereinigungen engagieren. Denn die parlamentarische Demokratie ist auch und gerade in Krisenzeiten - wie der Flüchtlingskrise 2015/16 - auf die Loyalität ihrer Staatsdiener angewiesen. Nach dem Grundsatz der wehrhaften Demokratie muss sie es nicht hinnehmen, dass ein Soldat in dieser Lage für eine verfassungsfeindliche Organisation aktiv wird. Wenn er Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung üben will, ist dies auch ohne Engagement in einer verfassungsfeindlichen Bewegung möglich (vgl. 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 35 bis 37).

63b) Der Soldat hat ferner seine Pflicht verletzt, die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 1 SG anzuerkennen. Die Betätigungen in einer objektiv verfassungswidrigen Vereinigung war subjektiv von einer entsprechenden Überzeugung des früheren Soldaten getragen. Seine gegenläufigen Einlassungen, er stehe treu zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, habe nur eine einwanderungskritische Bewegung unterstützen wollen, er könne mit dem Begriff des Ethnopluralismus nichts anfangen und habe keine Kenntnis von den gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen der Identitären Bewegung gehabt, sind Schutzbehauptungen.

64Zur Erlangung der nach § 123 Satz 3 und § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 261 StPO erforderlichen Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der Tatumstände reicht ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit aus, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt; insbesondere haben solche Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich auf die Annahme einer lediglich denktheoretischen Möglichkeit gründen ( 2 WD 1.22 - juris Rn. 22).

65aa) Nach diesem Maßstab bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass der frühere Soldat die Programmatik der Identitären Bewegung gekannt und sich ihr aus innerer Überzeugung angeschlossen hat. Zum einen verfügt der frühere Soldat nicht nur über die Allgemeine Hochschulreife, sondern hat ein Studium der Staats- und Sozialwissenschaften erfolgreich abgeschlossen. Er hat damit im Vergleich zu sonstigen Soldaten überdurchschnittliche politologische und staatsrechtliche Kenntnisse, sodass ihm die Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht nur aus der allgemeinen Offizierausbildung bekannt sind. In seinem Studium hat er sich nachweislich auch mit den Denkern der sogenannten Konservativen Revolution der Weimarer Republik beschäftigt. Seine Masterarbeit befasst sich mit den Ideen des Nationalbolschewisten Ernst Niekisch. Er kennt auch die Schriften Carl Schmitts, über die er sich später mit seinem Disziplinarvorgesetzten unterhalten hat. Es kann ihm nicht entgangen sein, dass es sich bei Carl Schmitt um den Kronjuristen des Dritten Reiches handelte und dass dessen "identitäres Demokratieverständnis" mit dem freiheitlichen Demokratieverständnis des Grundgesetzes unvereinbar ist.

66bb) Zum anderen hatte der frühere Soldat während seines Studiums in ... Kontakte in das rechtsextreme Spektrum. Er ist zumindest gelegentlich in der Burschenschaft "Danubia" zu Gast gewesen, die im Verfassungsschutzbericht 2015 des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr als rechtsextremistische Organisation eingestuft wird. Während des Studiums hat er auch den Zeugen Z., der 2015 stellvertretender Vorsitzender der Identitären Bewegung Deutschland e. V. gewesen ist, kennengelernt. Daneben ist er in dieser Zeit publizistisch durch Veröffentlichungen rechtskonservativen Inhalts hervorgetreten. Er publizierte in der Wochenzeitschrift "Junge Freiheit", die sich als offenes Forum im rechtskonservativen Spektrum versteht, das neben Beiträgen verfassungstreuer konservativer Politiker auch Artikel mit tendenziell nationalistisch-verfassungsfeindlichen Inhalten abdruckt (vgl. - BVerfGE 113, 63 <86>).

67Vor allem ist er publizistisch durch Veröffentlichungen in der von G. K. - dem Mitbegründer der Identitären Bewegung - herausgegebenen Zeitschrift "Sezession" bzw. "Sezession im Netz" hervorgetreten. Er hat sich in einer Veröffentlichung - wie aus dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. S. hervorgeht - selbst als Vertreter der "Neuen Rechten" bezeichnet. Seine Schriften sind nach der plausiblen Auswertung der Sachverständigen dadurch charakterisiert, dass sie Kernelemente extrem rechter Ideologien aufweisen, für demokratische Entscheidungen übliche Aushandlungsprozesse ablehnen und den Parlamentarismus diffamieren.

68cc) Er kann sich auch nicht darauf berufen, dass seine diesbezüglichen Aktivitäten in jeder Hinsicht unbeanstandet geblieben seien. Er war 2011 an der sogenannten "Campus-Affäre" beteiligt, als in der von den Studierenden der Bundeswehrhochschule herausgegebenen Zeitschrift "Campus" (01/11) eine Anzeige des von G. K. betriebenen "Instituts für Staatspolitik" geschaltet wurde. Angesichts der öffentlichen Kritik sah sich die damalige Präsidentin der Bundeswehrhochschule zu dem Hinweis veranlasst, dass dieses Institut dem Bereich der sogenannten "Neuen Rechten" zuzuordnen und eine politische Nähe zum Rechtsextremismus nicht auszuschließen sei. In der Verbreitung dieses Gedankenguts sei eine Näherung an den Rechtsextremismus zu sehen, die man schon im Grundsatz verhindern wolle. Deshalb werde jegliche weitere Werbung von Organen der "Neuen Rechten" untersagt. Nachdem der frühere Soldat nachdrücklich für die dienstliche Problematik sensibilisiert worden war, die durch Kontakte zur "Neuen Rechten" entsteht, liegt es außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass er 2015 aus Naivität die verfassungswidrige Zielsetzung der Identitären Bewegung verkannt hat.

69dd) Soweit die Verteidigung darauf hingewiesen hat, dass die Jugendschriften des früheren Soldaten nicht typisch für seine Einstellung im Erwachsenenalter sein müssten, verfängt dieser Einwand nicht. Denn das aktive Engagement für die Identitäre Bewegung ist - wie die Sachverständige zutreffend ausgeführt hat - vor dem Hintergrund seiner früheren Publikation folgerichtig. Eine irgendwie geartete Abwendung von früheren Ideen und Weggefährten ist gerade nicht erkennbar. Vielmehr spricht alles dafür, dass der frühere Soldat sich bewusst im Jahr 2015 einer Vereinigung angeschlossen hat, deren geistigen Mentor und deren stellvertretenden Vorsitzenden er kannte. Der frühere Soldat hat nicht unreflektiert gehandelt, sondern - wie es das Truppendienstgericht zutreffend ausgedrückt hat - genau gewusst, was die Identitäre Bewegung ist, was sie will und wofür sie eintritt. Dementsprechend ist er bei der Vernehmung durch seinen Disziplinarvorgesetzten im November 2016 ohne Mühe in der Lage gewesen, auf die Ursprünge der Identitären Idee in Frankreich und Österreich sowie auf die Schrift "Provokation" von G. K. hinzuweisen, in der die methodische Grundlage der Identitären Bewegung formuliert worden sei. Dass er den stellvertretenden Vorsitzenden der Identitären Bewegung, den Zeugen Z., schon aus Studienzeiten gekannt und sich bei ihm in dessen Wohnhaus zur Aufnahme des Werbefilms für die Identitäre Bewegung getroffen hat, rundet das Bild des gut informierten Insiders ab.

70ee) Der frühere Soldat hat auch den Willen gehabt, sich für eine möglicherweise verfassungswidrige Organisation zu betätigen. Zwar mag für ihn das Erlebnis der massenhaften Aufnahme von Asylbewerbern im Jahr 2015/16 der Auslöser für sein politisches Engagement gewesen sein. Ihm ging es entgegen seinen Einlassungen jedoch nicht allein um die Kritik an der Flüchtlingspolitik. Denn er hat nicht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung geübt und auch bei seiner Teilnahme an den Demonstrationen kein Schild hochgehalten, das ausschließlich Kritik an der Flüchtlingspolitik enthielt. Vielmehr hat er sich hinter das übergroße Spruchband "Identitäre Bewegung" gestellt und das Banner "Stoppt den großen Austausch" hochgehalten. Damit hat er seine Identifikation mit dieser Bewegung und ihren Narrativen deutlich zum Ausdruck gebracht.

71Seine Bereitschaft, der Identitären Bewegung beizustehen, ist bei seiner Mitwirkung an dem Werbefilm deutlich geworden. Der Zeuge Z. hat vor Gericht ausgesagt, dass er dem früheren Soldaten angeboten habe, sein Bild aus dem Werbefilm herauszuhalten. Dies hatte erkennbar den Hintergrund, dass die Identitäre Bewegung ins Visier des Verfassungsschutzes geraten war und dass er für den früheren Soldaten berufliche Schwierigkeiten befürchtete. Der frühere Soldat hat aber, gerade weil er sich mit dieser Bewegung identifiziert hat, dieses Angebot nicht angenommen. Er hat sich im Gegensatz zu seiner Ehefrau bewusst dafür entschieden, in dem Werbefilm aufzutreten und als aktiver Unterstützer der Identitären Bewegung erkannt zu werden. Soweit in der Berufungsschrift ausgeführt wird, der frühere Soldat habe den Begriff des "großen Austausches" anders verstanden oder er sei mit dem Begriff des Ethnopluralismus nicht einverstanden gewesen, handelt es sich um Schutzbehauptungen. Im Übrigen entlasten einen Soldaten, der eine verfassungswidrige Organisation unterstützt, reine Mentalreservationen nicht (vgl. 1 D 103.84 - BVerwGE 83, 158 <174>).

72ff) Da der frühere Soldat die politischen Ziele der Identitären Bewegung kannte und zu bewerten verstand, bedurfte er nicht der Hilfe des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, um die verfassungsfeindliche Ausrichtung der Identitären Bewegung zu erkennen. Schon aus diesem Grund verfängt sein Verteidigungsvorbringen nicht, dass die Identitäre Bewegung in Bayern erstmals im Jahresbericht 2016 als verfassungsfeindlich eingestuft und dass dieser Bericht erst nach den angeschuldigten Mitwirkungshandlungen veröffentlicht worden sei. Im Übrigen hat der Vertreter des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz dazu zutreffend ausgeführt, dass seine Behörde bereits am die Identitäre Bewegung als Verdachtsfall eingestuft und dass der Bayerische Innenminister dies eine Woche später im Bayerischen Landtag öffentlich gemacht hat. Diese Einstufung war somit allgemein bekannt, als der frühere Soldat sich - wie unter Punkt 4 angeschuldigt - am in ... demonstrativ hinter das Spruchband "Identitäre Bewegung" stellte und in vorderster Reihe für sie auftrat. Die Einstufung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz hat den früheren Soldaten im Übrigen auch nicht veranlasst, sich nachträglich von seiner Mitwirkung bei dem Werbefilm für die Identitäre Bewegung öffentlich zu distanzieren oder dies auch nur zu versuchen.

736. Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

74a) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen". Betätigt sich ein Soldat in einer verfassungswidrigen Organisation und ist das Verhalten eines Soldaten - wie vorliegend festgestellt - Ausdruck einer entsprechenden inneren Gesinnung, ist regelmäßig die Höchstmaßnahme zu verhängen. Denn es liegt sowohl eine Verletzung der Anerkennungspflicht aus § 8 Alt. 1 SG als auch der Eintretenspflicht aus § 8 Alt. 2 SG vor (vgl. 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 <154> und vom - 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 45). Dies bedeutet bei einem Soldaten im aktiven Dienst die Entfernung aus dem Dienst und bei einem Soldaten im Ruhestand gemäß § 65 Abs. 1 Satz 2 WDO die Aberkennung des Ruhegehalts.

75b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Höchstmaßnahme gebieten.

76Dabei ist festzuhalten, dass das Maß der Schuld durch bedingt vorsätzliches Verhalten bestimmt ist. Der behauptete Tatbestandsirrtum, der entsprechend § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB den Vorwurf vorsätzlichen Handelns ausschließen würde, liegt - wie ausgeführt - nicht vor. Die Verteidigung hat zwar mit Recht darauf hingewiesen, dass sich der Vorsatz beim Eintreten für eine Organisation auch auf die Kenntnis der Verfassungswidrigkeit der Partei oder Vereinigung erstrecken muss (vgl. 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 <144 ff.>). Beim bedingten Vorsatz genügt es jedoch, wenn der Betroffene eine mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles Willen zumindest damit abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (vgl. - StV 2021, 487 Rn. 9). Dementsprechend liegt bedingter Vorsatz vor, wenn ein Soldat aufgrund seines Wissens und seiner Vorbildung es als möglich ansieht, dass die Vereinigung verfassungswidrig ist, und diese Möglichkeit - wie hier - billigend in Kauf nimmt. Soweit die ältere Rechtsprechung an das Wissenselement strengere Anforderungen gestellt hat ( 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 <147 ff.>), hält der Senat daran nicht fest.

77Auch ein unvermeidbarer Verbotsirrtum nach § 17 StGB analog läge nicht vor, weil die Identitäre Bewegung bereits im Jahr 2015 - wie der Sachverständige Prof. Dr. M. nachgewiesen hat - in etlichen Verfassungsschutzberichten als verfassungswidrige Organisation bzw. als Verdachtsfall bezeichnet worden ist. Außerdem hat den früheren Soldaten die Anfang 2016 ausgesprochene Einstufung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz von seinem weiteren Engagement für die Identitäre Bewegung nicht abgehalten. Selbst wenn ein vermeidbarer Verbotsirrtum vorläge, ursächlich und analog § 17 Satz 2 StGB zu berücksichtigen wäre (ablehnend 2 C 9.21 - BVerwGE 174, 273 Rn. 55), bestünde hier kein Anlass, von dieser Milderungsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Denn der frühere Soldat hat sich im Verlauf des Verfahrens nicht von der Identitären Bewegung eindeutig und glaubhaft distanziert.

78Dass bei dem Soldaten weder Reue noch Unrechtseinsicht vorhanden sind, darf zwar nicht als erschwerender, kann ihm aber auch nicht als mildernder Umstand zugerechnet werden ( 2 WD 9.19 - juris Rn. 39). Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass er als Offizier durch seine außerdienstliche Betätigung für eine verfassungsfeindliche Bewegung ein schlechtes Beispiel gegeben und seine Vorgesetztenpflichten (§ 10 SG) verletzt hat. Erschwerend ist ferner einzustellen, dass er wegen des Dienstvergehens von August 2018 bis zu seinem Ausscheiden im Juni 2019 vorläufig des Dienstes enthoben werden musste.

79Mildernd einzustellen ist zwar, dass die dienstlichen Leistungen des früheren Soldaten nach der Aussage seines letzten Disziplinarvorgesetzten im Spitzenbereich gelegen haben. Die persönliche Integrität eines Soldaten, zu der in besonderem Maße seine Verfassungstreue als Eignungsmerkmal gehört (vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SG), steht jedoch gleichberechtigt neben dem Erfordernis der fachlichen Qualifikation, sodass gravierende Defizite der persönlichen Integrität, die bei objektiver Betrachtung zu einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn führen, nicht durch Fachkompetenz ausgeglichen werden können ( 2 WD 18.18 - juris Rn. 40). Da wegen dieses endgültigen Vertrauensverlusts die Höchstmaßnahme zu verhängen ist, kann auch eine etwaige überlange Verfahrensdauer keine Abweichung rechtfertigen ( 2 WD 3.22 - juris Rn. 40).

807. Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 1 Satz 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:190424U2WD9.23.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-74011