Instanzenzug: LG Gießen Az: 5 Ks 403 Js 20673/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Mordes in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung, Entziehung Minderjähriger, Nötigung und Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie in Tatmehrheit der Besitzverschaffung kinderpornographischer Inhalte“ zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Zudem hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von drei Jahren keine Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen zu erteilen. Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
21. Die Überprüfung der Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld sowie die Anweisung an die Verwaltungsbehörde, dem Angeklagten vor Ablauf von drei Jahren keine Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen zu erteilen (Fall II. 1 der Urteilsgründe), hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
32. Die aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts rechtsfehlerfreien Feststellungen im Fall II. 2 der Urteilsgründe tragen auch die weitere Verurteilung des Angeklagten. Jedoch war der Schuldspruch in Abgrenzung zur (Dritt)Besitzverschaffung nach § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB dahin neu zu fassen, dass der Angeklagte, wie vom Landgericht in seiner rechtlichen Würdigung ausgeführt und in der Paragraphenkette im Anschluss an die Urteilsformel (§ 260 Abs. 5 Satz 1 StPO) zutreffend ausgewiesen, des Sichverschaffens kinderpornographischer Inhalte (§ 184b Abs. 3 Var. 2 StGB) schuldig ist.
43. Hingegen führt das Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des Strafgesetzbuches – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte vom (BGBl. I 2024 Nr. 213) – zur Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II. 2 der Urteilsgründe, der Gesamtstrafe sowie der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung.
5a) Die revisionsrechtliche Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs hat gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO nach Maßgabe des vorgenannten, am in Kraft getretenen Gesetzes zu erfolgen. Die Neuregelung ist das mildere Gesetz. Der Gesetzgeber hat die Mindeststrafe für das Sichverschaffen kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 3 Var. 2 StGB von einem Jahr Freiheitsstrafe auf drei Monate Freiheitsstrafe reduziert und damit den Straftatbestand vom Verbrechen zum Vergehen herabgestuft.
6b) Die Anwendung des § 184b Abs. 3 Var. 2 StGB in der Fassung vom zieht die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II. 2 der Urteilsgründe nach sich. Auch die Gesamtstrafe sowie die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung haben keinen Bestand.
7aa) Die Einzelstrafe von zwei Jahren und drei Monaten unterfällt der Aufhebung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer unter Berücksichtigung der veränderten Strafuntergrenze und des verwirklichten Tatunrechts − der Angeklagte hatte am die 13-jährige Geschädigte, deren Alter ihm bekannt war, aufgefordert, ihm Nacktbilder von sich zu übersenden, worauf diese ihm elf entsprechende Bilddateien übermittelte − auf eine mildere Einzelstrafe erkannt hätte.
8bb) Die Aufhebung der zweiten Einzelstrafe zieht (vorläufig) den Wegfall der Gesamtstrafe nach sich.
9cc) Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat ebenfalls keinen Bestand. Die Urteilsfeststellungen tragen deren formelle Voraussetzungen nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB angesichts der Neufassung des § 184b Abs. 3 StGB nicht mehr.
10(1) Nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB setzt die Anordnung der Sicherungsverwahrung unter anderem voraus, dass jemand zwei Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneten Art begangen hat, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat. Nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB kommen, soweit hier von Belang, Verbrechen, die sich gegen die sexuelle Selbstbestimmung richten, sowie die enumerativ aufgezählten Vergehen nach §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 und 6, §§ 180 und 182 des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuchs als Anlasstaten in Betracht.
11(2) Diese Voraussetzungen sind nach der Neufassung des § 184b Abs. 3 StGB, anders als zum Urteilszeitpunkt, nicht mehr gegeben. Die Absenkung der Mindeststrafe von einem Jahr auf drei Monate macht die rechtswidrige Tat zu einem Vergehen (§ 12 Abs. 1 und 2 StGB). Die Verbreitung pornographischer Inhalte nach § 184b StGB unterfällt in keiner ihrer zahlreichen Varianten, zu denen auch das Sichverschaffen kinderpornographischer Inhalte nach § 184b Abs. 3 Var. 2 StGB gehört, den Katalogtaten des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuchs, die in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB dargestellt sind. Dies bedingt die Aufhebung der Anordnung der Sicherungsverwahrung.
12c) Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
13aa) Die zum Strafausspruch gehörenden Feststellungen werden von der aufgrund der Gesetzesänderung notwendigen Aufhebung des Strafausspruchs nicht berührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen. Demgegenüber haben die Feststellungen zur Maßregel keinen Bestand. Sie bedürfen neuerlicher Feststellung und Bewertung, wobei das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht zu beachten haben wird, dass diejenigen Feststellungen, die Doppelrelevanz im Hinblick auf die Strafzumessung besitzen, von der Aufhebung nicht mitumfasst sind.
14bb) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:
15(1) Mit Blick auf die formellen Voraussetzungen einer Anordnung der Sicherungsverwahrung wird die Staatsanwaltschaft zu erwägen haben, ob sie die der Anklage nicht unterfallende überschießende Feststellung der Strafkammer zum Fall II. 2 der Urteilsgründe, wonach der Angeklagte der 13-jährigen Geschädigten im Laufe des in Kenntnis deren kindlichen Alters während eines Videotelefonats seinen Penis zeigte und onanierte, zum Gegenstand eines Anklagevorwurfs nach § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB macht.
16(2) Das neue Tatgericht wird für die neue Hauptverhandlung zudem zu beachten haben, dass, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hinweist, die Anschlusserklärung der Nebenkläger vom (SA Bd. VIII Bl. 2299) bisher nicht der seit erforderlichen Form des § 32d Satz 2 StPO genügt (vgl. , Rn. 1). Der Feststellung der Zulassung gemäß § 396 Abs. 2 Satz 1 StPO durch Beschluss der Strafkammer vom (SA Bd. VIII Bl. 2302) kommt keine konstitutive Bedeutung zu (vgl. , NStZRR 2020, 91; LRStPO/Wenske, 27. Aufl., § 396 Rn. 9 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:040724B2STR111.24.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-73980