Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision; Zurechnung des Verschuldens des Verteidigers bei formwidriger Übermittlung der Revisionsschrift
Gesetze: § 32a Abs 3 StPO, § 32a Abs 4 S 1 Nr 2 StPO, § 32d S 2 StPO, § 44 StPO, § 341 Abs 1 StPO, § 23 Abs 3 S 5 RAVPV
Instanzenzug: LG München I Az: 6 KLs 301 Js 149894/21
Gründe
11. Das Landgericht München I hat die Angeklagte mit am verkündeten Urteil wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten verurteilt. Mit Schriftsatz vom , eingegangen beim Landgericht am selben Tage, hat die Verteidigerin der Angeklagten Revision eingelegt. Eine Kanzleiangestellte hat den Revisionsschriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ohne qualifizierte elektronische Signatur mittels einer ihr zur Verfügung gestellten beA-Mitarbeiterkarte übermittelt. Mit Zuschrift des Generalbundesanwalts vom , dem Verteidiger im Revisionsverfahren zugegangen am , hat dieser beantragt, die Revision der Angeklagten als unzulässig zu verwerfen, und auf die Formunwirksamkeit der eingelegten Revision gemäß § 32d Satz 2, § 32a Abs. 3, Abs. 4 StPO hingewiesen. Mit Schriftsatz vom hat der Verteidiger im Revisionsverfahren einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Revision gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Angeklagte ihre Verteidigerin am Morgen des mit der Revisionseinlegung beauftragt und diese ihr zugesichert habe, dies am nächsten Tag, dem , zu erledigen. Nach Übermittlung der Revisionseinlegung durch eine Kanzleimitarbeiterin mittels beA-Mitarbeiterkarte am habe diese der Angeklagten per E-Mail bestätigt, dass die Revision auftragsgemäß „soeben per beA“ beim Landgericht eingelegt worden sei. Der E-Mail sei eine Abschrift der Revisionseinlegung, nicht aber das dazugehörige Prüfprotokoll beigefügt gewesen. Weitere Informationen zum genauen Übermittlungsweg der Revision habe die Angeklagte nicht erhalten. Erstmals am Abend des habe sie über ihre Verteidiger aufgrund der Zuschrift des Generalbundesanwalts von der Formunwirksamkeit der eingelegten Revision erfahren.
22. Der Angeklagten ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts München I vom zu gewähren (§ 45 StPO).
3a) Die Angeklagte hat die Frist zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1 StPO) versäumt. Nach § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 300/23 Rn. 7; vom – 6 StR 609/23 Rn. 4; vom – 5 StR 308/23 Rn. 3 und vom – 2 StR 369/22 Rn. 4). Diesen Anforderungen genügt die Revisionseinlegungsschrift vom nicht. Denn diese ist weder qualifiziert elektronisch signiert (§ 32a Abs. 3 Alternative 1 StPO) noch einfach signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 32a Abs. 4 StPO übermittelt worden (§ 32a Abs. 3 Alternative 2 StPO). Gemäß § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ist ein sicherer Übermittlungsweg u.a. gegeben bei einer Übermittlung zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle der Behörde oder des Gerichts. Dies setzt voraus, dass der Verteidiger oder Rechtsanwalt, dessen Name als einfache Signatur in dem Schriftsatz als verantwortende Person aufgeführt ist, selbst die Einreichung eigenhändig vornimmt; bei einer Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach muss die Übertragung mithin über das Postfach dieses Verteidigers oder Rechtsanwalts geschehen und zudem dieser – und nicht etwa ein Kanzleimitarbeiter – selbst der tatsächliche Versender sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 292/23 Rn. 2; vom – 2 StR 39/23 Rn. 7; vom – 2 StR 162/22 Rn. 8 und vom – 3 StR 89/22 Rn. 11). Das Recht, nicht qualifiziert elektronisch signierte Dokumente alternativ formwahrend über das besondere elektronische Anwaltspostfach zu versenden, kann der Rechtsanwalt gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5 Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung (RAVPV) nicht auf Dritte übertragen (vgl. Rn. 9). Geschieht die Übermittlung gleichsam durch einen Boten – wie hier durch eine Kanzleimitarbeiterin mittels einer dieser gemäß § 23 Abs. 2, Abs. 3 RAVPV eingeräumten Berechtigung, wird die Authentizität des elektronischen Dokuments nicht gewährleistet (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 162/22 Rn. 6 ff. und vom – 6 StR 466/22 Rn. 4).
4b) An dieser Fristversäumnis trifft die Angeklagte, wie ihr Verteidiger fristgerecht vorgetragen und glaubhaft gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO), allerdings kein Verschulden. Das Verschulden des Verteidigers bei der formwidrigen Übermittlung von Schriftsätzen ist der Angeklagten nicht als eigenes zuzurechnen (vgl. Rn. 6). Die Angeklagte hat ihre Verteidigerin rechtzeitig mit der Revisionseinlegung beauftragt und sich die rechtzeitige Revisionseinlegung „per beA“ von dieser ausdrücklich bestätigen lassen. Weitere Informationen zum Übermittlungsweg der Revisionseinlegung hat die Angeklagte nicht erhalten. Die Angeklagte hat daher auf eine formwirksame und rechtzeitige Revisionseinlegung vertrauen dürfen. Es ist somit allein auf der Angeklagten nicht zurechenbares Anwaltsverschulden zurückzuführen, dass die Revision nicht formgerecht und mithin nicht wirksam eingelegt worden ist (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 609/23 Rn. 6, 9; vom – 5 StR 322/23 Rn. 4; vom – 2 StR 124/23 Rn. 14; vom – 5 StR 164/23 Rn. 5; vom – 2 StR 56/23 Rn. 4; vom – 5 StR 375/22 und vom – 6 StR 268/22 Rn. 4).
5c) Die versäumte Handlung hat der Verteidiger frist- und formwirksam nachgeholt (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die innerhalb der Wochenfrist nach § 45 Abs. 1 StPO eingelegte Revision erfüllt die gesetzlichen Formerfordernisse der §§ 32a, 32d Satz 2 StPO.
6d) Da das Landgericht bereits ein vollständiges Urteil abgefasst hat und dieses zudem wirksam zugestellt worden ist, bedarf es keiner Rückgabe der Akten zur Ergänzung der Urteilsgründe oder deren Zustellung. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Frist zur Begründung der Revision (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 15/24 Rn. 3; vom – 6 StR 609/23 Rn. 10 und vom – 5 StR 322/23 Rn. 5).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240724B1STR238.24.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-73629