BGH Beschluss v. - 4 StR 390/23

Instanzenzug: LG Bochum Az: II-5 KLs 7/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat er die Verneinung der Anordnungsvoraussetzungen von Jugendstrafe (§ 17 Abs. 2 JGG) sowie die Entscheidung der Strafkammer, gemäß § 5 Abs. 3 JGG von der Verhängung zusätzlicher „erzieherischer Maßnahmen“ neben der Anordnung der Maßregel abzusehen. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Nach den Feststellungen bewahrte der zum Tatzeitpunkt 19 Jahre und sieben Monate alte Angeklagte in seinem Zimmer in der von ihm gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder bewohnten Wohnung insgesamt 870,65 Gramm Marihuana (Wirkstoffmenge: 133,14 Gramm THC) sowie 0,30 Gramm Kokain (Wirkstoffmenge: 0,24 Gramm Kokainhydrochlorid) auf. Von dem Marihuana waren 30 % für den Eigenkonsum bestimmt (insoweit erfolgte eine Verfolgungsbeschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO); die verbleibenden 609,46 Gramm Marihuana (Wirkstoffmenge: 93,2 Gramm THC) dienten – ebenso wie das Kokain – dem gewinnbringenden Verkauf. In einem zimmerseitig offenen Ablagefach, auf dessen Inhalt der Angeklagte – vom Lagerort der Drogen aus – innerhalb weniger Sekunden zugreifen konnte, verwahrte er ein funktionstaugliches Reizstoffsprühgerät, das zur Verletzung von Personen geeignet und hierzu auch von ihm bestimmt war.

II.

31. Der Angeklagte begehrt mit seinem Hauptrevisionsantrag (allein) die Aufhebung des Maßregelausspruchs; hilfsweise erstrebt er insgesamt die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an eine andere Jugendkammer des Landgerichts. Ungeachtet der missverständlichen Formulierung des Hauptrevisionsantrags kann diesem eine Beschränkung des Rechtsmittels nicht entnommen werden. In seiner Revisionsbegründung wendet sich der Angeklagte auch gegen die von der Strafkammer angenommene Strafbarkeit wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Der wirkliche Wille des Angeklagten (vgl. hierzu Rn. 6) umfasst demnach – weitergehend als dies im Hauptrevisionsantrag zum Ausdruck gebracht wird – auch die Anfechtung des Schuldspruchs.

4Soweit der Angeklagte im bereits dargestellten Umfang einzelne Teile der Rechtsfolgenentscheidung ausdrücklich vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat, ergibt sich die Unwirksamkeit dieser Beschränkung in Bezug auf die in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG unterbliebene Anordnung von „erzieherischen Maßnahmen“ aus der insoweit bestehenden Wechselbeziehung zu der Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB.

52. Die auf die Revision des Angeklagten veranlasste Nachprüfung des Urteils führt zu der durch das Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom (BGBl. I Nr. 109 – Cannabisgesetz) erforderlich gewordenen Neufassung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Maßregelausspruchs.

6a) Der Senat hat gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO die – hier milderen – Vorschriften des am in Kraft getretenen Konsumcannabisgesetzes anzuwenden (vgl. Rn. 14; Beschluss vom – 4 StR 5/24 Rn. 6; Beschluss vom – 5 StR 153/24 Rn. 4; Beschluss vom – 1 StR 106/24 Rn. 4). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bezog sich das von dem Angeklagten zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmte Marihuana auf eine nicht geringe Menge des Wirkstoffs THC (zur Geltung des Grenzwerts von 7,5 Gramm THC auch für das KCanG siehe etwa Rn. 5 mwN). Der Angeklagte hat sich daher insoweit des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 4, Abs. 1 Nr. 4 KCanG schuldig gemacht. Da das ebenfalls zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmte Kokain für sich genommen den Grenzwert zur nicht geringen Menge von 5 Gramm Kokainhydrochlorid (hierzu etwa , BGHSt 33, 133) nicht erreicht und eine Addition der Wirkstoffmengen von Betäubungsmitteln und Cannabis hierfür nicht in Betracht kommt ( Rn. 6), tritt tateinheitlich eine Strafbarkeit wegen Handeltreibens mit Betäubungsmittel gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG hinzu.

7b) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte insoweit nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

8c) Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hat keinen Bestand.

9Der Senat hat seiner Entscheidung die am in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB zugrunde zu legen (§ 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO; vgl. Rn. 2; Beschluss vom – 6 StR 577/23 Rn. 6; Beschluss vom – 5 StR 509/23 Rn. 2; Beschluss vom – 4 StR 221/23 Rn. 6).

10Daran gemessen begegnet die Anordnung der Maßregel in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

11aa) Die Feststellungen tragen bereits nicht die Annahme eines „Hangs“ im Sinne des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB nF. Erforderlich hierfür ist eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Beide Merkmale – schwerwiegend und dauernd – müssen in dem betroffenen Lebensbereich kumulativ erfüllt sein ( Rn. 4; Beschluss vom – 3 StR 455/23 Rn. 18).

12Die Strafkammer hat – sachverständig beraten – bei dem Angeklagten zwar das Vorliegen eines schädlichen Gebrauchs von Cannabinoiden (ICD-10: F12.1) festgestellt (vgl. zu den nunmehr maßgeblichen Abstufungen hinsichtlich des Schweregrads eines schädlichen Gebrauchs Rn. 8; BT-Drucks. 20/5913 S. 44 f., 69) und zur Begründung im Übrigen insbesondere auf (Leistungs-)Einbrüche im schulischen Bereich und im sozialen Umgang des Angeklagten verwiesen. Das Vorliegen eines „Hangs“ im Sinne des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB nF wird von diesen Erwägungen allerdings nicht getragen. Soweit die Leistungsfähigkeit des Angeklagten nach den Feststellungen phasenweise beeinträchtigt war, fand dies seine Ursache maßgeblich in der von der Strafkammer angenommenen „Grunderkrankung“ einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie (ICD-10: F20.0), nicht jedoch im Substanzgebrauch des Angeklagten. Dass der Cannabiskonsum zu einer schwerwiegenden und dauerhaften Beeinträchtigung eines der relevanten Lebensbereiche geführt hat, geht aus den Urteilsgründen nicht hervor.

13bb) Auch ein symptomatischer Zusammenhang dergestalt, dass die Anlasstat „überwiegend“ auf den Hang zurückgeht (§ 64 Satz 1 Halbsatz 1 StGB nF), kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Nach den getroffenen Feststellungen diente das Handeltreiben des Angeklagten „zumindest auch“ der Finanzierung seines Eigenkonsums. Damit ist zwar eine – zum Urteilszeitpunkt für die Unterbringung nach § 64 Satz 1 StGB aF ausreichende – Mitursächlichkeit des Hangs für die Anlasstat gegeben. Es fehlt jedoch eine Aussage zu der nunmehr entscheidenden Frage, inwieweit dieser die ausschlaggebende („überwiegende“) Ursache für seine Handelsaktivität gewesen ist.

14cc) Schließlich ist auch die erforderliche Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) nicht tragfähig begründet.

15Durch § 64 Satz 2 StGB nF sind die Anforderungen an die günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt ist. Der Behandlungserfolg muss zudem „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte“ zu erwarten sein. Lehnt ein Angeklagter die Therapie im Maßregelvollzug ab, können solche Anhaltspunkte nur dann angenommen werden, wenn im Urteil konkret dargelegt wird, welche Instrumente im Maßregelvollzug zur Verfügung stehen, mit denen diese Haltung überwunden werden kann ( Rn. 6). Im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 70; Rn. 7; Beschluss vom – 6 StR 472/23 Rn. 6).

16Gemessen an diesen Anforderungen ist eine tatsachenbasierte konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel nicht belegt. Das Landgericht hat die Annahme eines hinreichenden Behandlungserfolgs im Wesentlichen damit begründet, der Angeklagte habe zwar (bislang) kein Problembewusstsein hinsichtlich seines Cannabiskonsums entwickelt und eine diesbezügliche Behandlung in der Vergangenheit wiederholt abgelehnt; es sei allerdings davon auszugehen, dass sein Problembewusstsein im Rahmen des Maßregelvollzugs geschärft und seine Therapiebereitschaft geweckt werden könne. Nähere Feststellungen dazu, mit welchen Instrumenten im Maßregelvollzug die dezidiert ablehnende Haltung des Angeklagten konkret überwunden werden kann, enthält das Urteil indes nicht.

17dd) Der Senat hebt die der Maßregelentscheidung zugrunde liegenden Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht hierzu insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

183. Die Aufhebung des Maßregelausspruchs hat aufgrund des bestehenden inneren Zusammenhangs (vgl. Rn. 13) auch die Aufhebung der Entscheidung nach § 5 Abs. 3 JGG zur Folge.

19Der Umstand, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen. Das Schlechterstellungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO, § 2 Abs. 2 JGG) hindert das neue Tatgericht unter den hier gegebenen Umständen nicht daran, für den Fall des Nichtvorliegens der Maßregelvoraussetzungen (§ 64 StGB) Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zu verhängen.

20a) Die Strafkammer hat die Anordnungsvoraussetzungen von Jugendstrafe (§ 17 Abs. 2 JGG) verneint. Von der Verhängung zur Maßregelanordnung hinzutretender „erzieherischer Maßnahmen“ – womit sie offensichtlich Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel gemeint hat – hat sie gemäß § 5 Abs. 3 JGG abgesehen, da durch den Maßregelvollzug in spezialpräventiver Hinsicht in ausreichendem Maße auf den Angeklagten eingewirkt werden könne und durch jenen zugleich auch den bestehenden Ahndungserfordernissen hinreichend Rechnung getragen werde. Die sich in der Anlasstat manifestierenden Erziehungsrückstände könnten nicht unabhängig vom Konsumverhalten und der psychischen Erkrankung des Angeklagten gesehen werden. Es sei davon auszugehen, dass einer weiteren Delinquenz (allein) mit den Mitteln des Maßregelvollzugs hinreichend begegnet werden könne.

21b) Erachtet das Landgericht – wie hier – neben der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt als Reaktion auf den bei diesem bestehenden Erziehungs- und Ahndungsbedarf die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nicht für erforderlich, stellt deren (mögliche) erstmalige Anordnung anstelle der Maßregel im zweiten Rechtsgang keinen Nachteil im Sinne des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO dar. Denn das Landgericht hat im Rahmen einer einheitlichen Entscheidung die Verhängung von Erziehungsmaßregeln bzw. Zuchtmitteln bereits grundsätzlich für erforderlich erachtet, von deren Anordnung letztlich aber ausschließlich deswegen abgesehen, weil die Sanktionszwecke bereits durch die Maßregelentscheidung erreicht würden und diese daher eine weitergehende Ahndung entbehrlich machte (§ 5 Abs. 3 JGG). Sollte die Maßregel von der nunmehr zur Entscheidung berufenen Jugendkammer nicht mehr angeordnet werden, lebt die in der ursprünglichen Gesamtentscheidung bereits grundsätzlich bejahte Erforderlichkeit von Erziehungsmaßregeln bzw. Zuchtmitteln wieder auf und erlangt sodann konkrete Relevanz für die neu zu treffende Rechtsfolgenentscheidung. Nach Maßgabe des gebotenen Gesamtvergleichs der Rechtsfolgen (vgl. , BGHSt 29, 269, 270) stellt die erstmalige Anordnung der genannten Rechtsfolgen im Vergleich zur Maßregel des § 64 StGB auch im Übrigen keine Abänderung zum Nachteil des Angeklagten im Sinne des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO dar (vgl. Eisenberg/Kölbel, JGG, 25. Aufl., § 55 Rn. 53; Brunner/Dölling, JGG, 14. Aufl., § 55 Rn. 51; MüKo-StPO/Kaspar, 1. Aufl., § 55 JGG Rn. 49; Laue in Meier/Rössner/Trüg/Wulf/Bannenberg/Bartsch, JGG, 3. Aufl., § 55 Rn. 61; Albrecht, Jugendstrafrecht, 3. Aufl., S. 395; Dallinger/Lackner, JGG, 2. Aufl., vor § 55 Rn. 24; vgl. auch Schady in Ostendorf, JGG, 11. Aufl., § 55 Rn. 22 der – weitergehend – die Verhängung von Jugendstrafe als möglich erachtet). Einer erstmaligen Verhängung von Jugendstrafe steht demgegenüber schon deswegen das Verschlechterungsverbot entgegen, weil die Strafkammer deren Anordnungsvoraussetzungen (§ 17 Abs. 2 JGG) verneint hat.

224. Im Übrigen hat die revisionsrechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

III.

23Dem mit der Gegenerklärung des Verteidigers vom geäußerten Begehren, Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen, „falls der Senat nicht durch Beschluss das angefochtene Urteil aufheb[en]“ werde, war nicht nachzukommen, auch wenn das Rechtsmittel keinen vollen Erfolg hat. Ein Anspruch auf die Durchführung einer Hauptverhandlung im Revisionsverfahren hat der Angeklagte nicht, wenn sein Rechtsmittel – wie hier – auf Antrag des Generalbundesanwalts (teilweise) nach § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss als offensichtlich unbegründet verworfen werden kann. Ein solcher Anspruch folgt weder aus Art. 103 Abs. 1 GG noch aus Art. 6 EMRK (vgl. BVerfG, NJW 2014, 2563; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 349 Rn. 15; jeweils mwN). Im vorliegenden Fall sind darüber hinaus keine besonderen Umstände dargetan oder sonst ersichtlich, die für eine Entscheidung durch Urteil gemäß § 349 Abs. 5 StPO sprechen könnten (vgl. hierzu , BGHSt 38, 177, 178 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 349 Rn. 6, 7).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:030724B4STR390.23.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-73605