Instanzenzug: LG Regensburg Az: 5 KLs 510 Js 8308/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 43 tatmehrheitlichen Fällen“ zu einer „Freiheitsstrafe“ von fünf Jahren verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die wirksam auf die Maßregelanordnung beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist erfolgreich.
21. Nach den Feststellungen handelte der Angeklagte in 40 Fällen mit mindestens 200 Gramm Marihuana oder Haschisch, das einen Mindestwirkstoffgehalt von fünf Prozent THC aufwies. Im Fall B.II.1.a)bb) veräußerte er 16,4 Gramm und im Fall B.II.1.a)jj) 55 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von jeweils 20 Prozent. Vier weitere Fälle betrafen neben dem Handel mit Cannabisprodukten auch denjenigen mit Betäubungsmitteln; in den Fällen B.II.1.a)aa) und B.II.1.b)dd) Kokain, im Fall B.II.1.a)mm) Ecstasy und im Fall B.II.1.a)oo) LSD.
32. Der Schuldspruch kann mit Ausnahme der Fälle B.II.1.a)bb) und B.II.1.a)jj), die ausschließlich den Handel mit Kokain betreffen, keinen Bestand haben. Denn am ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis in Kraft getreten, was der Senat nach § 2 Abs. 3 StGB zu berücksichtigen hat; nach der Neuregelung unterfällt der Umgang mit Cannabis nicht mehr dem BtMG, sondern allein dem hier milderen KCanG (vgl. ).
4Das vom Landgericht festgestellte Tatgeschehen ist nunmehr in den Fällen B.II.1.a)cc) bis B.II.1.a)ii), B.II.1.a)kk), B.II.1.a)ll), B.II.1.a)nn), B.II.1.a)pp), B.II.1.b)aa) bis B.II.1.b)cc) als Handeltreiben mit Cannabis in vierzig Fällen zu würdigen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG). Soweit sich die Taten auf das Handeltreiben mit einer nicht geringen Menge bezogen (vgl. zur nicht geringen Menge BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 106/24; vom – 5 StR 153/24) und der Angeklagte gewerbsmäßig handelte, sind lediglich Regelbeispiele für einen besonders schweren Fall (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 4 KCanG) erfüllt, der im Schuldspruch keinen Ausdruck findet (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 31). Mit Blick auf die zusätzlich gehandelten Betäubungsmittel unterfällt das Tatgeschehen in den Fällen B.II.1.a)aa), B.II.1.a)mm), B.II.1.a)oo) und B.II.1.b)dd) zwar weiterhin (auch) dem Betäubungsmittelgesetz, erfüllt aber nur noch im Fall B.II.1.b)dd) den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), weil allein hier die zur Veräußerung bestimmten 50 Gramm Kokain den Grenzwert zur nicht geringen Menge übersteigen, während in den anderen Fällen nur noch der Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) erfüllt ist. Hinzu tritt in allen vier Fällen das tateinheitlich verwirklichte Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 KCanG).
5Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 i.V.m. § 354a StPO. Die Regelung des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. In den Fällen B.II.1.a)aa) und B.II.1.a)dd) ist eine Bewertungseinheit anzunehmen, weil das aus unterschiedlichen Erwerbshandlungen stammende Marihuana zum Zwecke der Veräußerung miteinander vermischt wurde (vgl. , NStZ 2015, 226; Patzak/Fabricius, Betäubungsmittelgesetz, 11. Aufl., § 29 Rn. 476).
63. In den von der Schuldspruchänderung betroffenen Fällen haben die Strafen keinen Bestand.
7Dies gilt, obwohl im Fall B.II.1.b)dd) die Strafe nach § 52 Satz 2 StGB weiter aus § 29a Abs. 1 BtMG zuzumessen sein wird. Denn es ist zu berücksichtigen, dass der nach dem Betäubungsmittelgesetz zu ahndende Schuldumfang des Handeltreibens geringer geworden ist. Soweit die Strafkammer in allen weiteren von der Schuldspruchänderung betroffenen Fällen – außer B.II.1.a)aa) – einen minder schweren Fall bejaht und die Strafen § 29a Abs. 2 BtMG entnommen hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass die Strafkammer zumindest in den Fällen, in denen der Grenzwert der nicht geringen Menge an THC nur unerheblich überschritten wurde, einen besonders schweren Fall verneint hätte, so dass insoweit der mildere Strafrahmen des § 34 Abs. 1 KCanG zur Anwendung gelangt wäre. Um dem neuen Tatgericht eine einheitliche, der neuen Bewertung des Gesetzgebers Rechnung tragende Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat die Strafen auch in den anderen Fällen auf. Die Aufhebung fast aller Strafen entzieht der versehentlich im Tenor als „Freiheitsstrafe“ bezeichneten Gesamtstrafe die Grundlage. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen, können bestehen bleiben und um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden (§ 353 Abs. 2 StPO).
84. Die Revision des Angeklagten und das zu seinen Gunsten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führen zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Die Beweiswürdigung zum Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist lückenhaft.
9a) Die Strafkammer hat ihren diesbezüglichen Feststellungen die Angaben des Angeklagten bei einer Nachexploration zugrunde gelegt. Sie hat sich insoweit nach „eigener kritischer Würdigung“ den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, der die im Rahmen der Zweitexploration vom Angeklagten gemachten Angaben zu seinem Konsum (monatlich je 200 Gramm Marihuana, 25 bis 30 Tabletten Benzodiazepine und 20 Tabletten Tilidin, am Wochenende drei bis fünf Gramm Kokain und ein bis zwei Tabletten Ecstasy) für „durchaus plausibel und glaubhaft“ erachtet hat. Die Strafkammer hat sich jedoch nicht mit dem negativen Ergebnis einer dem Angeklagten entnommenen Haarprobe und mit der Frage auseinandergesetzt, ob dies der Glaubhaftigkeit der Angaben entgegenstehen könnte. Dies wäre insbesondere vor dem Hintergrund geboten gewesen, dass der Angeklagte im Rahmen einer ersten Exploration einen deutlich geringeren Drogenkonsum geschildert hatte (monatlich bis zu 100 Gramm THC, ein- bis zweimal monatlich Kokain).
10b) Im Hinblick darauf, dass eine Substanzkonsumstörung im Sinne des § 64 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt ist, kann dahinstehen, ob die Feststellungen die Annahme tragen, die verfahrensgegenständlichen Straftaten gingen „überwiegend“ auf einen Hang zurück (vgl. zum neuen Maßstab BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 481/23; vom – 6 StR 144/24).
115. Die Sache bedarf im Umfang ihrer Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung, wobei nach § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO wiederum ein Sachverständiger hinzuzuziehen ist.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:100724B6STR312.24.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-73298